Ergonomie

Dachpfannengewichte – ergonomisch begründete Empfehlungen maximaler Belastungen

Zusammenfassung Das Verlegen von Dachpfannen (DPF) wurde ergonomisch analysiert, um die gesundheitliche Akzeptanz der Lastgewichte einzuschätzen. Handhabungen, Körperhaltungen, Hand-Arm-Belastungen und Arbeitsschwere wurden beurteilt. Dies erfolgte mit vier arbeitsphysiologischen Beurteilungsverfahren. Der untere Rücken und das Hand-Arm-System werden von den einseitigen, langzeitig monotonen Belastungen hoch beansprucht. Mit keinem Verfahren konnten die Belastungen der Hände/Arme zufriedenstellend abgebildet werden. Die Ergebnisse zeigen dennoch, dass die Arbeit mit üblichen DPF eine tolerable Hand-Arm-Belastung ist, die allerdings bei langzeitiger Einwirkung als Belastung im Grenzbereich anzusehen ist. Schlüsselwörter

· Dachdecker

· Hand-Arm-Belastungen

· Arbeitsphysiologische Abschätzung

· tiler

· hand-arm-load

· physiological estimation of work load

1 Problemstellung
Steildächer bestehen in weiten Teilen Europas aus Dachpfannen (DPF), die ursprünglich wie Mauersteine aus Ton gebrannt und heute zunehmend aus Beton mit Farbzusätzen hergestellt werden. Die Bauweise mit überlappend ausgelegten DPF macht das Steildach noch immer zum langlebigsten Dach, das ein halbes Jahrhundert ohne wesentliche Reparatur bestehen kann. Seine Herstellung ist allerdings ein weitgehend manueller Arbeitsprozess, in dem DPF auf einen Holzdachstuhl gebracht, verteilt und entsprechend der DPF-Form ausgelegt werden müssen. Das Interesse von Dachdeckergewerk und Herstellern von DPF, die Grenzen der menschlich zumutbaren Belastung beim Herstellen von Steildächern zu kennen, ist begründet. Es richtet sich auf die Frage, wie weit durch Steigerung der Größe und damit der Gewichte der DPF zeiteffizient Dachflächen herzustellen sind.

Im Zentrum einer an die Autoren gerichteten Anfrage stand die maximal zu empfehlende Größe von DPF nach ergonomischen Gesichtspunkten. Sie sollte durch eine Abschätzung unterschiedlicher Belastungskriterien nach dem Prinzip einer Arbeitssystemanalyse in einem Expertenkreis beantwortet werden. Empirische Daten der Belastung und Beanspruchung waren dabei einzubeziehen.

2 Analysenmethoden
Für die Beurteilung standen folgende Methoden und Datenquellen zur Verfügung:

· Daten der arbeitsmedizinischen Vorsorge über Beschwerden und Befunde bei Dachdeckern (Hartmann & Gütschow 2000, Hartmann & Seidel 2008),

· Leistungsdaten über verarbeitete Mengen und Abläufe beim Decken von Steildächern, ergänzt durch Foto- und Videodokumentationen der wichtigsten Tätigkeiten und dabei einzunehmenden Körperhaltungen sowie der Bewegungen,

· Daten des ergonomischen Untersuchungsprogramms GONKATAST mit Hilfe des Systems CUELA zur Körperhaltungsanalyse am Arbeitsplatz (Ditchen et al. 2009),

· Methoden zur Beurteilung von Lasten und Körperhaltungen in den DIN-Normen der 1005-er Reihe in Beziehung zur Maschinenrichtlinie,

· die Tafel zur Schätzung des Energieaufwandes nach Spitzer, Hettinger und Kaminsky (1981),

· Methoden zur Beurteilung von Hand-Arm-Belastungen (RULA und OCRA-Checkliste – Einzelheiten unten bzw. bei Hoehne-Hückstädt et al. 2005) sowie die Leitmerkmalmethode Manuelle Lastenhandhabung (Steinberg et al. 2007).

Die Analysen und Beurteilungen wurden von arbeitsmedizinischen und ergonomischen Experten, Sicherheitstechnikern und Vertretern der Praxis in gemeinsamen Beratungen erarbeitet.

Im Vordergrund standen die Unterscheidung von

· akzeptablen Belastungen, durch die es zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit bis zur Lebensarbeitszeit kommt.

