Psyche und Arbeit

Wertschätzende Dialoge im Betrieb

Zusammenfassung Wertschätzung ist mehr als die Abwesenheit von Ablehnung. Anerkennung beachtet die Person mit ihrem jeweiligen Vermögen und ist damit mehr als die Berechnung von Mitarbeitern in Kennziffern betrieblicher Abwesenheitsquoten. Für eine menschengerechte Qualität von Arbeit, die gern, gesund und produktiv “€“ und möglichst bis zum Erreichen des Rentenalters “€“ ausgeübt werden kann, bedarf es der Ausrichtung der Personalpolitik an Aspekten von Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitsbewältigungsfähigkeit. Betriebliche Gesundheitsförderung kann unseres Erachtens nur dann erfolgreich gelingen, wenn Führungskräfte in der Lage sind, sowohl Entscheidungen für gesundheitsgerechte Bedingungen zu treffen als auch selbst ihre Rolle als Co-Produzenten von Wohlbefinden wahrzunehmen. Schlüsselwörter

· Anerkennung

· Führung

· Führungskraft

· Partizipation

· Arbeitsfähigkeit

· appreciation

· leadership

· supervisor/manager

· participation

· work ability

Eine wertschätzende Führung schlieߟt die Wahrnehmung der Expertise der Beschäftigten bezüglich ihrer Arbeit in Form partizipativer Entwicklungsprozesse notwendig ein.

Die dafür erforderlichen Instrumente und Gesprächstechniken sind erlernbar; eine authentische wertschätzende Einstellung wie auch das entsprechende förderliche Verhalten sind verstärkende Elemente einer respektvollen Personalpflege.

Anhand eines Betriebsbeispiels werden zwei praxiserprobte und individuell wie betrieblich wirksame Ausprägungen wertschätzender Dialoge vorgestellt, der “€žAnerkennende Erfahrungsaustausch”€œ und das “€žAchtsame Arbeitsbewältigungsgespräch”€œ. Personalverantwortliche und unmittelbare Führungskräfte sind zu ermutigen und zu befähigen, wertschätzende Dialoge im Betrieb zu praktizieren, um das Wohlbefinden und die Arbeitsbewältigungsfähigkeit der Beschäftigten wie auch der eigenen Person zu steigern.

1 Ausgangslage und Entwicklungsbedarf
Arbeits- und Gesundheitsschutz als expertengestütztes Gesundheitsmanagement und beratungsbasierte betriebliche Gesundheitsförderung haben Eingang in europäische Unternehmen gefunden. Die Bedeutung und die Erträge für die Betriebs- und Personalwirtschaft in Zusammenhang mit reibungslosen Arbeitsabläufen, mehr Chancen bei der Personalrekrutierung und -bindung sowie bei der Regulierung von krankheitsbedingten Fehlzeiten sind bekannt. Das (gesundheitliche) Wohlbefinden der Beschäftigten rückt damit in den Mittelpunkt von betrieblichen Programmen zur Förderung des Leistungsvermögens der Beschäftigten.

Der Perspektivenwechsel fällt zusammen mit Entwicklungen, die den Beteiligten gleichzeitig wieder neue Gewichte auferlegen: Unternehmen werden effizienter organisiert; manche schränken betriebliche Personalprogramme aufgrund unsicherer Marktentwicklungen ein; unternehmerische und persönliche Einflussmöglichkeiten schwinden aufgrund externer Faktoren wie Globalisierung und shareholder value; Beschäftigte wie Führungskräfte geraten unter Druck. Was dabei leicht unter die Räder kommt ist die Zeit für den Menschen, im Besonderen eine Kultur der Wahrnehmung des Anderen, kurz: Anerkennung und Rücksichtnahme von Personen im betrieblichen Gemeinwesen. Das “€“ oftmals nicht beabsichtigte “€“ Sozialklima treibt zusätzlich widersprüchliche Blüten: Durch die Führungspraxis wie z.B. Management by Objectives (Zielvereinbarung und Beurteilung), Belobigung auߟergewöhnlicher Leistungen, Aufmerksamkeit bei ߜbererfüllung bestimmter Bedingungen u.ä. lässt bei Beschäftigten den Eindruck entstehen, dass Personen dann erkannt werden, wenn sie bewunderungswürdige Taten erbringen bzw. sie den Anspruch nach Achtung und Beachtung verlieren, wenn “€žnur”€œ das Mögliche geleistet wird1. Ein Arbeiter bemerkt resigniert: “€žIch bewerbe mich nun innerbetrieblich, aber sie werden mich nicht kennen, weil “€“ ich war jeden Tag da”€œ. Es kann sich ein Mantel der Nicht-Beachtung auch über die eigentlich Sichtbarsten im Betrieb legen. Dies hat mittelfristig persönliche und betriebliche Folgen.

