01_Covid-19

Arbeitsmedizinische Empfehlungen zur Beschäftigung von schwangeren und stillenden Frauen

Generell können Infektionserkrankungen bei Schwangeren anders verlaufen als bei Nicht-Schwangeren. Speziell für COVID-19 gibt es bisher keine Hinweise, dass Schwangere ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung beziehungsweise für einen schwereren Verlauf haben als Nicht-Schwangere. Es wird erwartet, dass die große Mehrheit der SARS-CoV-2 infizierten Schwangeren leichte bis mittelschwere Symptome entwickelt.

Die derzeitige wissenschaftliche Datenlage zu COVID-19 Erkrankungen ist allerdings aufgrund der Neuartigkeit noch relativ überschaubar. Nach jetzigem Erkenntnisstand kann deshalb noch nicht zuverlässig eingeschätzt werden, ob Schwangere aufgrund der physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, durch SARS-CoV-2 zu erkranken, und inwieweit bei Erkrankungen mit schweren Verläufen zu rechnen ist. Dabei zu berücksichtigen ist auch die eingeschränkte medikamentöse Behandlungsmöglichkeit von Schwangeren.

Eine Übertragung des Virus auf das ungeborene Kind während des dritten Schwangerschaftsdrittels wurde nach den bislang vorliegenden Daten nicht festgestellt. Eine Virusübertragung auf das ungeborene Kind während des ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittels, also dem für Fehlbildungen relevanten Zeitraum, kann bisher nicht sicher ausgeschlossen werden, da hierzu nicht genügend Daten vorliegen.

Die Entscheidung über zu ergreifende Schutzmaßnahmen für eine schwangere bzw. stillende Frau ist eine Einzelfallentscheidung, die vom Arbeitgeber unter Beteiligung des Betriebsarztes/der Betriebsärztin und in Kenntnis des konkreten Arbeitsplatzes getroffen werden muss. Für den Arbeitsplatz der Schwangeren ist eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, bei der auch die möglichen Gefährdungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 einzubeziehen sind.

Bei der Gefährdungsbeurteilung sind u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Welcher Art und Häufigkeit sind die Kontakte sowie die Zusammensetzung der Personengruppe?
  • Besteht ein Kontakt zu ständig wechselnden Personen/Patienten/Publikum?
  • Kann ein Mindestabstand von 1,5m zu anderen Personen sicher eingehalten werden?
  • Ist ein enger Kontakt im Rahmen eines persönlichen Gesprächs („face to face“- Patientengespräch) unvermeidbar und dauert er länger als 15 Minuten?
  • Besteht Umgang mit an den Atemwegen erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen? Werden Tätigkeiten durchgeführt, die mit einer erhöhten Aerosolbildung einhergehen?
  • Wie sieht es mit der Umsetzung der Hygienestandards und der Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung beispielsweise mit Atemschutzmasken in der vorliegenden Belastungssituation zum jetzigen Zeitpunkt aus?
  • Wie sind die Raum- und Lüftungsverhältnisse am Arbeitsplatz?

Aufgrund der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber unter Hinzuziehung des Betriebsarztes / der Betriebsärztin zu ermitteln, ob für eine schwangere Frau oder ihr Kind keine Schutzmaßnahmen erforderlich sind oder eine unverantwortbare Gefährdung durch eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen bzw. durch einen Arbeitsplatzwechsel ausgeschlossen werden kann. Nur wenn nicht anders möglich, ist ein teilweises oder vollständiges Beschäftigungsverbot auszusprechen.

