Arbeitsschutz

Die Dokumentationspflicht im Arbeitsschutz

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Arbeitsschutz soll die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Dabei spielen die Gefährdungsbeurteilung und insbesondere auch deren Dokumentation eine erhebliche Rolle. Dies hat der Gesetzgeber durch seine Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes im Herbst vergangenen Jahres nochmals hervorgehoben. So hat er neben anderen Änderungen auch die Ausnahme zur Dokumentationspflicht von Kleinbetrieben („Kleinbetriebsklausel“) bei der Gefährdungsbeurteilung gestrichen. Welche gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Dokumentation zu stellen sind und welche Konsequenzen für die Verantwortlichen bei Fehlern drohen, beleuchtet der folgende Beitrag.

Welche Nachteile eintreten, wenn der Arbeitsschutz dem Profit weicht, hat zuletzt der tödliche Arbeitsunfall eines 19jährigen Auszubildenden bei einer Glasfirma in Dersum gezeigt. Der Unfall ereignete sich, weil die Geschäftsleitung Sicherheitsvorrichtungen an einer Maschine abbauen ließ, damit diese weniger Ausschuss produzierte. Dadurch konnte das Unternehmen Kosten einsparen. Das Landgericht Osnabrück (Az. 10 KLs 16/13) verurteilte im September 2013 die Geschäftsführer sowie den Produktionsleiter wegen fahrlässiger Tötung zu Haftstrafen auf Bewährung und verhängte Geldauflagen in Höhe von EUR 100.000. Seit Februar dieses Jahres ist das Urteil rechtskräftig. Doch ist die Sache für die Verantwortlichen immer noch nicht ausgestanden. Presseberichten zufolge fordern nun die Eltern hohe fünfstellige Schadensersatz- und Schmerzensgeldsummen von den Verantwortlichen. Darüber hinaus dürfte der Imageschaden und Reputationsverlust des Unternehmens beträchtlich sein.

Natürlich wäre dieser Unfall allein durch eine schriftliche Gefährdungsbeurteilung nicht zu verhindern gewesen. Dennoch ist die Wirkung einer sachgerechten Dokumentation nicht zu unterschätzen. Arbeitsschutz ist Bestandteil des betrieblichen Risikomanagements (Compliance). Die Dokumentation dient neben der Transparenz und Kontrolle der Arbeitsschutzsituation im Betrieb vor allem auch der Nachvollziehbarkeit der getroffenen Maßnahmen. Sind die eingeleiteten Maßnahmen des Arbeitsschutzes sachgerecht, fördert dies gleichzeitig die Entlastung der verantwortlichen Personen gegenüber Arbeitsschutzbehörde, Unfallversicherungsträger und auch der Staatsanwaltschaft, wenn diese Ermittlungen nach einem Arbeitsunfall aufnimmt.

Anforderungen an eine ordnungsgemäße Dokumentation
Vorschriften zur Dokumentation von Arbeitsschutzmaßnahmen finden sich in den diversen Verordnungen zum Arbeitsschutz – beispielhaft seien hier die Arbeitsstättenverordnung, die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge oder die Betriebssicherheits-Verordnung genannt. Zentrale Norm ist hingegen der Paragraf sechs (§ 6) des Arbeitsschutzgesetzes. Gemessen an der Bedeutung sind die gesetzlichen Vorgaben an eine Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung jedoch eher dürftig. Die Vorschrift verlangt lediglich, dass der Arbeitgeber über die erforderlichen Unterlagen verfügen muss, aus denen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die von ihm festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind. Bei gleichartigen Gefährdungslagen können Unterlagen zusammengefasst werden. Darüber hinaus gibt das Gesetz die Pflicht auf, Arbeitsunfälle mit tödlichem Ausgang und solche, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen führen, zu dokumentieren.

Das Gesetz schreibt die Dokumentationspflicht in erster Linie dem Arbeitgeber zu. Allerdings kann er diese Aufgaben an geeignete und zuverlässige Personen delegieren. Dies können insbesondere die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der Sicherheitsbeauftragte sein. Eine Delegation ist unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls an nachgeordnete Führungskräfte möglich, etwa den Betriebs- oder Bereichsleiter sowie den Schicht- oder Maschinenführer.

