03_Klimawandel

Thematisierung saisonaler Hitze in der Gefährdungsbeurteilung

Hintergrund

Im Zuge des Klimawandels kommt es immer häufiger zu Hitzeereignissen. Zwischen 1881 und 2021 ist die durchschnittliche Jahrestemperatur im Flächenmittel für Deutschland um 1,6 °C gestiegen. Seit den 1950er Jahren hat sich die jährliche Anzahl an Tagen mit einer Temperatur von mindestens 30°C verdreifacht. Ebenso nahmen die Häufigkeit und Intensität von Hitzeperioden in diesem Zeitraum zu (Deutscher Wetterdienst 2023). Diese Hitzebelastung kann sich auf die menschliche Gesundheit auswirken (Watts et al. 2018). Es können hitzebedingte Erkrankungen wie beispielsweise Hitzekrämpfe, ein Hitzschlag oder Hitzekollaps auftreten. Des Weiteren können Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen neu auftreten oder sich verschlimmern. Neben den gesundheitlichen Folgen können auch das Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2023).

Die zunehmende Hitzebelastung hat auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt (Quartucci und Böhm 2022). Neben der Gesundheit kann die Produktivität der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden (Kjellstrom et al. 2009). Infolgedessen können Arbeitsunfälle begünstigt werden. Drescher und Janzen (2023) fanden heraus, dass bei Temperaturen von mindestens 30°C die Anzahl der Arbeitsunfälle um 7,4 Prozent steigt im Vergleich zu Tagen mit geringeren Temperaturen. Dabei sind Beschäftigte, die im Freien arbeiten, deutlich stärker von der Hitzebelastung betroffen als Beschäftigte mit Büroarbeitsplätzen (Umweltbundesamt 2019).

Nach §5 des Arbeitsschutzgesetzes ist der Arbeitgeber verpflichtet, mittels Gefährdungsbeurteilung die Gefährdungen für seine Beschäftigten am Arbeitsplatz zu ermitteln und zu beurteilen und daraus individuelle Maßnahmen für die Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit abzuleiten (Bundesministerium der Justiz 2015). Dies trifft auch auf Gesundheitsgefährdungen durch saisonale Hitze an Arbeitsplätzen, sowohl im Innen-, als auch im Außenbereich, zu.

Entsprechende Regelungen bezüglich der Umgebungstemperatur sind in Deutschland bereits vorhanden. So wird die Temperatur von Innenraumarbeitsplätzen in der Arbeitsstättenregel „ASR A3.5 Raumtemperatur“ konkretisiert. Darin ist festgelegt, dass ab einer Temperatur von 26°C in Arbeitsräumen Maßnahmen zum Hitzeschutz zu ergreifen sind. Ein Beispiel hierfür ist die Ausrüstung mit geeigneten Sonnenschutzsystemen, wenn die Sonneneinstrahlung durch Fenster, Oberlichter und Glaswände zu einer Erhöhung der Raumtemperatur über 26° C führt (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2022).

Im Jahr 2022 wurden Vorgaben für Temperaturen in Arbeitsräumen bei Außentemperaturen über 26°C ergänzt. Beim Überschreiten einer Lufttemperatur im Raum von 26°C sind zusätzliche Maßnahmen wie zum Beispiel morgendliches Lüften, die Nutzung von Gleitzeitregelungen zur Arbeitszeitverlagerung oder die Nutzung von Ventilatoren zu ergreifen. Wird die Raumtemperatur von 30°C überschritten, müssen wirksame Maßnahmen gemäß Gefährdungsbeurteilung – zuerst technische, wenn diese nicht erfolgreich sind, organisatorische und schließlich personenbezogene Maßnahmen – erfolgen. Geregelt ist auch, ab welcher Lufttemperatur geeignete Getränke bereitgestellt werden sollen (26°C) bzw. müssen (30°C). Bei Temperaturen von über 35°C darf der Raum nicht mehr als Arbeitsraum genutzt werden, wenn keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2022).

Entsprechende Empfehlungen für Arbeitsplätze im Freien finden sich beispielsweise auf den Webseiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin o. J.), der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) (DGUV 2020) und verschiedenen Berufsgenossenschaften (SVLFG o. J., BG BAU o. J.). In vielen Fällen sind hier auch weitere Materialien, wie Vorlagen für die Unterweisung der Beschäftigten, verfügbar.

Methode

Im Frühjahr 2023 hat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) eine deutschlandweite Online-Befragung von Akteuren des Arbeitsschutzes durchgeführt. Dabei sollte ein Überblick über den aktuellen Stand zur Thematisierung saisonaler Hitze in der Gefährdungsbeurteilung, bereits angewendete Maßnahmen sowie der Bedarf für Unterstützungsmaßnahmen zum Thema Hitzeanpassung in Betrieben erfasst werden. Der Link zur Befragung wurde über das ArbMedNet, eine bundesweite Mailing-Liste des LMU Klinikums München für den Informations- und Meinungsaustausch im Bereich der Arbeitsmedizin, Umweltmedizin und verwandter Gebiete, verteilt. Insgesamt nahmen 192 Personen an der Befragung teil, wobei nicht jede Frage von jedem Teilnehmenden beantwortet wurde.