Folgende Anhaltspunkte dienen derzeit als Grundlage für die Beurteilung der Gefährdungen im Einzelfall und für die Entscheidung, inwieweit die Weiterbeschäftigung einer schwangeren Frau möglich ist oder das Aussprechen eines vollständigen oder teilweisen betrieblichen Beschäftigungsverbotes durch den Arbeitgeber gemäß § 13 Mutterschutzgesetz erforderlich ist:

  • Beschäftigung mit Publikumsverkehr / im Außendienst / in Schule und ähnlichen Bereichen
    Bei beruflichen Tätigkeiten mit Publikumsverkehr bzw. im Außendienst (wie z. B. Einzelhandel, Behörden, Personentransport, Handwerker) sowie in der Schule und ähnlichen Bereichen wird das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz derzeit höher zu bewerten sein als beim alltäglichen Miteinander außerhalb beruflicher Tätigkeiten aufgrund der dort geltenden Kontaktbeschränkungen.
    Im Allgemeinen steigt das Infektionsrisiko für die Frau mit der Anzahl ihrer sozialen Kontakte einschließlich des beruflichen Umfelds. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass im Publikum, unter den Kunden oder den sonstigen Kontakten Personen sind, die infiziert sind, von der aktuellen Ausbreitung des Coronavirus SARS CoV2 abhängt.
    Zunächst ist zu prüfen, ob eine Umsetzung an einen Arbeitsplatz ohne Infektionsgefährdung möglich ist, also in einen vom Publikums- bzw. Kundenkontakt oder von den sonstigen Bereichen mit wechselnden Kontakten oder Kontakten zu einer größeren Personenanzahl räumlich getrennten Bereich. Wenn es die Tätigkeit zulässt, könnte alternativ auch die Arbeit im Home-Office angeboten werden. Können Schutzmaßnahmen nicht in ausreichender Weise ergriffen werden, ist in Absprache mit dem Betriebsarzt/
    der Betriebsärztin ein (befristetes) Beschäftigungsverbot auszusprechen.
  • Beschäftigung im Gesundheitswesen, in der Pflege und in ähnlichen Bereichen


In diesen Bereichen stellt der vom Mutterschutzgesetz geforderte Ausschluss einer unverantwortbaren Gefährdung eine arbeitsorganisatorische Herausforderung dar. Denn hier sind regelmäßige Kontakte zu ständig wechselnden Personen bzw. einer größeren Anzahl von Personen häufig.
Schwangere Frauen, die im Gesundheitswesen, in der Pflege oder in ähnlichen Bereichen beschäftigt sind, dürfen jedenfalls keine Tätigkeiten an sog. Verdachtsfällen oder infektiösen Patienten oder auch infektiösen Materialien wie bspw. Laborproben verrichten. Denn dicht anliegende Atemschutzmasken (FFP2/ FFP3) schützen zwar (auch) die Trägerin vor einer möglichen Infektion, sind jedoch für schwangere Frauen nur bedingt geeignet, da sie aufgrund des Atemwiderstands in der Tragezeit zeitlich sehr begrenzt sind.
Ob andere Tätigkeiten im Gesundheitswesen möglich sind, bspw. in der Verwaltung oder im Empfangsbereich, ist in der Gefährdungsbeurteilung festzulegen, zu dokumentieren und ggf. einschließlich zu treffender wirksamer Schutzmaßnahmen für den Einzelfall zu bestimmen. Angesichts der sich dynamisch entwickelnden Infektionslage wird für Frauen insbesondere in den ersten und zweiten Schwangerschaftsdritteln eine Umsetzung in örtlich sicher abgetrennte Bereiche ohne wechselnde Patientenkontakte bzw. Kontakte zu einer größeren Patientenanzahl oder ohne Kontakt zu mit SARS CoV2 – haltigen Materialien und Laborproben erforderlich sein.

  • Beschäftigung in anderen Bereichen
    Auch für die Beschäftigung in anderen Bereichen gilt, dass eine Gefährdungsbeurteilung gemäß § 10 Mutterschutzgesetz vorzunehmen ist und erforderliche Schutzmaßnahmen festzulegen sind. Auch in diesen Bereich sind die üblichen Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und ggf. -desinfektion, Husten- und Niesetikette sowie Abstandsregeln zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte der Arbeitgeber auch prüfen, inwieweit die Tätigkeit der Schwangeren im Home-Office ausgeübt werden kann und dies, wenn möglich, anbieten.
  • Teilweises oder vollständiges Beschäftigungsverbot
    Bei der Beurteilung, ob ein betriebliches Beschäftigungsverbot für eine schwangere Frau im gesamten Betrieb oder nur in Teilbereichen des Betriebs oder für bestimmte Tätigkeiten gilt, ist auch die Größe und Aufteilung des Betriebs bzw. die Lage von einzelnen Betriebseinheiten sowie die Art der Zusammenarbeit im Betrieb zu berücksichtigen. Sofern auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung ausgeschlossen werden kann, dass eine Übertragung von Viren auf bestimmte andere betriebliche Einheiten des Betriebs erfolgt, können diese vom Beschäftigungsverbot ausgenommen werden.

