Prävention

Verordnung zur Rechtsvereinfachung und Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge: Erste Betrachtungen zu den Auswirkungen in der Praxis

Zusammenfassung: Am 24.12.2008 trat die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) in Kraft, die eine einheitliche rechtliche Basis für die zukunftsfähige Gesundheitsvorsorge in den Betrieben schaffen will und die bisher in verschiedenen Rechtsverordnungen und Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger niedergelegten Vorschriften zusammenführt. Damit entfällt auch das bisherige Ermächtigungsverfahren der Berufsgenossenschaften, nicht aber für einige staatliche Verordnungen (RöV, StrSchV, DruckLV). Die Verordnung soll einen wesentlichen Beitrag leisten zur Verhütung von arbeitsbedingten Erkrankungen oder Beschwerden und zum Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit. Auch die Verzahnung mit den sonstigen Sozialversicherungssystemen soll gefördert werden. Wesentliche Handlungsgrundlage ist die Bewertung der Arbeitsbedingungen durch eine Gefährdungsbeurteilung/Risikobeurteilung im Betrieb. Diese ist die notwendige Basis für die sich daraus ableitenden Präventionsmaßnahmen (Beratungen, Pflicht-, Angebots- oder Wunschuntersuchungen). Es haben sich aber zahlreiche Fragen in der praktischen Umsetzung der Verordnung im Betrieb ergeben, die in diesem Artikel besprochen werden. Schlüsselwörter: Vorsorge – Gefährdungsbeurteilung – ArbMedVV – BGV A4 – Pflicht- und Angebotsuntersuchungen Ordinance for Unification of Law and Fortification of Preventive Measures in Occupational Health: First Practical Experiences Summary: The ordinance of preventive measures in occupational health (ArbMedVV) became effective on December 24th 2008. It is the consistent legal basis for a sustainable health protection in the occupational setting and merges regulations in different legal regulations of the state and the employer’s liability insurance associations (BGen). It supersedes also the accreditation process of the BGen for occupational health examinations except for a few federal regulations (RöV, StrSchV, DruckLV). The ordinance will contribute to the effective prevention of occupational diseases and to the preservation of the employability on an individual basis. The integration with the other social security systems shall be promoted. The risk assessment of the work place will be mandatory. As a result of the risk analysis the need or the demand of physical examinations of the employee either compulsory or as an offer or wished by the individual will be determined. Questions resulting of the first experiences with the new regulation will be discussed. Key words: Prevention – Risk Assessment – ArbMedVV – BGV A4 – Compulsory and Offered Examinations in Occupational Health

Am 24. Dezember 2008 ist die am 10. Oktober 2008 vom Bundesrat verabschiedete Verordnung zur (Rechts-)Vereinfachung und Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) in Kraft getreten. Auch wenn die ArbMedVV der vielfältigen primär- und sekundärpräventiven Tätigkeit eines Betriebsarztes nicht gerecht wird 3, ist diese Verordnung vor allem dazu gedacht, dass Regelungen im staatlichen Recht und in den Vorschriften der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (UVT) vereinheitlicht und zusammengeführt werden.

Schon mit Bekanntwerden der ersten Entwürfe der ArbMedVV, vermehrt aber seit ihrem Inkrafttreten, werden in der betriebsärztlichen und arbeitsmedizinischen Fachöffentlichkeit Fragen diskutiert, die bei der nun anstehenden Umsetzung der ArbMedVV in die tägliche Praxis auftauchen. Die Fragen, die den Autoren am häufigsten gestellt wurden, sollen hier beantwortet werden.

