Prävention

Präventionsprogramm gegen Knieverletzungen im Fußball

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Die gesetzliche Unfallversicherung VBG hat dem Universitätsklinikum Regensburg (UKR) und dem Bayerischen Fußball-Verband (BFV) den Zuschlag für eine ausgeschriebene Interventionsstudie gegeben. Ziel der Studie ist es, ein wirksames Präventionsprogramm zur Reduktion von Knieverletzungen im Fußball zu entwickeln. „Sportunfälle sind kein Schicksal. Gemeinsames Ziel des Sports und der gesetzlichen Unfallversicherung VBG ist es, nachweisbar die Verletzungszahlen im bezahlten Sport und damit die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu senken“, erklärt Dr. Andreas Weber, Direktor Prävention der VBG. In der Saison 2015/2016 soll das Präventionsprogramm mit einer großangelegten Interventionsstudie in ausgewählten Vereinen des Bayerischen Fußball-Verbandes unterhalb der Profiligen erarbeitet und testweise bei den teilnehmenden Vereinen der Ligen vier bis sechs implementiert werden. Reinhold Baier, Vizepräsident des BFV erläutert: „Schwere Verletzungen sind sowohl für die Spieler und Spielerinnen als auch die Vereine eine große Belastung. Die Untersuchung soll insbesondere den Trainern und Trainerinnen wichtige Erkenntnisse für ihre Arbeit liefern.“

Ziele der Studie sind die Prävention schwerer Verletzungen, insbesondere Knieverletzungen, und die Verbesserung der medizinischen Versorgung im Amateurfußball. Neben der Einführung von regelmäßig angewendeten Präventionsübungen im Training und Leistungstests soll auch das Verständnis über Verletzungen gefördert werden.

„Wir wollen herausfinden, welche Problematiken mit schweren Verletzungen es unterhalb der Profiligen gibt und welche Faktoren einen Einfluss auf Verletzungen haben, um dann konkrete Handlungsempfehlungen für die Prävention zu geben“, betont Dr. Werner Krutsch, Studienleiter am Universitätsklinikum Regensburg und BFV-Verbandsarzt. „Davon profitieren alle Vereine an der Fußballbasis“. Neben Online-Befragungen von Trainerinnen und Trainern und Spielern und Spielerinnen aller teilnehmenden Vereine dieser Spielklassen werden über 50 Teams mit insgesamt etwa 1000 Spielern und Spielerinnen ausgewählt, die zusätzlich Vorsorgeuntersuchungen und Leistungstests am Anfang und Ende der Saison absolvieren sowie spezifische Präventionsübungen in ihr Training einbinden.

So läuft die Studie:
Zu Beginn der Saison 2015/2016:

· Online-Umfrage unter allen Trainerinnen und Trainern (Einschätzung zum Thema Verletzungsprävention) und Spielern und Spielerinnen (Abfrage von Verletzungen) in der Zielgruppe Regionalliga bis Landesliga

· Auswahl von über 50 Vereinen (ca. 1000 Spieler und Spielerinnen) für die Testverfahren zu Beginn der Vorbereitungsphase sowie Einführung von Präventionsübungen

Während der Saison:

· Erneute Online-Umfrage unter allen Spielerinnen und Spielern der Vereine in der Zielgruppe Regionalliga bis Landesliga, mit Abfrage von Verletzungen nach der Hinrunde

· Registrierung und professionelle Betreuung von schweren Knieverletzungen

Nach der Saison:

· Erneute Online-Umfrage unter allen Spielerinnen und Spielern der Vereine der Regionalliga bis Landesliga, mit Abfrage von Verletzungen

· Erneutes Testverfahren mit den ca. 1.000 Spielerinnen und Spielern am Ende der Saison

· Wissenschaftliche Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse

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Interview mit Dr. Andreas Weber, Direktor Prävention der VBG, Dr. Werner Krutsch, Studienleiter am Universitätsklinikum Regensburg und Reinhold Baier, Vizepräsident des Bayerischen Fußball-Verbandes:

Herr Dr. Weber, welchen Rang nehmen denn Knieverletzungen, um die es vorrangig bei der Studie geht, unter den Sportverletzungen im Fußball ein?
Dr. Andreas Weber: Im bezahlten Fußball machen Verletzungen im Kniebereich etwa 15 Prozent aller Sportverletzungen aus. Verletzungen des Kniegelenks sind dabei nach Muskelverletzungen der unteren Extremitäten (Oberschenkel, Unterschenkel) die am häufigsten zu beobachtenden Verletzungen im bezahlten Fußball. Wir wollen dem Sport immer bessere Präventionsangebote zur Verfügung stellen, darum hat die VBG diese Studie in Auftrag gegeben.

