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Unwissenheit schützt vor Strafe nicht

Arbeitgeber sind verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu ergreifen. Kommt es zu vermeidbaren Unfällen, drohen Geld- oder gar Freiheitsstrafen – zusätzlich zum Image-Verlust durch Negativschlagzeilen. Mit Rechtsanwalt Matthias Klagge sprachen wir über mögliche Konflikte mit dem Gesetz und die Verantwortlichkeiten im Arbeitsschutz.

Das Gespräch führte Petra Jauch

Herr Klagge, wie häufig stehen Arbeitgeber vor Gericht, weil sie ihre Pflichten im Arbeitsschutz verletzt haben?

Häufig. Nämlich immer dann, wenn die Arbeitgeber ihre Pflichten verletzt haben und ein Mitarbeiter oder Dritter hierbei Schäden an Leib oder Leben davonträgt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Arbeitgeber oder Vorgesetzte selbst gehandelt haben; auch wer untätig bleibt – obwohl er eine Pflicht zum Handeln hat – kann sich strafbar und haftbar machen.

Mit welchen Strafen ist zu rechnen – mindestens und im Höchstfall?

In Betracht kommt bei Arbeitsunfällen eine fahrlässige Körperverletzung oder eine fahrlässige Tötung. Im Höchstfall beträgt die Strafe drei Jahre Freiheitsstrafe bei der fahrlässigen Körperverletzung und fünf Jahre bei einer fahrlässigen Tötung, mindestens wird jedoch eine empfindliche Geldstrafe verhängt, die sich an den Einkommensverhältnissen des Täters orientiert.

Gibt es eventuell eine Grauzone nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“? Soll heißen, wird es erst dann brenzlig, wenn es zu einem größeren Unfall gekommen ist?

Kleinere Unfälle landen in der Regel nicht vor dem Strafrichter. Zudem bedarf es immer auch einer Strafanzeige, damit die Staatsanwaltschaft Kenntnis vom Vorfall erlangen kann. Erfährt aber die Staatsanwaltschaft von einem strafbaren Sachverhalt, muss sie grundsätzlich die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen aufnehmen.

Arbeitgeber sind nach dem Arbeitsschutzgesetz primär verantwortlich und haben weitreichende Pflichten: Sie müssen alle erforderlichen Maßnahmen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit treffen. Das umfasst die Verhütung von Unfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ebenso wie die menschengerechte Gestaltung der Arbeit. Sind diese Pflichten juristisch eindeutig geklärt oder auch Auslegungssache?

Die Pflichten sind eindeutig geklärt, die tatsächlichen Anforderungen im Einzelfall ergeben sich zum Beispiel aus der Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze. Daher sind sie auch Auslegungssache.

Der Knackpunkt: Ein Arbeitgeber/Unternehmer ist in der Regel nicht ständig präsent und kann seine Aufgaben im Arbeitsschutz nicht allumfassend selbst erfüllen. Doch nicht jeder darf an seiner statt handeln: Das Gesetz erlaubt eine Pflichtenübertragung nur auf Personen, die dazu befähigt sind. Wer kommt dafür in Frage?

Das können neben den Betriebsleitern auch sonstige zuverlässige und fachkundige Personen sein. Als unzuverlässig wäre zum Beispiel ein Beauftragter anzusehen, der wiederholt gegen arbeitsschutzrechtliche Vorschriften verstoßen hat. Die geforderte Fachkunde sagt aus, dass der Beauftragte über das entscheidende theoretische Wissen und die entsprechenden praktischen Fähigkeiten verfügen muss. Formelle Qualifikationsbescheinigungen fordert das Gesetz hingegen nicht. Ausreichend kann daher zum Beispiel eine langjährige Berufserfahrung sein. Erforderlich ist weiterhin, dass der Arbeitgeber die verantwortlichen Personen mit den notwendigen Betriebsmitteln ausstattet, um einen funktionierenden Arbeitsschutz zu gewährleisten.

Wie wird die Übertragung rechtssicher gestaltet?

Das kommt immer auf den Einzelfall an und ist eine Frage der arbeitsschutzrechtlichen Compliance. Die Delegation von Arbeitsschutzaufgaben erfordert ein funktionierendes Compliance-System, sodass eine genaue Definition der Aufgaben sowie eine klare Verteilung der Zuständigkeit gegeben sind. Für jede Aufgabe muss es also einen Verantwortlichen geben. Kurz gesagt – es muss abschließend geregelt sein, „wer was wann und wie zu tun hat.“

Mit der Übertragung der Pflichten ist der Arbeitgeber aber noch nicht „aus dem Schneider“: Seine Handlungspflicht wandelt sich in eine Überwachungspflicht. Das heißt, er muss regelmäßig prüfen, ob die verantwortlichen Personen ihren Verpflichtungen auch nachkommen. Was bedeutet diese Kontrollpflicht in der Praxis?

Es reicht nicht aus, dass sich der Arbeitgeber nur einmalig bei der Aufgabenübertragung von der Eignung der betreffenden Person überzeugt. Es muss sichergestellt sein, dass Delegierte auf allen Hierarchiestufen in einem angemessenen Umfang überwacht werden, ob die ihnen übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß ausgeführt werden. Die Rechtsprechung verlangt dabei keine Rundum-Überwachung. Ausreichend ist eine angemessene stichprobenartige Kontrolle in Relation zum Grad der drohenden Gefahren. In Ausnahmefällen kann es erforderlich sein, dass der Arbeitgeber externe Spezialisten oder Sachverständige zur Kontrolle hinzuzieht, wenn ihm die eigene Sachkunde zur Überprüfung gänzlich fehlt. Denn Unkenntnis schützt hier nicht vor Strafe.

Worin besteht – ganz kurz – die
wichtigste Strategie zur Haftungs-
vermeidung?

Jeder muss wissen, was er zu tun hat und das Bewusstsein aller Beteiligten für ein sicheres Arbeiten muss vorhanden sein oder eben geschult werden. Die Arbeitnehmer müssen die Sicherheitsvorschriften einhalten und die Arbeitgeber sachgerecht überwachen. Beinahe-Unfälle sollten analysiert zur Prävention werden.

Unter welchen Bedingungen ist eine Selbstanzeige sinnvoll?

Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Jedenfalls ist niemand verpflichtet, sich selbst zu belasten. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch im Bereich des Arbeitsschutzes. Eine Selbstanzeige führt – anders als im Steuerstrafrecht – auch nicht zur Straffreiheit. Hier hilft die Kommunikation der Beteiligten miteinander. Es sind die Persönlichkeitsinteressen des Betroffenen und die betrieblichen Interessen abzuwägen.


Der Referent

Matthias Klagge
Rechtsanwalt Matthias Klagge, LL.M, ist im Arbeits-, Datenschutz- und Strafrecht tätig und doziert an der Fachschule für öffentliche Verwaltung in Köln. Er studierte Rechtswissenschaften in Kiel, Freiburg, Hamburg und Pisa. Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen arbeitete er zunächst als Staatsanwalt in Hamburg, wechselte dann zu einer Fernsehproduktionsfirma und war anschließend bei einer Münchener Wirtschaftskanzlei beschäftigt. Seit 2008 ist er Rechtsanwalt bei TIGGES Rechtsanwälte in Düsseldorf.

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