Gesundheitsvorsorge
Parallel zu den weiterhin existierenden Arbeitsschutzvorschriften mit primärpräventiven – auch betriebsärztlich relevanten – Inhalten schafft die ArbMedVV die rechtliche Basis für eine zukunftsfähige Gesundheitsvorsorge in den Betrieben. Arbeitsmedizinische Vorsorge dient ihr zur Folge der individuellen Aufklärung und Beratung der Beschäftigten über die Wechselwirkungen zwischen ihrer Arbeit und Gesundheit; sie stellt eine wichtige Ergänzung der technischen und organisatorischen Arbeitsschutzmaßnahmen dar. Mit dem Wandel der Arbeitswelt und der demografischen Entwicklung gewinnt die individuelle Gesundheitsvorsorge an Bedeutung. Arbeitsmedizinische Vorsorge ist demnach einer der Schlüssel zur Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen und zum Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit.

Mit der ArbMedVV sollen auch Verbesserungen bei der Vorsorge in derzeit noch nicht ausreichend beachteten Bereichen, z.B. bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen, angestoßen werden.

Der auf Grundlage des § 9 ArbMedVV gegründete neue Ausschuss für Arbeitsmedizin übernimmt hier in Zukunft eine zentrale Rolle. Er wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in arbeitsmedizinischen Fragen beraten, Empfehlungen für weitere Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge aussprechen und Regeln zur praktischen Umsetzung der Verordnung aufstellen.

Änderungen zur bisherigen Regelung
Mit der Einführung der ArbMedVV ändert sich vieles im Bereich der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Insbesondere ist zu beachten dass sich mit dem In-Kraft-Treten der ArbMedVV die folgenden staatlichen Arbeitsschutzverordnungen ändern:

· Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)

· Biostoffverordnung (BiostoffV)

· Gentechniksicherheitsverordnung (GenTSV )

· Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV)

· Druckluftverordnung (DruckluftV)

· Bildschirmarbeitsverordnung (BildschArbV)

· Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)

· Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)

In ihnen wären ansonsten parallel zur ArbMedVV noch weiter existierende staatliche Untersuchungsverpflichtungen verankert, was die im Rechtssystem geforderte Eindeutigkeit zur Vermeidung von Doppeldefinitionen nicht zulässt. Auch die bislang im staatlichen Recht und in den so genannten Unfallverhütungsvorschriften (UVV) enthaltenen Doppelregelungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge wurden in der ArbMedVV zusammengefasst, so dass die Rechtsreform auch zur Rechtsvereinfachung beitragen kann.

Bedeutung der Beurteilung der Arbeitsbedingungen
Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) enthält in § 19 in Verbindung mit § 18 die entsprechende Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von weiteren Arbeitsschutzvorschriften. Zu den auf dieser gesetzlichen Grundlage ergangenen Verordnungen gehört u.a. die ArbMedVV. Damit sind grundsätzlich alle Bestimmungen des ArbSchG (z.B. zur so genannten Gefährdungsbeurteilung) auch bei der Anwendung der vom ArbSchG abhängigen ArbMedVV zu berücksichtigen. Das zentrale Element der betrieblichen Prävention ist und bleibt die „Gefährdungsbeurteilung“ bzw. die „Risikobeurteilung“ 1.

Eine Kernbotschaft der ArbMedVV ist, dass die Bedeutung der „Gefährdungsbeurteilung“ als zentrales Instrument auch für den Betriebsarzt anzusehen ist. Die weiter gestiegene Bedeutung dieser betriebsärztlichen Kernaufgabe ist bereits seit 1996 durch deren ausdrückliche Erwähnung im ASiG (Art. 2 Arbeitsschutzartikelgesetz: Anpassung der § § 3 und 6 ASiG) unterstrichen worden 5. Damit gehört diese Dienstleistung auch zum Katalog der auf die betriebsärztlichen Einsatzstunden anzurechnenden Tätigkeiten und birgt hervorragende Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung sowohl der ArbMedVV als auch der zukünftig anstehenden Änderungen für die Betriebsärzte durch die derzeitige Überarbeitung der BGV A2.

