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Ungarn – im Fokus

Liebe Mitglieder, der europäische Blick ist z.Zt. aufmerksam auf Ungarn gerichtet, somit auch ein Anlass für uns, Ihnen im Rahmen unserer Arbeit in der EU (FOHNEU) mal einen kleinen Einblick in die Aktivitäten unserer Kolleginnen und Kollegen in Ungarn zu geben. Vergleiche im Ausbildungsniveau des nichtärztlichen arbeitsmedizinischen Assistenzpersonals unserer beiden Länder dürften nicht uninteressant sein.

Die Republik Ungarn ist mit ihrer Gesamtbevölkerung von ca. 10 Millionen Einwohnern (davon etwa 2 Millionen in Budapest) seit dem 1. Mai 2004 Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Die ungarische Amtssprache gehört zur „finnougrischen Sprachenfamilie“, weshalb sich unsere ungarischen Schwesternverbände (CHHP/MESzK) seit ihrem Eintritt 2010 in die FOHNEU vermutlich auch an die Gegebenheiten in Finnland anzulehnen wünschen.

Die berufstätige Bevölkerung Ungarns zählte im Jahre 2008 ca. 3,8 Millionen Menschen, die Arbeitslosenrate in der Gruppe der 15- bis 64-jährigen ca. 8%.

Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben auch in Ungarn eine lange Tradition; geschichtlich gehen die Wurzeln der ungarischen Arbeitsmedizin auf die Zeit des Gründers des ungarischen Staates, den „heiligen“ König Stepan I, zurück.

Das „Jus regale“ von 1030 – über die königlichen Gebiete/Besitztümer von Bodenschätzen – beinhaltete bereits Vorschriften im Hinblick auf die Beschäftigung von Bergleuten. Im Laufe der Zeit sind diese Vorschriften immer wieder überarbeitet worden.

Heute wird der Arbeitsschutz in Ungarn durch ein Arbeitsschutzgesetz (Vorschrift-Nr. 93 von 1993) umfassend geregelt, das im Einklang mit den Empfehlungen des Europarates (EG 89/391 EWG) steht. Das Ziel des Gesetzes ist die Regulierung der erforderlichen Personal-, Material- und Betriebsbedingungen für eine gefahrlose und sichere Arbeit, die Sicherung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten sowie die Humanisierung der Arbeitsbedingungen, um Arbeitsunfälle und berufsbedingte Erkrankungen zu verhindern.

Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz werden in Ungarn von drei verschiedenen – eng zusammenarbeitenden – Behörden durchgeführt:

1. Gesundheitsministerium: Nationaler Dienst für öffentliche Gesundheit und Medizin für das ganze Land (außer Armee und Streitkräfte).

2. Ministerium für Arbeit und Soziales: Nationale Arbeitsaufsichtsbehörde für die Arbeitsschutzaufsicht (außer Bereich Bergbau).

3. Ministerium für nationale Entwicklung und Wirtschaft: Ungarischer Dienst für Bergbau und Geologie als Arbeitsschutzaufsicht in der Bergbau-Industrie.

Die Arbeitsschutzdienstleistungen werden in größeren Unternehmen von angestellten Arbeitsschutzexperten, in kleineren Betrieben von externen Fachleuten erbracht.

Nach Maßgabe des Gesundheitsgesetzes (Gesetz CLIV von 1997) setzt sich die Arbeitsmedizin aus den Teilbereichen „Arbeitshygiene“ und „arbeitsmedizinische Versorgung“ zusammen.

Die Arbeitshygienebeauftragten erbringen als (professionals)-Beschäftigte des ungarischen nationalen Dienstes für öffentliche Gesundheit und Medizin Dienstleistungen für den Arbeitgeber.

Das Gesundheitsgesetz definiert Arbeitsmedizin als Vorbeugung auf der Ebene der medizinischen Grundversorgung und erläutert die Funktionen und Ziele des arbeitsmedizinischen Dienstes. Der Bereich Arbeitsmedizin gliedert sich in drei Ebenen:

1. Oberste Ebene: das nationale Institut für Arbeitsmedizin.

2. Mittlere Ebene: arbeitsmedizinische (OH-) Beratung/Sprechstunden.

3. Basis Ebene: Arbeitsschutz und -medizin (OHS) durch allgemeinmedizinische Grundversorgung.

Das nationale Institut für Arbeitsmedizin wurde im Jahre 1949 gegründet. Es sorgt für die fachlichen Grundlagen der Arbeitsmedizin und unterstützt diesen Bereich durch fachliche und methodische Anleitung, Schulung/Ausbildung und wissenschaftliche Forschung.