Eigeninitiative ist gefragt
Mehr Vorgaben macht der Gesetzgeber nicht, weder zur Form, zum Inhalt noch zur Dauer der Aufbewahrung. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Verantwortliche hier einen großen Spielraum hat. Das kann aber auch nachteilig sein, weil er sich selbst Gedanken machen muss, wie er potenzielle Gefährdungen in seinem Betrieb sachgerecht erfasst und dokumentiert.

Dazu zählt als erstes die Frage der Gestaltung und Aufbewahrung. Da keine Schriftform verlangt wird, ist die elektronische Speicherung ausreichend, z.B. auf PC oder einem Speichermedium. Das erleichtert nicht nur die Aufbewahrung sondern auch spätere Aktualisierungen. Natürlich empfiehlt sich auch das Erstellen einer Sicherungskopie.

Als nächstes stellt sich die Frage nach der äußeren Gestaltung. Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften stellen entsprechende Muster und Vorlagen für die Dokumentation je nach Branche zur Verfügung. Es spricht auch nichts dagegen, auf diese zurückzugreifen. Das Rad muss an dieser Stelle nicht neu erfunden werden.

Die Dokumentation muss zumindest für einen Fachkundigen schlüssig und nachvollziehbar formuliert sein. Stichpunkte können reichen. Der Arbeitgeber sollte im eigenen Interesse zunächst prüfen, ob Unterlagen und Dokumente vorhanden sind, die bereits das Ergebnis von Gefährdungsbeurteilungen darstellen. Als Beispiele kommen unter anderem Betriebsanweisungen, Analysen, Stellenbeschreibungen oder Arbeitsfreigabescheine in Betracht. Diese Unterlagen können als Grundlage verwendet werden und müssen unter Umständen nur um konkret getroffene Maßnahmen und deren Kontrolle ergänzt werden.

Der Arbeitgeber muss lediglich das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung festhalten. Rechtfertigungsszenarien oder investigative Ausforschungen, warum er zu diesem und keinem anderen Ergebnis kam, sind fehl am Platz. Dies bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass der Arbeitgeber beliebig „Phantasie-Ergebnisse“ niederschreiben darf, die mit dem Verlauf der Gefährdungsbeurteilung nichts mehr zu tun haben. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt weiter vor, dass die festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes ersichtlich sein müssen. Daher reicht es aus, nur diejenigen Maßnahmen zu dokumentieren, die tatsächlich positiv festgelegt worden sind und eben nicht jene, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht getroffen worden sind. Zur Beweissicherung empfiehlt es sich aber, in bedeutsamen Fällen auch die technisch machbaren, aber aus bestimmten Gründen nicht gewählten Maßnahmen festzuhalten.

Auch die Festlegung der notwendigen Überprüfungsintervalle bereitet mitunter Schwierigkeiten. Das Gesetz trifft zu dieser Thematik ebenfalls keine Aussagen. Aktualisierungspflichten würden sich auch nicht allgemeingültig per Gesetz festlegen lassen. Dafür sind die Situationen in den Betrieben zu unterschiedlich. Die Verantwortlichen müssen daher auf ihre branchenspezifischen Erfahrungen zurückgreifen. Als Faustregel kann gelten, dass eine Überprüfung immer dann zu erfolgen hat, wenn sich die Arbeitsbedingungen so wesentlich verändern, dass sich die Gefährdungssituation am Arbeitsplatz verschärft, z. B. weil eine neue Maschine eingesetzt wird oder sich das Arbeitsverfahren ändert. Eindeutig rechtswidrig wäre jedenfalls die einmalige Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation in einem Produktionsbetrieb, die dann trotz laufender Produktanpassungen an den Markt und ebenso häufigen Änderungen der Herstellungsverfahren für Jahrzehnte im Aktenschrank des Werkmeisters abgelegt werden.

