Psyche und Arbeit

Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten

Zusammenfassung Mit dem Verhaltensprogramm „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ liegt ein präventives, im Arbeitsalltag einzusetzendes, zielgruppenspezifisches Kurzprogramm (7 Sitzungen) zur Reduzierung von Chronifizierungsrisiken für Rückenschmerzen vor. Grundlagen bilden Methodik und Techniken von kognitiv-behavioralen Veränderungsprogrammen, deren Wirksamkeit vielfach nachgewiesen ist. Die Entwicklung und Erprobung erfolgten in einer Finanzverwaltung. Durch die Abstimmung der inhaltlichen und didaktischen Gestaltung des Programms auf die Erfordernisse der Verwaltung konnte eine hohe Akzeptanz erreicht werden. Erste Evaluationsergebnisse unterstreichen die Wirksamkeit des Programms und seinen Beitrag zur Förderung der psychischen Gesundheit. Schlagwörter

· Rückengesundheit

· Verwaltungssetting

· Verhaltensprogramme

· zielgruppenspezifische Prävention

· Chronifizierungsrisiko von Rückenschmerzen

· Back health

· administrative setting

· behavioral training

· target-group specific prevention

· risk factors for chronic back pain

1 Rückenschmerzen – eine Frage der psychischen Gesundheit(1)
Muskelskeletterkrankungen und insbesondere Rückenschmerzen gehören in Deutschland wie in allen westlichen Industrienationen zu den „Volkskrankheiten“ und sind für die Betroffenen und auch die Arbeitswelt bzw. die Gesellschaft insgesamt mit erheblichen Konsequenzen verbunden. Sie nehmen als Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage, Rehabilitationsmaßnahmen und Frühberentungen jeweils den ersten bzw. zweiten Rangplatz ein1, 2.

Auch innerhalb der Finanzverwaltung NRW stellen Rückenbeschwerden ein ernst zu nehmendes Problem dar (vgl. Beitrag von Göpfert, Zimolong, Ermgassen i.d.H.). Die Gesundheitsbefragungen in den am Projekt INOPE(2) teilnehmenden neun Pilotfinanzämtern der Oberfinanzdirektion Rheinland ergaben 2005 und 2006 eine wöchentliche Prävalenzrate für Rückenschmerzen von 40–50%. Konkret bedeutet dies, dass in den erfassten Finanzämtern wöchentlich fast die Hälfte aller Beschäftigten unter Nacken-/Schulter- oder Rückenschmerzen litt, was faktisch um 10–20 Prozentpunkte über der wöchentlichen Prävalenzrate in der Gesamtbevölkerung liegt. Hier setzte das Verhaltenstraining „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ als ein Element der „Aktion Gesunder Rücken“, d.h. eines übergreifenden Gesundheitsprogramms, an. Das Verhaltenstraining ist ein präventives Angebot zur Förderung der Rückengesundheit – nicht nur für Haltung und Bewegung, sondern für das psychische Wohlbefinden insgesamt.

Nach den Ergebnissen der Lübecker Rückenschmerzstudie3 klingen akute Rückenbeschwerden bei ca. zwei Dritteln der Befragten innerhalb von weniger als zwei Wochen ab, so dass nach ca. sechs Wochen etwa 90% der Betroffenen wieder arbeitsfähig sind. Dauert eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit jedoch länger an, verschlechtert sich die Gesamtprognose der Betroffenen und eine Chronifizierung der Beschwerden droht. Die Reduzierung dieses Chronifizierungsrisikos bildet das vorrangige Ziel des Verhaltenstrainings „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“, um so Gesundheit und Wohlbefinden sowie Leistungs- und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten nachhaltig zu sichern und zu fördern.