Die mittlere Ebene, die OH-Beratung, bildet die 2. Stufe der gestaffelten Versorgung von Paienten mit berufsbedingten Krankheiten. Die arbeitsmedizinische Beratung arbeitet mit Hilfe von 91 Einheiten/Stellen; diese Einheiten führen landesweit die Untersuchungen zur Arbeitsfähigkeit (von arbeitslosen Personen und Personen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit) durch.

Die Hauptaufgaben der Basisebene (OHS) entsprechen im wesentlichen dem Aufgabenbereich unseres „ASiG“; hierauf wird nicht näher eingegangen, da dieser Aufgaben-Katalog sich (in beiden Ländern) an den Betriebsarzt wendet.

In Ungarn dürfen Arbeitnehmer nicht ohne eine Arbeitsfähigkeitsbestätigung bzw. die entsprechende Untersuchung beschäftigt werden. Nach dem Arbeitsschutzgesetz und der diesbezügl. Verordnungen muss jeder Arbeitgeber Sorge für eine grundlegende arbeitsmedizinische Erst- und Grundversorgung aller Beschäftigten tragen.

Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Branchen, Regionen oder Größe der Unternehmen.

Eine „Diensteinheit“ (bestehend aus einem Arzt und einer Pflegekraft) kann in Abhängigkeit von den jeweiligen Gesundheitsrisiken 1000 bis 2000 Arbeitnehmer versorgen.

Ende 2008 gab es 3061 arbeitsmedizinische „Grundversorgungseinheiten“ im Land.

Die Arbeitgeber können die arbeitsmedizinische Versorgung auf verschiedene Weisen organisieren: Durch Einrichtung einer arbeitsmedizinischen Versorgungseinheit im Unternehmen, in der ein in Arbeitsmedizin spezialisierter Arzt in Vollzeit gemeinsam mit einer Pflegekraft angestellt ist, oder durch Einkauf dieser Dienstleistungen bei einem privaten arbeitsmedizinischen Dienst. Die Anzahl der in Vollzeit angestellten Ärzte betrug 2008 ca. 1213 Personen, was ungefähr einem Drittel der Gesamtzahl der Ärzte entsprach. Hierzu kamen weitere 1838 in Teilzeit angestellte Ärzte, die bei anerkannten arbeitsmedizinischen Diensten beschäftigt waren. Davon waren 2500 in Arbeitsmedizin spezialisiert und 561 im Bereich Ausbildung/Schulung tätig.

Die Finanzierung der arbeitsmedizinischen Versorgung wird vom Arbeitgeber getragen – Verordnung Nr. 89/1995 (VII 14) –, nicht von der nationalen Krankenversicherung.

Ausbildung und Qualifikationen des arbeitsmedizinischen, nichtärztlichen Fachpersonals
Eine in den letzten Jahren wiederholt geänderte Verordnung „27/1995 (VII.14)“

regelt den Aufbau der arbeitsmedizinischen Versorgungsdienste. Darin wird vorgegeben, welche Art von Pflegequalifikationen für diesen Bereich erforderlich ist:

1. Arbeitsmedizinische Pflegekraft: Krankenpflegeexamen plus 1-jährige Ausbildung in Arbeitsmedizin (hohe berufliche Qualifikation).

2. Fabrik-/Betriebspflegekraft: 1-jährige Ausbildung (berufliche Qualifikation). Das System der medizinischen Dienste in Betrieben/Fabriken – mit Betriebspflegekräften – bestand bereits seit mehr als 40 Jahren; es wurde 1993 in arbeitsmedizinische Versorgungsdienste umgewandelt. Die Qualifikation als Betriebspflegekraft wird auch heute noch akzeptiert.