Teilnehmen konnten alle Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung in der Mailing-Liste angemeldet waren. Die Teilnehmenden wurden gebeten, die Fragen für den zuletzt betreuten Betrieb auszufüllen, um möglichst aktuelle und somit aussagekräftige Angaben zu bekommen. Auf Schätzfragen wie z.B. „Wie viele der von Ihnen betreuten Betriebe greifen das Thema in der Gefährdungsbeurteilung auf“ wurde bewusst verzichtet.

Ergebnisse

An der Befragung nahmen Betriebsärzte (95,7 %; n=177/185), Gewerbeärzte (1,6 %; n=3/185) sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit (2,7 %; n=5/185) teil. Der Großteil der Befragten war hauptsächlich im Bundesland Bayern (29,7 %; n=55/185), Nordrhein-Westfalen (22,2 %; n=41/185) und Baden-Württemberg (13 %; n=24/185) tätig.

Unabhängig von einer Gefährdungsbeurteilung werden in fast allen Betrieben bereits Maßnahmen zum Arbeitsschutz allgemein umgesetzt. Dabei wurden Maßnahmen wie die Durchführung regelmäßiger Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses (98,3 %; n=174/177), regelmäßige Begehungen (94,9 %; n=168/177), arbeitsmedizinische Vorsorgen entsprechend der geltenden Regelungen (94,9 %; n=168/177), Organisation der Ersten Hilfe (93,8 %; n=166/177), Meldung von Schwangerschaften von Arbeitnehmerinnen an das zuständige Gewerbeaufsichtsamt (91,5 %; n=162/177), Aushänge von Betriebsanweisungen (87,6 %; n=155/177), regelmäßige Unterweisungen der Mitarbeitenden (85,3 %; n=151/177) sowie das Aushängen von Sicherheitsdatenblättern (78,5 %; n=139/177) genannt.

In fast allen Betrieben (97,2 %; n=174/179) liegt eine Gefährdungsbeurteilung vor. Das Thema „Saisonale Hitze am Arbeitsplatz“ wird jedoch nur in wenigen Gefährdungsbeurteilungen explizit thematisiert (28,7 %; n=49/171). Der Großteil der Gefährdungsbeurteilungen, die saisonale Hitze thematisieren, bezieht sich auf Arbeitsplätze sowohl im Freien als auch in Innenräumen (62,5 %; n=30/48). Von 93,9 % (n=46/49) der Teilnehmenden wurde saisonale Hitze als relevante Gesundheitsgefährdung an den beurteilten Arbeitsplätzen identifiziert.

Entsprechend dem TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes müssen zuerst technische Schutzmaßnahmen und wenn diese nicht ausreichen, organisatorische und schließlich persönliche Maßnahmen, durchgeführt werden. Im Großteil der Betriebe (89,8 %; n=44/49), die saisonale Hitze in der Gefährdungsbeurteilung thematisieren, müssen technische Maßnahmen erfolgen, um die Belastung durch saisonale Hitze am Arbeitsplatz zu reduzieren. Dabei geht es vorrangig um Maßnahmen wie die Installation geeigneter Sonnenschutzvorrichtungen an Fenstern und Oberlichtern (86,4 %; n=38/44), die Benutzung der Sonnenschutzvorrichtungen (86,4 %; n=38/44), ausreichende Lüftung vorzugsweise über Fenster (84,1 %; n=37/44), Schaffung einer verstärkten Luftbewegung, z.B. durch Ventilatoren (65,9 %; n=29/44) sowie die Einstellung der raumlufttechnischen Anlage (61,4 %; n=27/44) (siehe Abb. 1).

In 85,7 % (n=36/42) der Betriebe, in denen saisonale Hitze in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt wird, werden organisatorische Maßnahmen zur Minimierung der Belastung durch saisonale Hitze am Arbeitsplatz angeführt. Dazu zählen Maßnahmen wie das Schließen der Fenster und Sonnenschutzvorrichtungen schon morgens und Mitführen der Lamellen mit dem Sonnenstand (91,4 %; n=32/35), die Lockerung der Bekleidungsregelungen (82,9 %; n=29/35), die Arbeitszeitverschiebung (80 %; n=28/35), verstärkte Nachtlüftung (74,3 %; n=26/35) sowie das Angebot von Homeoffice, falls möglich (68,6 %; n=24/35) (siehe Abb. 2).

Auch persönliche Maßnahmen werden in 73,8 % (n=31/42) der Gefährdungsbeurteilungen, in denen saisonale Hitze thematisiert wird, durchgeführt. Dabei geht es um Maßnahmen wie rechtzeitiges und ausreichendes Trinken (100 %; n=31/31), Beobachten erster Anzeichen gesundheitlicher Störungen und ggf. Ergreifen von Notfallmaßnahmen (67,7 %; n=21/31) sowie das Angebot von Kühlwesten (22,6 %; n=7/31).