· tolerablen Belastungen für die zeitweilige Ausführung durch beruflich angepasste Menschen, die sich in dieser Belastung ohne erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen bewährt haben oder

· nicht tolerablen Belastungen, bei deren dauerhafter Überschreitung ein angemessener Gesundheitsschutz bei der Arbeit nicht mehr gegeben ist.

Aus den bekannten DPF-Formaten wurden für die Analyse zwei mittlere Formate ausgewählt. Von erfahrenen Dachdeckern werden akzeptiert:

a) die Frankfurter Pfanne mit einem Gewicht von ca. 4,3 kg/Stück und einer Stückzahl von 10 Stück/m2,

b) die Harzer Pfanne 7 mit einem Gewicht von ca. 5,2 kg/Stück und einer Stückzahl von 7 Stück/m2.

Ob aus wirtschaftlicher Sicht günstig erscheinende größere Pfannen auch ergonomisch zu empfehlen sind, sollte durch die Analyse der Effekte bei den vorliegenden Pfannen abgeschätzt werden. Diese Fragestellung ist zugleich von übergreifendem Interesse sowohl für die Beurteilung der Arbeitsbelastungen der Dachdecker als auch zum generellen Vorgehen bei der Beurteilung von Hand-Arm-Arbeiten (einseitig und beidseitig) mit Lasten von mindestens 5 kg in anderen Gewerken der Bauwirtschaft.

Für die Beurteilung wurden drei Tätigkeiten unterschieden:

I. Belader – Beladen des Schrägaufzuges

Er übernimmt DPF-Pakete von 4 bis 6 Stück mit einem Einzelgewicht/Stück von 4,3 bis 5,2 kg und setzt sie von der Palette auf den Schrägaufzug vor dem Körper. Die Tagesleistung des Beladers beträgt bei Zuarbeit für zwei Verleger mit je 80 m2 und 10 DPF je m2 entsprechend 800 DPF oder ca. 175 Paketumsetzungen bei einem Paketgewicht von 25 kg.

II. Verteiler – Abnehmen und Verlegen auf Rollbock (Ziegelboy)

Er übernimmt die Last vom Schrägaufzug. Dieser endet etwa in Mitte der Dachhöhe, evtl. im oberen Drittel. Die Aufgabe des Verteilers ist das Aufnehmen und Weiterreichen bzw. Werfen der DPF zum Verlegebereich, in dem sich der Verleger (III siehe unten!) befindet. Der Zeitaufwand wurde kategorisiert in Wurfweiten zwischen 40 % in 6 m Entfernung und etwa 40 % in 2 m Entfernung sowie das Umsetzen ohne Werfen für etwa 20 % der DPF. Die Oberkörperhaltung ist dabei leicht vorgeneigt und bis ca. 60° um die Längsachse tordiert.

III. Verleger – Verlegen der DPF

Seine Aufgaben sind zunächst das Abnehmen oder Fangen der DPF entsprechend der vom Verteiler zugereichten oder zugeworfenen Menge sowie das Eindecken in leicht vorgeneigter Oberkörperhaltung mit Torsionen bis ca. 60° um die Längsachse.

3.1 Arbeitsmedizinische Daten
Aus den arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen an 7 066 Dachdeckern (Tabelle 1) lassen sich unter Korrektur des Alterseinflusses und im Vergleich mit Beschäftigten an Büroarbeitsplätzen (white collar) erhöhte Risiken für ärztlich feststellbare Befunde darstellen. Dabei konnte wegen wechselnder Arbeitsaufträge keine Trennung zwischen Dachdeckern erfolgen, die vorwiegend auf dem Steildach mit DPF und solchen, die vorwiegend auf dem Flachdach ohne DPF arbeiten. Im Vergleich mit wenig belasteten männlichen Beschäftigten aus White-Collar-Tätigkeiten (Geschäftsführer, Bauleiter, Verwaltungsmitarbeiter) fallen signifikant erhöhte Risikomerkmale (Odds-Ratios) an den Ellenbogen- und Handgelenken sowie in der Lendenregion auf. Beim Vergleich mit anderen gewerblichen Beschäftigten der Bauwirtschaft sind diese Merkmale weniger deutlich, da sie in der Regel handwerkliche Tätigkeiten ausüben.

