04_Mobile-Working

Systematisches Review zu physischen Belastungen bei mobiler Bildschirmarbeit

Kurzfassung

Die schnelle Entwicklung in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und die Digitalisierung der Arbeitswelt ermöglichen das ortsflexible Arbeiten an Bildschirmgeräten außerhalb der betrieblichen Arbeitsstätte, z. B. im häuslichen Bereich, im Zug oder am Flughafen. Fehlbelastungen der Augen oder des Muskel-Skelett-Systems gelten bei dieser Arbeit als mögliche gesundheitliche Gefährdungsfaktoren. Es ist unklar, inwieweit sich gesicherte Erkenntnisse zu Gefährdungen bei stationärer Bildschirmarbeit (BSA) auf mobile BSA übertragen lassen. Daher haben wir in einer systematischen Literaturrecherche den aktuellen Forschungsstand zum Einfluss mobiler BSA auf die körperliche Gesundheit untersucht. Betrachtet wurden ergonomische Einflussfaktoren wie die Nutzung unterschiedlicher Geräte, die typischerweise in mobilen Arbeitssituationen verwendet werden (Laptop, Tablet, Smartphone), die Dauer der jeweiligen Nutzung, die Nutzerschnittstellen (Eingabe-/Ausgabemittel) oder Arbeitsumgebungsfaktoren wie Körperhaltung, Möbel oder Lichtverhältnisse. Der Fokus der gesundheitlichen Outcomes lag auf Risikofaktoren und Prävalenzen von muskuloskelettalen Beschwerden wie Schmerzen oder Erkrankungen sowie Beschwerden der Augen und des Sehvermögens. Die systematische Literaturrecherche wurde mit Suchbegriffen zu IKT in Kombination mit der Arbeitsform und ergonomischen Fachbegriffen durchgeführt. Nur wissenschaftlich begutachtete Zeitschriftenaufsätze in deutscher und englischer Sprache wurden in einem mehrstufigen geblindeten Screeningverfahren eingeschlossen und auf mögliche Verzerrung hin überprüft. Es wurden fünf Übersichtsarbeiten und 16 Querschnittsstudien in die Übersichtsarbeit aufgenommen. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse bestätigen einige bereits vorhandene Empfehlungen, z. B. zum Arbeiten mit externen Eingabegeräten oder zur Körperhaltung bei Arbeitsplätzen, die nicht ergonomischen, stationären Bildschirmarbeitsplätzen am Schreibtisch entsprechen. Die Übersichtsarbeit liefert darüber hinaus Hinweise zu bislang noch weniger beachteten Aspekten wie z. B. zur Auswirkung von Nutzungsdauern von Arbeitsgeräten in bestimmten Körperhaltungen oder der Wichtigkeit der Anleitung zur Gestaltung der Arbeitssituation.

1 Einleitung

Die zunehmende Verbreitung der BSA in den letzten Jahrzehnten hat viele Vorteile und Fortschritte, aber auch einige Probleme mit sich gebracht. Ein hohes Maß an BSA wird seit langem mit körperlichen Beschwerden und dem Risiko von Muskel-Skelett-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Über 60 % der Arbeitnehmer mit einem hohen Anteil an BSA berichteten über regelmäßige körperliche Beschwerden in einer oder mehreren Körperregionen [1–3]. Ergonomen untersuchten diese Zusammenhänge und fanden heraus, dass die häufigsten Risikofaktoren für Muskel- und Skeletterkrankungen bei der Arbeit am Computer die Abweichung der Körperhaltung von einem gelenkneutralen Winkel, die langen statischen Positionen und die Expositionsdauer sind [4]. Die gängigen Empfehlungen und Forschungsergebnisse aus der Zeit vor der Verfügbarkeit tragbarer Arbeitsgeräte berücksichtigen jedoch nicht die Herausforderungen eines Arbeitsplatzes, der sich immer weiter von stationären, ergonomisch eingerichteten Büroarbeitsplätzen wegbewegt. Was bislang fehlte, war ein umfassender Überblick über die häufigsten mobilen Arbeitssituationen im Homeoffice und unterwegs, die auftretenden körperlichen Belastungen und mögliche Empfehlungen zur Reduzierung dieser Probleme.

Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit war es daher, Informationen darüber zu sammeln, wie verschiedene Faktoren IKT-gestützter mobiler Arbeit (z. B. Gerätetypen, Nutzungsdauer, Benutzeroberflächen usw.) die körperliche Gesundheit (Muskel-Skelett-System und Augen) beeinflussen. Wo immer möglich, wurde das Ausmaß, in dem diese Faktoren und Situationen die körperliche Gesundheit beeinträchtigten, mit der Nutzung eines stationären Bildschirmarbeitsplatzes (z.B. Desktop-PC) verglichen.

2 Methoden

Die Anfertigung der Übersichtsarbeit erfolgte nach dem PRISMA-Schema [5]. Es wurden vier internationale Datenbanken (Pubmed, Livivo, ScienceDirect, Google Scholar) und vier deutsche Zeitschriften systematisch nach begutachteten Fachartikeln aus den Jahren 2011 bis 2021 durchsucht. Durch Filter sowie die Anwendung von Ein- und Ausschlusskriterien wurde die Zahl aller berücksichtigten Artikel auf 351 eingeschränkt. Diese wurden alle in einem mehrstufigen, geblindeten Screeningverfahren durch Titel und Abstract Screening durch mindestens zwei Personen auf ihre Eignung im Review überprüft. Die Details der Studienauswahl lassen sich dem PRISMA-Schema (siehe Abbildung) entnehmen.

Die Qualität der eingeschlossenen Studien wurde hinsichtlich des Verzerrungsrisikos kritisch bewertet (BIAS-Analyse) und floss in die spätere Bewertung der Ergebnisse ein. Querschnittsstudien wurden dabei mit der Newcastle-Ottawa Scale (NOS) [6; 7], Übersichtsarbeiten mit dem ROBIS-Tool [8] beurteilt.

3 Ergebnisse

Es wurden fünf Übersichtsarbeiten und 16 Querschnittsstudien in diese Übersichtsarbeit aufgenommen. Bei zwölf Studien handelte es sich um Querschnittsexperimente, darunter zwei Crossover-Versuche, bei dreien um Querschnittserhebungen und eine weitere Studie kombinierte ein Fallstudienexperiment mit einem empirischen Methodenansatz. Eine Übersichtsarbeit war eine narrative Expertenübersicht, zwei waren Scoping Reviews, eine war von den ursprünglichen Autoren nicht klar definiert und wurde als eine Kombination aus narrativem und Scoping Review eingestuft. Nur eine Übersichtsarbeit war als systematisches Review angelegt. Das Risiko einer Verzerrung in den Querschnittsstudien wurde anhand einer angepassten Version des NOS bewertet. Neun Studien waren von hoher Qualität mit einer Punktzahl von 7 oder höher von maximal 10 erreichbaren Punkten. Sieben Studien waren von mittlerer Qualität mit einer Punktzahl zwischen 4 und 6. Das mit dem ROBIS-Tool bewertete Risiko einer Verzerrung in den Übersichtsarbeiten war bei vier Studien hoch und bei einer Studie niedrig.

Die einbezogenen Studien zeigen, dass ungünstige Körperhaltungen, Umgebungsfaktoren und unpassende Arbeitsgeräte allein oder in Kombination schon nach kurzer Zeit zu diversen körperlichen Beschwerden führen können. Meistens waren die Beschwerden größer als bei der Arbeit an einem stationären Bildschirmarbeitsplatz (Desktop-PC). Sowohl zu wenige Zusatzgeräte (externe Maus und Tastatur, externer Bildschirm) als auch für die Arbeitsaufgabe unpassende Geräte (z. B. Textbearbeitung mit Tablet oder Touchpad des Laptops) führten in auffällig vielen Studien zu negativen Konsequenzen. Nicht-neutrale Körperhaltungen führten zu diversen Problemen, wie einer höheren Muskelaktivität oder auch Unwohlsein in verschiedenen Körperregionen. Einige Studien fanden schon nach kurzen Zeiträumen (5 bis 15 Minuten) auffällige Befunde, deren Umfang sich mit größerer Dauer manifestierte und teilweise vergrößerte. Extrempositionen sollten laut den Ergebnissen unbedingt vermieden werden und grundlegende Ansätze wie die Möglichkeit zur Ablage von Endgeräten (z.B. auf einem Tisch) aber auch der Unterarme auf Armlehnen wurden als besonders wirksam betont. Die meisten Befunde fanden sich zu Beschwerden des Nackens. Der Nacken wurde weitgehend einstimmig von den Autoren der eingeschlossenen Arbeiten als die am stärksten betroffene Körperregion hervorgehoben.