Die Mehrheit der Teilnehmenden (88,3 %; n=144/163) sieht es als grundsätzlich sinnvoll an, saisonale Hitze in der Gefährdungsbeurteilung zu thematisieren, jedoch geben 75,8 % (n=125/165) an, dass bei den Akteuren des Arbeitsschutzes Unterstützungsbedarf beim Thema saisonale Hitze am Arbeitsplatz besteht und sehen dabei in erster Linie Materialien für Unterweisungen der Mitarbeiter (72,1 %; n=114/158), weniger, dafür gezielte Informationsmaterialien zum Thema (60,8 %; n=96/158), Fortbildungsveranstaltungen (31,7 %; n=50/158), mehr Präsenz des Themas auf Messen/Tagungen/Kongressen (29,1 %; n=46/158) sowie Artikel in Fachzeitschriften (26,6 %; n=42/158) als notwendig an (siehe Abb. 3).

Schlussfolgerungen

Anhand der Ergebnisse zeigt sich, dass in den meisten Betrieben zwar eine Gefährdungsbeurteilung vorliegt, das Thema saisonale Hitze am Arbeitsplatz jedoch selten in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt wird, auch wenn bereits andere Maßnahmen zum Arbeitsschutz im Betrieb durchgeführt werden. Der Großteil der Befragten erachtet die Aufnahme des Themas in die Gefährdungsbeurteilung als sinnvoll. Dass die überwiegende Anzahl der Teilnehmenden Gefährdungen durch saisonale Hitze an Arbeitsplätzen identifiziert hat, zeigt die Wichtigkeit der Durchführung von Hitzeschutzmaßnahmen. Die Akteure des Arbeitsschutzes sollten hinsichtlich des Themas saisonale Hitze am Arbeitsplatz, beispielsweise in Form von Fortbildungsveranstaltungen, unterstützt und sensibilisiert werden, damit das Thema in der Gefährdungsbeurteilung Berücksichtigung findet und somit gesundheitliche Risiken durch saisonale Hitze für Beschäftigte reduziert werden.

Literatur

BG BAU (o. J.): Sonne und Hitze. Mit diesen Maßnahmen verhindern Sie hitzebedingte Erkrankungen am Arbeitsplatz. Verfügbar unter: https://www.bgbau.de/themen/sicherheit-und-gesundheit/sonne-und-hitze/sonne-und-hitze-mit-diesen-massnahmen-verhindern-sie-hitzebedingte-erkrankungen-am-arbeitsplatz (Abruf am: 31.08.2023)

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (2022): ASR A3.5 „Raumtemperatur“ – Änderungen März 2022. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/ASR/ASR-A3–5.html (Abruf am: 25.08.2023)

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (o. J.): Klima am Arbeitsplatz. Empfehlungen für ein sicheres und gesundes Klima in der Arbeitswelt. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung/Physikalische-Faktoren/Klima-am-Arbeitsplatz/_functions/BereichsPublikationssuche_Formular.html?nn=817e6426– 6c1b-47d5-adb2-d10affb1c28b (Abruf am: 31.08.2023)

Bundesministerium der Justiz (2015): Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG). § 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/__5.html (Abruf am: 25.08.2023)

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2023): Gesundheitsrisiken von Hitze. Hitze und Hitzeschutz. Verfügbar unter: https://www.klima-mensch-gesundheit.de/hitzeschutz/gesundheitsrisiken-von-hitze/ (Abruf am: 25.08.2023)

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (2020): Hitze- und UV-Schutz bei der Arbeit im Freien. Verfügbar unter: https://forum.dguv.de/ausgabe/7–2020/artikel/hitze-und-uv-schutz-bei-der-arbeit-im-freien (Abruf am 31.08.2023)

Deutscher Wetterdienst (2023): Klimawandel – Ein Überblick. Verfügbar unter: https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimawandel/ueberblick/ueberblick_node.html (Abruf am 25.08.2023)

Drescher K, Janzen B (2023): When Weather Wounds Workers: The Impact of Temperature on Workplace Accidents. BGPE Discussion Paper No. 226.

Kjellstrom T, Holmer I, Lemke B (2009): Workplace heat stress, health and productivity – an increasing challenge for low and middle-income countries during climate change. Global health action, 2.

Quartucci C, Böhm S (2022): Arbeitsschutz im Klimawandel. Hitze und natürliche UV-Strahlung am Arbeitsplatz. Bayerisches Ärzteblatt 7–8/2022, 356f.

Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) (o. J.): Hitze- und Sonnenschutz für Arbeiten im Freien. Verfügbar unter: https://www.svlfg.de/sonnenschutz (Abruf am 31.08.2023)

Umweltbundesamt (2019): Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung.

Watts N, Amann M, Arnell N et al. (2018):
The 2018 report of the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come. Lancet (London, England), 392(10163), 2479–2514.

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