Der kranke Mitarbeiter

Arbeitsmedizinische Einschränkungen bei Erkrankungen

Aufgrund von Erkrankungen können unterschiedliche arbeitsmedizinische Einschränkungen resultieren, die für den weiteren Arbeitseinsatz bei leistungsgeminderten Mitarbeitern eine Bedeutung haben.

Diese Einschränkungskriterien lassen sich in folgende Gruppen unterteilen:

  1. Einschränkungskriterien Bewegungssystem / körperliche Belastungen
  2.  Einschränkungskriterien Sinnesorgane
  3.  Einschränkungskriterien Umgebungsbedingungen
  4.  Einschränkungskriterien Lunge, Herz-/Kreislaufsystem
  5.  Einschränkungskriterien Haut
  6.  Einschränkungskriterien nervliche / seelische / geistige Belastungen
  7.  Einschränkungskriterien Zeitsysteme
  8.  Spezielle Einschränkungskriterien (für bestimmte Gefahrstoffe)
  9.  Sonstige Einschränkungskriterien (z.B. Unfallgefährdung an laufenden Maschinen, Auslandstätigkeit, Infektionsgefährdung, elektromagnetische Felder)

Zahlreiche Gesetze/Verordnungen müssen hierbei arbeitsmedizinisch berücksichtigt werden, wenn diese für den jeweiligen Arbeitsplatz des Betroffenen zutreffen. Beispielhaft seien genannt Fahrerlaubnisverordnung, Röntgen-/Strahlenschutzverordnung, Luftpersonalverordnung.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es bei vielen dieser Gesetze/Verordnungen für bestimmte Einschränkungen keinen arbeitsmedizinischen Ermessensspielraum gibt (sog. „harte Einschränkungen“ = absoluter Ausschluss). Als Beispiel sei hier auf die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) verwiesen, in der für bestimmte Führerscheinklassen zahlreiche Erkrankungen eine Einschränkung zur Folge haben (siehe „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“). Diese müssen unbedingt beachten werden, da sich bei Nichtbeachtung erhebliche straf- und auch zivilrechtliche Konsequenzen ergeben können.

Wenn gesundheitliche Einschränkungen vorliegen, müssen diese für den jeweiligen Arbeitsplatz (Anforderungsprofil) entsprechend angegeben werden: Sollte der jetzige/bisherige Arbeitsplatz nicht mehr zumutbar sein, muss ebenfalls eine Beurteilung für einen vorgesehenen zukünftigen Arbeitsplatzes erfolgen.

Bei den Einschränkungen ist auch zu berücksichtigen, dass alle Tätigkeiten unterbleiben müssen, die absehbar zu einer erneuten Verschlimmerung der bestehenden Erkrankung(en) führen können. So sind zum Beispiel nach einer Wirbelsäulenoperation Tätigkeiten wie schweres Heben/Tragen wegen möglicher erneuter Beschwerden nicht mehr zumutbar, auch wenn zum Beurteilungszeitpunkt Beschwerdefreiheit besteht.

Nutzen sollte der Arbeitsmediziner in jedem Falle die Möglichkeit von Arbeitsplatzbegehungen, um eine individuelle arbeitsmedizinische Beurteilung der Einzelsituation vorzunehmen.

Innerhalb der angegebenen Krankheitsbilder gibt es bei gleicher Diagnose (z.B. Diabetes mellitus) verständlicherweise erhebliche Symptomunterschiede, abhängig vom Stadium / Schweregrad der Erkrankung, den im Vordergrund stehenden Symptomen, den bereits durch Begleit- oder Folgeerkrankungen eingetretenen Komplikationen und Wechselwirkung mit anderen Erkrankungen, der erfolgten Therapie und weiteren Behandlungsmöglichkeiten sowie Compliance des Betroffenen.

Beispielhaft seien hier Erkrankungen wie Epilepsie oder Diabetes mellitus erwähnt – bei Epilepsie: Wie oft Anfälle, wann letzten Anfall, welche Medikamente – siehe auch Netzwerk Epilepsie und Arbeit (NEA); bei Diabetes mellitus: Unterschied zwischen nur diätetische Maßnahmen, oraler Therapie, konventionelle oder intensivierte Insulintherapie, Insulinsensor/-pumpe, HBA1-Wert).

Bei der durchgeführten Therapie sind auch eventuelle Nebenwirkungen der Medikamente zu berücksichtigen (vgl. Angaben in der „Roten Liste“, insbesondere Kennzeichnung hinsichtlich der Einschränkung der Vigilanz = Reaktionsvermögen!). Die Nebenwirkungen dieser Arzneimittel können zusätzliche Einschränkungen als Folge haben: z.B. „Nicht geeignet für Arbeiten/Tätigkeiten mit Unfallgefährdung (z.B. an laufenden, unfallgefährdenden Maschinen)“, „Nicht geeignet für Arbeiten/Tätigkeiten mit Fahr-/Steuer- und Überwachungstätigkeiten“ oder „Nicht geeignet für Arbeiten/Tätigkeiten mit Absturzgefahr“ (= die Schwindelfreiheit erfordern, d.h. keine Arbeiten über 2 m Höhe, z.B. auf Gerüsten, auf Leitern oder auf Kränen).

