Prävention

Damit Sport nicht zum Mord wird: DGAUM fordert mehr Prävention im bezahlten Fußball

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Im vergangenen August startete die Fußballbundesliga in ihre 53. Spielzeit. Neben 34 Pflichtspielen stehen der DFB-Pokal und für die Spitzenclubs Champions League oder Europa League auf dem Programm sowie eine Vielzahl von Freundschaftsspielen und Testspielen. Für die Nationalspieler kommen noch weitere Qualifikations- und Vorbereitungsspiele sowie die Spiele bei der Fußballeuropameisterschaft im Sommer 2016 in Frankreich dazu. Aus arbeits- medizinischer Sicht muss man sich fragen, ob der Umfang dieser hohen Belastung für jeden einzelnen Spieler aus Sicht der medizinischen Prävention vertretbar bzw. oder gar ärztlich-medizinisch zu verantworten ist.

Ein guter Maßstab zur Bewertung von körperlichen Überlastungen im Bereich des Sports sind die Anzahl und die Schwere von Sportverletzungen. Da es sich – abgesehen von Bagatellverletzungen – bei Berufsfußballern um Arbeitsunfälle1 handelt, die dem entsprechenden Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), angezeigt werden müssen und von dieser zu entschädigen sind, liegen hierzu für Berufsfußballer in Deutschland belastbare Daten vor. Gemäß § 1 Sozialgesetzbuch VII ist es Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufs- krankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen.

Zahlen, Daten, Fakten: Wie gefährlich ist der bezahlte Fußball?
Im Bereich der gewerblichen Berufsgenossenschaften sind im Jahr 2013 bezogen auf 1.000 Vollarbeitskräfte im Durchschnitt 22,50 meldepflichtige Arbeitsunfälle aufgetreten. Bezogen auf einzelne Branchen – ausgenommen der Berufssportler – ereigneten sich die meisten Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft: durchschnittlich 57,32 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Beschäftigte. Die wenigsten Unfälle dagegen im Verwaltungsbereich, durchschnittlich 12,97 meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Beschäftigte. Nach Angaben der VBG beträgt die Unfallquote im Profisport über 2.000 Unfälle pro 1.000 Beschäftigte im Jahr, dies bedeutet, dass im Durchschnitt mindestens zwei meldepflichtige Arbeitsunfälle pro Profisportler und Jahr auftreten. Versichert sind hier alle Sportler, die vom Verein mehr als 200 Euro monatlich bekommen, im Fußball sind das also auch Sportler, die in der 5. oder 6. Liga spielen. Die Gesamtzahl versicherter Profisportler liegt in Deutschland bei 25.000 bis 30.000 Versicherten. Insgesamt ereignen sich 66 % aller Unfälle im bezahlten Sport im Bereich des Fußballs, gefolgt von Handball (16 %) und Eishockey (12 %). Beim Fußball treten die meisten Unfälle an der unteren Extremität auf (2013: Unterschenkel bzw. oberes Sprunggelenk: 21,0 %; Hüfte bzw. Oberschenkel: 20,2 %; Kniebereich: 15,7 %; Fuß: 10,7 %) gefolgt von der oberen Extremität (2013: Unterarm bzw. Hand: 5,6 %; Schulter bzw. Oberarm: 3,6 %) und Kopf-/Hals-Bereich (2013: 6, 9%). Es verwundert daher nicht, dass nach der Internetplattform ligainsider2 40 Profispieler von 17 Erstligavereinen – vom SV Darmstadt 98 liegen keine Angaben vor – aufgeführt sind, die verletzungsbedingt derzeit nicht spielen können. Im Durchschnitt fehlen diese Spieler bereits seit über 80 Tagen.

Im gewerblichen Bereich wäre eine Unfallquote wie im bezahlten Fußball vollkommen inakzeptabel
Im gewerblichen Bereich wäre eine Unfallquote, wie diese im bezahlten Fußball beobachtet wird, vollkommen inakzeptabel. Entsprechende Unternehmen müssten sich gegenüber dem Unfallversicherungsträger und der Gewerbeaufsicht erklären. Gemeinsam würden die Unfallursachen ermittelt, ggf. sogar ein Betriebsverbot der entsprechenden Betriebseinheit ausgesprochen, bis die Unfallursachen abgestellt bzw. minimiert wurden.

Im Profifußball ist das allerdings anders: Verletzte Spieler werden – wenn es die Verletzung zulässt, oder auch nicht – neben dem Spielfeld versorgt, eine schwere Platzwunde getackert und der Spieler wieder ins Spiel zurückgeschickt oder trotz Verletzung eingesetzt. Da kann es dann auch schon einmal vorkommen, etwa beim Finale um die Fußball-WM 2014 in Rio de Janeiro so geschehen, dass ein Nationalspieler wie Christoph Kramer trotz einer Gehirnerschütterung weiter eingesetzt wird und sich anschließend an nichts mehr erinnern kann. Bei schwereren Verletzungen werden Spieler z.T. nach nur relativ kurzen Behandlungs- zeiten wieder eingesetzt, was häufig zu erneuten Verletzungen führt. Der hohe Marktwert mancher Spieler sowie der Druck der sportbegeisterten Öffentlichkeit oder der Ehrgeiz mancher Trainer kann dazu führen, dass aus medizinischer und ethischer Sicht absolut unangemessen mit Sportlern umgegangen und deren Gesundheit wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird.

Prävention im (Profi-)Sport ist in manchen Bereichen stark unterentwickelt und beschäftigt sich fast ausschließlich mit der Verhaltensprävention. Wichtige Aspekte und Gesichtspunkte der Verhältnisprävention werden dabei kaum oder nur sehr unzureichend berücksichtigt. Fußball wird weitgehend ohne Protektoren, bei nahezu allen Witterungsbedingungen gespielt. Die Verletzungsgefahr ist bei ungünstigen Witterungsbedingungen (z.B. Hitze, siehe z.B. geplante Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar, aber auch Kälte und Eis) stark erhöht. Hinzu kommt, dass in den unteren Fußball-Ligen häufig auf für die körperlichen Belastungen ungünstigen und verletzungsfördernden Fußballplätzen gespielt wird.

Damit Fußball weiterhin eine der schönsten Nebensächlichkeiten der Welt bleiben kann, forderte die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) vor dem Start der neuen Bundesligasaison:

· Einrichtung einer Task Force zur Reduzierung von Arbeitsunfällen im Fußball

· Ein sinnvoll gelebtes return-to-competition-Konzept für verletzte Fußballer

· Eine Verbesserung der Verhältnisprävention im Fußball

· Berücksichtigung arbeitsmedizinischer Präventionskonzepte im Profisport

· Umsetzung und Überwachung der gesetzlichen Arbeitschutzvorgaben auch im Profisport

· Forschung zur Vermeidung von Arbeitsunfällen im Profisport

Stephan Letzel, Andreas Tautz, Thomas Nesseler

1. Das Sozialgesetzbuch VII definiert Arbeitsunfälle in § 8 wie folgt: Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

2. www.ligainsider.de/bundesliga/verletzte-und-gesperrte-spieler/ (abgerufen am 09.08.2015)

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