02 Nachhaltigkeit

Der Blick in den Abgrund

Seit den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts nimmt eine weltweite Vernetzung in Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt und Kommunikation zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten zu, was heute kurz und prägnant als Globalisierung bezeichnet wird.

Was in Zeiten der Globalisierung wieder zerbricht

Mit der globalen Vernetzung von Wirtschaft und Politik geht ein Strukturwandel einher, der internationale Arbeitsteilung und weltweit zunehmende Wettbewerbsintensität erzeugt.

  • Der gestiegene Anpassungsdruck verlangt den nationalen Volkswirtschaften eine ständige Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen ab (z. B. im Steuersystem), ohne dabei nachhaltige Ziele wie Arbeitsschutz, Ressourcenschonung oder Klimaschutz zu vernachlässigen (was sich in der Praxis als schier unlösbar erweist).
  • Er zwingt auch die Unternehmen zu einer kontinuierlichen Optimierung der Produktionsprozesse und zur Entwicklung neuer, sicherheitstechnisch konformer Produkte unter Berücksichtigung der Compliance im betrieblichen Arbeits- und Umweltschutz und fordert von jedem Einzelnen die beständige Bereitschaft zur beruflichen Weiterbildung.

Treiber der Globalisierung waren und sind unter anderem das Bevölkerungswachstum, die Liberalisierung des Welthandels und ein technischer Fortschritt, der diese Verflechtung durch immer dichteren transkontinentalen Luftverkehr, wachsende Containerflotten und ein entfesseltes Internet bis heute beschleunigt.

Was mit der Globalisierung wirtschaftlicher Unternehmungen wie zum Beispiel Beschaffung, Produktion, Standort, Marketing etc. begann, setzte sich bald in der Globalisierung der Märkte fort (Warenmarkt, Arbeitsmarkt, Dienstleistungsmarkt, Geld- und Kapitalmarkt, Technologiemarkt usw.).

Sie haben richtig gelesen, wenn Sie in dieser Aufzählung vergeblich nach einem globalen „Markt“ für Arbeitsschutz oder Ergonomie gesucht haben.

  • Diesen Markt hat die Globalisierung aus verständlichen Gründen ausgeblendet.
  • Seine Angleichung an die hohen Schutzniveaus der Industrieländer wäre einer Globalisierung in der heutigen Form hinderlich.

Inzwischen werden regelmäßig weitere Lebensbereiche wie zum Beispiel Medien, Wissenschaft oder Recht von der Globalisierung erreicht und durchdrungen.

Globalisierung wäre eine Herausforderung für die Reformfähigkeit unserer Gesellschaft und eine Chance für technologischen Fortschritt gewesen, aber nur dann, wenn – ja, wenn ein Land und eine Gesellschaft darauf auch gut vorbereitet gewesen wären.

Deutschland war auf die Globalisierung nicht optimal vorbereitet, obwohl gerade Deutschland wesentliche Impulse für die Globalisierung setzte.

Deutschlands Rolle in der Globalisierung

Durch seine Wirtschafts- und Innovationskraft sowie seine aktive Rolle im Welthandelssystem trug Deutschland entscheidend zur Beschleunigung und Intensivierung der Globalisierung bei. Seit über
30 Jahren bis heute gehört Deutschland zu den drei größten Export- und Importnationen weltweit.

Neben China und den USA stellt Deutschland den wichtigsten Knotenpunkt dieser Art dar.

Obwohl Deutschland als ein an der Globalisierung aktiv mitgestaltendes Land bereits früh involviert war, kamen die Versuche zur Eindämmung negativer Globalisierungseffekte im eigenen Land viel zu spät.

Mittelfristig bringt die Strategie global verteilter Wertschöpfungsketten auch Verlierer der sozialen Nachhaltigkeitsdimension im eigenen Industrieland hervor. Unter dem Druck wachsender Konkurrenz auf den globalen Märkten gab es auch in Deutschland spürbare Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt:

  • Zunächst führten Deregulierungsinitiativen unter anderem zur Lockerung des Kündigungsschutzes und zu sehr flexiblen Arbeitszeiten.
  • Es entstand ein wachsender Zwang
    zur Gewinnmaximierung durch Kostenreduzierung.
  • Die Unternehmensbeteiligung an den Sozialkosten auf Kosten der Arbeitnehmer wurde schrittweise zurückgenommen.
  • Die Zunahme von Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, zusätzlichen Nebenjobs und ein wachsender Niedriglohnsektor ließen Millionen prekärer Arbeitsverhältnisse entstehen und ermöglichten kostensparendes Outsourcing bei verringertem Personalbestand.