Bereits früher waren in einer Befragung 4 640 Bauarbeiter, darunter 274 Dachdecker, in einem Körperschema nach den häufig auftretenden Beschwerden in einer 3-fachen Abstufung (gering, mäßig, stark) befragt worden (Hartmann & Gütschow 2000). Bei ihnen fielen signifikante Beschwerdenhäufungen an den Knie- und Sprunggelenken (OR = 1,36/1,55) sowie nicht signifikante Erhöhungen an den Handgelenken und in den Schulterregionen (OR = 1,21/1,10) auf.

3.2 Beurteilung der manuellen Lastenhandhabung
Der Umgang mit DPF ist zunächst als manuelle Handhabung von Gegenständen unter bestimmten Körperhaltungen und -bewegungen zu betrachten. Dafür gibt die DIN EN 1005–2 (2002) – Teil 2 „Manuelle Handhabung von Gegenständen in Verbindung mit Maschinen und Maschinenteilen“ eine fachlich fundierte Orientierung. Sie ist zwar auf die Neugestaltung von Maschinen und Geräten gerichtet. Die ihnen zugrunde liegenden Kriterien entsprechen jedoch dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er auch von NIOSH und in der ISO (ISO 11228 – 1.2 „Ergonomics – Manual handling – Part 1: Lifting and carrying (1999)“) repräsentiert wird. Es ist deshalb üblich geworden, sich auf diese Berechnungen zu stützen (Siehe auch BGR 7011). Die Abschätzung des RML-Wertes („recommended weight limit“) mit der Formel der DIN 1005–2 und der Orientierung an biomechanisch-energetischen Kriterien führt vereinfacht zu folgender Einschätzung:

RML = MC x VM x DM x HM x AM x CM x FM

Für das Verlegen von 50 m2 werden folgende Annahmen gemacht:

· MC – Massenkonstante = 25 kg (Männer),

· VM/DM – Höhenmultiplikator/Hubmultiplikator: angenommener Hub von 15 auf 55 cm,

· HM – Griffentfernung 35 cm,

· AM – Asymmetrie (Verdrehung) des Rückens zur Seite von jeweils 15°

· CM – Greifqualität: gut; entsprechend also ohne Einfluss auf das Ergebnis

· FM – Frequenzmultiplikator bezogen auf eine Schichtdauer >2 Stunden und 500 Vorgängen bei Verwendung der Frankfurter Pfanne (FP; 4,3 kg) bzw. 375 Vorgängen bei Verwendung der Harzer Pfanne (HP; 5,2 kg).

Es errechnet sich daraus für alle DPF-Formate die empfohlene Massegrenze

a) bei Zufassung in einhändiger Arbeit von 5,6 kg

b) bei Zufassung in beidhändiger Arbeit von 9,3 kg.

Die Verlegeleistungen sind aus biomechanisch-energetischer Sicht der Ganzkörperbelastung hiernach noch zulässig. Für Einhandarbeiten wird jedoch ein Limit von 5,6 kg vorgegeben.

Bei den Beladearbeiten werden mehrere DPF gleichzeitig erfasst, wie das insbesondere am Beladen des Schrägaufzugs realistisch ist. In beobachteten Beispielen werden mit zwei Händen gleichzeitig 5 DPF mit 21,5 kg (FP) bzw. 26 kg (HP) bewegt, was für die HP aus ergonomischer Sicht sogar bei geringer Hebefrequenz außerhalb des empfohlenen Maximums von 25 kg liegt. Letzteres ist als Grenzlast unter optimalen Handhabungsbedingungen und seltener Ausführung ein Ausnahmefall, der hier nicht zutreffen kann. Für die FP ist die Belastung hier deutlich grenzwertig.

Hier nicht betrachtete ähnliche Verhältnisse werden auch für besonders leichte DPF (Biberschwanz) mit einem Einzelgewicht von 1,9 kg im 12er-Pack von insgesamt 21,8 kg erreicht.

Für eine Orientierung über die Arbeitsschwere kann zusätzlich die Schätzung des Energieaufwandes nach den Tafeln von Spitzer, Hettinger und Kaminsky (1981) vorgenommen werden (Tabelle 2). Sie stuft aus energetischer Sicht die Tätigkeiten

· des Beladers mit ca. 18 kJ/Minute als körperlich sehr schwer,

· des Verteilers in der Kombination des Umgangs mit Ziegelpaketen und Einzelziegeln mit 15 kJ/Minute als schwer sowie

· des Verlegers mit der knienden Einarmarbeit als mittelschwer ein.

