Zusammenfassung Da im Laufe des letzten Jahrzehnts eine Reihe von Regelwerken zur Bewertung von Ganzk߶rperschwingungen am Arbeitsplatz ß¼berarbeitet oder neu verabschiedet worden waren, bot es sich an, mit finanzieller Unterstß¼tzung der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) das noch komplett verfß¼gbare Datenmaterial der epidemiologischen Studie ߢ”¬Å¾Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Å aus den 1990-er Jahren zu reanalysieren. In jener Studie waren fß¼r 388 Fahrer von verschiedenen Arbeitsgerߤten die Ganzk߶rperschwingungsbelastungen wߤhrend des gesamten Arbeitslebens und ihr medizinischer Wirbelsߤulenbefund einschlieߟlich Anamnese ausfß¼hrlich erhoben und standardisiert dokumentiert worden. Die Reanalyse ergibt, dass die Schwingungen in der y-Achse bedeutsamer sind als frß¼her angenommen und dass der neue Kennwert Tagesexposition A(8) einen validen Prߤdiktor der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å darstellt. Ein erh߶htes Risiko fß¼r diese Diagnose ist bei einem Schwellenwert von A(8) = 0,63 m/s2 zu beobachten und ein weiterer Risikoanstieg bei einer Belastung ß¼ber der 16-Jahres-Dosis dieses Wertes. Schlagw߶rter
߷ Ganzk߶rperschwingungen
߷ Lendenwirbelsߤule
ß· Lumbalsyndrom
ß· Schwellenwert
ß· Schwingungsdosis
ß· Whole-body vibration
ß· lumbar spine
ß· lumbar syndrome
ß· threshold value
ß· vibration dose
1 Einleitung
Gesundheitliche Auswirkungen von arbeitsbedingten Belastungen durch mechanische Ganzk߶rpervibrationen (GKV) im Sitzen, wie sie z.B. bei Fahrern von Erdbaumaschinen oder auch bei LKW- und Gabelstaplerfahrern auf unebenem Gelߤnde auftreten, waren schon in den 1980-er Jahren Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen1. Zur weiteren Klߤrung der Frage, bei welchen Schwellen- und Dosiswerten der Schwingungsbelastung degenerative Schߤden der Lendenwirbelsߤule (LWS) zu erwarten sind, initiierte der HVBG Anfang der 1990-er Jahre das Verbund-Forschungsvorhaben ߢ”¬Å¾Epidemiologische Studie ߢ”¬Å¡Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Ë ߢ”¬Å, an der insgesamt 388 exponierte Fahrer aus Mitgliedsbetrieben der Tiefbau-BG, der BG fß¼r Fahrzeughaltungen und der Masch-BG teilnahmen2, 3. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie bestand u.a. darin, dass bereits bei einem Schwellenwert fß¼r die Tagesdosis von Beurteilungsbeschleunigung awz(8) = 0,63 m/s2 (damals noch Beurteilungsschwingstߤrke KZr = 12,5) und nicht erst bei einem Wert von awz(8) = 0,81 m/s2 deutliche Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen Schwingungsdosis und der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å zu beobachten sind.
Seit dieser Zeit haben sich in der Bewertung von Ganzk߶rperschwingungen am Arbeitsplatz grundlegende Verߤnderungen vollzogen. Mit der Einfß¼hrung der BK 21084 ߢ”¬Å¾Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsߤule durch langjߤhrige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzk߶rperschwingungen im Sitzen ߢ”¬Â¦ß¢”¬Å stellen sich erh߶hte Anforderungen hinsichtlich der Beurteilung des Ausmaߟes und des Kausalzusammenhangs degenerativer LWS-Schߤden. Die EU-Richtlinie 2002/44/EG5 zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefߤhrdung durch Vibrationen fß¼hrt die Tagesexposition A(8) als neuen Belastungskennwert ein, die der h߶chsten Beurteilungsbeschleunigung aw(8) aus den drei Achsen entspricht, wobei die x- und y-Achse mit dem Faktor 1,4 gewichtet werden. Die ߢ”¬Å¾Verordnung zum Schutz der Beschߤftigten vor Gefߤhrdungen durch Lߤrm und Vibrationenߢ”¬Å (LߤrmVibrationsArbSchV)6 setzt diese Richtlinie mit leichten Modifikationen in deutsches Recht um, so dass auch hier neue Richtwerte auf der Basis der Tagesexposition A(8) gelten: ein Ausl߶sewert von 0,5 m/s2 und Expositionsgrenzwerte von 0,8 m/s2 in z-Richtung bzw. 1,15 m/s2 in x- oder y-Richtung.