Das Wirtschaftsmagazin brand eins veröffentlichte 2008 einen Beitrag über den “€žTödlichen Cocktail”€œ2, der krank macht und der da besteht aus Arbeit ohne Sinn und Anerkennung. In diesem Wirtschaftsartikel werden die Forschungsergebnisse von Johannes Siegrist3 eindrücklich wiedergegeben. Seit den achtziger Jahren untersuchen Siegrist und Team die stressbedingten Folgen von beruflichen Gratifikationskrisen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Depressionen u.a.m. Unterschieden werden drei Formen der Gratifikation im Berufsalltag: das Gehalt, die Arbeitsplatzsicherheit und der Faktor Anerkennung. Mit letzterem ist nicht häufiges Schulterklopfen gemeint. Vor einem “€žbetrieblichen Belobigungs- und Bewunderungsmarkt”€œ warnt die Hamburger RespectResearchGroup4. Es geht vielmehr darum, dass jede (auch noch so schöne) Arbeit zur Zumutung wird, wenn das angemessene Echo ausbleibt. Dieses Dilemma trifft alle Menschen jedweder kultureller oder milieubezogener Herkunft gleich. Die “€žErwartung an Tauschgerechtigkeit”€œ (Siegrist) ist übergreifend. Es deutet sich an, dass im Laufe eines (Arbeits-)Lebens Akzentverschiebungen stattfinden. Ein Beschäftigter schildert es folgendermaߟen: “€žJe älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr nur ein Rädchen sein will, das so gut wie gar keinen Einfluss auf irgendetwas hat. Ich bin Mitte 50. Irgendwann stellt sich die Sinnfrage.”€œ5 Dieser Beschäftigte ist einer wie viele, die sich mit ihrer Arbeit identifizieren wollen; umso mehr verletzt das Gefühl fehlender Anerkennung oder Nicht-mehr-gebraucht-zu-werden.

Selbstredend entfalten Beschäftigte in “€žGratifikationskrisen”€œ keine Engagement- und Innovationsschübe zum betrieblichen Erfolg.

Der subjektiven und objektiven Bedeutung von Anerkennung stimmt eine übergroߟe Mehrheit zu. Rückblickend auf zahlreiche Gespräche mit betrieblichen Akteuren und Beschäftigten nehmen wir aber an, dass nahezu eine gleich groߟe Gruppe achselzuckend auf die Frage reagiert, wie Anerkennung bemerkbar und spürbar wird. Zweifellos fühlt man sich wohl, wenn man angemessene Beachtung erhält für das, was geleistet und getan wurde. Doch gibt es hier auch noch ein Sehnen nach Anerkennung für das, wer und wie die Person ist und dass ihre Arbeit etwas zählt.

In diesem Zusammenhang möchten wir zwei Bausteine gelingender Interaktion hervorheben:

a) Einfluss-, Kontroll- bzw. Handlungsmöglichkeit sind elementare Bedürfnisse, die sich im betrieblichen Zusammenhang u.a. durch alltägliche Partizipation an (die Personen betreffende) Entscheidungsbildung und in den zugestandenen Tätigkeitsspielräumen realisieren. In diesem Sinne erfährt man An-Erkennung, wenn die Einschätzung, Bewertung und die Vorschläge des/der Beschäftigten nachgefragt und ernstgenommen werden. Im Besonderen ist die Expertise in Fragen des Wohlbefindens von den Betroffenen als Expertinnen und Experten in eigener Angelegenheit einzuholen. Die Hinwendung zu diesen internen Beraterinnen und Beratern der eigenen (Unternehmens-) Basis kann Wertschätzung vermitteln.