80–85% aller Rückenbeschwerden lassen – auch unter Einsatz von z.T. aufwändigen diagnostischen Prozeduren – keinen somatischen Auslöser erkennen und werden als „unspezifische“ Rückenschmerzen deklariert, da sie keinem objektivierbaren medizinischen Befund zugeordnet werden können. Chronische Rückenschmerzen sind multifaktoriell verursacht und in vielen Fällen ein Symptom psychischer Beeinträchtigung. Beispielsweise leiden 71% der Beschäftigten der Finanzverwaltung, die im Rahmen der Gesundheitsbefragung in 2006 angeben, dass ihre psychische Beanspruchung sehr hoch ist, ebenfalls täglich bzw. mehrmals wöchentlich unter starken Rückenschmerzen.

Neben Rückenschmerzen in der Anamnese als vorhersagekräftigster Risikofaktor in der Fachliteratur2 spielen vor allem psychologische Faktoren eine wichtige Rolle für den Übergang von akuten zu chronischen Rückenschmerzen. Psychisches Wohlbefinden und Rückengesundheit sind nicht voneinander zu trennen. So fördert psychische Beanspruchung als Folge hoher psychosozialer Arbeitsbelastung, wie Arbeitsunzufriedenheit oder fehlende soziale Unterstützung, nachweislich das Rückenschmerzrisiko. Ebenso erhöhen psychischer Stress, unabhängig vom Auslöser, Depressivität und Angst, der Umgang mit Schmerzen und ihre kognitive Verarbeitung, Schonhaltungen, Vermeidung sozialer und körperlicher Aktivitäten das Risiko, unter Rückenschmerzen zu leiden4.

2 Können Verhaltensprogramme helfen?
Verhaltenstrainings oder -programme haben eine lange Tradition. Sie bauen auf den Ergebnissen der Lernforschung und kognitiv-behavioraler Psychotherapieansätze auf. Sie sind Maßnahmen, die den Einzelnen unterstützen, systematisch und gezielt konkrete Verhaltensweisen zu verändern, wie z.B. das Rauchen aufzugeben oder gesundheitsförderliches Verhalten aufzubauen, beispielsweise Sport zu treiben oder sich gesünder zu ernähren. Modelle der individuellen Verhaltensänderung sind u.a. in Schwarzer5 und Zimolong, Elke und Bierhoff6 beschrieben.

Da Verhalten in großem Ausmaß von unseren Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten sowie gelernten Emotionen beeinflusst wird, setzen Verhaltenstrainings sowohl bei konkreten Verhaltensweisen als auch auf der kognitiven und emotionalen Ebene an. Gelernt wird z.B., die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte zu lenken, irrationale Überzeugungen werden u.a. durch Techniken der kognitiven Umstrukturierung, negative Gefühle durch Konfrontation mit und dementsprechend Habituation an den bedrohlichen Stimulus oder Entspannungstechniken abgebaut. Der Einsatz von Verhaltensprogrammen hat sich in ganz unterschiedlichen Kontexten wie Schulen, Beratungseinrichtungen, aber auch Unternehmen bewährt. Ihre Wirkung konnte, sei es zur Steigerung von Leistungsverhalten generell7, zum Aufbau sicherheits- und gesundheitsgerechten Verhaltens8, zur Verbesserung gesundheitsförderlichen Verhaltens9 und vor allem im Rahmen der Schmerzbehandlung10, 11, 12 vielfach empirisch belegt werden.

3.1 Hintergrund und Merkmale: Was zeichnet das Programm aus?
„Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ ist eine Weiterentwicklung etablierter Verhaltensprogramme bzw. ihrer Methodik mit dem Ziel, Verhaltensweisen zur Förderung der individuellen Rückengesundheit und damit des psychischen Wohlbefindens zu stärken. Das Programm stellt aus mehreren Gründen eine Innovation im Arbeits- und Gesundheitsschutz dar. Zum einem ist das Programm auf ein neues Setting, die öffentliche Verwaltung, ausgerichtet und nutzt Maßnahmen zur Verhaltensänderung im Arbeitsalltag, deren Wirksamkeit bisher vor allem im stationären Kontext von Rehabilitationseinrichtungen zur Schmerzbehandlung nachgewiesen wurde. Zum anderen kommen ausgewählte bewährte Maßnahmen neu kombiniert und effizienter aufeinander abgestimmt – in Form eines Kurzprogramms mit nur sieben Sitzungen – zum Einsatz.

