03_Physikalische Einwirkungen

Anwendung „milder hyperbarer Therapien“

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Einführung

Als „hyperbare Sauerstofftherapie“, „HBO-Therapie“ oder „HBOT“ bezeichnet man die Exposition von Menschen in Behandlungsgeräten (Druckkammern) bis zu 2,0 bar Überdruck (entsprechend 20 Meter Wassertiefe) mit Atmung von Sauerstoff.

Aufgrund tragischer Unfälle mit Todesopfern in der Vergangenheit haben verschiedene Länder in den letzten Jahrzehnten Sicherheitsvorschriften hinsichtlich technischer und personeller Standards für die Durchführung der HBOT erlassen. Innerhalb der EU gelten Druckkammern als „Medizinprodukt der Klasse IIb“ gemäß der „Medical Devices Regulation“ (MDR, Medizinprodukteverordnung) und müssen strenge Sicherheitsstandards erfüllen, um Schäden für Patienten, Behandler und Dritte zu vermeiden.

In den letzten Jahren haben verschiedene Hersteller neue Behandlungsgeräte mit relativ geringem Überdruck vorgestellt, z. B. bis zu 0,5 bar Überdruck (entsprechend 5 Meter Wassertiefe). Diese Behandlungsgeräte werden z. B. als „low pressure hyperbaric chamber“ für sogenannte „milde hyperbare Sauerstoff-Therapien“ o. ä. beworben. Die Druckexpositionen werden für vielfältige Wirkungen und Wellnessanwendungen angepriesen. Mit den Argumenten der im Vergleich zur „klassischen, medizinischen HBO-Therapie“ anderen Anwendungen und des geringeren Drucks geben einige Hersteller an, ihre Kammern seien Wellnessgeräte und keine Medizingeräte – ohne die Erfordernis, die oben genannten MDR-Standards erfüllen zu müssen.

Betrachtet man die physikalischen Grundlagen, so ist die hyperbare Sauerstofftherapie definiert durch a) die Atmung erhöhter Sauerstoffkonzentrationen und b) einen Überdruck während der Behandlung. Die Kombination dieser beiden Bedingungen ist für die Behandlungseffekte verantwortlich – für positive therapeutische Wirkungen ebenso wie für mögliche Nebenwirkungen und mögliche Schäden für exponierte Personen durch den erhöhten Sauerstoffdruck oder Auswirkungen durch ungeplante Druckänderungen. Insbesondere das Brandrisiko bei erhöhter Sauerstoffkonzentration und das Barotrauma-Risiko ungeplanter Druckänderungen erlauben keine Definition von „sicheren“ Schwellenwerten für die Sauerstoffkonzentration oder den Druck bei hyperbaren Therapien. (4)

Dies ist die Grundlage für das „European Committee for Hyperbaric Medicine“ (ECHM) und die „European Underwater Baromedical Society“ (EUBS) zur Veröffentlichung dieser gemeinsamen Stellungnahme.

Statement 1

Die Verabreichung von Atemgasen in einer Druckkammer ist unabhängig von den Baumaterialien, dem verwendeten Druck und der Sauerstoffkonzentration im Atemgas ein medizinisches Verfahren, mit einem gewissen Risiko für Komplikationen und Nebenwirkungen, sowie für die Sicherheit von Patienten und Personal.

Statement 2

Sogenannte Druckkammern für „milde HBO-Therapie“ sind unabhängig von der angegebenen Behandlung bestimmter Störungen und Krankheiten oder der Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens („Wellness“, „Energiesteigerung“, „Verjüngung“ o. ä.) Medizinprodukte, die den Vorschriften für Klasse IIb Medizinprodukte gemäß der Medical Devices Regulation (MDR) des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates (EU- Regulation 2017/745) entsprechen müssen. (1)(2)

Statement 3

Der Betrieb von Geräten, die als Medizinprodukt der Klasse IIb eingestuft werden können, welche aber nicht der Medical Devices Coordination Group (MDCG) (2) zur Bewertung vorgelegt wurden, kann gemäß Art 113 MDR strafbar sein.

Nationale Behörden haben entsprechende Gesetze zur Umsetzung des Art. 113 MDR erlassen. ECHM und EUBS bitten HBO-Experten aus Ländern, in denen dies noch nicht erfolgte, dringend, ihre jeweilige Regierung aufzufordern, dies schnellstmöglich umzusetzen.

Statement 4

Alle Druckkammern (Multiplace oder Monoplace) müssen den Europäischen Normen EN14931 (Europäischer Standard für Mehrpersonen-Druckkammern) (3) und EN16081 (Druckkammern – spezifische Anforderungen an Feuerlöschanlagen) (4) oder DIN 13256–4 (Druckkammern für Personen – Teil 4: Ein-Personen-Druckkammern für hyperbare Behandlungen; Sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfung) (5) entsprechen. Darüber hinaus sollte der Betrieb von Druckkammern dem „European Code of Good Practice for Hyperbaric Oxygen Therapy“ (6) entsprechen (herausgegeben von der ECHM). Das Personal sollte entsprechend „ECHM-EDTC Educational and Training Standards for Physicians in Diving and Hyperbaric Medicine“ (7) und „EBAss1-ECHM Resources Manual for hyperbaric technicians, nurses and operators“ (8) ausgebildet sein.