3.3 Muskelbelastung in der Region der Lendenwirbelsäule
Die mit dieser Belastung verknüpfte Beanspruchung der Muskeln des Rückens ist erheblich, weil längere Zeit in gebückter Haltung bei wechselnden Beugewinkeln gearbeitet wird, zwischen denen keine oder keine erheblichen Pausen entlastender Haltungen für diese Streckermuskulatur eintreten.

Für die Beurteilung zulässiger bzw. empfohlener Zeiten der Tätigkeit in gebückter Haltung gibt es international nur einen begrenzten Konsens und wenige sichere Orientierungswerte. Eine Hilfe ist die Norm DIN EN 1005–4 „Bewertung von Körperhaltungen und Bewegungen bei der Arbeit an Maschinen“, deren Kriterien inhaltlich auch auf andere Arbeitssituationen übertragbar sind, wenngleich sie eine beschränkte Verbindlichkeit gemäß dieser Norm zur Interpretation der Maschinenrichtlinie haben. Die Rumpfneigung vorwärts wird eingenommen vom

· Belader in den dort sog. „Zonen“ der Vorneigung zwischen 0°-<20° und 20°-<60° im Wechsel – bewertet als akzeptabel hinsichtlich statischer Rumpfhaltung, · Verteiler auf dem Dach überwiegend in der Vorneigung zwischen 20° und <60° bei wechselndem Beugewinkel und Bewegungen des Rückens mit Muskelarbeit – bewertet als bedingt akzeptabel hinsichtlich statischer Rumpfhaltung, da belastungsarme Zeiten zur Erholung eingeschränkt sind, · Verleger auf dem Dach, die Vorneigung zwischen 20° und <60° bei wechselndem Beugewinkel und Bewegungen des Rückens mit Muskelarbeit – bewertet als bedingt akzeptabel hinsichtlich statischer Rumpfhaltung, da belastungsarme Zeiten zur Erholung eingeschränkt sind. 3.4 Hand-Arm-Belastungen
Hand-Arm-Belastungen stellen nach den Ergebnissen der Epidemiologie wahrscheinlich den größten Engpass der Bewältigung der Arbeiten des Dachdeckers dar. Für die Beurteilung von Hand-Arm-Belastungen stehen nach den Recherchen von Hoehne-Hückstädt et al. (2007) im internationalen Konsens insbesondere drei Verfahren im Mittelpunkt:

· Hand-Activity-Level (HAL) zur Bestimmung des sog. TLV’ = Threshold Limit Values (Bao et al. 2008),

· RULA-Verfahren (Rapid Upper Limb Assessment Mc Atamney 1993),

· OCRA-Verfahren (Occupational Risk Assessment of repetitive movements and exertions of the upper limb) in zwei Varianten, von denen hier die Checkliste verfolgt werden soll (Colombini et al. 2000, 2002).

Alle Verfahren und die dazu erforderlichen Kriterien und Beurteilungsbögen sind in einer Publikation von Hoehne-Hückstädt (2005) in deutscher Sprache beschrieben, im Internet zugänglich und können dort nachvollzogen werden (http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/pdf/rep05/biar0405/rep4_05.pdf). Hier werden deshalb nur die Ergebnisse in tabellarischer Form wiedergegeben.

Weiterhin wurde als Screeningverfahren von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Steinberg et al. 2007) die „Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse“ entwickelt, deren Anwendbarkeit hier gleichfalls geprüft werden soll.

Die HAL-Werte (TLV = Threshold Limit Values) geben Grenzwerte für Kombinationen aus Kraftaufwendung und Aktivitätsgrad der Hände an. Sie sind anwendbar auf monotone Tätigkeiten, in denen sich sehr ähnliche Bewegungsabläufe und Kraftaufwendungen wiederholen, die mindestens vier Stunden am Tag ausgeführt werden. Unter dem Aspekt der Prävention werden zwei Grenzlinien, nämlich das Aktionslimit und das tatsächliche Schwellenlimit definiert. Das Aktionslimit markiert die Kombinationen von Kraftaufwand und Handaktivitätsgrad, bei denen allgemein Kontrollen empfohlen werden; das Schwellenlimit markiert die Kombinationen von Kraftaufwand und Handaktivitätsgrad, die mit einer erhöhten Prävalenz von Muskel-Skeletterkrankungen der oberen Extremitäten einhergehen. Tatsächlich sind die Tätigkeiten beim Eindecken eines Daches nicht ausreichend gleichförmig im Sinne des definierten Anwendungsbereichs; die Handaktivität und der Kraftaufwand variieren je nach der Stelle, die gerade auf dem Dach gedeckt wird. Vernachlässigt man dieses und versucht eine gemittelte Einschätzung der Kraftaufwendungen und der Handaktivität, führt der niedrige Handaktivitätsgrad und der relativ geringe Gewichtsunterschied zwischen den beiden DPF-Typen zu keiner differenzierenden Beurteilung.