Da unter den eingeschlossenen Studien leider keine Interventionsstudien oder sonstige langfristig angelegten Untersuchungen waren, können keine sicheren Aussagen zu z.B. effektiven Maßnahmen der Verbesserung einer Arbeitssituation getroffen werden. Zwar liefern die Ergebnisse viele wichtige Hinweise, aber allgemeingültige Aussagen zu z. B. zeitlichen Grenzen der Nutzbarkeit von Arbeitsgeräten in bestimmten Körperhaltungen lassen sich nicht ableiten.

4 Schlussfolgerungen

Mit Ausnahme einer Querschnittsstudie wurde in allen Untersuchungen ein Einfluss der Arbeitsgestaltung oder der Gruppenfaktoren der Untersuchungen (z.B. Vergleich der Arbeit mit oder ohne Zusatzgeräte) auf die physische Gesundheit gefunden. Das bedeutet, dass bei mobiler BSA unterschiedliche Körperhaltungen, Umgebungsfaktoren und Arbeitsgeräte in verschiedenen Kombinationen unterschiedliche körperliche Probleme verursachen können.

Mobile BSA erfordert demnach eine kluge Planung, ein geschärftes Bewusstsein für eventuelle Probleme und die Bereitschaft, eine Arbeitssituation zu schaffen, die diesen Problemen entgegenwirkt. Ideal ist eine Kombination verschiedener Maßnahmen, um den möglichen Beschwerden entgegenzuwirken, die schon nach kurzer Zeit auftreten können.

Das Projekt wurde im Auftrag der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) und in Kooperation mit den Sachgebieten Büro und Neue Formen der Arbeit der DGUV durchgeführt.

Literatur

[1] Ardahan, M.; Simsek, H.: Analyzing musculoskeletal system discomforts and risk factors in computer-using office workers. Pakistan journal of medical sciences 32 (2016) Nr. 6, S. 1425–1429

[2] Janwantanakul, P.; Pensri, P.; Jiamjarasrangsri, V.; Sinsongsook, T.: Prevalence of self-reported musculoskeletal symptoms among office workers. Occupational medicine 58 (2008) Nr. 6, S. 436–438 5 / 5

[3] Kaliniene, G.; Ustinaviciene, R.; Skemiene, L.; Vaiciulis, V.; Vasilavicius, P.: Associations between musculoskeletal pain and work-related factors among public service sector computer workers in Kaunas County, Lithuania. BMC musculoskeletal disorders 17 (2016) Nr. 1, S. 1–12

[4] Sasikumar, V.: A model for predicting the risk of musculoskeletal disorders among computer professionals. International Journal of Occupational Safety and Ergonomics 26 (2020) Nr. 2, S. 384–396

[5] Page, M. J.; Mckenzie, J. E.; Bossuyt, P. M.; Boutron, I.; Hoffmann, T. C.; Mulrow, C. D.; Shamseer, L.; Tetzlaff, J. M.; Akl, E. A.; Brennan, S. E.: The PRISMA 2020 statement: an updated guideline for reporting systematic reviews. Systematic reviews 10 (2021) Nr. 1, S. 1–11

[6] Wells, G. A.; Shea, B.; O’connell, D.; Peterson, J.; Welch, V.; Losos, M.; Tugwell, P.: The Newcastle-Ottawa Scale (NOS) for assessing the quality of nonrandomised studies in meta-analyses. Oxford, 2000

[7] Modesti, P. A.; Reboldi, G.; Cappuccio, F. P.; Agyemang, C.; Remuzzi, G.; Rapi, S.; Perruolo, E.; Parati, G.; Settings, E. S. H. W. G. O. C. R. I. L. R.: Panethnic Differences in Blood Pressure in Europe: A Systematic Review and Meta-Analysis. PloS one 11 (2016) Nr. 1, S. e0147601

[8] Whiting, P.; Savovićc, J.; Higgins, J. P.; Caldwell, D. M.; Reeves, B. C.; Shea, B.; Davies, P.; Kleijnen, J.; Churchill, R.: ROBIS: a new tool to assess risk of bias in systematic reviews was developed. Journal of clinical epidemiology 69 (2016), S. 225–234


Autoren:

Konstantin Wechsler, Britta Weber,
Stephanie Griemsmann, Rolf Ellegast

Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA),
Sankt Augustin


Herausgeber

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Glinkastraße 40

10117 Berlin

Telefon: 030 13001–0 (Zentrale)

Fax: 030 13001–9876

E-Mail: info@dguv.de

Internet: www.dguv.de

Aktuelle Ausgabe

Partnermagazine

Akademie

Partner