Der spezifisch medizinische Inhalt der Gefährdungsbeurteilung kommt dadurch zum Tragen, dass der Betriebsarzt der einzige im Konzert der (vielen!) Arbeitsschutzberater ist, der mögliche Gefährdungen unter gesundheitlichen Aspekten kompetent bewerten und notwendige Präventivmaßnahmen in eine Prioritätenliste einordnen kann 2. Eine der möglicherweise notwendigen Maßnahmen ist eine Vorsorgeuntersuchung (oder möglicherweise auch eine Eignungsuntersuchung).

Gefährdungsbeurteilung bleibt Grundlage für Vorsorgeuntersuchungen
Die ArbMedVV regelt die Pflichten von Arbeitgebern und Ärzten, schafft Transparenz über die Anlässe für Pflicht- und Angebotsuntersuchungen, sichert Datenschutzrechte und stärkt künftig das Recht der Beschäftigten auf Wunschuntersuchungen (künftig deshalb, weil der o.g. Ausschuss zunächst die „Spielregeln“ für diese Wunschuntersuchungen, die nach dem § 11 ArbSchG auch schon seit 1996 möglich waren, aufstellen muss). Bei letzteren ist zudem zu beachten, dass derartige Untersuchungen nach § 11 ArbSchG auf Wunsch des Arbeitnehmers zwar grundsätzlich möglich sind, aber an die Bedingung geknüpft sind, dass auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen tatsächlich auch die Gefahr eines Gesundheitsschadens nicht auszuschließen ist.

Die „Umgehung“ dieser Vorschrift durch einen betriebsärztlichen Verweis in der Gefährdungsbeurteilung, wonach Angebots- oder gar Wunschuntersuchungen unabhängig vom Ausgang der Beurteilung regelmäßig vorzusehen seien, ist sicher kein probates Mittel, um das Vertrauen des Arbeitgebers in die Qualität der betriebsärztlichen Dienstleistung zu stärken.

In den Anhängen der Verordnung werden in thematisch gegliederten Tabellen die konkreten Anlässe für Pflicht- und Angebotsuntersuchungen aufgelistet werden. Bislang sind dies:

· Tätigkeiten mit Gefahrstoffen;

· Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen;

· Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen (Hitze, Lärm, Vibrationen usw.);

· Sonstige Tätigkeiten (z.B. Bildschirmarbeiten, Atemschutz, Tätigkeit in den Tropen).

Weitere Untersuchungsanlässe, die jetzt noch in der BGV A4 „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ enthalten sind (z.B. Hitze- oder Kältearbeiten), sollen ebenfalls in den Anhang überführt werden.

Vorsorgeuntersuchungen gesondert auf die Einsatzzeiten anrechen
In der Vergangenheit wurde immer wieder diskutiert, inwieweit arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen in der Berechnung der betriebsärztlichen Einsatzstunden mit enthalten waren oder nicht. Bemüht wurden bei der Antwort

· eine Differenzierung zwischen allgemeinen (z.B. nach § 3 ASiG: „Ja!“) und speziellen Vorsorgeuntersuchungen nach staatlichen und/oder berufsgenossenschaftlichen Vorschriften („Nein!“),

· die „Drittel-Regelung“, wonach ein Betriebsarzt grundsätzlich ein Drittel seiner Einsatzstunden für Begehungen und Ähnliches, ein weiteres Drittel für Beratungen und das letzte für Vorsorgeuntersuchungen vorzusehen habe, oder auch

· die Vorgabe, dass der Anteil der ärztlichen Untersuchungen an sämtlichen betriebsärztlichen Tätigkeiten 25% der Gesamteinsatzzeit nicht überschreiten solle.

Auch die das staatliche ASiG konkretisierende BGV A2 half hier nicht weiter, da gerade in dieser Frage die Einzel-UVT unterschiedliche Regelungen erlassen haben: Mal wurden die Untersuchungen in den Durchführungsbestimmungen zur BGV A2 explizit mit in die Berechnung der Einsatzstunden einbezogen, mal explizit nicht und mal die Problematik „ausgespart“.