b) Respekt “€“ im Sinne von respicere/ respectum (zurücksehen, sich nach etwas umsehen, Rücksicht nehmen) “€“ erlebt eine Renaissance. Im Vordergrund steht nicht mehr Höflichkeit oder Gehorsam, sondern ein Verlangen, dass die individuellen Bedürfnisse geachtet und seine/ihre Verletzlichkeit beachtet wird. In Beantwortung der Fragestellung “€žHilft Respekt, den man von anderen erfährt, Selbstrespekt/Selbstwert zu entwickeln?”€œ beschreibt die RespectResearchGroup in Anlehnung an Stephen L. Darwalls Definition von “€žhorizontalem/anerkennendem”€œ Respekt, dass dieser im Gegensatz zum “€žvertikalen”€œ Respekt nicht bewertend, sondern bedingungslos ist. Während derzeit im Therapiewesen die Forschungserkenntnisse zu Heilerfolgen durch die Vermittlung von Achtsamkeit und Methoden der Selbstachtsamkeit6 einen immer gröߟeren Raum einnehmen, erhält dieser Wert im Lebens- und Berufsalltag nicht ausreichend Bedeutung.

Bedenkt man, dass die derzeitige Arbeits- und Wirtschaftswelt mit zunehmenden Verunsicherungen als Folge beobachtbarer gesellschaftlicher Entwicklungen7 konfrontiert ist und weiter eine beachtliche Anzahl von Berufsgruppen berufsbedingte Gratifikationsengpässe erlebt8, so wächst der Bedarf nach Ausschöpfung der Interaktion zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern sowie zwischen Kolleginnen/Kollegen.

Die versagten und ungenützten Chancen lassen ein Führungsdilemma erahnen: Der Unternehmenskultur-Check unter den Teilnehmenden von “€žGreat Place to Work”€œ verweist auf eine eher kritische Bewertung von erfahrener Anerkennung und Partizipation. Nur 36 Prozent erleben Anerkennung für die geleistete Arbeit und fühlen sich in Entscheidungen einbezogen, die ihre Arbeit oder das Arbeitsumfeld betreffen9.

2 Führung als Co-Produzent von Wohlbefinden
Seit den achtziger Jahren beschäftigen sich Führungskräfte explizit mit der gesundheitlichen Befindlichkeit ihrer Mitarbeiter. Unter dem Begriff “€žFehlzeitenmanagement”€œ wurden systematische Instrumente etabliert, die auf die Bekämpfung des Kostenfaktors krankheitsbedingter Fehlzeiten ausgerichtet sind. Dabei handelt es sich meist um ein mehrstufig angelegtes Gesprächskonzept, innerhalb dessen mit auffällig oft oder lange erkrankten Mitarbeitern nach einer festgelegten Form so genannte Rückkehr- und/oder Fehlzeitengespräche geführt werden.

Dem Führungsinstrument “€žFehlzeitengespräch”€œ haften einige Schwächen an10. So blendet es zum Beispiel betriebsrelevante Aspekte des Wohlbefindens, der Gesundheit und der Arbeitsbewältigung aus. Nicht selten wird voreilig die Schuld an den Fehlzeiten den Kranken angelastet oder mindestens kann dieser Eindruck bei den Betroffenen entstehen, was einer positiven Beziehungspflege abträglich ist. Selbst wenn diese Gespräche kontinuierlich durchgeführt werden ist nicht zu verhindern, dass kranke Mitarbeiter stets und ständig “€žnachwachsen”€œ. Kurz gesagt: Den Fehlzeitengesprächen fehlt jedes wohlbefindensförderliche Potenzial, wenn es nicht überhaupt gegenteilige Wirkung auf die Unternehmenskultur (Stichwort: Misstrauenskultur) und die Betroffenen hat. Auch die Führungskräfte selbst verlieren an diesen vorwiegend problemorientierten Mitarbeitergesprächen ihre Freude. Ein Grund liegt in der eher kontrollierenden bis sanktionierenden als denn einer steuernden und gestaltenden Führungsrolle im Zuge des Fehlzeitenmanagements. Gleichzeitig zeichnet sich diese “€žFührungsstrategie”€œ durch eine Minderheitenorientierung aus, wo der Aufwand in Relation zur Gröߟe der Zielgruppe meist unverhältnismäߟig hoch ist.