Das Training wurde in der Finanzverwaltung Rheinland entwickelt und erprobt. Zielgruppe sind Beschäftigte, die bereits unter Rückenschmerzen leiden und ein hohes Chronifizierungsrisiko aufweisen. Durch die Teilnahme an dem Programm werden nicht nur Häufigkeit und Intensität der Rückenschmerzen reduziert, sondern es kommt auch zu einem Abbau von psychologischen Risikofaktoren, die eine Chronifizierung der Rückenschmerzen begünstigen und zugleich das psychische Wohlbefinden einschränken. Gleichzeitig wird der Aufbau von Ressourcen gefördert, indem neues gesundheitsförderliches Verhalten wie andere Formen der Entspannung und Erholung ausprobiert und geübt werden.

Häufig eingesetzte Angebote zur Förderung der Rückengesundheit bestehen bislang trotz erwiesenermaßen geringerer Wirksamkeit vor allem in bewegungs- und haltungsorientierten Angeboten wie z.B. klassische Rückenschulen2. Diese fokussieren lediglich ausgewählte Aspekte der zur Aufrechterhaltung von Schmerzen beitragenden und somit Chronifizierung begünstigenden Risikofaktoren. Mit der Konzentration auf Haltungskorrektur zur Entlastung der Wirbelsäule und der umliegenden Muskulatur, auf den Aufbau und die Stärkung von Rücken- und Rumpfmuskulatur oder auf die allgemeine Verbesserung der körperlichen Fitness werden vor allem körperliche und verhaltensbezogene Risikofaktoren durch o.g. Maßnahmen reduziert. Zur Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen und der Entstehung von chronischen Rückenschmerzen tragen jedoch vor allem auch psychische Risikofaktoren bei, wie Schmerzwahrnehmung, das emotionale Erleben von Schmerzen und ihre kognitive Verarbeitung. Um möglichst umfassend und erfolgreich zur Prävention von chronischen Rückenschmerzen beitragen zu können, bietet sich der Einsatz solcher Maßnahmen an, die methodisch auf möglichst allen zur Aufrechterhaltung der Schmerzproblematik beitragenden Ebenen ansetzen. Dies wird vor allem durch verhaltenstherapeutisch orientierte Angebote gewährleistet, so dass der Einsatz verhaltenstherapeutischer Maßnahmen bereits am Arbeitsplatz sinnvoll erscheint. Das heißt aber auch, dass klinisch-therapeutische Konzepte für den Arbeitsplatz kompatibel gemacht werden müssen, denn in der Praxis zeigt sich, dass es große Akzeptanzhürden zu überwinden gilt. So werden beispielsweise bisher im Verwaltungskontext evidenzbasierte kognitiv-behaviorale Trainings zur Stressbewältigung selten genutzt. In Verwaltungen wird, um die Beschäftigten zu unterstützen, besser mit den in erster Linie psychischen Belastungen im Arbeitsalltag umzugehen, allzu häufig auf nachweislich weniger wirksame Anti-Stresstraining zurückgegriffen9.

Das Training „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ verfolgt das Ziel, die erwiesenermaßen wirksamen stationären Konzepte zur Schmerzbewältigung arbeitsplatztauglich zu gestalten und dadurch sowohl Akzeptanz, als auch Zugänglichkeit des Angebots zu erhöhen.