Die ArbMedVV regelt nun zwar die Anlässe für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, sie sichert aber keineswegs deren (zu große?) Zahl. Im Gegenteil: Die in der Begründung zu § 3 Abs. 2 ArbMedVV enthaltene Feststellung des Verordnungsgebers, wonach die Beauftragung eines Betriebsarztes mit der Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen „grundsätzlich zusätzlich zu den Einsatzzeiten…“ zu erfolgen hat, spricht eher dafür, dass die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen abnehmen wird.

(Noch) kein Verzicht auf die BGV A4 möglich
In die Regelungen der UVT greift die ArbMedVV nicht unmittelbar ein: Zwar müssen die UVV”n des jeweiligen UVT von der für ihn zuständigen staatlichen Stelle (Bund oder Land) vor Inkrafttreten genehmigt werden, autonomes Satzungsrecht heißt aber auch, dass nur die dazu befugten Gremien des jeweiligen UVT ihre eigenen Vorschriften auch wieder außer Kraft setzen können. So ganz einfach kann das BMAS die BGV A4 also nicht in Gänze „aus dem Verkehr ziehen“.

Inwieweit allerdings die derzeit parallel noch existierende BGV A4, die der Verordnungsgeber in seiner Begründung zur ArbMedVV selber als „überflüssig“ bezeichnet, künftig noch Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Es sind nicht alle Inhalte der BGV A4 in der ArbMedVV geregelt. So ist im § 1 Abs. 2 ArbMedVV festgelegt:

§ 1 ArbMedVV „Ziel und Anwendungsbereich“

(2) Diese Verordnung gilt für die arbeitsmedizinische Vorsorge im Geltungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes. (…)

Schaut man nun im ArbSchG nach dessen Geltungsbereich, so findet sich im § 1 ArbSchG:

§ 1 ArbSchG „Zielsetzung und Anwendungsbereich“

(1) Dieses Gesetz dient dazu, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. (…)

Der Begriff Beschäftigte (im Sinne des ArbSchG) seinerseits ist in § 2 Abs. 2 ArbSchG abschließend definiert:

§ 2 Begriffsbestimmungen

(2) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind:

1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,

2. die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,

3. arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 5 Abs. 1 des Arbeitsgerichtgesetzes, ausgenommen die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten,

4. Beamtinnen und Beamte,

5. Richterinnen und Richter,

6. Soldatinnen und Soldaten,

7. die in Werkstätten für Behinderte Beschäftigten.

Die ArbMedVV gilt folglich „nur“ für die vorstehend genannten Beschäftigten. Das bringt zunächst die Frage nach allen ehrenamtlich Tätigen mit sich. Diese sind zwar in der ArbMedVV nicht erfasst, aber in der BGV A4 unter dem Begriff „versicherte Personen“. Da gemäß § 1 BGV A1 die UVV”n für Unternehmer und Versicherte gelten, sind inhaltlich also auch die ehrenamtlich Tätigen (= Versicherte) erfasst.

Zu diesen „ehrenamtlich Tätigen“ zählen u.a. auch die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr. Bisher war z.B. deren G 26-Untersuchung über die BGV A4 geregelt, unter die ArbMedVV fallen sie aber nicht, da sie keine „Beschäftigten“ im Sinne des ArbSchG sind. Zumindest für derartige Bereiche muss die BGV A4 so lange gültig bleiben, bis die UVT dies gegebenenfalls an anderer Stelle geregelt haben.