RULA: Eine Abschätzung mit dem RULA-Verfahren (Tabelle 3) kommt insgesamt zu einer hohen Risikoeinschätzung (7 Punkte von maximal 7 möglichen Punkten). Das RULA-Verfahren vergibt dafür zunächst getrennt Punkte in den drei Belastungselementen

· Arm- und Handgelenkshaltung,

· Hals-, Oberkörper- und Beinhaltung sowie

· Zusatzfaktoren für Muskelarbeit/ Lasten.

Hier nicht darstellbar ist die Zusammenfassung der Punkte jedes Belastungselements in einer von den RULA-Autoren jeweils empirisch festgelegten Matrix. Verfolgt man die Entstehung der jeweiligen Punktwerte nach den Einzelkriterien, dann hat der Verteiler die ungünstigsten Werte der Arm-/Handgelenkshaltung wegen der nach oben gerichteten Schulterabduktion, die wichtigsten Haltungsunterschiede entstehen jedoch durch seine HWS-Extension oder durch die HWS-Beugung mit Rotation sowie die Oberkörperdrehung des Verlegers.

Durch die Zusatzfaktoren für Muskelarbeit der Arme und Hände entstehen für den Belader die höchsten Einschätzungen, weil er Gesamtpakete von ca. 22,5 bis 27,5 kg (hier nur >10 kg klassifiziert) Gewicht beidhändig umsetzt, während die Verteiler und Verleger zwei DPF bzw. nur eine Pfanne teilweise einhändig bewegen.

Als Resumé bleibt festzustellen, dass die muskulär lokal belastende Arbeit, die auch die Sehnenansätze einschließt, einzeln hoch bewertet wird, die Haltungsbelastung des Hand-Arm-Systems dagegen nur mäßig. Die bei RULA betrachteten Haltungswerte von Hals, Oberkörper und Beinen sind von zusätzlichem Wert für die Beurteilung der Gesamtbeanspruchung, tragen jedoch nichts zur Beurteilung eines Hand-Arm-Risikos bei.

Eine Differenzierung zwischen den drei betrachteten Arbeitsaufgaben wird durch RULA nicht erreicht.

OCRA-Checkliste: Eine Abschätzung mit dem OCRA-Verfahren entspricht dem in der Normung für die DIN EN 1005–5 „Risikobeurteilung für repetitive Tätigkeiten bei hohen Handhabungsfrequenzen“ (noch im Entwurf in der Abstimmung) empfohlenen Verfahren. In der Tabelle 4 dargestellt sind 5 verschiedene Belastungselemente zu berücksichtigen:

· Erholung (Zeitregime/Art der Arbeitsunterbrechungen),

· Frequenz (Armaktivität und Ausführungsfrequenz der Arbeitszyklen),

· Kraft (wiederholter kraftvoller Einsatz der Hände/Arme über zu bestimmende Zeiträume),

· Haltung (Armhaltungen/wiederkehrende identische Bewegungen der Schulter, des Ellenbogens, der Hand/Handgelenke, Greifen von Gegenständen),

· zusätzliche Risikofaktoren.

Die Punktsumme aller fünf Belastungselemente wird beurteilt, wobei nach Auffassung der Autoren bereits ab 19 Punkten eine sehr ungünstige Bewertung (rot = sog. hohes Risiko) vorliegt.

Wichtige Belastungen, die zu einer entsprechend hohen Punktzahl beitragen, sind

· der kraftvolle Einsatz der Arme und Hände beim Verteilen,

· der mäßige Kraftaufwand mehr als die Hälfte der Zeit beim Verteiler,

· identische Schulter- und Ellenbogenbewegungen Verteiler.

Das Verfahren differenziert somit zwischen den drei Arbeitsaufgaben.