2 Reanalyse von Daten der epidemiologischen Studie ߢ”¬Å¾Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Å
Da zu den angesprochenen Verߤnderungen in der Bewertung von Ganzk߶rperschwingungen am Arbeitsplatz kaum empirische Erkenntnisse vorliegen, wurde unter F߶rderung durch die DGUV ab 2007 ein Forschungsvorhaben durchgefß¼hrt, in dem die Daten der epidemiologischen Studie ߢ”¬Å¾Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Å im Hinblick auf die neuen Fragestellungen und Beurteilungsgr߶ߟen reanalysiert werden sollten. Fß¼r die gesamte Stichprobe von 388 Fahrern von Gabelstaplern, Lastkraftwagen und Erdbaumaschinen waren damals detaillierte Angaben zur Schwingungsbelastung in allen Tߤtigkeitszeitrߤumen ihres Arbeitslebens erhoben worden. Alle Studienteilnehmer waren von denselben ß”rzten nach standardisierten Vorgaben befragt, untersucht und ger߶ntgt worden, so dass valide Daten von hoher Qualitߤt vorlagen. Daher erschien es forschungs߶konomisch sinnvoll, die Angemessenheit und Aussagekraft der neuen Bewertungsansߤtze an Hand dieser sorgfߤltig erhobenen Daten zu ß¼berprß¼fen.
Fß¼r die insgesamt 1 477 Tߤtigkeitszeitrߤume des untersuchten Kollektivs wurden daher die Original-Belastungsdaten den verߤnderten Frequenzbewertungen nach den Neufassungen der Richtlinien ISO 2631ߢ”¬”17 und VDI 20578 angepasst und es wurden fß¼r jeden Zeitraum neue Werte der Beurteilungsbeschleunigung aw(8) in allen drei Schwingungsachsen berechnet: der vertikalen z-Achse und den horizontalen x- und y-Achsen. Zu Vergleichszwecken wurden daraus fß¼r die weiteren Analysen weitere Tages-Belastungskennwerte berechnet:
߷ die Tagesexposition A(8) nach der LߤrmVibrationsArbSchV
ß· der Schwingungsgesamtwert (Vektorbetrag) awv(8) mit der Gewichtung k = 1,0 fß¼r alle Richtungen sowie mit k = 1,4 fß¼r die x- und y-Achse
sowie weitere Kennwerte auf Basis des vibration dose value (eVDV und VDV), die vor allem im angloamerikanischen Raum verwendet werden und die den Beschleunigungseffekt stߤrker gewichten mit der 4. Potenz.
Um auch den Einfluss der Expositionsdauer zu ber߼cksichtigen, wurden auf der Grundlage der verschiedenen Tages-Belastungskennwerte des Weiteren individuelle Dosiswerte f߼r die Summe der Tߤtigkeitszeitrߤume des gesamten Arbeitslebens berechnet nach der allgemeinen Formel:
DV = S Tagesbelastung2 ߢ”¬Â¢ 221 Arbeitstage/J. ߢ”¬Â¢ Expositionsjahre,
wobei fß¼r Berechnungen auf Basis des vibration dose value natß¼rlich eine modifizierte Formel mit Berß¼cksichtigung der 4. Potenz der Beschleunigung anzuwenden war.
