02 Digitalisierung

Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit digitalen Technologien

Digitalisierte Arbeitssysteme und der damit verbundene Einsatz neuer Technologien ist in vielen Unternehmen kein entferntes Zukunftsszenario mehr. In immer mehr Bereichen werden neue Technologien bzw. Assistenzsysteme, wie Datenbrillen, kollaborierende Roboter oder fahrerlose Transportsysteme eingesetzt.

Eine Einführung und Nutzung dieser Technologien kann dabei alle Beteiligten vor Herausforderungen stellen, da eventuell noch keine Erfahrungswerte oder zu wenig betriebliches Wissen vorhanden ist. Dies betrifft natürlich auch die Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, wodurch es nicht nur erforderlich ist, dass die Funktionsweise neuer Technologien ausreichend bekannt ist und verstanden wird, sondern auch die notwendigen Kompetenzen für deren Beurteilung vorhanden sind.

Ein Rückgriff auf bestehende „Arbeitsschutz-Werkzeuge“ ist hierbei naheliegend, wobei gewisse Aspekte beachtet werden sollten, um unter anderem die Gefährdungsbeurteilung zielgerichtet durchführen zu können. Grundlage für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist, dass alle mit der zu betrachtenden Tätigkeit vorhandenen Gefährdungen korrekt identifiziert und bewertet werden.

Hinter der Gefährdungsbeurteilung steht der Gedanke des Arbeitssystemmodells, wie bspw. in der TRBS 1151 dargestellt. Sollen nun neue Technologien in Unternehmen eingesetzt und tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden, kann es zielführend sein Arbeitssystemmodelle aufzustellen. Mit Hilfe solch einer ganzheitlichen Vorgehensweise ist es möglich, Gefährdungen systematisch zu identifizieren und zu bewerten.

Neue Technologien kennzeichnet unter anderem, dass sie in eine stark vernetzte Arbeitsumgebung eingebettet sind. Hieraus ist eine Vielzahl von Wechselwirkungen möglich, wobei die Notwendigkeit besteht, die für Beschäftigte dabei potentiell entstehenden relevanten Gefährdungen zu identifizieren und zu bewerten. Psychische und physische Gefährdungen können sich dabei beispielsweise durch eine autonome Tätigkeitsausführung ergeben. Führen zum Beispiel autonome Maschinen für Beschäftigte nicht nachvollziehbare Handlungen aus, sind eventuell negative psychische Beanspruchungen die Folge. Ebenso ist es beispielsweise möglich, dass mechanische Gefährdungen (z.B. Quetschgefährdungen) durch das automatisierte Handling von Werkstücken auftreten.

Datenbrillen, als vergleichsweise neue Technologie, werden z.B. in Unternehmen eingeführt, um ein effizientes Arbeiten zu ermöglichen. Das bedeutet, dass diese unter anderem zur Fernwartung/Remote Assist eingesetzt werden. Hierbei ist ein Beschäftigter vor Ort an der Anlage, und ein weiterer Beschäftigter ist über die Kamera der Datenbrille zugeschaltet. Dadurch ist es realisierbar, dass aus der Entfernung heraus kostengünstig Instandhaltungsspezialisten konsultiert werden.

Eine weitere verbreitete Anwendung stellt die Kommissionierung von Waren im Logistikbereich dar. Hierzu werden in das Sichtfeld des Beschäftigten Informationen und Arbeitsaufträge eingeblendet und diese auch hierüber quittiert oder weitere Informationen aufgerufen. Mittels dieser Arbeitsweise ist ein effizientes und zudem individualisierbares Arbeiten (Tempo, Wissens- und Leistungsstand) realisierbar.