· Es stuft den Verteiler am ungünstigsten ein. Die Tätigkeit auf dem Steildach unter entsprechenden Körperhaltungen beim Annehmen der DPF (Ende des Transportbandes, Lage der Palette auf einem Ziegelboy) und Weitergabe an den Einbauort überwiegend durch Werfen verursacht diese Bewertung, die gemäß diesem Verfahren ein hohes Risiko für AMSE-OE anzeigt.

· Die geringste Punktsumme, die jedoch auch ein mittleres Risiko für AMSE-OE angibt, erhält der Verleger, wobei für ihn wegen der notwendigen Bewegungen des Handgelenks die Beurteilung ungünstig ausfällt.

LMM Manuelle Arbeitsprozesse: Diese Leitmerkmalmethode dient als Orientierung über das Vorhandensein von Risiken durch manuelle Lastenhandhabung und richtet sich nach der „reinen Lehre“ der Gefährdungsbeurteilung eigentlich an Unternehmer. In der Handlungsanleitung wird angegeben, dass diese Methode der Beurteilung von Tätigkeiten mit geringen Aktionskräften bis 20 N oder Gewichten bis 5 kg dient. Die Arbeitsausführung soll dafür überwiegend im Finger-Hand-Arm-Bereich erfolgen. Somit wäre sie auf den Verleger anwendbar. Die darin enthaltenen Kriterien bedürfen allerdings auch hier der Beschäftigung mit der Problemstellung und einem Mindesthorizont von Erfahrungen. Die Ergebnisse der Beurteilung sind in Tabelle 5 dargestellt. Die LMM trennt die Kriterien in

· die Zeitgewichtung nach Frequenz und Zusatzinformationen über die Zeitdauer,

· Lasten,

· Art der Kraftausübung,

· Arbeitsorganisation / Taktbindung,

· Ausführungsbedingungen,

· Körperhaltung und

· Hand-Arm-Stellung und -Bewegung.

Es ergeben sich für alle drei Tätigkeiten etwa gleiche Punktwerte oberhalb der Schwelle von 50 und damit nach dem Ampelmodell im „roten Bereich“. Die etwas günstigere Körperhaltung des am Boden stehenden Beladers führt zu einem geringeren Punktwert. Die als Zielorgan betrachtete Hand-Arm-Region lässt sich mit Hilfe der LMM-Methode „Manuelle Arbeitsprozesse“ hier nicht differenzieren.

4 Diskussion
Die Gesamtbeurteilung der Tätigkeiten des Dachdeckers läßt erkennen, dass es sich trotz mäßiger Einzelgewichte der DPF insgesamt um eine schwere körperliche Arbeit handelt, für die die empfohlene Massegrenze fast erreicht bis überschritten wird und für die ein Energieumsatz zwischen mittelschwerer und sehr schwerer Arbeit abzuschätzen ist. Die Verlegearbeiten sind dabei günstiger als der manuelle Transport von Paketen und Einzelpfannen zum Einbauort. Da es sich jedoch im Arbeitsleben um angepasste Personen handelt, werden wo möglich – hier beim Verteilen der DPF – statt der günstigeren Einzelgewichte um 5 kg in der Regel zwei DPF zugleich weiter gereicht bzw. geworfen.

Diese auch aus anderen Untersuchungen bekannte Tatsache, dass begrenzte Einzellasten von den Beschäftigten im Interesse einer hohen Arbeitsleistung zusammengefasst werden, bis eine tolerable Schwelle der Dauerbelastung erreicht wird, setzt den praktischen Bemühungen der Ergonomie bei Handwerksarbeiten Grenzen.

Als üblicher Maßstab der Belastbarkeit gilt hier offensichtlich eine tolerable Belastung für Männer im jüngeren und mittleren Erwerbsalter bei hinreichender Einarbeitung. Auf alternde Beschäftigte mit beginnenden Degenerationsprozessen kann diese Belastung wahrscheinlich nicht übertragen werden, wie sich aus den Beschwerden und Befunden bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge ergibt.