Bezß¼glich der Wirkungsseite war in der epidemiologischen Studie ߢ”¬Å¾Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Å eine Vielzahl von Outcome-Variablen analysiert worden, um eine m߶glichst plausible Abgrenzung zwischen schwingungs- und altersbedingten Anteilen degenerativer LWS-Verߤnderungen zu erreichen. Die medizinische Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å (und die Unterdiagnosen ߢ”¬Å¾lokales Lumbalsyndromߢ”¬Å und ߢ”¬Å¾lumbales Wurzelsyndromߢ”¬Å), wie sie auf Grund von Anamnese, klinischer Untersuchung und R߶ntgenbefund zusammenfassend getroffen wurden, hatten sich als das aussagekrߤftigste Zielkriterium fß¼r degenerative Verߤnderungen der Lendenwirbelsߤule erwiesen. Die im Folgenden berichteten Zusammenhangsanalysen zwischen Schwingungsbelastung und LWS-Zustand beschrߤnken sich daher auf diese Outcome-Variablen. Vorgestellt werden hier nur Ergebnisse, die mit einer bereinigten Stichprobe von n = 315 Personen gewonnen wurden, bei denen lt. Anamnese vor dem Ende des ersten Expositionsjahres noch keine LWS-Beschwerden irgendeiner Art aufgetreten waren.
3.1 Einfluss der maximalen Tagesbelastung auf die medizinischen Diagnosen
Zur vergleichenden Beurteilung der aufgefß¼hrten Tages-Belastungskennwerte wurden logistische Regressionsanalysen durchgefß¼hrt, in denen alternierend jeweils eines der genannten Schwingungsbelastungsmaߟe als Prߤdiktor neben personenbezogenen Variablen wie Alter, Body Mass Index usw. eingesetzt wurden, um eine Gleichung fß¼r die Vorhersage des Ereignisses ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å zu erhalten. Wie schon erwߤhnt, wurde jeweils der maximale Tagesbelastungswert des Tߤtigkeitszeitraums mit der h߶chsten Belastung des betreffenden Teilnehmers verwendet, da ja in diesem Kollektiv die einzelnen Tߤtigkeitszeitrߤume in der Regel schon Belastungen ß¼ber eine Reihe von Jahren darstellen. Vergleichende Berechnungen mit dem durchschnittlichen Tagesbelastungswert lieferten grundsߤtzliche gleich gerichtete, aber schwߤcher ausgeprߤgte Ergebnisse.
In allen logistischen Regressionen erwies sich das Lebensalter als stߤrkster Prߤdiktor der Zielvariablen ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å, gefolgt von der Schwingungsbelastung als zweitem und meist signifikantem Prߤdiktor. Fß¼r den Prߤdiktor ߢ”¬Å¾maximale Tagesexposition A(8)ߢ”¬Å ergeben sich z.B. folgende Odds Ratios als Maߟ des ߢ”¬Å¾Chancenverhߤltnissesߢ”¬Å, auf Grund des betreffenden Prߤdiktors die Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å zu erhalten:
ß· Lebensalter in Jahren OR = 1,05; CI95%: 1,03 / 1,08
ß· Tagesexposition A(8) in Schritten von 0,1 m/s2 OR = 1,15; CI95%: 1,06 / 1,24
Pro Belastungszuwachs von 0,1 m/s2 ergibt sich damit ein Risikozuwachs fß¼r die Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å von 15%. Stߤrkster Prߤdiktor ist aber das Lebensalter mit einem Risikozuwachs von 5% mit jedem Lebensjahr.
Abbildung 1 stellt im Vergleich dar, welche Odds Ratios sich ergeben, wenn man die gleiche Berechnung alternierend mit einem der anderen aufgef߼hrten Belastungskennwerte als Prߤdiktor durchf߼hrt. Insgesamt liegen alle OR-Werte in einem recht schmalen Bereich von 1,1 bis 1,23 nahe beieinander. Die unteren Grenzen der eingetragenen Konfidenzintervalle (CI95%) liegen alle ߼ber 1.
Aus diesem Vergleich ergeben sich also keine zwingenden Prߤferenzen f߼r den einen oder anderen Belastungskennwert. Auffߤllig und erwߤhnenswert ist auf jeden Fall, dass die Tages-Beurteilungsbeschleunigungen in der y-Achse und auch in der x-Achse die h߶chsten Odds Ratios (bei relativ groߟem Konfidenzintervall) erreichen, wߤhrend doch fr߼her in Fachkreisen eher die Schwingungsbelastung in z-Richtung als ausschlaggebend f߼r eventuelle LWS-Schߤden angesehen wurde. Offensichtlich spielen Scherkrߤfte in der horizontalen Ebene bei ausreichender Intensitߤt eine gr߶ߟere Rolle in der Entwicklung degenerativer Verߤnderungen, als bisher angenommen wurde.