Geringer Materialaufwand, Einsatzmöglichkeit vor Ort direkt am Arbeitsplatz, ansprechend gestaltetes Informationsmaterial und Nachschlagewerke sowie die Verwendung kurzer, einprägsamer, alltagstauglicher Übungen und Strategien in den Bereichen Rückenübung, Entspannung und Selbstmanagement für den angemessenen Umgang mit Rückenschmerzen erhöhen die Attraktivität des Trainings und somit die Wahrscheinlichkeit, Betroffene in der Verwaltung anzusprechen und zu erreichen. In dem Verhaltensprogramm werden sowohl Bewegungs-, Haltungs- und Entspannungsübungen vermittelt, als auch spezielle Strategien für den angemessenen Umgang mit Schmerzen, die auf den Aufbau von Aktivitäten und Veränderungen in der Schmerzbewertung, der Aufmerksamkeitslenkung und des Stressmanagements abzielen. Zu diesem Zweck werden zwar verhaltenstherapeutische und damit klinisch-psychologische Methoden zur Verhaltensänderung eingesetzt. Durch die Anpassung von Sprache und Umsetzung der Übungen an den Arbeitskontext konnte jedoch erreicht werden, dass die Übungen kurz, prägnant und einfach sowie mit geringem Aufwand und ohne negative Bewertung von Kollegen und Vorgesetzten durchführbar sind. Die teilnehmenden Beschäftigten werden nicht in die Patientenrolle versetzt, sondern auf veränderungswürdige Risikoverhaltensweisen und -faktoren aufmerksam gemacht und systematisch unterstützt, ihr Denken und Verhalten zu ändern.

3.2 Das Programm: Rahmen, Vorgehen und Inhalte
Das Verhaltenstraining ist ein Gruppenprogramm und erstreckt sich über sieben wöchentlich aufeinanderfolgende 90-minütige Sitzungen, die von einer/m geschulten Trainer/in geleitet werden. Als vorteilhaft hat sich eine Gruppengröße von acht bis zwölf Teilnehmer/innen erwiesen. Es kann und sollte in Räumlichkeiten am Arbeitsplatz durchgeführt werden. Im obigen Projekt wurde das Training zumeist in einem größeren Besprechungsraum eines Finanzamtes durchgeführt. In den meisten Fällen fand das Training in der Mittagszeit statt, so dass auch Teilzeitkräften die Teilnahme erleichtert wurde.

Einen Überblick über Schritte, Ziele und Inhalte des Programms liefert Tabelle 1.

In allen Sitzungen geht es, allerdings mit unterschiedlichen Inhalten, erstens um die Vermittlung von Wissen, zweitens das Ausprobieren und Trainieren von neuem Verhalten und drittens die Unterstützung eigenverantwortlichen Handelns, das Selbstmanagement (siehe Abbildung 1).

Bewegung und Entspannung sind wichtige Ansatzpunkte, um die Rückengesundheit zu fördern. So lernen die Teilnehmer/innen in jeder Sitzung jeweils neue Bewegungs- und Entspannungsübungen kennen. Diese Übungen sind so konzipiert, dass sie unauffällig im Arbeitsalltag durchgeführt werden können. Jeder ist aufgefordert, zwischen den wöchentlichen Sitzungen die Übungen im Alltag auszuprobieren und die für sich am besten geeigneten Übungen herauszufinden. Gleichzeitig werden die Teilnehmer/innen unterstützt, andere gesundheitsförderliche Maßnahmen wie z.B. sportliche Aktivitäten in der Freizeit zu verstärken. Absprachen, Kontrakte oder auch das persönliche „Arbeitsbuch Rücken“, im dem alle wichtigen Informationen, Beispiele, Übungen, Erfahrungen und Fortschritte im Laufe des Verhaltensprogramms dokumentiert werden können/sollten, erleichtern den Teilnehmer/innen, gezielter etwas für ihre psychische Gesundheit zu tun.

Im Mittelpunkt der Sitzungen stehen das Wissen und der Erwerb von neuen Copingstrategien im Umgang mit Rückenschmerzen. Beispielsweise geht es im Schritt 5 (vgl. Tabelle 1) darum, wie unsere Wahrnehmung unser Erleben beeinflusst und wie eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung genutzt werden kann, das eigene Wohlbefinden zu stärken.