Stillende Frauen

Bislang gibt es keine Hinweise, dass SARS-CoV-2 über die Muttermilch übertragen wird. Nach den heutigen Erkenntnissen sind − allein aufgrund der Infektionslage hinsichtlich des Coronavirus SARS- Co V-2 − die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverbot für stillende Mütter nicht gegeben.

Mutterschutzrechtlich ist lediglich eine möglicherweise erhöhte Infektionsgefährdung am Arbeitsplatz zu betrachten. Stillt die Beschäftigte ihr Kind im Betrieb und besteht dort ein für das Kind erhöhtes Infektionsrisiko, muss ein geeigneter Raum für das Stillen zur Verfügung stehen, in dem kein erhöhtes Infektionsrisiko besteht und der ohne erhöhtes Infektionsrisiko für das Kind zugänglich ist.

Nicht vom Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes umfasst ist dagegen der Schutz eines Kindes vor Infektionen außerhalb des Arbeitsumfeldes, welche durch Tröpfchen- oder Schmierinfektion sowie durch engen Kontakt des Kindes mit der stillenden oder nicht-stillenden Mutter oder mit anderen Kontakt- und Betreuungspersonen (Vater, Geschwister etc.) übertragen werden. Insoweit werden stillende Frauen ebenso wie nicht-stillende Frauen nach den allgemeinen Regelungen z. B. des Infektionsschutzgesetzes geschützt.

Ärztliches Beschäftigungsverbot

Soweit die Gesundheit einer schwangeren Frau oder ihres Kindes bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist, kann ein Beschäftigungsverbot durch einen Arzt / eine Ärztin attestiert werden. Hierbei dürfen, anders als bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, nur die individuellen Risiken der schwangeren Frau berücksichtigt werden (z. B. Konstitution, Gesundheitszustand). Abhängig davon, was aus medizinischer Sicht erforderlich ist, besteht die Möglichkeit, ein teilweises Beschäftigungsverbot (z. B. nur für bestimmte Tätigkeiten) oder ein vollständiges Beschäftigungsverbot (jede Tätigkeit ist untersagt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zum Eintritt der gesetzlichen Schutzfristen) zu attestieren.


Der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS), der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu Fragen des Arbeitsschutzes bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen berät, hat inzwischen das Coranavirus SARS-CoV-2 aus präventiver Sicht in die Risikogruppe3 nach der Biostoffverordnung eingestuft. Vor dem Hintergrund, dass die Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion derzeit noch nicht zuverlässig bewertet werden können, ist ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 am Arbeits- oder Ausbildungsplatz aus präventiven Gründen als unverantwortbare Gefährdung einzustufen. Dies gilt nach Auffassung des Ausschusses für Mutterschutz beim Bundesfamilienministerium (§ 30 Mutterschutzgesetz) nicht nur beim Umgang mit Erkrankungsfällen (laborbestätigten COVID-19-Fällen) oder ärztlich begründeten Verdachtsfällen, sondern bereits bei Kontakt zu ständig wechselnden Personen oder bei regelmäßigem Kontakt zu einer größeren Anzahl von Personen.

Eine Weiterbeschäftigung einer schwangeren Frau darf nur dann erfolgen, wenn durch effektive Schutzmaßnahmen sichergestellt ist, dass die schwangere Frau am Arbeitsplatz keinem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt ist
als die Allgemeinbevölkerung.


Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen


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