Kurz sollen noch die Ergebnisse erwߤhnt werden, die sich bei den gleichen Regressionsanalysen fß¼r die beiden Unterdiagnosen ergeben: Fß¼r die Unterdiagnose ߢ”¬Å¾lokales Lumbalsyndromߢ”¬Å ergeben sich (ߢ”¬” natß¼rlich unter Ausschluss aller Personen mit ߢ”¬Å¾lumbalem Wurzelsyndromߢ”¬Å aus der Berechnung ߢ”¬”) tendenziell die gleichen Abstufungen zwischen den verschiedenen Kennwerten wie in Abbildung 1, aber grundsߤtzlich fallen die Odds Ratios h߶her aus ߢ”¬” in einem Bereich von 1,13 bis sogar 1,30 fß¼r die Beurteilungsbescheunigung awy(8). Der Wegfall der Personen mit ߢ”¬Å¾lumbalem Wurzelsyndromߢ”¬Å stߤrkt also den statistischen Zusammenhang zwischen Schwingungsbelastung und LWS-Beschwerden, d.h. umgekehrt, die Studienteilnehmer mit ߢ”¬Å¾lumbalem Wurzelsyndromߢ”¬Å sind geringer exponiert. Eine nahe liegende Erklߤrung fß¼r dieses Teilergebnis wߤre, dass die Symptomatik eines lumbalen Wurzelsyndroms auf Dauer nicht mit Schwingungsbelastung durch Fahrtߤtigkeiten vereinbar ist, sondern zu einem Drop-Out der Betroffenen fß¼hrt, so dass diese Diagnose mit zunehmender Exposition eher unterreprߤsentiert ist.
3.2 Einfluss von Schwellenwerten auf die Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å
Im Merkblatt zur BK 2110 werden Werte der Beurteilungsbeschleunigung awz(8) genannt, die das Risiko bandscheibenbedingter LWS-Erkrankungen in Abhߤngigkeit von der Expositionsh߶he markieren: 0,45 bis 0,5 m/s2 als Untergrenze mit geringem Gesundheitsrisiko und 0,8 m/s2 als Obergrenze mit hohem Gesundheitsrisiko sowie der Wert von 0,63 m/s2 in der Mitte dieser Gefߤhrdungszone, der beim Zusammenwirken mit anderen Risikofaktoren oder bei einer Expositionsdauer von mehr als 10 Jahren als gesundheitsgefߤhrdend anzusehen ist. Sowohl f߼r die Beurteilungsbeschleunigung awz(8) wie f߼r die Tagesexposition A(8) soll im Folgenden versucht werden, aus den Daten der GKV-Stichprobe Hinweise auf einen m߶glichen Schwellenwert der Gesundheitsgefߤhrdung durch Schwingungsexposition zu finden.
Eine relativ einfache M߶glichkeit, fß¼r das vorhandene Untersuchungskollektiv denjenigen Schwellenwert zu finden, der die beste Unterscheidung hinsichtlich der Zielvariable ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å vornimmt, besteht darin, in Schritten von 0,01 m/s2 fß¼r wachsende Schwellenwerte jeweils Regressionsrechnungen mit der Schwingungsbelastung als einzigem Prߤdiktor vorzunehmen und das b-Gewicht bzw. das OR zu bestimmen.
Als beste Vorhersage erweist sich dabei rechnerisch fß¼r die bereinigte Stichprobe:
auf der Grundlage der Beurteilungsbeschleunigung awz(8) ein Schwellenwert von 0,56 m/s2 mit OR = 3,32 [CI95%: 1,83 / 6,00]
und auf der Grundlage der Tagesexposition A(8) ein Schwellenwert von 0,58 m/s2 mit OR = 3,36 [CI95%: 1,87 / 6,05].