Herr Krutsch, Studien zur Verletzungsprävention im Sport hat es ja auch vorher schon gegeben. Welche neuen Erkenntnisse erhoffen Sie sich?
Dr. Werner Krutsch: Im Profifußball finden weltweit viele Studien statt und die medizinische Versorgung ist größtenteils gut. Im Amateurfußball aber gibt es gerade bei Maßnahmen zur Vorbeugung schwerer Verletzungen Nachholbedarf. Ich habe in den letzten 15 Jahren nahezu ununterbrochen selbst als Spieler in den Ligen, die wir bei der Studie untersuchen, gespielt. In den höchsten Leistungsklassen des Amateurfußballs wurden bisher nahezu keine Studien dieser Art durchgeführt. Hier wollen wir die Vereine unterstützen. Dazu haben sich die gesetzliche Unfallversicherung VBG, forschende Mediziner, Physiotherapeuten und Sportwissenschaftler zusammengetan. Ich danke auch der VBG für das Vertrauen, uns in Bayern als Modellregion für solch ein Projekt auszuwählen.

Was hat bei der Ausschreibung den Ausschlag für das Universitätsklinikum Regensburg gegeben?
Weber: Unser Ziel ist es, Maßnahmen zur Verletzungsprävention zu entwickeln, die von den Vereinen auch effektiv genutzt werden. Den Ausschlag für die Universitätsklinik Regensburg gab vor allem die sportmedizinische Expertise, natürlich speziell im Bereich Fußball und die Nähe zu den Sportlerinnen und Sportlern. Hier ist die Unterstützung des Bayerischen Fußball-Verbandes besonders hervorzuheben. Über den BFV erreichen wir motivierte und engagierte Vereine, die für die Entwicklung eines wirksamen Präventionsprogramms unverzichtbar sind.

Warum beteiligt sich der Bayerische Fußball-Verband an der Studie?
Reinhold Baier: Wir kooperieren seit einem Jahr sehr eng mit dem Uniklinikum Regensburg, zum Beispiel bei der sportmedizinischen Betreuung unserer Auswahlspieler und Spielerinnen und der BFV-Nachwuchsleistungszentren. Darüber hinaus bietet die Struktur im bayerischen Amateur-Spitzenfußball mit insgesamt acht Spielgruppen auf Verbandsebene und 143 Mannschaften optimale Voraussetzungen für die Studie. Und natürlich steht der Mehrwert für unsere Vereine im Mittelpunkt.

Weshalb haben Sie für die Studie Vereine aus der 4. bis 6. Liga ausgewählt?
Weber: In den Ligen vier bis sechs gibt es viele Spieler, die auf hohem Niveau spielen und trainieren. Dahinter steht jedoch nicht die geballte sportmedizinische Macht, die in den Klubs der ersten, zweiten oder dritten Liga zu finden ist. Hier finden wir Mannschaften, die Prävention und Rehabilitation ernst nehmen, bei denen aber noch nicht alles von A bis Z durchgeplant ist.

Können beziehungsweise müssen die Vereine im Bereich Prävention vor allem im Training mehr tun?
Krutsch: Eine Verbesserung der Prävention setzt nicht nur im Training an, weil der Trainer oder die Trainerin nicht alleine für Prävention zuständig ist. Vielmehr sind verschiedene Aspekte rund um den Spieler oder die Spielerin wichtig, angefangen bei einer genauen Analyse der Fitness und Athletik der Spielerinnen und Spieler, bis hin zu aktiven Maßnahmen wie bestimmten Übungen im Aufwärmprogramm und Training. In internationalen Studien konnten so große Erfolge aufgezeigt werden, die aber leider noch nicht im praktischen Alltag auf dem Platz angekommen sind. Aus eigener Erfahrung als Spieler und Mediziner weiß ich, dass es ein Balance-Akt ist, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Hier muss das Nützliche, nämlich die Vorbeugung von Verletzungen, mit dem Machbaren verbunden werden. Und dafür müssen Spieler und Spielerinnen, Trainer und Trainerinnen, Physios, Docs und auch der Verband an einem Strang ziehen.