Grundlage für diese beiden kurz beschriebenen Anwendungsgebiete ist jedoch, dass die Datenbrillen in ein vernetztes Arbeitssystem eingebunden sind. Durch die Vernetzung der Datenbrille mit den Arbeitsgegenständen (z .B. Erfassung des Werkstücks mittels Barcode/RFID über Datenbrille) ist es realisierbar, dass das Transportziel oder auch Details, wie das Gewicht, eingeblendet werden. Darüber hinaus sind durch die Einbindung der Datenbrille ins Unternehmensnetzwerk noch weitere Informationen abrufbar. In einem nächsten Schritt können über die Datenbrille auch zusätzliche Arbeitsmittel bzw. Anlagen bedient werden, indem Beschäftigte sich über eine Schnittstelle mittels Datenbrille einloggen.

Arbeitssystemmodell nutzen

In der Folge ist die Entstehung von Gefährdungen möglich, welche nicht nur zum Beispiel ergonomische Aspekte einer Datenbrille betreffen. Um weitergehende Gefährdungen, welche sich durch die Vernetzung des Arbeitsmittels ergeben, entsprechend zu identifizieren, kann die Aufstellung eines Arbeitssystemmodells hilfreich sein. Diese Aufstellung unterscheidet sich dabei in vielen Bereichen nicht von der bisherigen Vorgehensweise, wie sie bspw. durch die TRBS 1151 oder DIN EN ISO 6385 gefordert ist.

Hierbei sollten alle für die Tätigkeit notwendigen Arbeitssystemelemente erfasst und deren Schnittstellen/Wechselwirkungen zueinander bestimmt werden.

Um es an einem vereinfachten Beispiel zu verdeutlichen (vgl. Abb. 1):

Ein Beschäftigter führt Instandhaltungsarbeiten an einer Anlage zur Warmumformung von Stahl durch und nutzt zur Unterstützung eine Datenbrille. Er führt zudem einen Schraubendreher sowie einen Spannungsprüfer mit sich.

Neben den genannten Arbeitsmitteln existiert in dem Arbeitssystem noch der Arbeitsgegenstand „Anlage“. Nutzt er nun den Spannungsprüfer und Schraubendreher an der Anlage, so können unter anderem mechanische und elektrische Gefährdungen für den Beschäftigten vor Ort auftreten. Wird nun zur weiteren Aufgabenabarbeitung noch ein externer Spezialist über die Datenbrille zugeschaltet, sind sich weitere potentiell ergebende Gefährdungen zu überprüfen, obwohl sich die vor Ort an der Anlage vorhandenen Arbeitssystemelemente nicht ändern.

Handelt nun der Beschäftigte vor Ort auf Anweisung des zugeschalteten Spezialisten, ist das Vorhandensein von Gefährdungen durch fehlerhafte Anweisungen zu überprüfen, zum Beispiel durch sprachliche Missverständnisse oder auch technische Übertragungsprobleme.

Eine weitere Komplexitätsstufe bezüglich vernetzter Interaktionen ist zu betrachten, wenn der zugeschaltete, externe Spezialist aus der Ferne auf die Steuerung der Anlage zugreifen kann. Um diese Gefährdungen zu identifizieren, kann eine Aufstellung des entsprechenden Arbeitssystems hilfreich sein. Hierfür werden die vorhandenen Arbeitssystemelemente identifiziert und sachlogisch verknüpft. Durch die Überprüfung des möglichen Zusammenwirkens der verschiedenen Arbeitssystemelemente sollen dann daraus sich ergebende Gefährdungen identifiziert werden.

Es ist jedoch zu beachten, dass die bestehenden und verwendbaren Ansätze zur Bildung von Arbeitssystemmodellen in ihrer Zusammensetzung und Beschreibung an ihre Grenzen stoßen können. Dies betrifft insbesondere die Erfassung von Gefährdungen, welche erst durch eine zunehmende Vernetzung von Arbeitssystemen entstehen oder möglich sind.

Die Erfassung von direkten Wechselwirkungen, wie beispielsweise sich ergebende elektrische Gefährdungen durch den Einsatz des Spannungsprüfers an spannungsführenden Anlagenteilen, ist durch bestehende Modelle erfassbar.

