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Risikowahrnehmung und Akzeptanz der Schutzmaßnahmen sinken

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Unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Betsch, Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, betreibt das Robert-Koch-Institut gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern derzeit ein „COVID-19 Snapshot Monitoring“ (COSMO). Das Konsortium ermittelt einmal pro Woche in einer Online-Live-Umfrage, wie Menschen subjektiv die Risiken des COVID-19-Virus wahrnehmen, welche Gegenmaßnahmen bekannt sind, welche davon bereits angewandt oder abgelehnt werden. Ziel dieses Projekts ist es, einen wiederholten Einblick in die „psychologische Lage“ der Bevölkerung zu erhalten. Dies soll es erleichtern, Kommunikationsmaßnahmen und die Berichterstattung so auszurichten, um der Bevölkerung korrektes, hilfreiches Wissen anzubieten und Falschinformationen und Aktionismus vorzubeugen. Neue Befunde aus dem Monitoring wurden heute veröffentlicht.

Die beteiligten Forscherinnen und Forscher ziehen daraus folgende Schlüsse:

Sorglosigkeit: Risiko und Verhalten

Die Risikowahrnehmung (insbesondere die wahrgenommene Erkrankungswahrscheinlichkeit) und Angst um die eigene Gesundheit sinken, ebenso die Akzeptanz der Maßnahmen. Diese sinken fast auf das Niveau von vor dem Lockdown. Es zeigt sich eine auffällige Parallelität der Mobilität und der Aussage, dass man die Maßnahmen übertrieben findet.

Seit vergangener Woche ist die Akzeptanz für Maßnahmen, die stark in die Rechte der Menschen eingreifen, signifikant gefallen. Dass Demonstrationen gestattet sein sollen, wird zwar allgemein immer noch wenig gefordert, im Vergleich zu Ende April aber doch häufiger. Der Ärger über die Maßnahmen ist etwas geringer als vor den Lockerungen. Gleichzeitig werden Schutzmaßnahmen etwas seltener ergriffen als in der Vorwoche; ein Drittel der Befragten macht beispielsweise Ausnahmen beim Treffen von haushaltsfremden Personen. Auch einfache Die Häufigkeit von Maßnahmen wie Händewaschen oder Abstandhalten geht zurück. Mehr als ein Drittel der Befragten hält es für (eher) unwahrscheinlich, sich anzustecken wenn sie haushaltsfremde Personen treffen, einkaufen, zum Arzt gehen oder außer Haus sind. Wer denkt, dass sich mehr Leute an die Regeln halten, hält sich auch selbst eher an Regeln.

89% der Befragten halten 1.5m Abstand, 86% waschen sich 20 Sekunden die Hände, 79% tragen eine Maske. Personen, die die Maßnahmen generell übertrieben finden, halten sich deutlich seltener auch an diese einfachen Alltags-Maßnahmen als diejenigen, die die Lockerungen übertrieben und zu früh finden.

Maßnahmen oder Lockerungen ablehnen

Bei der Einschätzung der Maßnahmen und Lockerungen scheint es
indes zwei Lager zu geben: 21% finden die Maßnahmen übertrieben (mehr Männer), 31% finden die Lockerungen (eher) übertrieben; 41% sind unentschieden (jeweils mehr Frauen). Diejenigen, die die Maßnahmen übertrieben finden, zeigen sich zugleich schlechter informiert, vertrauen den Behörden weniger, nehmen ein geringeres Risiko wahr und den Ausbruch als einen Medien-Hype. Diese Personengruppe hängt auch eher Verschwörungstheorien an und hat tendenziell größere persönliche Sorgen um ihre finanzielle Sicherheit, den Arbeitsplatz, und sie befürchtet eher, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Hier ist auch der Wunsch nach Demonstrationen höher. Um diese Gruppe zu erreichen, empfehlen die Wissenschaftler*innen verbesserte Strategien zur Risikokommunikation und mahnen dazu, die Positionen und Sorgen dieser Gruppe ernst zu nehmen.