Statement 5

Als Konsequenz der Anforderung, eine Risiko-Nutzen-Bewertung für die Identifizierung möglicher alternativer Behandlungen zur Erreichung des gleichen angestrebten Ziels durchzuführen, sollte die Verwendung einer Druckkammer oder Durchführung einer Druckkammer-Behandlung nur bei adäquater evidenzbasierter Indikationsstellung erfolgen. Leistungserbringer sollten über ein System verfügen, mögliche Nebenwirkungen zu überwachen und die Wirksamkeit der Behandlung zu bewerten (eine solche Verpflichtung wird auch den Herstellern von Druckkammern durch Anhang XIV Teil A Abschnitt I der MDR auferlegt).

Schlussfolgerungen

ECHM und EUBS raten dringend von der Verwendung von Druckkammern ab, die nicht der Medical Devices Regulation des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates entsprechen oder nicht zur Bewertung vorgelegt wurden. Die Verwendung von Druckkammern, die nicht den ECHM-EDTC-EBAss-Richtlinien entsprechen, durch einen professionellen medizinischen Leistungserbringer oder in häuslicher Umgebung entspricht nicht der Medical Devices Regulation und kann in europäischen Mitgliedsstaaten entsprechend der lokalen Gesetzgebung strafbar sein.

Die Verwendung einer „milden hyperbaren (Sauerstoff-)Therapie“ außerhalb der Sicherheitsstandards und Indikationen, wie von MDR, ECHM und EBAss dargelegt, werden von ECHM und EUBS nicht befürwortet.

ECHM und EUBS raten dringend davon ab, diese Geräte für unbestätigte Wirkungen wie „Wellness“ und „Energiesteigerung“ oder für die Behandlung von Krankheiten mit unzureichenden klinischen, bestätigten wissenschaftlichen Beweise zu bewerben und anzuwenden.

Gemeinsame Stellungnahme vom 20. Dezember 2022

Die deutsche Übersetzung erfolgte durch Dr. Wilhelm Welslau, ECHM Secretary General.

In Zweifelsfällen gilt der Text der Original-Version in Englischer Sprache.

Referenzen

Medical Devices Regulation (MDR) [long name: Regulation (EU) 2017/745 of the European Parliament and of the Council of 5 April 2017 on medical devices], from April 5, 2017,
valid from May 26, 2021 (link: https://eur-lex.europa.eu/legal- content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745&qid= 1659852819647, accessed Dec 19, 2022)

Medical Device Coordination Group Document 2021–24 – Guidance on classification of medical devices (MDCG 2021–24)
(link: https://health.ec.europa.eu/system/files/2021–10/mdcg_2021-24_en_0.pdf,
accessed Dec 19, 2022)

EN 14931:2006 – Pressure vessels for human occupancy (PVHO) – Multi-place pressure chamber systems for hyperbaric therapy – Performance, safety requirements and testing (link: https://standards.iteh.ai/catalog/standards/cen/0b144b70-cf06–42e3-b94d- 1b09f17ce2f2/en-14931-2006,
accessed Dec 19, 2022)

EN 16081:2011 – Hyperbaric chambers – Specific requirements for fire extinguishing systems – Performance, installation and testing (link: EN 16081:2011+A1:2013 – Hyperbaric chambers – Specific requirements for fire extinguishing systems – Performance, installation and testing, accessed Dec 19, 2022)

DIN 13256–4 (Pressure vessels for human occupancy – Part 4: One-human pressure vessels for hyperbaric therapy; Safety requirements and testing (link: https://www.din.de/en/wdc- beuth:din21:47273966, accessed Dec 19, 2022)

ECHM. A European Code of Good Practice for Hyperbaric Oxygen Therapy, Revision 2022
(in press)

ECHM-EDTC Educational and training standards for physicians in diving and hyperbaric medicine 2011 (link: http://www.echm.org/documents/ECHM- EDTC%20Educational%20and%20Training%20Standards%20(2011).pdf, accessed Dec 19, 2022)

EBAss/ECHM Resources Manual – Education of nurses, operators and technicians in hyperbaric facilities in Europe, 2008 (link: http://www.echm.org/documents/EBAss- ECHM%20Education%20resources%20manual%20-%20Version%202008.pdf, accessed Dec 19, 2022)

1 EBAss: European Baromedic Association for nurses, operators and technicians (Anmerkung des Übersetzers).


Autoren:

European Committee for Hyperbaric Medicine (ECHM)

European Underwater Baromedical Society (EUBS)

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