Diese Ergebnisse sollten nicht als Begrß¼ndung eines Schwellenwertes aufgefasst werden, sondern nur als ein wichtiger Anhaltspunkt, in welchem Belastungsbereich bei diesem exponierten Kollektiv ein ursߤchlicher Zusammenhang mit der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å besonders deutlich wird. In den Abbildungen 2 und 3 wird die Verߤnderung dieses gleitenden OR mit zunehmendem Schwellenwert fß¼r beide Belastungsmaߟe dargestellt. Die mittlere Kurve gibt jeweils das OR wieder, die beiden anderen Kurven die untere und obere Grenze des Konfidenzintervalls. Die relativ hohen Odds Ratios ergeben sich natß¼rlich dadurch, dass die Regressionen nur mit dem Belastungsmaߟ ohne Einbeziehung des Alters gerechnet wurden.
In beiden Abbildungen kommt zum Ausdruck, dass die genannten maximalen OR-Werte eher den Beginn eines Wertebereichs darstellen, bei dem sich in unserer Stichprobe an Hand der Schwingungsbelastung eine besonders gute Vorhersage der Erkrankung treffen lߤsst. Insbesondere bei der Tagesexposition A(8) zeigen sich bei Schwellenwerten ß¼ber 0,6 m/s2 hinaus noch sehr hohe Odds Ratios ß¼ber 3,0, so dass man eigentlich ein deutlich erh߶htes Lumbalsyndrom-Risiko in einem Belastungsbereich oberhalb von 0,55 bis etwa 0,65 m/s2 feststellen kann. In beiden Abbildungen zeigt sich aber auch genauso deutlich, dass die Kurve an einem bestimmten Punkt stark abfߤllt ߢ”¬” bei der Beurteilungsbeschleunigung awz(8) etwa bei 0,63 m/s2, fß¼r die Tagesexposition A(8) spߤtestens bei 0,73 m/s2. Bei diesen Schwellenwerten werden offensichtlich schon zu viele erkrankte Schwingungsexponierte als ߢ”¬Å¾nicht belastetߢ”¬Å gewertet.
3.3 Einfluss der Expositionsdauer auf die Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å
Zusߤtzlich zum Schwellenwert wird im Folgenden auch die Gesamtdauer der Exposition berß¼cksichtigt, indem entsprechende Dosiswerte errechnet werden. In Abbildung 4 wird in der linken Balkengruppe zunߤchst fß¼r die Tagesexposition A(8) ein Schwellenwert von $ 0,5 m/s2 zu Grunde gelegt: Wer im Laufe seines Arbeitslebens nie einen Tߤtigkeitszeitraum mit einer Tagesexposition A(8) $ 0,5 m/s2 vorzuweisen hatte, gilt als nicht gefߤhrdet belastet (grß¼ner Balken). Die h߶her Exponierten wurden in zwei Belastungsgruppen eingeteilt und zwar in ߢ”¬Å¾weniger als 10 Jahreߢ”¬Å (blauer Balken) und ߢ”¬Å¾mehr als 10 Jahreߢ”¬Å (roter Balken) exponiert unter der Annahme, dass mit zunehmender GKV-Einwirkung das Risiko eines Lumbalsyndroms steigt.
Die kumulative Schwingungsdosis fß¼r 10 Jahre wurde nach der Dosisformel DV = S Tagesbelastung2 ߢ”¬Â¢ 221 Arbeitstage/J. ߢ”¬Â¢ Expositionsjahre berechnet. Bei einem Schwellenwert von A(8) $ 0,5 m/s2 ergibt sich in der linken Balkengruppe fß¼r 10 Jahre ein Wert von 552,5. Alle Personen, die diesen Dosiswert unterschreiten, gelten als belastet (blauer Balken). Die Personen, die diesen Dosiswert ß¼berschreiten, gelten als hoch belastet bzw. hoch gefߤhrdet (roter Balken). Wie Abbildung 4 zeigt, gibt es bei einem Schwellenwert von A(8) $ 0,5 m/s2 keinen Unterschied zwischen den nicht gefߤhrdet belasteten und den weniger als 10 Jahre belasteten Personen. Erst in der Gruppe, die den 10-Jahres-Dosiswert ß¼berschreitet, zeigt sich eine deutlich h߶here Prߤvalenz der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å. Offenbar ist der Schwellenwert von A(8) $ 0,5 m/s2 nicht dafß¼r geeignet, das beginnende Risiko einer gesundheitlichen Gefߤhrdung adߤquat abzubilden.