Dabei können die UVT selber in UVV”n (z.B. in der BGV A4) nur solche Sachverhalte regeln, die vom Arbeitsschutzgesetz und den darauf gestützten Verordnungen (z.B. der ArbMedVV) nicht erfasst sind. Dies wären z.B. Angebots- oder Pflichtuntersuchungen bei Personen, für die das ArbSchG nicht gilt, die aber beim UVT versichert sind (siehe oben „ehrenamtlich Tätige“). Es ist darüber hinaus denkbar, dass die UVT beispielsweise Regelungen für Untersuchungen bei „Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten (G 25)“ oder „Arbeiten mit Absturzgefahr (G 41)“, die als Eignungsuntersuchungen nicht von der ArbMedVV erfasst werden, treffen und ihre BGV A4 den aktuellen rechtlichen Gegebenheiten anpassen oder eine neue UVV – vielleicht „BGV Arbeitssicherheitsgesetz“? – erarbeiten, die dann auch Inhalte wie die vorstehenden regelt.

Sollte die BGV A4 außer Kraft gesetzt werden, entstehen mit Inkrafttreten der ArbMedVV auch einige Lücken im Netz der staatlich geregelten Vorsorgeuntersuchungen. Hierzu zählen beispielsweise die nachgehenden Untersuchungen strahlenexponierter Arbeitnehmer der Kategorie A: Hier hat gemäß BGV A4 der UVT die Möglichkeit, ein Untersuchungsangebot anzuordnen (§ 16 BGV A4). Da für den Wegfall der BGV A4 weder in der Röntgen- (RöV) noch in der Strahlenschutz-Verordnung (StrSchV) hierzu etwas geregelt ist, muss anderweitig eine Rechtsgrundlage für diese Untersuchung geschaffen werden. Die zuständigen Gremien wurden bereits auf die dann drohende „Regelungslücke“ aufmerksam gemacht. Dass in diesem Fall zwei Ministerien involviert sind, macht die Beantwortung der Frage, welche Lösung wann von wem gefunden wird, nicht einfacher.

ArbMedVV und G-Grundsätze bleiben zwei unterschiedliche Regelungsfelder
Die berufsgenossenschaftlichen Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen („G-Untersuchungen“, „G-Sätze“) enthielten schon immer lediglich Anhaltspunkte für den untersuchenden Arzt zur Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen bei bestimmten gefahrenträchtigen Arbeiten. Sie waren noch nie rechtlich verbindlich.

In dieser Eigenschaft und Wertigkeit sollen sie nach derzeitigem Stand auch weiterhin Bestand haben. Zudem hat es schon immer G-Sätze ohne „hinterlegte“ arbeitsschutzrechtlich verbindliche Regelungen gegeben (z.B. G 22 „Säureschäden der Zähne“, G 46 „Belastungen des Muskel-Skelett-Systems“ (mit Ausnahme der jetzt in der LärmVibrationsArbSchV geregelten Vibrationen) und eben auch G 25 und G 41). Es handelt sich also um Untersuchungen, die nur zur „Anwendung“ kommen, wenn entsprechende innerbetriebliche Vereinbarungen getroffen sind oder das Begehren des Arbeitnehmers i.S. einer „Wunschuntersuchung“ besteht oder aber eine Anordnung durch die Aufsichtsbehörde oder den UVT erfolgte. Auch die BGI 504-ff war als BG-Information (BGI) hier ebenfalls nie verbindlich.

Die Indikationen für im Arbeitsschutzrecht geregelte Vorsorgeuntersuchungen leiten sich (mittlerweile) ausschließlich von den jeweiligen, jetzt (neuerdings) geltenden staatlichen Vorschriften ab und werden sukzessive durch entsprechende Technische Regeln zu den jeweiligen Verordnungen konkretisiert. Im Bereich der UVT werden für die Unternehmer und Arbeitsschutz-Akteure auf diesem Gebiet Handlungshilfen im Rahmen der BGI 790-ff-Reihe erarbeitet werden, die dann ausdrücklich auf die jeweilige staatliche Rechtsgrundlage Bezug nehmen.