Angegeben werden dürfen nur arbeitsmedizinische Einschränkungen aufgrund von vorliegenden objektiven Befunden. Keine Angabe nur nach subjektiven Beschwerden („Gefälligkeitsbescheinigung“). Bei mehreren Erkrankungen müssen die Leistungseinschränkungen für jede Erkrankung berücksichtigt und zusammengefasst werden.

Bei Beschäftigung an verbundenen Arbeitsplätze (Mehrstellenarbeitsplatz) – wie heute oft üblich – muss müssen alle Arbeitsplätze bewertet werden, da eine Einschränkung für einen bestimmten Arbeitsplatz oft einen Einsatz an diesem Mehrarbeitsplatz unmöglich macht.

Man sollte in jedem Falle vermeiden, zu extensive oder überzogene Einschränkungen anzugeben, da diese sich nachteilig für die Einsatzmöglichkeiten des Betroffenen auswirken können (Arbeitgeber: Ein Arbeitsplatz mit diesen Einschränkungen ist nicht vorhanden).

Vorsicht auch bei der Angabe von Gewichtsbelastungen, da hier Angabe einer konkreten Kilogrammzahl ohne weitere Ergänzungen nicht sinnvoll ist. So ist das Heben/Tragen von 5 kg körperfern viel belastender als das Heben/Tragen von 20 kg direkt am Körper. Deshalb sollten hier bei einer Gewichtsangabe unbedingt erläuternde Zusatzangaben erfolgen, wie nur körpernah/nicht unter Bodenniveau/nicht über Kopfniveau etc. Neben der Belastung durch Heben eines Gewichtes muss unbedingt auch die Belastung durch Tragen sowie die Häufigkeit berücksichtigt werden (siehe unten).

Bei der Angabe von Einschränkungen sollte man auch in jedem Falle – soweit möglich – versuchen, statt einer „Negativaussage“ (= negatives Leistungsbild) eine „Positivaussage“ (= positives Leistungsbild) zu formulieren: Welche Arbeiten/Tätigkeiten können noch verrichtet werden (bei Rentenversicherungsträgern als „Restleistungsprofil“ bezeichnet)? Statt Negativ-Formulierung „Kein Heben/Tragen von schweren Lasten möglich“ besser Positivformulierung „Heben/Tragen von mittelschweren Lasten noch möglich“.

Zu der Angabe einer Beschränkung gehören auch unbedingt zwei Angaben:

  •  Angabe, ob die Einschränkung(en) auf Dauer gelten (z.B. bei Allergien) oder nur zeitweilig unter Berücksichtigung der sog. „Heilungsbewährung“ (z.B. nach Leistenbruchoperation nur zeitlich begrenzte Gewichtseinschränkung),
  • Angabe der Häufigkeit, wie selten, kurzfristig, gelegentlich ( 5 % der Arbeitszeit), zeitweise (bis ca. 10 % der Arbeitszeit), häufig (10 – 50 % der Arbeitszeit), überwiegend (51 – 90 % der Arbeitszeit), ständig/dauernd/regelmäßig (mehr als 90 % der Arbeitszeit)

Arbeitsmedizinischen Einschränkungen müssen ohne Angabe von Diagnosen bescheinigt werden. Bei der Weitergabe von Bescheinigungen muss unbedingt die ärztliche Schweigepflicht beachtet werden: Am besten ist das Mitgeben der arbeitsmedizinischen Bescheinigung zur Weitergabe durch den Betroffenen an den Arbeitgeber. Durch die Weitergabe erklärt der beurteilte Arbeitnehmer juristisch „konkludent“ (= stillschweigend) sein Einverständnis. Direkte Weitergabe durch den Arbeitsmediziner an den Arbeitgeber nur mit schriftlichem Einverständnis des Betroffenen. Auf die Vorschriften der DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) sei ebenfalls verwiesen.

Erwähnt werden muss zum Schluss, dass dies nur eine grobe Übersicht über dieses schwierige Thema ist. Weitere Einzelheiten finden Sie in der Veröffentlichung des Autors „Arbeitsmedizinische Einschränkungen bei bestimmten Erkrankungen“ –

Internet www.arztinf.de.


Dr. med. Heinz Beckers

Arzt für Arbeits-/Verkehrs-/Umwelt-/Reisemedizin

ehem. Direktor Arbeitsmedizinisches Zentrum DEUTZ® AG Köln

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