Ein Großteil bestimmter Branchen (Elektronik, Gerätebau, Textil etc.) machte sich auf den Weg in sogenannte Billiglohnländer. Internalisierte Umweltkosten werden an ausländischen Standorten auch von Konzernen aus anderen Branchen weitgehend vermieden; sie wälzen die externen Kosten einfach auf die dortige Allgemeinheit ab.

Gleichzeitig verliert aber auch der deutsche Staat, weil er im Steuerwettbewerb mit anderen Staaten von der Gewinnverlagerung von global tätigen Unternehmen oder deren Flucht in Steueroasen betroffen ist:

  • Ein ruinöser Steuersenkungswettlauf verlagert die Hauptlast der Finanzierung öffentlicher Güter auf den Produktionsfaktor Arbeit.
  • Zusätzlich versucht der Staat, seine Steuerausfälle durch sogenannte Äquivalenzsteuern zu kompensieren, also durch höhere Preise und Gebühren für staatliche Leistungen, was wiederum zu einer steigenden Abgabenlast der Steuerzahler führt.
  • Während der Reallohnindex zwischen 2000 und 2015 um lediglich vier Punkte stieg, verzeichnete der Verbraucherpreisindex in derselben Zeit einen Zuwachs von 21 Punkten.
  • Gleichzeitig werden staatliche Transferleistungen systematisch zurückgefahren, sodass die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer wird.
  • Die entstandenen Finanzierungslücken sind weder durch weitere Steuererhöhungen für abhängig Beschäftigte noch durch die Privatisierung öffentlicher Güter schließbar. Der Wohlfahrtsstaat ist ernsthaft bedroht.

Außerdem wird der Handlungsspielraum für eine den unerwünschten Globalisierungseffekten entgegenwirkende, nationalstaatlich ausgerichtete Wirtschafts- und Sozialpolitik mit jedem Tag ohne staatlichen Eingriff immer geringer.

Der Mensch als wiederentdeckte Ressource im Arbeitssystem

Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcennutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme gewährleistet werden soll. Das Arbeitssystem ist umfassend an dieser Ressourcennutzung beteiligt. Und die Regenerationsfähigkeit von Arbeitssystemen hängt wiederum von der Verfügbarkeit leistungsfähiger und leistungsbereiter Menschen ab. So wurde die Ressource Mensch seit Beginn der Industrialisierung schon immer ein unverzichtbarer Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.

Freilich führte dieser Erkenntnisprozess nicht bei allen Arbeitgebern von Anfang an zu angemessenen Reaktionen auf die Regenerationsbedürftigkeit der beschäftigten Personen. Maßnahmen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes wurden erst nach und nach entwickelt und dann oft nur widerstrebend – unter dem Druck des Gesetzgebers und der Berufsgenossenschaften – in den Betrieben umgesetzt.

Die Arbeitgeber erkannten aber schnell, dass die Rücksicht auf Unversehrtheit und Regenerationsbedürftigkeit von Beschäftigten eine wirksame Prävention gegen teure Fehlzeiten darstellt. Ziel war demnach zunächst die Erhaltung der Leistungsfähigkeit.

Ab etwa 1974 rückte im Rahmen der „Humanisierung“ und „menschengerechteren“ Gestaltung der Arbeitswelt auch die Ermöglichung der Leistungserbringung durch vor allem ergonomische Verbesserungen des Arbeitssystems in den Fokus. Die Maßnahmen waren baulich-technischer und organisatorischer Natur und reichten sogar bis hinein in die betriebliche Personalpolitik.

Gleichzeitig verschwanden im Zuge von Rationalisierungs- und Automatisierungsschritten immer mehr sehr einfache oder einfache Tätigkeiten aus den Arbeitssystemen. Zurück blieben Arbeitsplätze mit steigenden Anforderungen an die Beschäftigten.

Seit circa 30 Jahren werden deutsche Arbeitssysteme massiv von Globalisierungseffekten beeinflusst. Sie standen zunehmend im Wettbewerb mit weltweit verteilten Arbeitssystemen, die charakterisiert sind durch geringere Lohnkosten, weniger Arbeitsschutzqualität und höhere Umweltbelastungen. Zur Verringerung der Lohnkosten und zur Erhöhung der Produktivität werden deshalb bis heute entweder deutsche Arbeitsplätze ins Ausland verlagert oder bei Betriebsstätten in Deutschland die Stammbelegschaften weiter geschrumpft und die wechselhafte Auslastung über billigere Leiharbeit kompensiert. Diese Entwicklung verletzt viele Kriterien des nachhaltigen Wirtschaftens, weil sie unter anderem zu einem weltweiten Sozial- und Umwelt-Dumping beiträgt.