Ausstiegszenarien

Insgesamt hat die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung die höchste Priorität bei den Befragten. Ähnlich bedeutsam sind jedoch die eigenen ökonomischen Interessen; Einkommensverluste durch höhere
Steuern und Sozialabgaben finden eine geringe Akzeptanz. Die Vermeidung einer verpflichtenden App ist ihnen weiterhin sehr wichtig. Die Betroffenen wünschen sich auch noch mehr als eine sofortige Öffnung der Schulen, eine schnelle Wiederöffnung der Kitas. Vor diesem Hintergrund sollten diese Aspekte nach Ansicht der Wissenschaftler*innen neben den Überlegungen zum Infektionsschutz bei der schrittweisen Öffnung zur Abwägung herangezogen werden.

Sorgen

Die Sorgen um die Wirtschaftskraft bleiben stabil hoch. Sorgen über Ungleichheit, Egoismus und die Überlastung des Gesundheitssystems stiegen diese Woche wieder leicht an. Die Befürchtung, dass die Corona-Pandemie die soziale Ungleichheit verstärkt, bleibt nach wie vor bestehen. Personen, die die Maßnahmen ablehnen, haben größere persönliche Sorgen um ihre finanzielle Sicherheit, den Arbeitsplatz, und befürchten eher, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Die Verhinderung von Ungleichheit durch Corona könnte also ein wichtiger Faktor in der Kommunikation werden.

Vertrauen

Krankenhäuser und Ärzte genießen weiter hohes Vertrauen, alle anderen Institutionen pendeln sich auf einem etwas niedrigeren Niveau (als Ende März) ein. Das Vertrauen in die Behörden ist ein wichtiger Einflussfaktor für die Akzeptanz vieler Maßnahmen (z.B. auch Akzeptanz einer Tracing-App, einer möglichen Impfung gegen COVID-19, der Beibehaltung der Maßnahmen etc.) und deshalb besonders schützenswert. Die Wissenschaftler*innen plädieren deshalb weiterhin für eine transparente Kommunikation.

Tracing-Apps

Die Bereitschaft zur Nutzung einer Tracing-App ist weiter niedrig. 47% der Befragten (Vorwoche 44%) sind eher bereit oder bereit, sich eine datenschutzkonforme App zu installieren. Der Schutz anderer und das Wissen, ob man selbst ansteckend sein könnte, ist für diese Personen besonders relevant. Der Anteil derer, die sie nicht herunterladen würden, ist stabil bei knapp einem Viertel der Befragten. Diese äußern Zweifel am Datenschutz und an einem persönlichen Vorteil der App. Deshalb spielt das Vertrauen in die Behörden nach wie vor eine Rolle bei der potenziellen Akzeptanz der App.

Hypothetische Impfung gegen das Coronavirus

64% würden sich (eher) gegen COVID-19 impfen lassen, Mitte April waren es noch 79%. Es zeigt sich: Die Impfbereitschaft gegen COVID-19 ist höher für Personen, die männlich sind, Infizierte im persönlichen Umfeld haben, der Impfung mehr vertrauen und sie nicht für überflüssig halten. Die Impfbereitschaft gegen COVID-19 ist geringer für Personen, die denken, Alltagsstress könnte sie vom Impfen abhalten und die Nutzen und Risiken der Impfung abwägen wollen. Ebenfalls ist die Impfbereitschaft geringer, wenn Personen denken, dass sie sich nicht impfen lassen müssen, wenn alle anderen das tun (Trittbrettfahren). Ein ähnliches Muster zeigt sich auch für die Befürwortung der Impfplicht gegen COVID-19. Hier spielt auch das Vertrauen in die Behörden eine Rolle.

Aber: Bei einer angenommenen Basisreproduktionsrate von R0 = 3 (https://www.rki.de/DE/
Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. html) und einem perfekt wirksamen Impfstoff würde eine Impfbereitschaft von 66% nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Deshalb ist eine transparente Kommunikation des zu erwarteten Nutzens und der Risiken einer Impfung gegen COVID-19 wichtig.