Wie profitieren denn die teilnehm enden Vereine von der Studie der VBG?
Baier: Schwere Verletzungen sind sowohl für die Spielerin oder den Spieler als auch den Verein eine große Belastung. Erkenntnisse über die Gründe und Risikofaktoren von Verletzungen sind deshalb unglaublich hilfreich, gerade auch für die Trainer und Trainerinnen. Die Studie gibt ihnen konkrete Handlungsempfehlungen zum Thema Präventionsarbeit. Die Vereine profitieren aber nicht nur im Nachgang von den Ergebnissen, sondern bereits während der Studie. Sollte sich ein Spieler oder eine Spielerin eines teilnehmenden Vereins während der Saison eine Knieverletzung zuziehen, kümmert sich ein Studienkoordinator um Unterstützung, Empfehlungen zur Therapie und darum, dass die Spielerin oder der Spieler schnellstmöglich wieder zum Fußball zurückkehrt.

Krutsch: Diese Studie findet nicht irgendwo in Europa statt, sondern auf unseren bayerischen Fußballplätzen. Wir müssen also Verbesserungen zur Verletzungsprävention nicht von anderen Studienergebnissen auf unsere Spieler und Spielerinnen übertragen. Sie kommen von unseren Teams für unsere Teams. Die Leistungstests, die am Anfang und Ende der Saison sowie in der Reha-Phase nach Verletzungen im Rahmen dieser Studie durchgeführt werden, sind für die teilnehmenden Vereine kostenlos. Allein für solch eine Analyse der Schwächen in Reaktionsvermögen, Richtungswechsel oder der Sprung- und Landefähigkeit wäre ich als Spieler sehr dankbar gewesen. Nur so kann man sich verbessern und möglichst auch Verletzungen vermeiden. Die Analyse aller Verletzungen wird auch in den darauffolgenden Spielzeiten weitergeführt, um den Ursachen der Verletzungen in unseren bayerischen Ligen auf den Grund zu gehen.

Schlagen sich lange Ausfall- und Rehabilitationszeiten, die ja gerade bei Knieverletzungen entstehen, auch in den Kosten der VBG nieder?
Weber: Eindeutig ja. Etwa 44 Prozent aller Entschädigungsleistungen im bezahlten Sport entfallen auf Knieverletzungen, 25 Prozent davon nur auf Kreuzbandrisse. Die Kosten für Verletzungen im Kniebereich machen auch im Fußball den mit Abstand größten Teil der Rehabilitationskosten aus, obwohl es eben nicht die häufigsten Verletzungen sind. Der Sport und die VBG haben sich zum gemeinsamen Ziel gesetzt, die Unfallzahlen und damit auch die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu senken.

Welche Erwartungen verknüpft die VBG mit der Studie?
Weber: Wir haben uns für die Studie klare Ziele gesetzt. Über allen unseren Anstrengungen steht natürlich das Ziel, Verletzungen jeder Art zu verhindern. Das wichtigste Ziel dieser Studie ist die Entwicklung eines wirksamen Präventionsprogramms zur Reduktion von Knieverletzungen. Dieses Programm wollen wir den Vereinen als praktikables Werkzeug zur Verletzungsprävention an die Hand geben und unsere Erwartung ist natürlich, dass die Vereine es dann auch nutzen. Darüber hinaus wollen wir durch ein geeignetes Pre-Injury Screening Athleten identifizieren, die eventuell ein individuell erhöhtes Risiko für Kniegelenksverletzungen haben.

Wann rechnen Sie mit den ersten Ergebnissen?
Weber: Geplant ist, vorläufige Ergebnisse bereits auf dem VBG-Symposium Hochleistungssport im November 2016 vorzustellen, der Abschlussbericht soll bis zum 31. Dezember 2016 vorliegen. Das sind sportliche Ziele. Unsere wichtigste Botschaft lautet: Sportunfälle sind kein Schicksal. Mit den Ergebnissen dieser Studie wollen wir zusammen mit Dr. Krutsch und seinem Team sowie dem BFV den Beweis dafür antreten, dass das so ist.

Fußballmedizin in Bayern
Seit 2009 erfolgt um medizinische Größen wie Professor Dr. Michael Nerlich (Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie des UKR), DFB-Physiotherapeut Klaus Eder (Eden-Reha) oder Professor Dr. Peter Angele (sporthopaedicum) der Aufbau eines fußballmedizinischen Netzwerks am Uniklinikum Regensburg, mit dem Ziel, die medizinische Versorgung für Fußballspieler und –spielerinnen zu verbessern. Seit 2014 kooperiert der Bayerische Fußball-Verband mit dem Universitätsklinikum Regensburg, zum Beispiel bei der sportmedizinischen Betreuung seiner Auswahlspieler und Auswahlspielerinnen und der BFV-Nachwuchsleistungszentren. Verbandsarzt des BFV ist Dr. Werner Krutsch, ehemaliger Profi-Fußballspieler und Facharzt in der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie der Uniklinik Regensburg.

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