Betroffen sind wiederum vor allem
Arbeitssysteme mit den einfacheren beziehungsweise leicht automatisierbaren Tätigkeiten, was für die verbleibenden Arbeitsplätze die Anforderungen an die Beschäftigten weiter erhöht. Wir beobachten aktuell zwei logische Anschlussprobleme dieser Entwicklung:

  • Einerseits finden gering qualifizierte Arbeitsuchende trotz vieler offener Stellen keine Arbeit mehr und werden langzeitarbeitslos.
  • Andererseits scheint der Fachkräftemarkt völlig leergefegt zu sein.

Das machte vor allem qualifizierte und gut eingearbeitete Mitarbeiter mit unternehmensspezifischer Erfahrung bis heute zu einer der wertvollsten betrieblichen Ressourcen. Die Kurzarbeit nutzten viele Betriebe in Coronazeiten auch, um bei wieder wachsender Kapazitätsauslastung von ihrem Stammpersonal zu profitieren.

So scheint es gerade die Ressource Mensch im Arbeitssystem zu sein, die in vielen Unternehmen gerade zu einer Rückbesinnung auf den inländischen Arbeitsmarkt führt. Hoch qualifiziertes und leistungsbereites Personal wird besonders umworben, unter anderem mit

  • relativer Sicherheit des Arbeitsplatzes,
  • Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
  • angenehmem Betriebsklima,
  • hohen betrieblichen Arbeitsschutz- und Gesundheitsfürsorgestandards,
  • individueller Planung einer altersgerechten Erwerbsbiografie mit an
    die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Lebensabschnitte angepassten Belastungen und Herausforderungen sowie
  • betrieblichen Angeboten für ein lebenslanges Lernen, um neue Herausforderungen und Technologien zu bewältigen.

Der demografische Wandel führt ohnehin dazu, dass Mitarbeiter immer älter werden und immer länger im Unternehmen arbeiten. Ist diese neue Wertschätzung für die „Ressource Mensch“ in der deutschen Arbeitswelt auch ein Zeichen wiederentdeckter Nachhaltigkeit? Oder vielleicht doch nicht?

Erosionsprozess der nachhaltigen Wirtschaft

„Global“ gesehen mehrt die voranschreitende Globalisierung im Mittel den Wohlstand der Menschen auf der Welt. Ohne hier die Gerechtigkeit der Wohlstandsverteilung vertieft diskutieren zu wollen, hier schon eine wichtige Feststellung: Die Globalisierung kennt hinsichtlich der Wohlstandsverteilung und der Betroffenheit von Globalisierungseffekten „Gewinner“ und „Verlierer“ und es lohnt sich auch für Arbeitsschützer, diesen Unterschied sehr genau zu untersuchen.

Im hochentwickelten Industrieland Deutschland profitierten Unternehmen zunächst bis etwa Ende der 80er-Jahre wie in nur wenigen anderen Ländern von der Möglichkeit, die Wertschöpfungsketten für ihre Produkte derart über den Globus zu verteilen, dass durch geringere Herstellungskosten und Steuerabgaben veritable Gewinnzuwächse erzielt werden konnten.

Die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit wurde damit komfortabel erreicht. In manchen Unternehmen haben die steigenden Energiepreise sogar ungeahnte Aktivität für den Umweltschutz ausgelöst, denn es war hipp, mit Energieeinsparungen nicht nur Ressourcen und CO2, sondern auch noch einen gewissen Anteil an Betriebskosten zu
vermeiden. Und man leistete sich die soziale Nachhaltigkeit sozusagen als Luxus, über den man in Geschäftsberichten noch mehr Gutes über sein Unternehmen kommunizieren konnte als verringerte CO2-Bilanzen oder steigende Gewinne. Lange gehörten also deutsche Unternehmen zu den Gewinnern der frühen Globalisierung.

Unschwer lassen sich aber auch gleich zwei Hauptverlierer der Globalisierung benennen.

  • Einerseits ist dies die Umwelt, speziell die natürlichen Ressourcen des Planeten Erde. Sie werden im globalen Wettbewerb der mächtigen Industriestaaten inzwischen rücksichtslos ausgebeutet – auch in Entwicklungs- oder Schwellenländern, wo sie später für eine eigene wirtschaftliche Entwicklung fehlen werden.
  • Andererseits erzeugt der Verkehr für einen ungezügelten Welthandel und weltweite Wertschöpfungsketten zu Lande, zu Wasser und in der Luft enorme Mengen an CO2, welche den Klimawandel weiter beschleunigen.

