04_Psychische Einwirkungen

Tipps für die Umsetzung in kleinen Betrieben

Der Betriebsalltag ist für viele Menschen mit unterschiedlichen Belastungen und Arbeitsstress verbunden. Es ist mittlerweile gut erforscht, dass Arbeitsstress zu einer Reihe von gesundheitlichen Problemen führen kann; von koronaren Herzkrankheiten zu psychischen Erkrankungen wie Depression.1–3 Diese von Arbeitsstress verursachten Erkrankungen beeinträchtigen nicht nur das Leben der Beschäftigten, sondern auch die Leistung und Produktivität der Betriebe. Der aktuelle Fehlzeiten-Report der AOK verzeichnet seit 2010 z.B. einen Zuwachs an Krankheitstagen aufgrund von psychischen Erkrankungen von 56 Prozent.4

Gesundheit und Wohlbefinden sind deshalb keine Privatthemen. Im Gegenteil: Es ist im Sinne der Unternehmen, sich für Gesundheitsförderung und Stressprävention einzusetzen. Wer die Gesundheit der Beschäftigten ernst nimmt und Stressprävention erfolgreich einsetzt, sichert aber nicht bloß die Produktivität des Betriebs, sondern hat auch bessere Chancen, Arbeitskräfte langfristig zu halten und neue zu gewinnen.

Führt jede Belastung zu Arbeitsstress?

Belastungen bei der Arbeit verursachen nicht automatisch Stress. Dies hängt sowohl von der Art und Stärke der Arbeitsbelastung als auch von Bewältigungsstrategien der belasteten Person ab.5 Konzentriert man sich bei der Stressprävention auf die Arbeitsbelastungen, spricht man von Verhältnisprävention. Geht bei Stressprävention um den individuellen Umgang mit Stress, so spricht man stattdessen von Verhaltensprävention. Beide Ansätze ergänzen sich und sind damit zentral für die erfolgreiche Prävention von Stress auf der Arbeit.

Stressprävention in kleinen Betrieben

In vielen großen Unternehmen ist Stressprävention ein wichtiger Baustein des betrieblichen Gesundheitsmanagements. In kleinen Betrieben findet zumeist keine systematische Stressprävention statt. Dies ist insofern problematisch, da fast 40 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland in Klein- und Kleinstunternehmen beschäftigt sind.6 Die Gründe für fehlende Stressprävention im kleinen Betrieben sind vielfältig und erfordern neue Lösungsansätze. Aus diesem Grund beschäftigt sich die Forschung damit, herauszufinden, warum kleine Betriebe derzeit oft weniger für Stressprävention tun und entwickelt Lösungen, um Klein- und Kleinstunternehmen bei ihren gesundheitsfördernden Aktivitäten zu unterstützen.

Stress im Betrieb vorbeugen,
aber wie genau?

Ein wichtiges Instrument für die Stressprävention in Betrieben ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, die im Arbeitsschutzgesetz verankert ist. Studien zeigen jedoch, dass kleine Betriebe die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen aus verschiedenen Gründen oft nicht durchführen. Zum einen sind die gesetzlichen Verpflichtungen und die Empfehlungen für die Durchführung teilweise unbekannt oder ihr Nutzen wird nicht deutlich. Zum anderen werden die Folgen von Arbeitsstress unterschätzt.7,8 Auch das vielseitige Angebot an Maßnahmen macht es für Betriebe nicht leichter einen geeigneten Ansatz zu finden und umzusetzen. Dabei ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, wenn korrekt durchgeführt, besonders nützlich um Stressursachen im Betrieb zu erfassen und sinnvolle Maßnahmen gegen Arbeitsbelastungen abzuleiten.

Einen neuen Lösungsansatz verfolgt das Forschungsprojekt PragmatiKK, in dem ein Forschungsteam aus den Universitäten Düsseldorf, Köln und Lüneburg ein digitales Angebot zur Stressprävention in kleinen Betrieben entwickelt hat. Das System wurde nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Arbeitspsychologie entwickelt und steht Klein- und Kleinstunternehmen im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie kostenlos zur Verfügung. Der darin enthaltende „Arbeitsplatzcheck“ ermöglicht die unkomplizierte Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen anhand eines Online-Fragebogens, der sich auf die spezifische Situation des Betriebs hin anpassen lässt. Dadurch können Arbeitsbelastungen wie z.B. schwierige Arbeitsabläufe oder Kommunikationsschwierigkeiten mit Kunden als mögliche Gefährdung erkannt werden. Daraus lassen sich konkrete Maßnahmen ableiten, um ungünstige Arbeitsbedingungen zu korrigieren. Zudem ermöglicht das System anschließend zu überprüfen, ob eine umgesetzte Maßnahme tatsächlich zur Stressreduktion beigetragen hat.