Die Länge der allgemeinen Pflegeausbildung schwankt in Abhängigkeit vom jeweiligen Niveau (Zertifikat/3 Jahre, Diplom/BSc. oder Universitätsabschluss/MSc.) zwischen drei und fünf Jahren.

Die Teilnahme am zusätzlichen 1-jährigen Arbeitsmedizinischen Pflegekurs danach ist zusätzlich erst nach einem Jahr Berufserfahrung möglich. Die Ausbildung umfasst 222 Stunden Theorie und 1184 Stunden praktische Arbeit.

Die Theorie umfasst Lernmodule zu den Themen:

· Arbeitstoxikologie,

· Vorbeugungsmethoden,

· Verwaltung,

· berufsbedingte Krankheiten

· Arbeitshygiene,

· medizinische Screenings und Untersuchungen,

· Arbeitspsychologie,

· Ergonomie,

· Arbeitsphysiologie,

· Screeningstests (z.B. EKG, Audiometrie, Sehtest, Lungenfunktionstest, etc.), Oxyologie,

· EDV-Grundkenntnisse.

Das Arbeitsmedizinische Fachpersonal (OHN) arbeitet nicht selbständig! Der Zuständigkeitsbereich erstreckt sich, in Abhängigkeit von Betriebsgröße und der verfügbaren medizintechnischen Ausstattung, von administrativen, dokumentierenden und assistierenden Aufgaben bei allen medizinischen Untersuchungen über die Anwendung der technischen Diagnosegeräte bis hin zu medizinischer Versorgung, Beratung der Arbeitnehmer und Erstem-Hilfe-Bereich.

Derzeit werden in Ungarn ca. 3073 arbeitsmedizinische Pflegekräfte beschäftigt, davon 2248 als arbeitsmedizinische Fach-Pflegekräfte. Bei den arbeitsmedizinischen Versorgungsdiensten sind 825 nicht spezialisierte Pflegekräfte (allgemeine Pflegekräfte und BSc- oder MSc-Pflegekräfte) angestellt.

Vereinigungen im Bereich der arbeitsmedizinischen Versorgung
In Ungarn gibt es mehrere Berufs- und wissenschaftliche Verbände für medizinische Pflegekräfte, jedoch (noch) keinen speziellen Fachverband für Pflegekräfte des Bereichs Arbeitsmedizin. Das arbeitsmedizinische Fachpersonal (OHNs – occupational health nurses) ist normalerweise durch Mitgliedschaft in 2 großen Berufsverbänden des Pflegebereichs vertreten: Im ungarischen Pflegekräfteverband (CHHP) und im „Rat des ungarischen medizinischen Fachpersonals“ (MESzK).

Der „Pflegekräfteverband“ wurde als erste unabhängige Organisation zur Vertretung der beruflichen Interessen der Pflegekräfte 1989 gegründet. Entsprechend der fachlichen Interessensbereiche arbeiten unter seinem Dach 10 unterschiedliche Sektionen, darunter auch eine „OHN-Sektion“.

Der „Rat des ungarischen medizinischen Fachpersonals“ (MESzK) wurde im Jahre 2004 gegründet. Er umfasst alle in paramedizinischen Berufen Beschäftigten und vertritt dieses Fachpersonal in professionellen und ethischen Belangen, auch in Verbindung und mit Unterstützung bei selbständiger Tätigkeit.

Der Rat soll das im Gesundheitswesen beschäftigte Fachpersonal individuell vertreten und durch Wahrung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen des medizinischen Fachpersonals Beiträge zur Gesundheitspolitik leisten, um die medizinische Versorgung für die ungarische Bevölkerung zu verbessern.

Der Rat bringt das „Ungarische Journal der Pflegetheorie und -praxis“ heraus; eine Mitgliedschaft ist freiwillig; der arbeitsmedizinische Bereich hat z.Zt. 250 Mitglieder, zur Vertretung dieses Bereichs ist der MESzK ab 2010 Mitglied der FOHNEU geworden; er verspricht sich davon eine Verbesserung der Effizienz und Qualität der Arbeit und des Status der OHNs in Ungarn und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

Wir möchten besonders darauf hinweisen, dass es sich bei allen vorgenannten arbeitsmedizinischen Abschlüssen um Weiterbildungen mit öffentlich-rechtlichen Stati handelt.

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