Gleichwohl bedeutet dies, dass Management mit Personalverantwortung und unmittelbare Vorgesetzte selbst den Befindlichkeitsfaktor ihrer Funktion spüren und aktiv aufgreifen (wollen). Auch wenn das Fehlzeitenmanagement heute “€“ dank kritischer Weiterentwicklungen “€“ gebremst wird und positive Entwicklungen im Zuge des Deutschen SGB IX (§§ 83 und 84, Betriebliches Eingliederungsmanagement) in die Praxis Einzug gehalten haben, vermisst man in den Unternehmen vergleichbare systematische Führungsinstrumente, die nun nicht Kränkung und Unwohlsein vorbeugen, sondern im salutogenetischen Sinne Wohlbefinden erhalten und mehren und per se zur Gesundheits- wie Arbeitsbewältigungsressource werden.

Führungskräfte sind im doppelten Sinne Schlüsselpersonen des Arbeitsschutzes und der betrieblichen Gesundheitsförderung. Eine zentrale Bedeutung im salutogenetischen Belastungs-Ressourcen-Modell von Gesundheit (Udris et al. 1992; Frankenhaeuser 1991) haben “€žGesundheitsressourcen”€œ. Es handelt sich dabei um Faktoren in der Person und in der (Arbeits-) Umwelt, auf die das Individuum zurückgreifen kann, um die Gesundheit zu erhalten oder, bei einer Störung, wiederherzustellen. Es werden personale (innere) und organisationale (äuߟere) Ressourcen unterschieden. Besonders hervorgehoben als organisationale Ressourcen werden Tätigkeitsspielraum, soziale Unterstützung und Anerkennung. Personale Ressourcen sind habitualisierte, aber zugleich flexible Handlungsmuster sowie kognitive ߜberzeugungssysteme der Person wie Selbstvertrauen oder Kohärenzgefühl (Antonovsky 1979). Dabei handelt es sich nicht um stabile Persönlichkeitskonstrukte, vielmehr stehen organisationale und personale Ressourcen in einem komplexen Wechselspiel: In der handelnden und interaktiven Auseinandersetzung des Individuums mit den Arbeits- und Organisationsbedingungen werden individuelle Fähigkeiten und Einstellungen entwickelt und verändert.

Auf der einen Seite lässt erst die Führungsentscheidung gesundheitsförderliche Betriebsangebote, Arbeitsgestaltung und Unternehmenskultur zu. Auf der anderen Seite bestimmt Führung (vom unmittelbaren Vorgesetzten bis zur Geschäftsleitung) die betriebliche Beziehungs-/Interaktionskultur. Hier manifestieren sich Anerkennung versus (ungewollte) Erniedrigung/Entwürdigung genauso wie Rücksichtnahme versus Unachtsamkeit.