Durch die Vernetzung können aber auch Gefährdungen auftreten, welche nicht direkt auf die Tätigkeiten des Beschäftigten zurückzuführen sind. Solche indirekten Wechselwirkungen sind beispielsweise denkbar, wenn der externe Spezialist in die Steuerung der Anlage eingreift, ohne dass der Beschäftigte vor Ort darüber Kenntnis hat. Das gleiche Prozedere kann auch auf die Übermittlung fehlerhafter Anweisungen über die Datenbrille übertragen werden. Erfasst der zugeschaltete Spezialist die Lage an der Anlage unvollständig oder fehlerhaft, kann sich hieraus eine falsche Entscheidungsgrundlage ergeben. Resultieren daraus unklare oder auch falsche Anweisungen bzw. Handlungen für den Beschäftigten vor Ort, ist das Auftreten von Gefährdungen nicht auszuschließen.

Potentielle Gefährdungen sind nicht nur durch die direkten Handlungen des Beschäftigten erzeugbar, sondern auch indirekt über damit verbundene Tätigkeiten weiterer Beschäftigter oder Aktionen von Anlagen.

Zusätzliche Gefährdungen

Ähnliche Szenarien lassen sich auf eine Vielzahl existierender Technologien in Unternehmen übertragen. Es sind auch Tätigkeiten im Fokus, in denen sich Gefährdungen durch indirekte Wechselwirkungen ergeben können, die nicht durch dritte Personen bedingt werden.

Ein solches Beispiel sind mobile Produktionsassistenten. Ähnlich wie fahrerlose Transportsysteme verfügen diese über die Eigenschaften sich autonom durch Arbeitsstätten zu bewegen, aber dabei auch noch zusätzlich weitere Aufgaben zu übernehmen. Ein Beispiel ist ein automatisierter Transport von Rohstoffen und die damit verbundene selbstständige Versorgung von Anlagen mit diesen Rohstoffen. Hierdurch ist es vorstellbar, dass mobile Produktionsassistenten mit dem Arbeitssystem des Beschäftigten in Kontakt kommen, ohne dass hiermit ein direkter Tätigkeitsbezug oder eine menschliche Handlung verbunden ist.

Durch diese autonomen Interaktionen des mobilen Produktionsassistenten können Gefährdungen auftreten, welche entsprechend identifiziert und bewertet werden müssen. Gefährdungen sind dabei nicht nur zum Beispiel durch Kollisionen vorhanden, sondern auch weitergehende Beanspruchungen sind zu betrachten. So sollte überprüft werden, ob psychische Gefährdungen auf Grund autonomer technischer Handlungen auftreten. Finden im Arbeitssystem Aktionen durch Maschinen automatisiert und für Beschäftigte nicht nachvollziehbar statt, ist eine erhöhte negative psychische Beanspruchung möglich.

Die Nutzung von Arbeitssystemmodellen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist eine potentielle Hilfestellung, um sowohl sich direkt oder auch indirekt ergebende Gefährdungen zu identifizieren. Hierbei ist jedoch wichtig, dass bei der Nutzung bestehender Ansätze zu Arbeitssystemmodellen gewisse Aspekte beachtet werden. Ist feststellbar, dass Beschäftigte Arbeitsmittel nutzen, welche mit weiteren Einrichtungen innerhalb oder außerhalb des Arbeitssystems vernetzt sind, so sollte kontrolliert werden, ob auch tätigkeitsunabhängige Wechselwirkungen bzw. Gefährdungen auftreten.

In diesem Zusammenhang ist zudem zu ermitteln, ob autonome Interaktionen/Handlungen innerhalb des Arbeitssystems stattfinden. Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist die Gestaltung einer beanspruchungsgerechten Tätigkeit. Somit ist neben der dargestellten Gefährdungsidentifikation auch die Ableitung von Schutzmaßnahmen relevant.

Bezogen auf die hier vorgestellten Beispiele ist auszumachen, dass bereits etablierte Verfahren und Schutzmaßnahmen bei der Nutzung neuer Technologien zu einer ausreichenden Gefährdungsreduktion führen können.