Da die Teilnehmer/innen an dem Gruppentraining zugleich Arbeitskollegen/innen sind, kann es für den/die Einzelne/n wichtig sein, die eigenen Gedanken, Erfahrungen etc. nicht in der Gruppe offen zu thematisieren. Aus diesem Grund kommt im Rahmen eines arbeitsplatznahen Verhaltenstrainings dem Modelllernen eine wichtige Rolle zu. Im vorliegenden Training begleitet „Herr Müller“ als Modellperson den Trainingsprozess. Die Gedanken oder das Verhalten des fiktiven Herrn Müller, der ebenfalls in einer Verwaltung tätig ist und unter Rückenschmerzen leidet, werden u.a. in Form von kurzen Videosequenzen in den einzelnen Sitzungen vorgestellt und können neben Beispielen aus dem eigenen Alltag für eine Auseinandersetzung z.B. mit kritischen, das Schmerzerleben verstärkenden Gedanken genutzt werden. Gleichzeitig finden zwischen den einzelnen Sitzungen regelmäßig Telefoncoachings statt. Im Mittelpunkt steht die Rückmeldung über Erfahrungen mit den abgesprochenen Hausaufgaben. Teilnehmer/in und Trainer/in haben in diesen kurzen Gesprächen die Möglichkeit, individuelle Herausforderungen, Fortschritte und Schwierigkeiten zu thematisieren und möglicherweise individuelle Lösungen zu entwickeln.

Dem Verhaltenstraining liegen Selbstmanagement-Konzepte zugrunde. Es begleitet und unterstützt die Beschäftigten z.B. durch regelmäßige Übungen, Hausaufgaben und Telefonkontakte, nicht nur sensibler für die eigene Rückengesundheit zu werden, sondern sich auch Strategien und Fertigkeiten für eine Förderung der Rückengesundheit anzueignen und diese anzuwenden. Das Programm qualifiziert die Beschäftigten und fördert zugleich die Übernahme von Eigenverantwortung, so dass sich die Beschäftigten über die Teilnahme an den Sitzungen hinaus stärker und wirksamer für ihre Rückengesundheit und ihr Wohlbefinden engagieren. Sie leisten damit zugleich einen wichtigen Beitrag für den langfristigen Erhalt ihrer Leistungs- und Arbeitsfähigkeit13.

3.3 Evaluation: Akzeptanz und Wirkung des Verhaltensprogramms
Im Rahmen des übergreifenden Gesundheitsprogramms „Aktion Gesunder Rücken“ hatten die Beschäftigten der neun Pilotfinanzämter die Möglichkeit, zunächst an einem Screening ihrer Rückengesundheit, dem Vorsorgecheck „Gesunder Rücken“, teilzunehmen. Der Vorsorgecheck lieferte dem Einzelnen ein Profil seiner persönlichen Rückengesundheit. In Abhängigkeit von dem individuellen Risiko, zukünftig unter Rückenschmerzen zu leiden, erhielten die Beschäftigten Empfehlungen, gezielt etwas für ihre Rückengesundheit zu tun und u.a. an bestimmten Interventionsangeboten teilzunehmen. Insgesamt haben 50% aller Beschäftigten der neun Pilotfinanzämter an dem Vorsorgecheck „Gesunder Rücken“ teilgenommen. Die Hälfte von ihnen hatte ein mittleres oder hohes Risiko, auch in Zukunft unter Rückenschmerzen zu leiden. Diese Beschäftigtengruppe erhielt in fünf der neun Pilotfinanzämter die Empfehlung und Möglichkeit, an dem Verhaltensprogramm „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ teilzunehmen. 22% von ihnen (51 Beschäftigte) meldeten sich an und nahmen an dem Verhaltensprogramm teil.

Die Beschäftigten waren zwar in unterschiedlichen Sach- und Arbeitsgebieten tätig, führten jedoch allesamt überwiegend sitzende Tätigkeiten am Büroarbeitsplatz aus. Alle hatten in der Vergangenheit bereits unter Rückenschmerzen gelitten. Sie waren aber zum Zeitpunkt der Durchführung des Verhaltensprogramms voll einsatz- und arbeitsfähig.