Ohne den Führungskräften zusätzliche Machtpotenziale und Verantwortungen aufzuerlegen, muss man die Bedeutung der Leitungspersonen in der Mitarbeiterführung aufzeigen und auch würdigen. Führungskräfte sind die “€žsignifikanten Anderen”€œ (Mead 1934) in der adulten Persönlichkeitsentwicklung von Menschen und insbesondere von abhängig Beschäftigten. Nach der Definition von Mead sind emotionale Besetzung, permanente Interaktion und ein Machtgefälle als Merkmale “€žsignifikanter Anderer”€œ von Bedeutung. Beispiele dafür sind Eltern und Lehrer “€“ und wir ergänzen in diesem Sinne: Führungskräfte, Vorgesetzte, Arbeitgebervertretung. Die ߜberlegungen von Mead zum symbolischen Interaktionismus konzentrieren sich darauf, dass sich Selbstbewusstsein/Identität/Selbstwert sowie die Fähigkeit zum Denken und Handeln erst innerhalb und mit Hilfe sozialer Beziehungen entwickeln. Kommunikation mittels Symbolen, die in der eigenen Identität das gleiche auslösen wie bei den Anderen, ist der Entwicklungsfaktor des Menschen als soziales Wesen. Diese Bedeutungen entstehen in sozialen Interaktionen. Darüber hinaus ist das wechselseitige Aufeinanderwirken der Person mit sich selbst verwoben und beeinflusst durch die soziale Interaktion mit (bedeutsamen) Anderen. Die Voraussetzungen und das Ergebnis dieser Wirkprozesse sind Fähigkeiten, eine Fremdperspektive einzunehmen und sich selbst auch aus der Fremdperspektive zu betrachten.

Die arbeitsbezogenen “€žsignifikanten Anderen”€œ, kurz: die Führungskräfte, sind somit nicht nur Auslöser von organisationalen Ressourcen, sondern Kraft ihrer Interaktionsrolle selbst eine (vorhandene oder fehlende) organisationale soziale Ressource, ohne die Wohlbefinden und Gesundheit als “€žtransaktional bewirkter Zustand eines dynamischen Gleichgewichts”€œ11 nicht hergestellt bzw. erhalten werden kann.

So hat die Redewendung “€žMenschen sind Medizin für Menschen”€œ einen theoretischen Hintergrund. Betriebliche Gesundheitsförderung kann damit aus unserer Sicht nur dann erfolgreich gelingen, wenn Führungskräfte in der Lage sind, sowohl Entscheidungen für gesundheitsgerechte Bedingungen zu treffen als auch selbst ihre Rolle als Co-Produzenten von Wohlbefinden wahrzunehmen.

Förderprogramme zur Erhaltung und Förderung der Arbeitsbewältigungsfähigkeit12 der Belegschaften belegen die Bedeutung von Führungsverhalten und -einstellungen auf die Gesundheit. Das finnische Institut für Arbeitsmedizin (FIOH) hat in Längsschnittstudien nachgewiesen, dass für ältere Beschäftigte das Vorgesetztenverhalten den stärksten Einflussfaktor auf die Arbeitsbewältigungsfähigkeit darstellt. Personen, bei denen sich die Anerkennung durch die Vorgesetzten verbessert, haben eine 3,6-fach erhöhte Chance, ihre Arbeitsfähigkeit zu steigern. Umgekehrt gilt aber auch: Diejenigen, bei denen sich Anerkennung und Wertschätzung am Arbeitsplatz vermindert hat, haben ein 2,4-fach höheres Risiko der Verschlechterung ihrer Arbeitsfähigkeit.13

Also wie kann es nun gelingen?

3 Wirksame Führungsinstrumente zur Förderung von Arbeitsbewältigungsfähigkeit und Wohlbefinden
Jago (1982) hat die verschiedenen und komplexen Ansätze der Führungsforschung in einer relativ einfachen Matrix strukturiert. Einerseits findet sich die Einteilung nach universellen und situationsabhängigen Führungsmodellen, auf der anderen Seite sind die Führungsansätze unterschieden, die entweder stärker die Persönlichkeitseigenschaften oder die Verhaltensweisen der Führung betonen. Weit verbreitet ist die Meinung, dass Führungskräfte kraft ihrer Persönlichkeit erfolgreich sind und wirksam sein können. Personenauswahl/-assessments und Persönlichkeitsentwicklung in der Führungskräftebildung sind dort, wo professionell in die Führungskultur investiert wird, ein fixer Bestandteil. Aus unserer Sicht nachgeordnet sind die Vermittlung und Einführung alltagspraktischer und gleichzeitig systematischer Werkzeuge, um die Aufgabe der Mitarbeiterführung an der Förderung des Wohlbefindens auszurichten. Gerade für diese Absicht ist aber wesentlich, dass einerseits Führungskräfte nicht alleine gelassen und ihnen andererseits die Kenntnisse der Einflussgröߟen an die Hand gegeben werden. Es reicht eben nicht aus, wenn persönlichkeitsstarke (charismatische) Führungspersönlichkeiten eine verständnisvolle Haltung einnehmen (können), ohne dass sie konkret bemerkbare Handlungen setzen (können und wollen).