In dem vereinfachten Beispiel der Nutzung der Datenbrille im Zuge einer Fernwartung lässt sich feststellen, dass der Gebrauch neuer Technologien nicht zwangsläufig auch die Auswahl anderer oder neuartiger Schutzmaßnahmen bedeuten muss.

Beispielsweise ist eine mögliche gefährdungsbringende Fernsteuerung der Anlage bei Wartungsarbeiten unter der Nutzung ausgereifter Lock-Out/Tag-Out-Verfahren vermeidbar. Auch das Handeln des Beschäftigten auf Anweisung des zugeschalteten Wartungsspezialisten lässt sich dementsprechend regulieren. Vor dem Einsatz von Datenbrillen zur Fernwartung ist zu bestimmen, in welchem Umfang zugeschaltete Personen den Beschäftigten vor Ort Anweisungen geben dürfen. Hierfür sind klare Grenzen dieses Verfahrens zu etablieren, welche allen Beteiligten bekannt sind, um Gefährdungen zu vermeiden.

Exemplarisch können für das zweite Beispiel auch Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, die auf bewährten Technologien und Verfahren beruhen. Im Bereich der mobilen Produktionsassistenten existieren bereits mögliche Technologien zur Nutzung als Schutzmaßnahme.

Als eine weiterentwickelte Form der fahrerlosen Transportsysteme ist es sinnvoll, dass hier auf bewährte Schutzkonzepte zur Kollisionsvermeidung zurückgegriffen wird (z.B. taktile oder sensorische Schutzeinrichtungen). Ebenso ist es möglich, dass beim Vorhandensein eines Manipulators die Erkenntnisse aus dem Bereich der kollaborierenden Roboter genutzt werden (z. B. vier Kollaborationsarten nach DIN EN ISO 10218–1).

Im Bereich potentieller psychischer Gefährdungen durch autonome Technik ist es wichtig, dass Beschäftigte über die vor Ort eingesetzte autonome Technik und deren Möglichkeiten sowie Einsatzgrenzen informiert sind. Jedoch sollte dies nur einen Teil der Maßnahmen darstellen. Zur Reduzierung psychischer und physischer Gefährdungen durch autonome Interaktionen sollte es bspw. auch für Beschäftigte jederzeit möglich sein diese zu übersteuern. Dies bedeutet, es muss für Beschäftigte die Möglichkeit bestehen, die Steuerung autonomer Prozesse oder Maschine zu übernehmen bzw. zu unterbrechen.

Für die damit einhergehende gezielte Gestaltung von Schutzmaßnahmen in vernetzten Systemen lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass eine zunehmende fachlich-inhaltliche Verschmelzung der beiden Schutzbereiche Produktsicherheit und Arbeitssicherheit geboten ist.

Insbesondere bei dem Vorhandensein von komplexeren Arbeitssystemen aufgrund einer vorhandenen Vernetzung oder autonomen Technik, ist es erforderlich, dass vor Aufnahme der Tätigkeiten alle Gefährdungen bekannt sind. Dies kann bedeuten, dass zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung vertiefende Beurteilungsmethoden (inkl. der Aufstellung des realen Arbeitssystems) gewählt werden sollten.

Ist die Funktionsweise des zu gestaltenden Arbeitssystem bekannt, bietet sich die Chance, frühzeitig im betrieblichen Planungsprozess Anforderungen an Schutzmaßnahmen und somit beispielsweise auch an Arbeitsmittel zu stellen.

Die Analyse bzw. Aufstellung des entsprechenden Arbeitssystems kann eine präventive Maßnahme sein, um sicherheitstechnische Eigenschaften der Arbeitssystemelemente zu bestimmen. Werden in einer vorausschauenden Betrachtung mögliche Gefährdungen identifiziert, können anschließend notwendige sicherheitstechnische Anforderungen an die Arbeitssystemelemente gestellt werden. Diese können dann beispielsweise als Kriterium bei der Beschaffung und Ausgestaltung des Arbeitssystems dienen.