Eignungsuntersuchungen sind keine Angelegenheit der ArbMedVV
Nach dem ASiG können Betriebsärzte Eignungsuntersuchungen durchführen. Diese Regelung bleibt durch die ArbMedVV unberührt, d.h. wann und welche Eignungsuntersuchungen durchgeführt werden können, ist rechtlich unabhängig von dieser Verordnung zu beurteilen. § 3 Abs. 3 ArbMedVV macht allerdings deutlich, dass Vorsorgeuntersuchungen (die ausschließlich dem Interesse des Arbeitnehmers dienen) und Eignungsuntersuchungen (im Interesse des Arbeitgebers) stets deutlich von einander zu unterscheiden sind, rechtlich und auch tatsächlich, z.B. in Bezug auf die Aufklärung des zu Untersuchenden oder die Weitergabe von Ergebnissen.

Die Antwort auf die Frage, ob, und wenn ja, welche Eignungsuntersuchungen für Arbeitnehmer zulässig sind, ist nicht in der ArbMedVV zu finden; vielmehr richtet sie sich nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Auch die UVT haben auf diesem Gebiet keine Regelungsbefugnisse.

Eignungsuntersuchungen sind nach geltender Rechtsauffassung arbeitsrechtlich grundsätzlich nur zulässig, wenn besondere Gefährdungen vorliegen, die dem Arbeitgeber eine Beschäftigung ohne arbeitsmedizinische Beurteilung des Mitarbeiters unzumutbar machen, oder wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Mitarbeiter gesundheitliche Defizite haben könnte, die bei einer bestimmten Art der Beschäftigung für ihn oder Dritte zu erheblichen Gefahren führen könnten. Auch nur in diesem Rahmen sind eventuelle einzelvertragliche Vereinbarungen oder Regelungen in einer Betriebsvereinbarung zulässig.

Kooperation mit anderen Ärzten
Zu der im Text der ArbMedVV angeführten Kooperation von Betriebsärzten und Ärzten, die nicht die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ oder die Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ besitzen, besteht offenkundig ebenfalls Klärungsbedarf. Hier interessiert, inwiefern die Pflicht zur persönlichen Untersuchung durch den Betriebsarzt mit der Möglichkeit, als Betriebsarzt andere Ärzte mit Teilen der Untersuchung zu beauftragen, vereinbar ist.

Die Pflicht zur persönlichen Untersuchung stammt noch aus der Zeit, in der für bestimmte Untersuchungen „Ermächtigungen“ durch eine Behörde ausgesprochen wurden (früher sowohl Bestandteil des staatlichen Rechts, bis heute noch Bestandteil der BGV A4). Bei den Untersuchungen, die nun von der ArbMedVV geregelt sind, steht heute in erster Linie die Selbstprüfung der Ärztin oder des Arztes im Vordergrund (§ 7 Abs. 1 ArbMedVV). Neben der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ oder der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ müssen die erforderlichen Fachkenntnisse oder die speziellen Anerkennungen und Ausrüstungen für die Durchführung der angebotenen Untersuchungen vorhanden sein. Die Verordnung sieht aber ausdrücklich eine Kooperation mit anderen Ärzten vor, ohne dass bisher Einzelheiten hierzu geregelt wären.

Bei den meisten betriebsärztlichen Untersuchungen stehen arbeitsmedizinische Aspekte eindeutig im Vordergrund, weshalb die überwiegende Zahl der Untersuchungen diesen Fachärzten vorbehalten ist.

Schon nach dem Inkrafttreten der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung am 9.3.2007 durfte ein Arbeitgeber von sich aus keinen HNO-Arzt mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge nach G 20 (Tätigkeiten mit Lärmexposition) beauftragen. Auch nach der Übernahme in die ArbMedVV hat der Arbeitgeber eine Ärztin oder einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ oder der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ zu beauftragen. Diese Ärztin oder dieser Arzt kann dann einen HNO-Arzt hinzuziehen oder muss es sogar, wenn die erforderlichen Fachkenntnisse oder die speziellen Anerkennungen oder Ausrüstungen fehlen (§ 7 ArbMedVV).

