„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“: Am 18. Januar 1949 beschließen die 20 Mitglieder des Hauptausschusses im Parlamentarischen Rat einstimmig die Aufnahme dieses schlichten Satzes ins Grundgesetz. Das Plenum folgt dem Entwurf am 8. Mai 1949. „Erst mit dem Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes, der im tiefsten Sinne revolutionären Charakter hatte, ist den Frauen in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsgleichheit auf allen Gebieten garantiert“, erinnert sich die SPD-Politikerin Elisabeth Selbert dreißig Jahre später. Die promovierte Juristin und Anwältin ist eine von vier Frauen unter den 65 stimmberechtigten Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die von den elf Länderparlamenten der Westzonen gewählt und mit der Erarbeitung einer provisorischen Verfassung beauftragt worden waren. Die Widerstände gegen diesen Wortlaut sind zunächst groß, nicht nur bei der Mehrheit im Hauptausschuss, sondern auch bei ihrer Parteifreundin Friederike (Frieda) Nadig sowie den beiden anderen Frauen im Parlamentarischen Rat, Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum).
Am 21. September 1948 diskutiert der Ausschuss für Grundsatzfragen erstmals den Gleichheitsgrundsatz auf der Grundlage eines Entwurfs, den elf sachverständige Männer kaum einen Monat zuvor beim Verfassungskonvent auf der Insel Herrenchiemsee verfasst hatten. In dem Entwurf fehlt der explizite Verweis auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau, es heißt dafür allgemein „Vor dem Gesetz sind alle gleich.“ Nach den Diskussionen im Ausschuss, dem Frieda Nadig und Helene Weber angehören, nicht jedoch Elisabeth Selbert, einigen sich die Mitglieder auf eine Erweiterung, angelehnt an die Weimarer Reichsverfassung: „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Elisabeth Selbert ist alarmiert, als sie von dem Entwurf hört, weil die erfahrene Juristin ahnt, was der Verweis auf „dieselben staatsbürgerlichen Rechte“ heißen kann: „Staatsbürgerliche Gleichheit bedeutete der Mehrheit der Verfassungsrichter damals aber offenbar: staatsbürgerliche Betätigung im engsten Sinn, also: Frauen können wählen und gewählt werden. Mehr nicht.“ Selbert schlägt daher den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ vor. Er soll Frauen weitgehende Gleichstellung ermöglichen, beispielsweise im Ehe-, Familien- und Arbeitsrecht. Nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist verheirateten Frauen damals keine eigenständige Verwaltung ihres Vermögens erlaubt. Ehemänner können ihren Frauen zudem eine berufliche Tätigkeit untersagen. Auch weitere umfangreiche rechtliche Einschränkungen entsprechen in keiner Weise den Erfahrungen, die Frauen während der zurückliegenden Kriegs- und Nachkriegsjahre gemacht hatten, als sie oft allein für die Familie gesorgt und ihren Alltag bewältigt hatten.
Elisabeth Selbert begegnet Skepsis in der eigenen Fraktion: Frieda Nadig und andere befürchten, dass wegen der Notwendigkeit zu weitreichenden Änderungen im BGB ein „Rechtschaos“ eintreten könnte. Erst als Selbert eine Übergangsbestimmung vorschlägt und der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher sein Plazet gibt, stimmen sie zu. Als Frieda Nadig am 30. November 1948 den Vorschlag Selberts in den Ausschuss für Grundsatzfragen einbringt, findet er dennoch keinen Zuspruch. Stattdessen wird die Formulierung angenommen: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln.“
Am 3. Dezember 1948 bringt die SPD Selberts Vorschlag erneut in die Beratungen ein, nun in den Hauptausschuss. Diesmal begründet Elisabeth Selbert den Antrag selbst. Sie legt dar, dass die Frau „auf allen Rechtsgebieten dem Manne gleichgestellt werden“ müsse, denn sie habe „heute einen moralischen Anspruch darauf, so wie der Mann bewertet zu werden“. Helene Weber (CDU) wendet wie zuvor Frieda Nadig ein, dass „eine Lücke im BGB“ drohe, auch wenn sie der Meinung sei, „dass wir Frauen gleichberechtigt sind und dass die Grundrechte dies zum Ausdruck bringen sollen“. Der Antrag wird mit elf zu neun Stimmen erneut abgelehnt.
Elisabeth Selbert sucht daraufhin die Unterstützung in der breiten Öffentlichkeit. Über Wochen reist sie durch das ganze Land, hält Vorträge bei Frauenverbänden und führt Gespräche in den gut vernetzten berufsständischen, konfessionellen und gewerkschaftlichen Frauengruppen. „Wie ein Wanderprediger bin ich von Versammlung zu Versammlung gefahren und habe den Frauen erzählt, was für eine Art Ausnahmegesetz sie zu erwarten hätten, wenn sie nicht dazu beitrügen, den CDU-Antrag zu Fall zu bringen.“ Eine Fülle von Zuschriften erreicht in der Folge den Parlamentarischen Rat. In der Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949 verweist Helene Weber (CDU) auf den „Sturm aus den verschiedenen Gruppen“, der entstanden sei und den es zu berücksichtigen gelte. Der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) hingegen spricht von einem „Quasi-Stürmlein“, das ihn keineswegs beeindruckt habe. Walter Strauss (CDU) betont, dass für die „überwiegende Anzahl aller deutschen Männer“ ohnehin der Grundsatz der Gleichberechtigung „seit 1918 schon so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass uns die Debatte etwas überrascht hat“. Nachdem sich auch Hermann Fecht (CDU) für den Antrag von Elisabeth Selbert ausgesprochen hat, lässt der Vorsitzende Carlo Schmid (SPD) abstimmen: Der Antrag wird einstimmig angenommen. Später erinnert sich Selbert: „Ich hatte einen Zipfel der Macht in meiner Hand gehabt und diesen Zipfel der Macht, den habe ich ausgenützt (…). Und es war die Sternstunde meines Lebens, als die Gleichberechtigung der Frau damit zur Annahme kam.“ Bei den Wahlen für den ersten Deutschen Bundestag kurz darauf bekommt Elisabeth Selbert von ihrem Landesverband nur einen hinteren Platz auf der Liste und verfehlt den Einzug ins Parlament.
In der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gelingt es zunächst nicht, die im Grundgesetz festgeschriebene Übergangsfrist bis Ende März 1953 einzuhalten und die entsprechenden Vorschriften des BGB anzupassen. Erst am 3. Mai 1957 verabschiedet der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“, das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz. Nach zahlreichen weiteren Gesetzesänderungen in den siebziger und achtziger Jahren wird 1994 Artikel 3 im Grundgesetz um den Satz erweitert: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Quellen und Literatur:
Deutscher Bundestag (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat: 1948–1949; Akten und Protokolle/ bearb. Von Michael F. Feldkamp. Band 14.
Ulrike Schultz: Ein Quasi-Stürmlein und Waschkörbe voller Eingaben: Die Geschichte von Art. 3 Abs. 2 GG. In: Frauen und Recht. Düsseldorf, 2003, S. 54–60.