In der mittleren Balkengruppe wurden die gleichen Berechnungen auf Grundlage eines Schwellenwertes von A(8) $ 0,63 m/s2 durchgefß¼hrt ߢ”¬” entsprechend ergibt sich hier ein 10-Jahres-Dosiswert von 877,2. Jetzt bietet sich ein v߶llig anderes Bild: Die Hߤufigkeit der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å steigt deutlich von der nicht gefߤhrdet belasteten zu der ß¼ber dem Schwellenwert belasteten Gruppe und nochmals zu der ß¼ber der 10-Jahres-Dosis belasteten Gruppe an. Offensichtlich fß¼hrt die Nichtberß¼cksichtigung von Zeitrߤumen mit geringerer Belastung, d.h. von A(8) < 0,63 m/s2, dazu, dass sich jetzt ein klarerer Zusammenhang zwischen zunehmender Schwingungsbelastung und Diagnose-Hߤufigkeit herausschߤlt. Betrachtet man schlieߟlich die rechte Balkengruppe mit einem Schwellenwert A(8) $ 0,8 m/s2 und einem daraus resultierenden 10-Jahres-Dosiswert von 1414,4, so fߤllt zunߤchst die groߟe Zunahme in der als nicht gefߤhrdet klassifizierten Gruppe auf ߢ"¬" sowohl in der Personenzahl wie in der Hߤufigkeit positiver Diagnosen. Zwischen den beiden belasteten Gruppen zeigt sich dagegen nur noch ein geringer Unterschied. Diese Ergebnisse legen nahe, dass zumindest in dieser Stichprobe ein Schwellenwert von 0,63 m/s2 am ehesten geeignet ist, um sowohl zwischen nicht gefߤhrdet belasteten und belasteten wie auch zwischen kß¼rzer und langfristig exponierten Personen zu unterscheiden. 3.4 Vergleich verschiedener Dosisgruppen bei einem Schwellenwert von A(8) $ 0,63 m/s2
Zwar sprechen die vorgestellten Daten fß¼r einen Schwellenwert der Tagesexposition A(8) von 0,63 m/s2, aber es bleibt immer noch die Frage offen, wie eine langjߤhrige Exposition mit dieser Schwingungsbelastung im Hinblick auf eine gesteigerte Gefߤhrdung fß¼r das Vorliegen eines LWS-Syndroms zu bewerten ist. In Abbildung 4 zeigte sich ja in der mittleren Balkengruppe eine Diagnosehߤufigkeit von 68,9% bei ßÅberschreitung einer lebenslangen Dosis von 877,2 (Gruppengr߶ߟe n = 164) und in der rechten Balkengruppe eine Hߤufigkeit von 67,0% bei einer Dosis > 1414,4 (n = 88). Zur weiteren Klߤrung werden im nߤchsten Schritt folgende vier Gruppen in ihrer Diagnosehߤufigkeit verglichen:
ß· Gruppe 1: immer unterhalb einer Tagesexposition A(8) von 0,63 m/s2 exponiert, somit Dosis DV = 0
ß· Gruppe 2: oberhalb von 0,63 m/s2 exponiert, aber weniger als 10 Jahre lang (ergibt als Dosis DV einen Wert < 877,2) ß· Gruppe 3: oberhalb von 0,63 m/s2 exponiert, und zwar lߤnger als 10 Jahre (DV $ 877,2), aber kß¼rzer als 16,6 Jahre (d.h. DV < 1414,4) ß· Gruppe 4: oberhalb von 0,63 m/s2 exponiert, und zwar lߤnger als 16,6 Jahre (entspricht DV $ 1414,4) Im Prinzip wird hier also die mittlere Balkengruppe aus der vorigen Abbildung betrachtet und deren rechter Balken noch einmal unterteilt nach einer Expositionsdauer von 10ߢ"¬"16,6 J. (entspricht DV 877,2 bis 1414,4 bei 0,63 m/s2) und einer Expositionsdauer von mehr als 16,6 J. (entspricht DV > 1414,4 bei 0,63 m/s2).