Was sind die systematischen Wege und Mittel, um bei den zu verantwortenden Beschäftigten Erlebnisse von Anerkennung und Rücksichtnahme zu bewirken? Berater sprechen in diesem Zusammenhang vom Primat des Tuns als einer wichtigen Eigenschaft von fördernder Führung. Für dieses Tun benötigen Führungskräfte als “€žMensch-zu-Mensch-Dienstleister”€œ das erforderliche Wissen und entsprechende Werkzeuge. Dass Authentizität gleichzeitig erforderlich ist, verstärkt die Wirkung. Gleichwohl kann Authentizität sukzessive durch das Tun entstehen und wachsen. Angeleitete und begleitete Selbstbeobachtung und berufliche Reflexion unterstützen bei der Erfüllung dieser Arbeitsaufgabe nachhaltig.

Das zentrale Werkzeug der Mitarbeiterführung ist die Kommunikation. Abgewandelte Mitarbeitergespräche im Sinne von wertschätzenden Dialogen zu Wohlbefinden, Gesundheit und Arbeitsbewältigung (Geiߟler et al. 2007) sind eine seit 2001 in mehreren Modellunternehmen professionell eingeführte Mitarbeiterführungspraxis. Es versteht sich nach den bisherigen Ausführungen von selbst, dass sich diese exklusiven Angebote vom unmittelbaren (disziplinarischen) Vorgesetzten an alle Mitarbeiter richten. Dieses Thema betrifft auffällig Arbeitsfähige wie auch auffällig gesundheitlich Gefährdete. Beide Dialoge verfolgen die Ziele:

· systematische Personalpflege und Pflege/Vermehrung des Beziehungsvermögens im Betrieb;

· Vermittlung von glaubwürdiger, wechselseitiger Achtsamkeit und An-Erkennung als Wohlbefindens-Ressource im Betrieb;

· systematische Auswertung der Hinweise aus diesen Dialogen für gesundheitsfördernde, kollektive Maߟnahmen im Betrieb.

(vgl. Abbildung 1)

Bei den wertschätzenden Dialogen handelt es sich um Gespräche, in denen die Führungskraft nach dem Motto “€žWer fragt, der führt”€œ zu Beschreibung und Einschätzung der Wohlbefindensressourcen anregt und (potenzielle) Belastungsfaktoren samt Lösungs- oder Verbesserungsvorschlägen für die Wiedererlangung von Arbeitsbewältigungsfähigkeit erkundet. Die Herausforderung an die Führungskraft liegt darin, im Dialog durch Fragen zu aktivieren und durch aktives Zuhören mehr Verstehen des Gegenüber zu erlangen.

Die Tabelle 1 skizziert die Dialoge in ihren Kernelementen.

Erklärtes Ziel ist, dass die Führungskräfte, die diese Dialoge systematisch führen, die Möglichkeit erhalten, angenehme Gespräche zu führen. Damit soll auch das Wohlbefinden der Führungskräfte selbst positiv beeinflusst werden.

