03_Fachkräfte für Arbeitssicherheit

Haben wir genug? Haben wir für die Zukunft die Richtigen? Wie muss die Kooperation mit anderen Professionen gestaltet werden?

Die Betreuung nach dem Arbeitssicherheitsgesetz beruht bislang auf zwei Säulen: Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sifa). Auf der betriebsärztlichen Seite besteht eine deutliche Betreuungslücke, die sich aufgrund des Mangels an Arbeitsmedizinern eher noch verschärfen wird (Barth, Hamacher, Eickholt 2014). Was können Fachkräfte für Arbeitssicherheit in der Betreuung leisten und wie muss die Zusammenarbeit mit weiteren Professionen gestaltet werden, um eine wirksame, qualitativ gute ASiG-Betreuung jetzt und in Zukunft zu gewährleisten.

Haben wir genug Fachkräfte für Arbeitssicherheit?

In einem Forschungsprojekt für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurde untersucht, inwieweit das 2016 verfügbare Angebot sicherheitstechnischer Betreuung quantitativ und qualitativ in der Lage bzw. wie es
weiterzuentwickeln ist, um den Anforderungen der Arbeitswelt heute und in der Zukunft gerecht zu werden (Barth,
Eickholt, Hamacher, Schmauder 2017). Anhand von Sekundäranalysen der verfügbaren Daten und Szenariotechniken wurden die quantitativen und qualitativen Betreuungsbedarfe und -kapazitäten ermittelt und bewertet. Aus der Analyse der Wandlungstrends mit Einfluss auf
den betrieblichen Arbeitsschutz wurden Anforderungen an die Weiterentwicklung des Kompetenzprofils der Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sifa) abgeleitet und
mit den aus Eingangsqualifikation sowie Aus- und Fortbildung erwartbaren Kompetenzen abgeglichen.

Die Zahl der tätigen bzw. dem Markt zur Verfügung stehenden Sifas wird bislang nicht systematisch erfasst. Ausgehend von den validen Zahlen der ausgebildeten Sifas wurden alle Einflussgrößen auf Bedarf und Kapazität ermittelt und anhand von verfügbaren Daten abgeschätzt, in je drei Szenarien abgebildet und gegenübergestellt.

Gegenwärtig steht je nach Szenario
dem Zeitbedarf an sicherheitstechnischer Betreuung zwischen 17,3 und 37,6 Mio. Stunden pro Jahr eine verfügbare Kapazität zwischen 34,8 und 61 Mio. Stunden pro Jahr gegenüber. Damit können die gegenwärtig verfügbaren 52.400 bis 59.700 Fachkräfte für Arbeitssicherheit den gegenwärtigen Bedarf decken. Eine bundesweite Betreuungslücke ist nicht erkennbar und für die Zukunft aufgrund nicht zu erwartender größerer Bedarfsveränderungen und bei Weiterbestehen des leistungsfähigen Kapazitätssystems nicht zu erwarten.

Haben wir heute und in Zukunft
die richtigen Fachkräfte für
Arbeitssicherheit?

Schon gegenwärtig ist für die sicherheitstechnische Betreuung ein anspruchsvolles, umfassendes Kompetenzprofil der Fachkräfte für Arbeitssicherheit erforderlich, das aus den aktuellen und zukünftigen Anforderungen aus Arbeit und Gesellschaft ableitet wurde.

Erwartbare Kompetenzen der Sifas zur Erfüllung dieses anspruchsvollen Profils begründen sich aus der vom ASiG bislang geforderten technischen Eingangsqualifikation, den unterschiedlichen Ausbildungsgängen zur Vermittlung der sicherheitstechnischen Fachkunde und der in Anspruch genommenen Fortbildung von Sifas. Es gibt bislang keine empirischen Daten zur tatsächlichen Kompetenzmessung bei Sifas.

Der Soll-Ist-Abgleich von Kompetenzanforderungen und erwartbaren Kompetenz zeigt, dass die gegenwärtig verfügbaren Fachkräfte für Arbeitssicherheit einerseits durchaus über umfangreiche Kompetenzen zur Bewältigung der Rollenanforderungen und Aufgaben verfügen. Andererseits bestehen aber auch heute schon erhebliche Kompetenzdefizite in bestimmten Bereichen. Diesen soll ab dem Jahr 2019 mit einem weiterentwickelten Ausbildungssystem begegnet werden, dessen Pilotierung im April 2019 erfolgreich abgeschlossen wurde.

  • Aufgrund der Defizite der gegenwärtigen Ausbildung, wie sie seit 2001 bis heute erfolgt (56 % aller derzeit tätigen Fachkräfte für Arbeitssicherheit), ist damit zu rechnen, dass gegenüber dem aktuellen Kompetenzprofil Kompetenzdefizite insbesondere bei den handlungsprägenden Faktoren „Umgang mit anderen“ und „Umgang mit sich selbst“ bestehen. Hierzu erfolgen auch kaum Fortbildungsmaßnahmen.
  • Bei den 44 % der tätigen Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die die Ausbildung nach den Grundlehrgängen A, B, C absolviert haben, ist mit weitergehenden grundlegenden Kompetenzdefiziten zu rechnen. Durch erfolgte Anpassungsqualifizierung, Fortbildung, informelles Lernen im Betrieb und in Netzwerken sowie on the job beim praktischen Tätigsein wird nur ein begrenzter Teil dieser Defizite ausgeglichen worden sein.