Abbildung 5 zeigt den bereits bekannten Anstieg der Diagnosehߤufigkeit zwischen Gruppe 1 und 2 und das deutlich h߶here Vorkommen eines Lumbalsyndroms in Gruppe 4. Zwischen den Gruppen 2 und 3 steigt die Hߤufigkeit jedoch nur um wenige Prozentpunkte an.
In den Balken ist auch f߼r jede Gruppe das durchschnittliche Lebensalter eingetragen. Gruppe 4 zeigt ein rund 5 Jahre h߶heres Durchschnittsalter als die anderen Gruppen. Zur Adjustierung des Alterseinflusses wurden daher f߼r die Gruppen Prߤvalenzraten-Verhߤltnisse berechnet mit Alterskorrektur nach Mantel-Haenszel (PVRMH), die ebenfalls in der Abbildung wiedergegeben sind. Die Werte beziehen sich jeweils auf die Referenzgruppe 1 (Dosis = 0).
Die Risiken steigen erwartungsgemߤߟ an und erweisen sich alle als signifikant erh߶ht, wie die untere Grenze des Konfidenzintervalls anzeigt. Es bestߤtigt sich wieder, dass der Schwellenwert von 0,63 m/s2 den Beginn des Lumbalsyndrom-Risikos gut abbildet. Wer ߼ber 0,63 m/s2 exponiert ist, hat ein rund um das 1,5-fache gesteigertes Risiko. Der Unterschied zwischen der zweiten und der dritten Gruppe ist nicht sehr groߟ (PVRMH = 1,47 im Vergleich zu PVRMH = 1,54). Bis zu einer Dosis von 1414,4 ist zwar ein erh߶htes Risiko im Vergleich mit den unbelasteten Personen vorhanden, aber es steigt offenbar nicht kontinuierlich an. Oberhalb von DV = 1414,4 gibt es dagegen einen deutlichen Sprung und das PVRMH steigt auf 1,73.
Bez߼glich der Wirkung von Ganzk߶rperschwingungen auf die Lendenwirbelsߤule lassen sich also anhand der Daten der untersuchten Stichprobe klare Beziehungen zwischen LWS-Schߤden und H߶he bzw. Dauer der Schwingungsexposition aufzeigen.
4 Diskussion
Zusammenfassend sind als wesentliche Ergebnisse aus der Reanalyse von epidemiologischen Daten der frß¼heren Studie ߢ”¬Å¾Ganzk߶rpervibrationߢ”¬Å hervorzuheben:
ߢ”¬” Die Schwingungsbelastung in y-Richtung ist offensichtlich bedeutsamer als bisher angenommen, denn die Beurteilungsbeschleunigung awy(8) fß¼hrte in allen Analysen zu den deutlichsten Risikoabschߤtzungen. Die Tagesexposition A(8), die den h߶chsten Wert aus den drei Schwingungsachsen berß¼cksichtigt, ist daher als Schritt in die richtige Richtung zu werten, zumal sie sich in allen Vergleichen zwischen den verschiedenen Tages-Belastungskennwerten immer wieder als relativ guter Prߤdiktor erwiesen hat.
ߢ”¬” Bereits der maximale Wert der Tagesexposition A(8) aus den individuellen Tߤtigkeitsabschnitten der Studienteilnehmer erwies sich als guter Prߤdiktor der Diagnose ߢ”¬Å¾Lumbalsyndromߢ”¬Å. Nach den Daten der vorliegenden Stichprobe ist eine gesundheitliche Gefߤhrdung der LWS durch Ganzk߶rperschwingungen zu erwarten, wenn eine Tagesexposition A(8) $ 0,63 m/s2 vorliegt. Bei ßÅberschreitung dieses Schwellenwertes steigt das Risiko eines Lumbalsyndroms durch Schwingungsbelastung deutlich an.