Insgesamt meldeten sich 10 Männer (19,6%) und 41 Frauen (80,4%) zum Verhaltenstraining an, wobei von den 51 angemeldeten Beschäftigten drei Personen bereits vor Beginn des Trainings ihre Anmeldung wieder zurückzogen.

Im Durchschnitt waren die Teilnehmer des Verhaltensprogramms 45 Jahre alt. Ein Teilnehmer verließ seine Gruppe bereits vor Beendigung des Verhaltensprogramms, weil er in ein neues Finanzamt versetzt wurde. Anderweitige Abbrüche (Drop-Outs) fanden nicht statt. Allerdings konnten für die Evaluation nur die Daten von 34 Teilnehmer/innen genutzt werden.

Einige Teilnehmer fehlten aus unterschiedlichen Gründen an einzelnen Sitzungen des Programms oder waren zu einzelnen Telefonkontakten nicht erreichbar.

Insgesamt hat jedoch mehr als die Hälfte der Teilnehmer an mindestens fünf der sieben Sitzungen teilgenommen. Persönlichen Rückmeldungen nach Abschluss des Programms zu Folge profitierten die Teilnehmer/innen besonders von Erkenntnissen über Zusammenhänge verschiedener Faktoren bei der Entstehung von chronischen Rückenschmerzen und des Einflusses von psychischen Prozessen auf das Chronifizierungsrisiko. Dieses neue Wissen erhöhte ihre Veränderungsmotivation und bestärkte sie, sich auf neue Verhaltens- und Denkweisen einzulassen. Die zur Verfügung gestellten Arbeitsmaterialen und Verhaltensübungen wurden von den Teilnehmer/innen als wertvolle Unterstützung erlebt. Eine besondere Bedeutung kam auch der Beispielperson „Herr Müller“ zu. Sie ermöglichte den Teilnehmer/innen, wie konzeptionell erwartet, vor den Arbeitskollegen und Vorgesetzten „anonym“ zu bleiben. So überrascht die Teilnehmer sich über die hohe Beteiligung psychischer Faktoren an der Entstehung chronischer Rückenschmerzen zeigten, so deutlich kommunizierten sie auch, dass sie nicht am Verhaltensprogramm teilgenommen hätten, wenn der Fokus innerhalb der Ankündigung des Programms auf jenen psychologischen Faktoren und entsprechenden Interventionen gelegen hätte. Dies bestätigt die oben thematisierte Beobachtung, dass verhaltenstherapeutisch ausgerichtete psychologische Behandlungsansätze trotz erwiesener Wirksamkeit nicht in Anspruch genommen werden, wenn sie nicht die verwaltungsspezifischen Anforderungen u.a. im Hinblick auf inhaltliche Gestaltung, Sprache und Didaktik berücksichtigen. Die Anpassung des vorliegenden Verhaltensprogramms an die besonderen Bedingungen in einer Verwaltung bzw. der Finanzverwaltung hat nach Aussagen der Teilnehmer/innen eindeutig zu höherer Akzeptanz und damit zur Verringerung der Zugangshürden beigetragen.

Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Verhaltensprogramms „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ ist zu untersuchen, inwieweit die Teilnahme an dem Programm nicht nur zu einer Reduzierung der Rückenschmerzen und Verbesserung des psychischen Wohlbefindens führt, sondern auch, inwieweit die körperlichen Aktivitäten als eine wichtige die Rückgesundheit fördernde Ressource gesteigert werden konnten. Allerdings reicht die alleinige Feststellung entsprechender Veränderungen für den Nachweis der Wirksamkeit des Programms nicht aus. Es muss gleichzeitig nachgewiesen werden, dass diese Veränderungen auch wirklich auf das Programm und nicht etwa auf einen allgemeinen Trend zurückzuführen sind. Konkret kann diese Frage durch den Vergleich mit einer Kontrollgruppe beantwortet werden. Im vorliegenden Rahmen wurde als Kontrollgruppe die Gruppe von Beschäftigten mit einem mittleren oder hohen Risiko herangezogen, die erst später die Möglichkeit hatte, an dem Verhaltensprogramm teilzunehmen.