Den Umgang mit Stress in die
eigene Hand nehmen

Oft dauert es eine gewisse Zeit bis sich veränderte Arbeitsabläufe festigen und so Belastungen reduziert werden können. Neben den Arbeitsbelastungen üben auch weitere Faktoren einen Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten und die Leitung aus. Nicht nur die besonderen Belastungen in den letzten Pandemie-Jahren haben vielen Beschäftigten zugesetzt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, partnerschaftliche Konflikte oder persönliche Krisen sind nur einige typische Beispiele für Quellen von anhaltendem Stress. Gerade für solche Phasen kann die Stärkung individueller Bewältigungsstrategien im Rahmen bewährter Stressmanagementtrainings hilfreich sein. Obwohl solche Präventionsmaßnahmen auf der Verhaltensebene, man spricht dabei auch von Verhaltensprävention, gesetzlich nicht Teil des betrieblichen Arbeitsschutzes sind, können sie eine wertvolle Ergänzung der betrieblichen Stressprävention sein.

Stressmanagementtrainings finden meistens in Form von ein- oder mehrtägigen Workshops statt. Die Finanzierung und Organisation dieser Formate sind aber gerade für kleine Betriebe oft schwierig. Hier können Online-Angebote wie das Training „Fit im Stress“ (entwickelt an der Leuphana Universität Lüneburg) eine geeignete Alternative sein. Das Training ist vielfach erprobt und kann erwiesenermaßen Stress reduzieren. 9–12 Durch das Online-Format kann es unabhängig von Zeit und Ort genutzt werden. Auch dieses Training ist Bestandteil vom System P.

Weitere Tipps für eine erfolgreiche Stressprävention im Betrieb

Gesundheitsorientierte Führung

Um das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern ist es von Vorteil, wenn Führungskräfte eine Vorbildrolle übernehmen. In der Wissenschaft spricht man hierbei von „Gesundheitsorientierter Führung“. 13 Diesem Konzept zufolge beeinflusst die Art wie Führungskräfte in Bezug auf die eigene Gesundheit denken, fühlen und handeln ihr generelle Engagement in der betriebliche Gesundheitsförderung. Das kann die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten prägen.13 Drei Aspekte sind bei der gesundheitsorientierten Führung zentral: 1) die Wertschätzung der Gesundheit der Beschäftigten, 2) das Bewusstsein, um zu erkennen, wenn Mitarbeitende gestresst sind, sowie 3) ein allgemeines Interesse an der Gesundheitsförderung der Beschäftigten.13

Beschäftigte mit an Bord nehmen

Erfolgreiche Stressprävention erfordert aber auch die aktive Mitwirkung der Beschäftigten, denn Partizipation gilt als ein wichtiger Faktor für das Gelingen von Gesundheitsmaßnahmen in Betrieben.14 Allein die Einbindung der Mitarbeitenden in die Entwicklung und Umsetzung von betrieblichen Veränderungen kann zu einer Steigerung des Wohlbefindens und der Gesundheit führen.15 Darüber hinaus sorgt eine frühe Einbindung in Veränderungsprozesse für mehr Transparenz und einer besseren Akzeptanz der Prozesse im Betrieb.15

Die Einbindung von möglichst vielen Beschäftigten ist notwendig, denn eine geringe Teilnahme kann zu einer einseitigen Abbildung der Stressursachen führen, wodurch die Gefahr besteht, dass Betriebe unpassende oder unzureichenden Maßnahmen für die Bewältigung der Ursachen umsetzen. Deshalb ist es auch wichtig, unmotivierte Beschäftigte für die Partizipation zu ermuntern. Um zögernde Mitarbeitende zu motivieren empfehlen Forscherinnen und Forscher u.A. die rechtzeitige Ankündigung der Stresspräventionsmaßnahmen sowie die interne Veröffentlichung von Informationen darüber, die Schaffung von Anreizen, die Kommunikation über die Wichtigkeit der Teilnahme sowie die Schaffung der Möglichkeit für die Teilnahme.16 Letzteres kann z.B. durch die Auswahl von Stresspräventionsmaßnahmen, die ortsunabhängig und zeitlich flexibel einsetzbar sind, erreicht werden.

Einen flexiblen Zugang ermöglichen

Ein flexibler Zugang erleichtert die Durchführung und Teilnahme an Stresspräventionsmaßnahmen sowohl für Führungskräfte als auch für die Beschäftigten. Hierfür sind webbasierte Angebote besonders geeignet. Das obengenannte Stresspräventionstool System P kann sowohl am PC, als auch an mobilen Geräten benutzt werden. Dadurch können auch Beschäftigte aus Betrieben, in denen die Arbeit am Rechner nicht zum Alltag gehört, das Angebot bspw. über ihr eigenes Smartphone nutzen.

Teilnahme an Stresspräventionsmaßnahmen als Arbeitszeit ansehen

Auch wenn die Stressprävention über das private Smartphone erfolgt: Führungskräfte sollten sicherstellen, dass die Teilnahme an den Maßnahmen innerhalb der Arbeitszeit erfolgt oder dass die dafür aufgewandte Freizeit kompensiert wird. Denn Stressprävention im Betrieb sollte keinesfalls mehr Stress erzeugen, sondern stattdessen die Führungskräfte und Beschäftigten entlasten und ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden steigern. Die Verwendung von Arbeitszeit für Stressprävention ist eine Investition, die sich langfristig lohnt. Ein Betrieb, der die Gesundheit seiner Beschäftigten fördert und in dem Führungskräfte und Mitarbeitende gelassener mit Stress umgehen, kann gegenüber anderen Betrieben nicht nur mehr leisten, sondern auch in der Konkurrenz um Fachkräfte besser punkten.

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