Auch die Ergänzungsuntersuchung im Grundsatz „Bildschirm-Arbeitsplätze“ G 37.2 ist ein Beispiel für eine nun in der ArbMedVV vorgesehene Hinzuziehung eines Arztes mit besonderen Fachkenntnissen und Ausrüstungen (siehe oben) durch den vom Arbeitgeber beauftragten Arzt mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ oder der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“.

Nur für die Untersuchung bei Tätigkeiten in Tropen, Subtropen und sonstigen Auslandsaufenthalten mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen (G 35) kann der Arbeitgeber auch direkt Ärztinnen oder Ärzte beauftragen, die die Zusatzbezeichnung „Tropenmedizin“ führen dürfen. Diese Ausnahme ist plausibel, weil die besondere Belastung aus allgemeinen Umgebungsfaktoren entsteht, die (nur) im Zuge des Erwerbs der Zusatzbezeichnung „Tropenmedizin“ erworben werden.

Allerdings hat der Verordnungsgeber in § 7 Abs. 2 die Möglichkeit eröffnet, dass von diesen Regelungen in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann, was einer Öffnungsklausel entspricht.

Ermächtigungsverfahren der Unfallversicherungsträger
Mit dem Inkrafttreten der neuen Vorschrift ist es für Arbeitsmediziner und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ nicht mehr erforderlich, sich einem Ermächtigungsverfahren zu unterziehen. Auch die noch verbliebenen Ermächtigungen nach der BGV A4 durch den Landesverband der DGUV entfallen. Durch diese Verordnung sind entgegenstehende Regelungen der BGV A4 nicht mehr anzuwenden.

Die neue Vorschrift gilt jedoch nicht für die Arbeitsmedizinische Vorsorge nach der Röntgenverordnung und der Strahlenschutzverordnung. Hier sind weiterhin Ermächtigungen durch die zuständige Behörde erforderlich. Ebenso sind für Untersuchungen nach der DruckLV weiterhin eine Ermächtigung – § 13 DruckLV erforderlich

Betriebliche Regelungen
Zu guter Letzt taucht bei einigen Arbeitsschutzakteuren die Frage auf, welchen Einfluss die ArbMedVV auf betriebliche Regelungen zu einzelnen Untersuchungen hat: Die Möglichkeit, betriebliche Regelungen über bestimmte arbeitsmedizinische Untersuchungen abzuschließen, steht mit der jetzt in Kraft getretenen Rechtsverordnung in keinerlei rechtlichem Zusammenhang. Die ArbMedVV regelt solche Möglichkeiten gerade nicht, sie schließt diese Möglichkeit aber auch nicht aus.

Literatur:
1. Kiparski Rv, Siegmann S. Gefährdungs- und Belastungsanalysen – Praktische Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung. In: Ergo-Med, Dr. Curt Haefner-Verlag, Heidelberg, 5, 134–138, ISSN 0170–2327, 1997

2. Meyer-Falcke A, Siegmann S. Betriebliche Gefährdungsbeurteilung: Grundlage und prägendes Element betriebsärztlichen Handelns. In: Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, Gentner Verlag, 35, 8, 382–388, 2000

3. Meyer-Falcke A. Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge – Brauchen wir wirklich eine neue Verordnung? In: Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst, Bd. 22, Hrsg.: Hofmann F, Reschauer G, Stößel U, edition FFAS, Freiburg, 2009

4. Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Vom 18. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2768), in Kraft getreten am 24.12.2008

5. Wittmann A, Siegmann S. Gefährdungsbeurteilung und Risikomanagement. Ecomed sicherheit, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, Landsberg a.L., Loseblattsammlung mit CD-ROM, ISBN 978–3– 609–66331–9, 10. AL 2009

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