Die Analyse der in den nächsten zehn Jahre zu erwartenden Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft – soweit diese überhaupt klar zu prognostizieren sind – und der daraus resultierenden Anforderungen verschärfen die Problematik. In zehn Jahren werden immer noch 70 % der tätigen Sifas aus diesen Ausbildungssystemen stammen. Eine alleinige technische Grundkompetenz ist immer weniger hinreichende Grundlage zur Bewältigung der Arbeitsschutzanforderungen der sich unter dem Einfluss der Digitalisierung rasch wandelnden Arbeitswelten. Kompetenzzuwächse sind insbesondere bei den sozialen Beratungskompetenzen erforderlich, um die Unternehmen bei der Beherrschung der Wandlungsprozesse unterstützen zu können.

Anforderungen an eine wirksame ASiG-Betreuung – heute und in Zukunft

Schlüssel zum Erfolg sind die Unterstützungs- und Beratungskompetenzen und die Anschlussfähigkeit an die Führungskräfte und die konkreten betrieblichen Bedarfe unter Beachtung aller Einflussgrößen auf Sicherheit und Gesundheit
bei der Arbeit. Eine solch umfassende bedarfsgerechte Betreuung erfordert die Perspektive auf den betrieblichen Arbeitsschutz aus einer Vielzahl von Professionen. Schon heute lernen Sifas in der Ausbildung den Blick auf die Dinge aus einer Vielzahl von Fachrichtungen. Dies lässt sich unter den derzeitigen Rahmenbedingungen (Eingangsqualifikationen, gesetzlicher Rahmen, berufsbegleitende Ausbildung mit begrenztem Zeitansatz) aber nicht wie notwendig verbreitern und vertiefen. Im Hinblick auf das sehr anspruchsvolle Kompetenzprofil für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die erkennbaren Probleme, dies in der Breite und ggf. Tiefe umfassend erfüllen zu können, empfiehlt sich zukünftig folgender Weg:

  • Keine weitere Ausdehnung der Kompetenzanforderungen an Ingenieure, Techniker, Meister auf Know-how-Felder anderer Professionen; stattdessen Einbeziehung anderer Professionen, die aufgrund ihrer Ausgangsqualifikation über bessere Grundlagen in diesen Feldern verfügen. Somit werden die Kernkompetenzen der Fachkraft für Arbeitssicherheit – um notwendige komplementäre Kompetenzen anderer Akteure erweitert – vielfältiger werden. Dies sollte entsprechend auch für Betriebsärzte gelten.
  • Es sind ergänzend zu Sifas und Betriebsärzten insbesondere Professionen erforderlich, die über Kompetenzen verfügen zur Initiierung von sozialen Prozessen in Unternehmen sowie zur Organisations- und Personalentwicklung. Benötigt werden Beratungsstrategien, die auf die Entwicklung von Unternehmens- und Präventionskulturen, Managementkonzepte, Initiierung und Steuerung von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP) sowie von Changeprozessen zur Bewältigung des Wandels von Arbeit und Organisationen ausgerichtet sind.

Für eine wirksame und qualitativ hochwertige Betreuung sind folgende Aspekte von besonderer Bedeutung:

  • Eine professionsunabhängige und -übergreifende Ermittlung des konkreten Unterstützungsbedarfs, der strikt auf die betrieblichen Problemstellungen ausgerichtet ist und nicht auf das was die jeweiligen Akteure immer schon getan haben oder eben gut können. Für eine solche Bedarfsermittlung sind neue Instrumente und Konzepte zu entwickeln. Ziel der Bedarfsermittlung ist einerseits die Klärung wozu Unterstützung benötigt wird. Andererseits ist das Ziel die Entwicklung von passgenauen Gestaltungslösungen, zu der jede Profession das beiträgt, was sie aus ihren jeweiligen Kernkompetenzen leisten kann.
  • Eine solche Bedarfsorientierung erfordert eine Gefügeleistung „aus einem Guss“. Das Zusammenwirken von mehreren Professionen benötigt ein wirksames Kooperationsmanagement. Eine bloße Koordination im Sinne der Abstimmung, wer macht was, ist zu wenig. Ziel ist es, eine Gefügeleistung zu etablieren, die ausgehend vom konkreten Bedarf die Aktivitäten der Professionen so steuert, dass sie entsprechend konkreter gemeinsamer Ziele die Unternehmen ineinandergreifend unterstützen, passgenaue Gestaltungslösungen zu entwickeln und umzusetzen. Hierzu sind eine interdisziplinäre Kommunikation (Verständigung auf das Problem und seine Behandlung, aus unterschiedlichen Perspektiven miteinander reden, Verständigen auf Ziele) und Kooperation (gemeinsames Handeln) der Arbeitsschutzexperten notwendig. Kooperation verlangt eine heterarchische Vernetzung der Unterstützungsakteure: Führung und Management von Kooperation soll betriebs- und fallbezogen im Betrieb von den Akteuren übernommen werden, die jeweils über die besten Kompetenzen hierzu verfügen.

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