Immunitätspass

Immunität ist die Bedingung für einen Immunitätspass. Das Wissen hierzu ist untere den Befragten nicht sehr stark ausgeprägt. Das zeigt sich auch in der Bevölkerung, die einen Immunitätspass weiterhin eher ablehnt: 22% denken, dass man nach einer COVID-19 Infektion immun ist; dieser Anteil sinkt seit April. 55% der Befragten ist die Diskussion um den Immunitätsausweis bekannt (Vorwoche 59%). 45% aller Befragten sind der Meinung, dass ein Immunitätsausweis nicht eingeführt werden soll (Vorwoche 49%, der Anteil der „weiß nicht“-Angaben ist etwas gestiegen). Seit Anfang April nimmt die Zustimmung dafür ab, dass Immune gesellschaftlich relevante Aufgaben übernehmen sollen. Deshalb raten die Forscher*innen: Sollte ein Immunitätspass eingeführt werden, sollte sehr klar der Nutzen des Passes kommuniziert werden.

Verschwörungstheorien

Über Corona sind bereits einige Verschwörungstheorien aufgetaucht. Zwei gegensätzliche Theorien (Corona ist menschengemacht vs. ist ein Schwindel) sind nur gering verbreitet, je 17% der Befragten stimmen (eher) zu. Diese Anteile sind seit der Vorwoche praktisch gleich geblieben; allgemeines Verschwörungsdenken hat seit Ende März leicht nachgelassen. 10% der Befragten glauben an beide Theorien. Anhängern von Verschwörungstheorien scheint es weniger um die absolute Überzeugung von einer Ansicht zu gehen als um die Ablehnung einer „offiziellen“ Sichtweise. Wer diesen alternativen Sichtweisen anhängt, hält sich weniger an die Regeln, vertraut weniger der Regierung und der WHO und lehnt Maßnahmen eher ab. Verschwörungstheorien sind besonders unter Personen verbreitet, die die Maßnahmen ablehnen.

Zweite Welle der Pandemie

94% der Befragten haben schon einmal davon gehört, dass es eine 2. Welle der Pandemie geben kann; 70% aller Befragten halten eine 2. Welle für (eher) wahrscheinlich. Die meisten erwarten sie in zwei Monaten. Je wahrscheinlicher oder näher eine 2. Welle der Corona-Epidemie eingeschätzt wird, desto länger würden sich Personen bei einer 2. Welle nochmal einschränken und desto größer ist auch die Bereitschaft, sich in den kommenden zwei Wochen häufiger an die Maßnahmen zu halten. Die Sorge vor einer zweiten Welle scheint eine große Motivation für die Einhaltung der geltenden Regeln zu sein. Dies kann in der Krisenkommunikation genutzt werden um das Einhalten der Maßnahmen zu fördern. Es bleibt jedoch die Gefahr eines Bumerang-Effekts, d.h. im Falle eines Ausbleibens der zweiten Welle könnte es auch zu einem Vertrauensverlust kommen. Im begründeten Fall sollte deshalb auf eine mögliche
2. Welle und mögliche wiederholte Einschränkungen hingewiesen werden.

Familienzusammenhalt

Den Familien in Deutschland gelingt es in der andauernden Krisensituation, ein insgesamt positives Familienklima aufrechtzuerhalten. Im Vergleich zu Paaren und Familien mit älteren Kindern im Haushalt liegen die Werte bei Familien mit Kindern unter 14 über alle Zeitpunkte hinweg auf den drei Skalen zum Familienklima geringfügig niedriger. 58% der Eltern mit jüngeren Kindern fühlen sich belastet, mit älteren Kindern sind es nur 38%. Das Belastungserleben von Familien mit jüngeren Kindern hat sich seit der Befragung in der vergangenen Woche erhöht. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich die Situation trotz der allgemeinen Reduzierungen der Beschränkungsmaßnahmen gerade in diesen Familien nicht deutlich verbessert hat, da die Kitas weiterhin geschlossen sind und die Teilnahme am Schulunterricht nur sehr eingeschränkt möglich ist.


Weitere Informationen/Kontakt:

Prof. Dr. Cornelia Betsch,
E-Mail: cornelia.betsch@uni-erfurt.de

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