Erste Evaluationsdaten zur Effektivität des Programms zeigen, dass das Programm bei Teilnehmer/innen an dem Verhaltensprogramm (N = 9) im Vergleich zu der Kontrollgruppe (N = 20) sowohl einen positiven Einfluss auf die Abnahme der Schmerzintensität, den Umgang mit Schmerzen, das psychische Wohlbefinden, als auch die Steigerung der allgemeinen Bewegungsaktivität hat. Während in der Gruppe der Teilnehmer/innen an dem Verhaltensprogramm

· die durchschnittliche Intensität der Rückenschmerzen durch die Teilnahme am Training um 44% reduziert

· die allgemeine Befindlichkeit, wie Konzentration, Ausgeglichenheit und Aufgeschlossenheit um 49% gesteigert und

· die körperlichen Aktivitäten u.a. in Form von Sport im Durchschnitt um 55% erhöht wurden,

konnten in der Kontrollgruppe keine entsprechenden statistisch bedeutsamen Veränderungen festgestellt werden.

Die vorliegenden Ergebnisse liefern erste Hinweise, dass das Training „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ zu einer Reduktion von Risikofaktoren auf unterschiedlichen Ebenen, wie der Schmerzwahrnehmung und -bewertung, der emotionalen Befindlichkeit und körperlichen Bewegung, beiträgt und damit das Gesamtrisiko für die Entwicklung von chronischen Rückenschmerzen vermindert (Ergebnisse im Detail vgl. Lehnhoff14).

4 Fazit: Empfehlungen für den Einsatz
Mit dem Verhaltensprogramm „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ liegt ein präventives Training zur gezielten Reduzierung von Chronifizierungsrisiken für Rückenschmerzen und damit auch zur Förderung der psychischen Gesundheit vor. Generell konnte die Wirksamkeit von kognitiv-behavioralen Trainings in ganz unterschiedlichen Anwendungsgebieten vielfach nachgewiesen werden. Techniken dieser erfolgreichen Veränderungsprogramme bildeten die Grundlage für die Entwicklung des im Arbeitsalltag einzusetzenden, zielgruppenspezifischen Kurzprogramms „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“. Die Ergebnisse und Erfahrungen im Rahmen der Erprobung des Programms in der Finanzverwaltung zeigen, dass bei entsprechender Gestaltung (Inhalte, Sprache, Marketing) mit relativ geringem Aufwand (7 Sitzungen, vor Ort am Arbeitsplatz) auch in der Verwaltung kognitiv-behavoriale Trainings mit Erfolg angenommen werden.

Allerdings richtet sich das vorliegende Programm vorrangig an Beschäftigte einer Verwaltung mit einem erhöhten Chronifizierungsrisiko von Rückenschmerzen. Das heißt, von dem Training profitieren vor allem Beschäftigte, die bereits Erfahrungen mit Rückenschmerzen gemacht haben. Ansonsten haben sich, bezogen auf Geschlecht und Alter, heterogen zusammengesetzte Gruppen als sehr förderlich für einen anregenden Erfahrungsaustausch erwiesen. Die Gruppengröße von maximal zwölf Teilnehmer/innen sollte allerdings nicht überschritten werden. Zumal es bei größeren Gruppen für einen/eine Trainer/in kaum möglich ist, zwischen den Sitzungen die/den Einzelne/n per Telefon zu coachen. Als Alternative zu dem relativ aufwändigen individuellen Telefoncoaching kann aber auch in Gruppen, in denen Fragen der Anonymität und der Privatheit keine so wichtige Rolle spielen, ein persönlicher Erfahrungsaustausch und die Besprechung der Hausaufgaben in der Gruppe z.B. zu Beginn jeder Sitzung eingeführt werden. Die Durchführung des Programms setzt auf Seiten des/r Trainers/in verhaltenstherapeutische Erfahrungen voraus. Geplant ist das Trainingsmanual über die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie zu vertreiben und eine entsprechende Qualifizierung anzubieten. Derzeit sind Nachfragen zum Verhaltenstraining „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“ und seinem Einsatz noch direkt an die Autorinnen des Beitrags zu richten.