Die Globalisierung bedroht Klima und Umwelt gleichermaßen und punktet deshalb nicht auf der ökologischen Skala der Nachhaltigkeit.

Ein Schelm, wer meint, in der Globalisierung käme ein hoher Arbeitsschutzstandard wie der deutsche völlig ungeschoren davon.

Die unter Globalisierungsdruck stehende betrieblich praktizierte Nachhaltigkeit beginnt allmählich nun auch in Deutschland den Arbeitsschutzstandard zu erodieren:

  • Mit Andeutungen eines möglichen Standortwechsels wirken vor allem größere Unternehmen sehr erfolgreich auf Ausnahmen hin, die ihnen höhere Investitionen für Brandschutz oder Arbeitsschutz ersparen, solange sie den Anschein erwecken, die entsprechenden Risiken trotzdem zu beherrschen.
  • Der Kostendruck in den Betrieben wächst – nach Coronazeiten sogar mehr als vorher. Unternehmen erzeugen ihrerseits wieder Druck auch auf die Regelsetzer für den Bereich Arbeitsschutz und hoffen auf entlastende Korrekturen, wie sie auch im Rahmen früherer Deregulierungskampagnen wirkungsvoll durchgesetzt wurden.
  • Schon seit Jahren verlieren die Kontrollbesuche der Aufsichtsbehörden an Zahl, Umfang und Qualität.
  • Bereits seit Jahren zeichnet sich in Deutschland bei der nach DGUV Vorschrift 2 geforderten arbeitsmedizinischen Betreuung ein Mangel an verfügbaren Arbeitsmedizinern ab. Eine Änderung der Vorschrift oder die notwendige Verbreiterung der betrieblich einsetzbaren Expertise für die neuen Herausforderungen im Arbeitsschutz auf weitere Berufsgruppen sind aber bis heute nicht erfolgt. Entstehende Defizite im Arbeitsschutz werden dabei stillschweigend in Kauf genommen.
  • Immer mehr Schiffe deutscher Reeder werden ausgeflaggt. Warum? Außerhalb Deutschlands und Europas gilt anderes Recht. Die circa 20 Offiziere und Mannschaften eines Containerschiffs, welches nicht unter deutscher Flagge fährt, unterliegen nicht dem modernen deutschen Seearbeitsgesetz, sondern hinsichtlich des Arbeitsschutzes an Bord in der Regel der deutlich schwächeren Maritime Labour Convention (kurz: MLC) der ILO.

Zunehmend werden durch ISO Managementverfahren zertifiziert, die auf eine globale Nivellierung von Standards abzielen. Umso bedenklicher wird, dass bei der Zertifizierung von Arbeitsschutzmanagementsystemen nach ISO 45001 in Zukunft zum Beispiel nicht mehr alle ILO-Vorgaben erfüllt werden müssen.

Diese Erosion muss gestoppt werden, bevor es zu spät für eine Korrektur ist.

Der Mensch als vergessene Ressource in prekärer Beschäftigung

Wie oben gezeigt, führt der Einfluss der internationalen Öffnung der Kapital- und Arbeitsmärkte hauptsächlich in weniger innovativen und weniger technologisch anspruchsvollen Arbeitssystemen zum Ungleichgewicht an Qualifikationsstrukturen und Vergütungsregelungen.

Untersuchen wir, was dort mit der Ressource Mensch passiert.

  • Wo finden wir die „nicht mehr gebrauchten“ Menschen aus solchen verloren gegangenen Arbeitssystemen wieder?
  • Und wo taucht die verschwundene Arbeit aus diesen Arbeitssystemen
    wieder auf, falls sie heute nicht komplett durch Automaten oder Roboter erledigt wird?

Die Antworten finden wir in einer von uns weitgehend ausgeblendeten Schattenwelt.

Der informelle Sektor der deutschen Volkswirtschaft besteht aus einer legalen Schattenwirtschaft (im Gegensatz zur illegalen wie zum Beispiel Schwarzarbeit). Dazu gehören unter anderem einfache Dienstleistungen wie Schuhputzer, Eisverkäufer oder Scheibenreiniger an Ampeln, aber auch weite Teile der Hausangestellten, Erntehelfer, Heimarbeiter und Mikrounternehmer mit weniger als fünf Mitarbeitern.