Auch hieraus ergibt sich ggf. ein relevanter Bedarf an einer intensiveren Verzahnung von Produkt- und Arbeitssicherheit. Eine vorausschauende Gefährdungsbeurteilung, in Form einer Arbeitssystembetrachtung, kann somit ein fester Bestandteil von Beschaffungsprozessen sein. Vergleichbare Anforderungen existieren bereits in Regelwerken, wie z.B. in der ASR A V3 „Gefährdungsbeurteilung“.

Hierbei ist es durchaus realistisch, dass die Rolle einer prospektiven Gefährdungsbeurteilung im Rahmen einer digitalisierten Arbeitswelt an Bedeutung gewinnt.

Werden Arbeitssysteme komplexer, sind nachträgliche Änderungen bspw. an Arbeitsmitteln nicht oder nur schwer umsetzbar und/oder mit einem (un-)verhältnismäßig hohen Kostenaufwand verbunden. Insofern kann es auch unter diesem Gesichtspunkt zielführend sein, sicherheitstechnische Aspekte in Beschaffungs- und Planungsprozesse zu etablieren.

Ein schrittweises Vorgehen im Rahmen eines Beschaffungsprozesses ist dabei durch eine kombinierte Beachtung von Zeitpunkten der Einführungsphase und dem prinzipiellen Vorgehen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung möglich (vgl. Abb. 2).

Im ersten Schritt findet die Planung des Arbeitssystems statt, wobei hier in Abhängigkeit von der geplanten Aufgabe bzw. Tätigkeit die notwendigen Arbeitssystemelemente bestimmt werden. Hieraus sollte ein erstes planerisches Modell eines aufgabenspezifischen Arbeitssystemmodells gebildet werden. Durch die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sind dann mögliche Risiken bzw. Gefährdungen identifizierbar, wodurch Anforderungen an die zu beschaffenden Arbeitssystemelemente gestellt werden, um produktinhärent die ermittelten Risiken bzw. Gefährdungen zu vermeiden oder zu minimieren.

Im nächsten Schritt wird das geplante Arbeitssystem in der Praxis errichtet bzw. umgesetzt. Hier sollte in Probeläufen bzw. Einrichtungsphasen ermittelt werden, ob alle relevanten Gefährdungen bereits identifiziert wurden. Ebenso werden Schutzmaßnahmen umgesetzt, die eine additive Realisierung in der Arbeitsstätte bzw. dem Unternehmen vor Ort erfordern (z.B. Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung zur Warnung vor fahrerlosen Transportsystemen). Ist nach der Planungs- und Errichtungsphase feststellbar, dass alle relevanten Gefährdungen ermittelt und daraus notwendige Schutzmaßnahmen etabliert sind, kann das Arbeitssystem betrieben werden.

Hier ist dann die regelmäßige oder anlassbezogene Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung anhand vorgegebener Schutzziele durchzuführen. Wird hier ein Maßnahmenbedarf festgestellt, sollte dieser umgesetzt werden. Wird dieses Vorgehen in die betrieblichen Planungs- und Beschaffungsprozesse integriert und etabliert, so ist es möglich effizient und frühzeitig Gefährdungen auszuschließen, wodurch auch eine geringere Notwendigkeit an weiteren ergänzenden Schutzmaßnahmen wahrscheinlich ist. Insofern ist die Integration solch einer Vorgehensweise nicht nur für eine Effizienzsteigerung im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, sondern ebenfalls auch zur Nutzung wirtschaftlicher Synergien verwendbar.

Gefährdungsbeurteilung und mehr

Somit lässt sich festhalten, dass Tätigkeiten mit vernetzten Technologien in einem in der Regel komplexen Arbeitssystem zu tiefergehenden Anforderungen bezüglich der Gefährdungsbeurteilung führen können.

Diese Vorgehensweise ist dabei durch eine gezielte Aufstellung von Arbeitssystemmodellen ergänzbar, welche modellhaft geplante Tätigkeiten und Vernetzungen abbilden. Wird hierbei die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung auf Basis von Arbeitssystemmodellen in betriebliche Beschaffungs- bzw. Planungssysteme integriert, ist es möglich nicht nur Gefährdungen zu identifizieren, sondern diese auch frühzeitig zu minimieren. Insbesondere in Anbetracht von potentiell komplexeren Tätigkeiten bzw. Arbeitssystemmodellen kann es sinnvoll sein, Gefährdungen produktintegriert zu minimieren bzw. Schutzmaßnahmen zu integrieren.