4 Praxisbeispiel: Führung fördert Arbeitsbewältigung (“€žBusfahren “€“ Ein Lebensberuf”€œ14)
Die Bevölkerungsprognose stellt in Aussicht, dass künftig mehr über 50-jährige als unter 30-jährige in den Betrieben arbeiten werden. Diese Situation ist in einem mittelgroߟen österreichischen Busunternehmen schon im Jahr 2007 der Fall: 42% der Beschäftigten sind 50plus und lediglich 11% sind unter 30 Jahre alt. Das bedeutet, dass viele durch ihre Berufsjahre erfahrene Mitarbeiter in der Belegschaft sind. Gleichzeitig ist es Auftrag für ein umsichtiges Personalmanagement, ein Augenmerk auf die Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsbewältigung der Beschäftigten zu legen. Darin liegt eine besondere Herausforderung in dieser Branche: Früher meinte man, dass Busfahren kein Lebensberuf sei. Nur knapp 3% der Busfahrer haben in den 90er Jahren ihre Berufstätigkeit mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters beendet15. Diese für die Mitarbeiter und den Betrieb bedauerlichen und schmerzlichen Entwicklungen will das Busunternehmen verhüten. Jeder Mann und jede Frau wird gebraucht und sollte so wenig wie möglich fehlen, so dass der Betrieb gut weiterlaufen kann. Darum wurde ein Personalpflege- und -entwicklungsprogramm nach den Qualitätskriterien der Betrieblichen Gesundheitsförderung gestartet und beim Fonds Gesundes ߖsterreich zur Teilförderung eingereicht.

Die Ziele der Initiative sind die Erhaltung des Arbeitsvermögens und die Stärkung der Arbeitszufriedenheit bis zum Erreichen des Rentenalters (und darüber hinaus) sowie die Förderung des Wohlbefindens der Mitarbeiter bei der Arbeit. Dies soll mit vorbeugenden Maߟnahmen für alle Altersgruppen, gemeinsam mit den Beschäftigten und getragen durch fördernde Führungsarbeit, erreicht werden.

Das Projekt dauert von 2007 bis 2009 “€“ Förderstrategien und Maߟnahmen, die sich bewährt haben, sollen darüber hinaus weitergeführt werden. Umgesetzt wird das Programm in den folgend dargestellten Schritten (siehe Abbildung 2 Projektablauf und Tabelle 2 und 3).

Die derzeitige Beschlusslage zur Integration der fördernden Mitarbeiterführung in den Regelbetrieb lautet:

· Alle zwei Jahre Durchführung des “€žAnerkennenden Erfahrungsaustausches mit Gesunden und Gesundeten”€œ.

· Anlassbezogen und zeitversetzt ebenfalls alle zwei Jahre “€žAchtsames Arbeitsbewältigungsgespräch mit gesundheitlich Gefährdeten”€œ (Beschäftigte mit mehr als zwölf Fehltagen pro Jahr).

5 Ausblick
Theoretische Betrachtungen und praktische Erfahrungen verweisen auf das fördernde Potenzial von Führungskräften. Weiterentwicklungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der betrieblichen Gesundheitsförderung werden ohne Ermutigung und Befähigung von Personalverantwortlichen und unmittelbaren Vorgesetzten wie auch ohne aktive Einbeziehung aller Personen im Betrieb nicht mehr auskommen. Die Experten und Berater treten hier wohl in den Hintergrund, sind aber gleichwohl die Ermöglicher und Begleiter einer fortschrittlichen Personalpflege zum wechselseitigen Nutzen von Individuen und Betrieben.

Literatur

· Antonovsky A.: Health, Stress and Coping. Jossey-Bass. San Francisco.1979

· Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.): Vorschläge der Expertenkommission. Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. 2004

· Frankenhaeuser M.: The Psychophysiology of Sex. Differences as Related to Occupational Status. In: Frankenhaeuser M, Lundberg U, Chesney M. Women, Work, and Health. Stress and Opportunities. Plenum Press. New York. 1991: 39″€“61

· Geiߟler H., Bökenheide T., Geiߟler-Gruber B., Schlünkes H., Rinninsland G.: Der Anerkennende Erfahrungsaustausch. Das neue Instrument für die Führung. Campus Verlag. Frankfurt/M. 2003

· Geiߟler H., Bökenheide T., Schlünkes H., Geiߟler-Gruber B.: Der Faktor Anerkennung. Betriebliche Erfahrungen mit wertschätzenden Dialogen. Campus Verlag. Frankfurt/M. 2007

· Geuter U.: Achtsamkeit. Das Mittel gegen den Alltagsstress. In: Psychologie Heute, 2008; 8

· Hauser F., Schubert A., Aicher, M. (psychonomics AG): Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen in Deutschland. Abschlussbericht Forschungsprojekt Nr. 18/05 im Auftrag des BMAS / INQA

