Zu seinem 70. Geburtstag wurde Professor Dr. Johannes Konietzko, der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz, mit einem Symposium zur Multikausalität geehrt. Die Beurteilung der Auswirkungen mehrerer verschiedener und verschiedenartiger Expositionen auf den Menschen, seine Organe und Organsysteme ist nach wie vor problematisch und bietet noch kein durchgehendes Lösungsschema auf allfällige Fragen, insbesondere, ob multiple Einwirkungen mit geringer Intensität genau so schädlich sein können wie eine singuläre höherer Konzentration. Kann auf diese Frage für ähnliche Substanzen (Lösungsmittel, (kanzerogene) Substanzen mit gleichen Wirkansätzen) noch eine einigermaßen plausible Antwort bzw. Voraussage gegeben werden, so wird dies für so unterschiedliche Expositionen wie physikalische und chemische Einwirkungen am Arbeitsplatz, Rauchen, Bewegungsmangel und Stress deutlich schwieriger. Trotzdem werden von der Naturwissenschaft Modelle und Erkenntnisse sowie Lösungsmöglichkeiten, von der Jurisdiktion aber pragmatische Entscheidungen hierfür erwartet.
Namhafte Juristen, Epidemiologen und Arbeitsmediziner haben in diesem Symposium den Stand der Erkenntnis auf ihren Fachgebieten aufgezeigt. (Der Beitrag von H. Krüger kann in dieser Ausgabe noch nicht referiert werden.)
A. Muttray: Organische Lösungsmittel und ihre Gemische
Organische Lösemittel sind industriell weit verbreitet und werden sehr häufig als Gemische eingesetzt. Die Beurteilung der Toxizität solcher Gemische ist problematisch. Zur formalen Regelung wird im Bereich der Prävention für das Zusammenwirken der verschiedenen Lösungsmittel in erster Näherung von einer Additivität ausgegangen (TRGS 403). Die tatsächlichen Mechanismen und die molekularen Grundlagen des Zusammenwirkens verschiedener Lösemittel sind komplex. Sie wurden von A. Muttray exemplarisch erläutert.
Eine gemeinsame Endstrecke der Wirkung bestimmter Lösungsmitteln ist die Radikalbildung. So entstehen beim Abbau von Tetrachlorkohlenstoff unter der enzymatischen Wirkung mischfunktioneller Oxidasen freie Radikale, die Membranen und Makromoleküle schädigen können. Diese Wirkung wird durch Alkohol noch verstärkt.
Konkurrenz um ein detoxifizierendes Enzym kann zur Akkumulation toxischer Metaboliten führen. n-Hexan wird zum toxischen 2,5-Hexandion oxidiert, dass schnell weiter abgebaut und damit detoxifiziert wird. Methylethylketon hemmt diesen enzymatischen Abbau, vermutlich aber auch die Urinexkretion kompetitiv, so dass es zur Kumulation des toxischen Metaboliten und damit zur Ausbildung von Polyneuropathien kommt.
Außer den unspezifischen Membranwirkungen der organischen Lösemittel, hervorgerufen durch deren Lipophilie, sind besonders ihre Interaktionen mit verschiedenen Nervenrezeptoren von zentralem Interesse bei der Ergründung der Neurotoxizität der organischen Lösemittel. Hierzu gehören die Glycin-Rezeptoren, NMDA-Rezeptoren (N-methyl-d-aspartat), Nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren und insbesondere die GABAA-Rezeptoren (g-Aminobuttersäure). Untersuchungen mit Hilfe der quantitativen EEG-Analyse zeigten unter Exposition gegenüber verschiedenen Lösungsmitteln auch in Abhängigkeit von deren Konzentration typische Muster für die Anregung spezifischer Rezeptoren. Den derzeitigen Kenntnisstand zur Interaktion von Lösemitteln mit Rezeptoren des Nervensystems fasste Muttray wie folgt zusammen:
Die akuten zentralnervösen Wirkungen organischer Lösungsmittel sind stoffspezifisch und dosisabhängig.
Je nach Substanz sind bei Konzentrationen in Höhe der Grenzwerte verschiedene Rezeptoren einschließlich präsynaptischer Rezeptoren involviert: Dies ist für n-Heptan wahrscheinlich der GABAA-Rezeptor, für Methanol über direkte oder indirekte Mechanismen Noradrenalin-Rezeptoren, Toluol hingegen wirkt wohl als Dopamin-Rezeptor-Antagonist.
Die Wirkung von Gemischen lässt sich deshalb häufig nicht vorhersagen und ist in diesen Fällen experimentell zu untersuchen.
Die sedierende Wirkung hoher Dosen organischer Lösungsmittel wird wahrscheinlich im Wesentlichen über GABAA-Rezeptoren vermittelt.
Die beschriebenen Wirkungsmechanismen lassen Interaktionen mit zentral wirksamen Medikamenten und Ethanol vermuten.
L. Edler: PCDD/Fs und PCBs, Statistische Anmerkungen zur Dosis-Additivität der Wirkung von POPs
Persistente Organochlorverbindungen (persistent organochlorine pollutants=POP) kommen in Nahrung, Umwelt und Arbeitswelt vor. Von einer bestimmten Gruppe von ihnen, nämlich den polychlorierten Dibenzo-p-Dioxinen (PCDD), den polychlorierten Dibenzofuranen (PCDF) und definierten polychlorierten Biphenylen kann man eine Additivität ihrer Wirkung annehmen.
Im Handbuch der Arbeitsmedizin von Konietzko/Dupuis wird diese Additivität der Kongenere der PCDD und PCDF folgendermaßen beschrieben: Da die Toxizität dieser Kongenere sehr unterschiedlich ist, diese aber niemals als Einzelverbindungen, sondern immer zusammen mit weiteren Kongeneren emittiert werden, hat man versucht, der Toxizität dieser Gemische dadurch Rechnung zu tragen, dass man mit Hilfe von in vitro- und Tierexperimenten den Toxizitätsgrad der jeweiligen Substanz bestimmt und mit dem der toxischsten Substanz 2,3,7,8 TCDD verglichen hat ….. Mit Hilfe von TCDD-Äquivalenzfaktoren (TEF) lässt sich das TCDD-Äquivalent (TEQ) des gesamten Kongenerengemisches errechnen.
TEQ = ?n=1….PCDDi x TEFi +
?j=1….PCDFj x TEFj +
?k=1….PCBk x TEFk
Welche Schwierigkeiten in einer solchen Annahme liegen, welche Überlegungen angestellt und im Experiment verifiziert werden müssen, um die Verwendung eines additiven Modells zu rechtfertigen, war Inhalt des Vortrags PCDD/Fs und PCBs, Statistische Anmerkunge