ߢ”¬” Berechnet man eine kumulative Dosis der Schwingungsbelastung wߤhrend des Arbeitslebens, zeichnet sich bei Belastungen von Tagesexposition A(8) $ 0,63 m/s2 eine besonders deutliche Risikoerh߶hung ab bei sehr langen Expositionszeiten, die mit einer Dosis oberhalb von DV = 1 400 einhergehen. Diese Gr߶ߟenordnung wird bei einer Tagesexposition A(8) von 0,63 m/s2 nach etwa 16 Jahren und bei einer Tagesexposition A(8) von 0,8 m/s2 nach zehn Jahren erreicht.
Insgesamt zeigen die in dieser Auswertung verwendeten medizinischen Diagnosen, wie sie auch im ß”rztlichen Merkblatt zur BK 2110 aufgefß¼hrt werden, deutliche statistische Zusammenhߤnge mit verschiedenen Maߟen der GKV-Belastung wߤhrend des Arbeitslebens und bestߤtigen damit Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen9, 10, 11, in denen festgestellt wurde, dass Berufsgruppen mit langjߤhriger Einwirkung intensiver Ganzk߶rpervibrationen im Sitzen eine signifikant h߶here Prߤvalenz bandscheibenbedingter Erkrankungen im Vergleich zu nicht belasteten Kontrollgruppen aufweisen. In diesen Studien wurden bandscheibenbedingte Erkrankungen als Outcome-Variable definiert, so dass ihre Validitߤt als h߶her einzuschߤtzen ist als z.B. die Erfassung eines Symptoms wie ߢ”¬Å¾low back painߢ”¬Å. Die Ursachen von Schmerzen im Bereich der LWS k߶nnen nߤmlich zu einem hohen Prozentsatz muskulߤren Ursprungs sein, so dass ein m߶glicher Zusammenhang zu Vibrationsbelastungen ß¼berdeckt wird. Dies k߶nnte ein Grund dafß¼r sein, dass in den verschiedenen epidemiologischen Studien des aktuellen EU-Forschungsprojekts VIBRISKS12 nur wenige signifikante Zusammenhߤnge zwischen erfragten LWS-Beschwerden und einigen Kenngr߶ߟen der GKV-Belastung berichtet werden. Offensichtlich erfassen die ߤrztlichen Diagnosen, die aufgrund von Anamnese, klinischer Untersuchung und r߶ntgenologischer Absicherung getroffen werden, vibrationsbedingte Beschwerden und St߶rungen besser als die Frageb߶gen zu WS-Beschwerden wߤhrend der letzten 7 Tage und 12 Monate, wie sie im Rahmen von VIBRISKS verwendet werden.
Aber auch an der Stichprobe der GKV-Studie lߤsst sich nur ein Risikoanstieg feststellen und keine auf pathomorphologischer Ebene begr߼ndbare Beziehung zwischen Schwingungsbelastung und spezifischen Befunden, etwa auf r߶ntgenologischer Ebene. Zum Zeitpunkt der Untersuchung zeigen sich weit verbreitet degenerative Bandscheibenverߤnderungen in unterschiedlichstem Ausmaߟ, so dass objektivierbare Schߤden zur Unterst߼tzung der Diagnose gegeben sind. Es lassen sich jedoch weder von der Art noch der Lokalisation oder Anzahl dieser Schߤden eindeutige R߼ckschl߼sse auf spezifische Auswirkungen der GKV-Belastung ziehen. Nach der Befundlage dieser Studie kommt Ganzk߶rperschwingungen offensichtlich in erster Linie die Rolle eines Mitverursachers von LWS-Schߤden zu im Sinne einer stߤrkeren bzw. fr߼heren Manifestation von Beschwerden, wie sie auch bei altersbedingten degenerativen Prozessen zu erwarten sind. Ausschlaggebend dabei sind offensichtlich zum einen die H߶he der Schwingungsbelastung, die in einem lߤngeren Tߤtigkeitszeitraum eingewirkt hat, und zum anderen die im Laufe des Arbeitslebens erworbene Gesamtdosis der Schwingungsbelastung.
Danksagung
Dieses Forschungsprojekt wurde mit finanzieller Unterstß¼tzung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung durchgefß¼hrt.
Literatur
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