Dabei sind die Möglichkeiten neuer digitaler Technologien gezielt als Teil des Schutzkonzeptes nutzbar. So kann beispielsweise durch die Bereitstellung von Informationen über Datenbrillen eine Reduzierung psychischer Beanspruchung möglich werden, wenn autonome Handlungen im Arbeitssystem des Beschäftigten stattfinden. Lassen sich Beschäftigte Informationen ins Sichtfeld einblenden, welche über stattfindende autonome Handlungen in der Arbeitsumgebung aufklären, sind diese Handlungen für Beschäftigte besser nachvollziehbarer. Hierdurch kann beispielsweise die Transparenz für Beschäftigte erhöht werden. Aber auch im Bereich des innerbetrieblichen Verkehrs besteht die Möglichkeit, durch eine Vernetzung von Arbeitsmitteln und Beschäftigten sicherere Tätigkeiten zu ermöglichen. Erhalten beispielsweise fahrerlose Transportsysteme Informationen über den Aufenthaltsort des Beschäftigten, besteht die Chance Kollisionen frühzeitig zu vermeiden oder Routen effizienter zu planen. Ähnliche Ansätze existieren zur Vermeidung von Kollisionen zwischen Gabelstapler/Flurförderzeugen und Fußgängern. Mit einer Überwachung der Aufenthaltsorte ist es möglich, dass z.B. ausgewählte Bereiche für Gabelstapler nicht befahrbar sind oder automatisiert abgebremst werden.

Verallgemeinernd kann der betriebliche Einsatz von neuen Technologien erweiterte Anforderungen an die Gefährdungsidentifikation und Gestaltung stellen.

Ein Aufstellen von Arbeitssystemmodellen als Teil der Gefährdungsbeurteilung ist eine Möglichkeit, um Gefährdungen in komplexeren Systemen zu identifizieren.

Bei dem Auftreten von tätigkeitsunabhängigen bzw. indirekten Gefährdungen ist es sinnvoll, eine Arbeitssystembetrachtung über das konkrete Arbeitssystem hinaus durchzuführen. Ein ähnlicher Ansatz findet sich aktuell bspw. in einem Entwurf zur Änderung der BioStoffV, bei dem Beschäftigte vor Biostoffen („biologische Gefahrenlagen“) in einem Arbeitsbereich geschützt werden sollen, ohne dass diese selbst Tätigkeiten mit Biostoffen durchführen1.

Die Gestaltung notwendiger Schutzmaßnahmen kann dabei eine gezielte Einbindung von Anforderungen der Arbeits- und Produktsicherheit bei der Beschaffung und Planung von Arbeitssystemen erfordern. Zielgerichtete Schutzmaßnahmen sind dabei sowohl durch bestehende als auch neue Gestaltungsansätze realisierbar. So können bspw. bei dem Vorhandensein von autonomen Interaktionen Schutzmaßnahmen zur Transparenzsteigerungen durch neue Technologien erreicht werden (vgl. vorgestellte Nutzung von Datenbrillen). Um solche Lösungen mit einem möglichst großen Wirkungsgrad umzusetzen, sollten aber bereits in der Planung von solchen Arbeitssystemen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Für den Arbeitsschutz ist dies relevant, da dieser somit auf eine Beachtung produktintegrierter Schutzmaßnahmen bei der Auswahl und Beschaffung achten muss. Im Rahmen einer Promotion wird untersucht, ob bestehende Ansätze von Arbeitssystemmodellen eine Identifikation von Gefährdungen und die Ableitung von Gestaltungsmaßnahmen ermöglichen.

1 Vgl. Referentenentwurf der Bundesregierung, Verordnung zur Änderung der Biostoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen, 15.09.2020


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