Belastungen des Rückens durch Zwangshaltungen sind als erheblich einzustufen, wobei die auf dem Dach arbeitenden Verteiler und Verleger betroffen sind, weil sie nur geringe Chancen haben, sich aus der vorgebeugten Oberkörperhaltung wieder so lange bis in eine neutrale Haltung von <20° Vorbeugung aufzurichten, bis es zur Erholung der Rückenmuskulatur kommt. Diese Belastung ist vielen anderen Rückenbelastungen von Bauhandwerkern vergleichbar, wird aber auch im statistischen Vergleich mit deren Befunden signifikant häufiger (OR = 1,15 bei Muskelhärte der LWS-Region) gefunden. Eine weitere Vertiefung der Beurteilung wäre durch die elektromyographische Messung der Belastung und Ermüdung der großen Rückenstreckermuskeln möglich. Die Tätigkeiten des Dachdeckens auf dem Steildach gehen zwar mit hohem Kraftaufwand einher, der von den Muskeln der oberen Gliedmaßen aufgebracht werden muss. Nach den ergonomischen Vereinbarungen in den angewandten Methoden stellt dieses noch keine hoch repetitive Tätigkeit dar. Aus diesem Grunde konnte keine sinnvolle Bewertung mit dem HAL-Verfahren (Hand Activity Level) vorgenommen werden. Mit keinem der Verfahren konnten die Belastungen der Hände und Arme zufriedenstellend abgebildet und entsprechend gut beurteilt werden. Die Verfahren zu repetitiven Tätigkeiten betrachten zumeist höhere Handhabungsfrequenzen und demzufolge geringere Kraftaufwendungen. Die Tätigkeiten des Dachdeckers beim Verteilen und Verlegen stellen also Belastungen dar, die weder mit den Beurteilungsverfahren für repetitive Tätigkeiten noch für Lastenhandhabungen umfassend beschrieben und bewertet werden können. Weiterhin ist festzustellen: Mit keinem verfügbaren Verfahren kann die erhebliche Zusatzbelastung durch die Beschleunigungskräfte in den Hand- und Unterarmstrukturen beim Werfen sowie beim Fangen der Ziegel abgeschätzt werden. Erfahrungsgemäß werden immer 2 Ziegel geworfen, was die Kräfte deutlich steigert und was zu kurzzeitigen Spitzenbelastungen für Sehnenansätze und Muskeln führt. Diese sind nach unseren Erkenntnissen spürbar und führen zu medizinischen Befundhäufungen in Unterarm und Hand. Aus vergleichbaren Untersuchungen über die elektrische Muskelaktivität (EMG) und aus dynamischen biomechanischen Modellierungen über die Spitzenkräfte in Muskeln und Sehnen bei der Auslösung von Explosivkraft (Werfen) und bei negativ-dynamischer Arbeit des Fangens sind jedoch kurzzeitige Spitzenwerte vom Vielfachen der sonstigen Belastungshöhen bei statischer Betrachtung bekannt. Sie zählen zu den wichtigsten Auslösern sog. „cumulative trauma disorders“ (CTD). 5 Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es sich bei der Arbeit mit DPF im bisher üblichen Gewichtsbereich um eine tolerable Hand-Arm-Belastung handelt, die von den meisten Dachdeckern innerhalb einer längeren Lebensspanne ertragen wird.

Die Erkenntnisse über langzeitige Wirkungen auf das Muskel-Skelett-System belegen, dass es sich um Belastungen im Grenzbereich handelt, die nicht als dauerhaft akzeptabel gelten sollten.

Eine von der Industrie nachgefragte weitere Erhöhung der Pfannengewichte ist aus ergonomischer Sicht nicht zu empfehlen: Es ist damit zu rechnen, dass ein höherer Anteil der Beschäftigten beim regelmäßigen Umgang mit diesen DPF Beschwerden am Hand-Arm-System bekommen wird.

Eine weitere Erhöhung der Belastungen sollte auch vermieden werden, weil durch den demographischen Wandel ein größerer Anteil von älteren Beschäftigten mit sinkender körperlicher Belastbarkeit diese Belastungen tolerieren soll, wenn die sonstige gesundheitliche Entwicklung eine Arbeit auf dem Steildach zulässt.

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12. Hartmann B & Gütschow S (2000). Topographie der Rückenschmerzen und Gelenkbeschwerden bei Bauarbeitern – Arbeitsmedizinische Studie. Schriftenreihe Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin in der Bauwirtschaft – Band 15. – Frankfurt am Main. Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft

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18. Steinberg U, Behrendt S, Caffier G, Schultz K, Jakob M (2007). Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse. Forschung Projekt F 1994. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arvbeitsmedizin. Dortmund Berlin Dresden

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