Literatur

1. Statistisches Bundesamt. Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz. STATmagazin, 2009. Verfügbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/STATmagazin/Arbeitsmarkt/2009__09/2009__09Gesundheitsrisiken.psml. [abgerufen am 22.09.2009]

2. Lühmann D, Zimolong B. Prävention von Rückenerkrankungen am Arbeitsplatz. In: Badura B, Schellschmidt H &Vetter C (Hrsg.). Fehlzeitenreport 2006; 63–97. Springer, Berlin, 2006

3. Kohlmann T. Muskuloskelettale Schmerzen in der Bevölkerung. Der Schmerz 2003; 17 (6): 405–411

4. Hildebrandt J, Müller G, Pfingsten J. Lendenwirbelsäule – Ursachen, Diagnostik und Therapie von Rückenschmerzen. Elsevier, München, 2005

5. Schwarzer R. Psychologie des Gesundheitsverhaltens. Hogrefe, Göttingen, 2004

6. Zimolong B, Elke G, Bierhoff HW. Den Rücken stärken. Grundlagen und Programme der betrieblichen Gesundheitsförderung. Hogrefe, Göttingen, 2008

7. Stajkovic AD, Luthans F. Behavioral management and task performance in organizations: Conceptual background, meta-analysis, and test of alternative models. Personnel Psychology 2003; 56 (1): 155–196

8. Tuncel S, Lotlikar H, Salem S, Daraiseh N. Effectiveness of behaviour based safety interventions to reduce accidents and injuries in workplaces: Critical appraisal and meta-analysis. Theoretical Issues in Ergonomics Science 2006; 7 (3): 191–209

9. Richardson KM, Rothstein HR. Effects of occupational stress management interventions programs: A meta-analysis. Journal of Occupational Health Psychology 2009; 13 (1): 69–93

10. Basler HD, Franz C, Kröner-Herwig B. Psychologische Schmerztherapie. 5. Aufl. Springer, Berlin, 2003

11. Hoffman BM, Chatkoff DK, Papas RK, Kerns RD. Meta-analysis of psychological interventions for chronic low back pain. Health Psychology 2007; 26 (1): 1–9

12. Kröner-Herwig B. Ratgeber Rückenschmerz. Hogrefe, Göttingen, 2004

13. Lehnhoff B, Elke G. Förderung von persönlichen Ressourcen und Copingstrategien in einer Finanzverwaltung: Ein präventives Verhaltensprogramm „Rückhalt für den Alltag – in 7 Schritten“. In: Henning K, Leisten I & Hees F (Hrsg.). Innovationsfähigkeit stärken – Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz als Treiber 226–236. Wissenschaftsverlag Mainz, Aachen, 2009

14. Lehnhoff B. Entwicklung, Umsetzung und Evaluation eines präventiven MSE-Verhaltensprogramms. In: Schwennen C, Elke G, Ludborzs B, Nold H, Rohn S, Schreiber-Costa S & Zimolong B (Hrsg.). Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit. Perspektiven – Visionen 181–184. Asanger, Kröning, 2008

(1) Forschungsstand zur Ätiologie, Ursachen, Risikofaktoren sowie Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention siehe Zimolong, Elke & Bierhoff, 2008, v.a. S. 11–31; S. 139–178

(2) Projekt INOPE Prävention durch Integrative Netzwerk-, Organisations- und Personalentwicklung in der Finanzverwaltung, gefördert vom BMBF durch den Projektträger im DLR; Laufzeit 09/2006 – 10/2010

(3) Das Programm wurde von den Verfasserinnen gemeinsam mit Dipl.-Psych. Frauke Schäfer entwickelt. Dr. Jule Frettlöh, Expertin für Schmerzbehandlung, hat die Programmentwicklung beratend unterstützt.

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