Für die Betroffenen ist Arbeit im informellen Sektor mit unsicheren Einkommensperspektiven, der Nichtmitgliedschaft in sozialen Versicherungssystemen und einem geringen Lohnniveau verbunden. Ihr Anteil an der arbeitenden Bevölkerung beträgt

  • in Lateinamerika und Nordafrika etwa 50 Prozent,
  • in einigen Ländern Asiens und fast im gesamten Sub-Sahara-Afrika mehr als 70 Prozent und
  • in OECD-Ländern bis zu 15 Prozent.

Es ist kein Geheimnis, dass einige der aus Kostengründen aus Deutschland in solche Teile der Welt ausgelagerten einfachen Tätigkeiten dort im Bereich informeller Sektoren unter sehr schlechten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen unter anderem auch von Kindern abgearbeitet werden.

Überall gehören viele, die im informellen Sektor arbeiten, zum sogenannten Prekariat. Prekariat bezeichnet eine soziale Gruppierung, die durch Unsicherheit im Hinblick auf die Art der Erwerbstätigkeit ihrer Mitglieder gekennzeichnet ist.

Nach Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO/ILO) liegt eine prekäre Beschäftigung dann vor, wenn durch den Erwerb

  • nur geringe Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie
  • wenig Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Arbeitssituation gewährt wird,
  • der arbeitsrechtliche Schutz lediglich partiell gegeben ist und
  • die Chancen auf eine materielle Existenzsicherung durch die betreffende Arbeit eher schlecht sind.

Diese vier Merkmale gelten auch in Deutschland für die große Zahl der Arbeitnehmerüberlassungen, die deswegen zum Prekariat gerechnet werden und deren Anzahl wegen des zunehmenden Drucks zum Outsourcing tendenziell steigend ist.

Unter sicherer, gesunder und ergonomischer Arbeit verstehen wir offensichtlich etwas anderes als die Arbeit im informellen Sektor oder prekäre Arbeit.

Fazit

Ein Streifzug durch die Überlappungsbereiche des nachhaltigen Wirtschaftens und des Arbeitsschutzes fördert zum Teil bekannte, aber auch überraschende neue gemeinsame Zielsetzungen, wechselseitig anwendbare methodische Ansätze und viel Potenzial für Synergieeffekte zutage.

Die neue Wertschätzung für die „Ressource Mensch“ gilt jedoch nur für diejenigen Menschen, die aufgrund ihrer Ausbildung, Qualifikation und Arbeitshistorie einen hinreichend betrieblichen Mehrwert versprechen.

Das wiederum relativiert diese Wertschätzung auch als Zeichen wiederentdeckter Nachhaltigkeit, denn die anderen, die „humanen Restbestände“ auf dem Arbeitsmarkt, werden als weniger qualifizierte Menschen in prekäre Arbeit oder in den informellen Sektor abgedrängt beziehungsweise lebenslang aus Arbeitssystemen ausgeschlossen und dem politischen Wohlwollen sozialer Systeme überlassen.

Eine Frage, die nur politisch beantwortet werden kann: Will Deutschland auf diese Weise mit sicherer, gesunder und ergonomischer Arbeit für immer weniger Menschen zukunftssicher wirtschaften, wenn dies nur auf Kosten einer großen und wachsenden Gruppe arbeitsfähiger und arbeitswilliger Menschen erreicht wird, die davon systematisch ausgeschlossen bleibt und vom Staat alimentiert werden muss?

Es entsteht der Eindruck, dass im letzteren Bereich auch die Themen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz erodieren, an praktischer Bedeutung verlieren und allenfalls noch durch formale Artefakte wie vorzeigbare Funktionäre oder Organisationsdokumente repräsentiert werden.

In diesem legalen „Schattenbereich“ geht es auch weniger um allmählich ausgebaute nachhaltige Entwicklung als um den täglichen Existenzkampf von Firmen und Individuen.

Dies ist jedenfalls kein nachhaltiger Weg in die Zukunft. Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen:

  • Es gibt also keine hinreichende betriebliche Nachhaltigkeit ohne Arbeitsschutz.
  • Und es gibt ohne betriebliche Nachhaltigkeit auch keine Compliance im Arbeitsschutz.

Vielleicht benötigen unsere Unternehmen und Betriebe tatsächlich eine andere, nachhaltigere Kennzahl für den erwirtschafteten Mehrwert, die es erlaubt, auch die anteiligen, komplementär und gleichzeitig zum wirtschaftlichen Erfolg zerstörten Qualitäten in Gesellschaft und Staat mit in die Bewertung betrieblicher Nachhaltigkeit einzubeziehen.

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