Das Prinzip „Worst-Case-Szenario“
Der Staat hat die grundsätzliche Pflicht, das Leben und die Gesundheit seiner Bürger zu schützen – auch im Arbeitsleben. Die Arbeitsschutzbehörden können aber allein schon aus Kapazitätsgründen nicht jeden einzelnen Betrieb präventiv aufsuchen und überprüfen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber den Betrieben bestimmte Pflichten auferlegt, um den betrieblichen Arbeitsschutz zu gewährleisten. Hierzu zählt die Bestellung von betrieblichen Arbeitsschutzbeauftragten, aber auch die Pflicht, die von Arbeitsplätzen ausgehenden Gefahren zu erfassen und zu dokumentieren.

Im Idealfall bekommt niemand außerhalb des Unternehmens die Dokumentation zu Gesicht. Denn dann ist alles richtig gemacht worden und Arbeitsunfälle treten nicht auf. Im schlechtesten Fall – wie nach dem tödlichen Arbeitsunfall bei der Glasfirma in Dersum – tauchen Behörden und Staatsanwälte im Unternehmen auf und prüfen, ob den Verantwortlichen ein Schuldvorwurf zu machen ist. Bestehen Anhaltspunkte hierfür, ist der Staatsanwalt verpflichtet, ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung einzuleiten. Das Beispiel aus Dersum führt dieses Szenario eindrucksvoll vor Augen. Wer hingegen eine ordnungsgemäße Dokumentation nachweisen kann, kann dadurch belegen, dass er mögliche Gefahren nicht nur erkannt hat, sondern auch versucht hat, sie zu bannen. Hier gilt die alte Redensart: „wer schreibt, der bleibt”.

Selbst wenn sich die Gefährdungsbeurteilung hinterher als unzutreffend oder unvollständig herausstellen sollte, lässt sich durch eine Dokumentation immerhin nachweisen, dass sich die Verantwortlichen um die Sicherheit ihrer Arbeitnehmer bemüht haben. Dies gibt zumindest Pluspunkte bei Feststellung einer strafrechtlichen Schuld oder des Umfangs der zivilrechtlichen Haftung. Unter bestimmten Umständen kann dies beispielsweise auch darüber entscheiden, ob eine Freiheitstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht.

Bei der Dokumentation sollte man sich also immer das Worst-Case-Szenario eines schwerwiegenden Arbeitsunfalls vor Augen halten und daran denken, dass der Staatsanwalt in diesem Fall die Dokumentation mit großem Interesse liest.

Sanktionen bei unzureichender Dokumentation
Den Behörden stehen umfassende Einsichtsrechte in die Dokumentationen zu. Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass diese ja gerade für sie erstellt werden. Den betrieblich Verantwortlichen steht kein Herausgabeverweigerungsrecht zu, da die Dokumentation gesetzlich vorgeschrieben ist. Im Fall einer Weigerung kann die Behörde Anordnungen dahingehend treffen, dass Dokumentationen zu erstellen bzw. herauszugeben sind. Verstöße gegen diese Anordnungen können mit Bußgeldern bis zu EUR 25.000 geahndet werden. Geht mit der Weigerung die Gefahr für Leib oder Leben eines Beschäftigten einher, droht sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.

Fazit
Die Dokumentation sollte nicht als formaler Vorgang oder zeitraubendes Übel betrachtet werden. Denn sie hat für die Verantwortlichen auch entscheidende Vorteile. Sie dient nicht nur der Kontrolle und Transparenz von Arbeitsschutzmaßnahmen im Betrieb, sondern insbesondere auch der rechtlichen Absicherung gegenüber der Arbeitsschutzbehörde und Staatsanwaltschaft. Der Gesetzgeber macht keine Vorgaben zu Form und Inhalt einer Dokumentation. Die Speicherung auf elektronischen Datenträgern reicht daher aus. Zudem kann auf branchenspezifische Muster der Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften zurückgegriffen werden. Die Dokumentation muss schlüssig und nachvollziehbar sein. Bei der Erstellung ist stets zu beachten, dass im Ernstfall nach einem Arbeitsunfall die Dokumentation zur Entlastung und Minimierung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung dienen kann und das auch soll. In Zweifelsfällen empfiehlt sich eine juristische Beratung schon bei der Erstellung der Dokumentation und nicht erst dann, wenn – wie bei den Verantwortlichen des Glasunternehmens in Dersum – der Staatsanwalt vor der Tür steht.

Rechtsanwalt Matthias Klagge, LL.M.

klagge@tigges-info.de

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