· Ilmarinen J. & Tempel J.: Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben. VSA Verlag. Hamburg. 2002

· Jago A. G.: Leadership: Perspectives in theory and research. In: Management Science. 1982; 28: 315″€“336

· Laudenbach P.: Der tödliche Cocktail. In: brand eins, 2008; 10; 9: 80″€“85

· Mead G. H.: Mind, Self and Society. University of Chicago Press.Chicago. 1934

· Rosner L.: Belastungsempfinden steigt mit mangelnder Anerkennung. In: Die Schwester. Der Pfleger plus 2008; 12: 166″€“167

· Siegrist J.: Soziale Krisen und Gesundheit. Eine Theorie der Gesundheitsförderung am Beispiel von Herz-Kreislauf-Risiken im Erwerbsleben. Hogrefe Verlag für Psychologie,Göttingen, 1996

· Strobl I.: Respekt, der von Herzen kommt. In: Psychologie Heute. 2008; 35; 9: 21″€“25

· Tränkle U. & Bailer H.: Aufgabengestaltung im Fahrdienst. ߜberlegungen und Untersuchungen zur Verbesserung der Arbeitsituation von Linienbusfahrerinnen und Linienbusfahrern im öffentlichen Personennahverkehr (ߖPNV). Wirtschaftsverlag NW. Bremerhaven. 1996

· Udris I., Kraft U., Mussmann C. & Rimann M.: Arbeiten, gesund sein und gesund bleiben: Theoretische ߜberlegungen zu einem Ressourcenkonzept. In: Psychosozial. 1992; 15, 4: 7″€“22

· Van Quaquebeke N. &, Eckloff, T.: RespectResearchGroup der Universität Hamburg. [Online-Dokumente verfügbar unter: http://www.respectresearchgroup.org (Datum des Zugriffs: 18.09.2009)

· www.arbeitsleben.com

1 vgl. Strobl 2008

2 Laudenbach 2008

3 vgl. Siegrist 1996

4 Van Quaquebeke & Eckloff, RespectResearchGroup der Universität Hamburg. [Online-Dokumente verfügbar unter: http://www.respectresearchgroup.org (Datum des Zugriffs: 18.09.2009)].

5 zit. nach Laudenbach 2008, 83

6 vgl. Geuter 2008

7 Die Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung verweist: “€žDas Tempo des sozioökonomischen Wandels hat deutlich zugenommen. Sicherheit und Berechenbarkeit der Markt- und Arbeitsverhältnisse haben zugleich spürbar abgenommen. Die ökonomischen Veränderungen und anhaltenden Restrukturierungsprozesse in den Unternehmen führen häufig zu einer Intensivierung der Arbeit und einer Verstärkung von Unsicherheit, ߄ngsten, Misstrauen und Hilflosigkeitsgefühlen …”€œ (2004, 30).

8 z.B. Beschäftigte in der Altenpflege sind konfrontiert mit geringer gesellschaftlicher Anerkennung der Profession, geringer Entlohnung oder selten familienerhaltenden Beschäftigungsverhältnissen, wenig Aufstiegskarrieren und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und zunehmenden Aggressionsvorfällen im Klientenkontakt (vgl. Rosner 2008, 166)

9 Hauser F. et al. 2005, 102

10 vgl. Geiߟler / Bökenheide / Geiߟler-Gruber / Schlünkes / Rinninsland 2003, 15″€“46

11 Udris, 1992, 13

12 Arbeits(bewältigungs)fähigkeit beschreibt das Potenzial eines Menschen, eine Anforderung zu einem gegebenen Zeitpunkt zu bewältigen. Dabei muss die Entwicklung der individuellen funktionellen Kapazität ins Verhältnis gesetzt werden zur Arbeitsanforderung (Ilmarinen).

13 Vgl. Ilmarinen & Tempel 2002, 249 f.

14 Ein Projekt der Firma sabtours Reisebüro und Autobusbetrieb GmbH, Wels (www.sabtours.at), gefördert vom Fonds Gesundes ߖsterreich.

15 Vgl. Tränkle & Bailer 1996

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