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Coronavirus-Pandemie – Gesundheitsrelevante Maßnahmen

Mit der Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie in Deutschland: Herausforderungen und Interventionsmöglichkeiten“1 vom 21.03.2020 hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina eine Reihe gesundheitspolitischer Empfehlungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie ausgesprochen. Sie bestehen im Wesentlichen aus Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie und zum Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen. Ebenso ist eine gezielte und deutliche Kapazitätserhöhung im öffentlichen Gesundheitswesen sowie im Versorgungssystem entscheidend. Die Empfehlungen haben nach wie vor Gültigkeit und wurden nun unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Entwicklungen ergänzt. Dabei konzentriert sich die Leopoldina im Folgenden auf gesundheitsrelevante Maßnahmen, die zu einer schrittweisen Normalisierung des öffentlichen Lebens beitragen können. Drei sind besonders wichtig:

  1. flächendeckende Nutzung von Mund-Nasen-Schutz,
  2. Verwendung mobiler Daten und
  3. Ausbau der Testkapazitäten.

Obwohl der Anstieg der registrierten Neuinfektionen mit SARS-Cov-2 in Deutschland sich seit einigen Tagen verlangsamt, müssen die am 22.03.2020 beschlossenen, bundesweit gültigen politischen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung weiterhin Bestand haben. Um diese Maßnahmen auch ohne die Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe oder Arzneimittel im Anschluss an die Osterzeit differenziert lockern zu können, empfiehlt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ergänzend zu den bereits geltenden Abstands- und Hygieneempfehlungen Folgendes:

1. Mund-Nasen-Schutz reduziert die Übertragung von Viren, v.a. durch eine Reduktion der Tröpfcheninfektion.2 Da sich eine große Zahl unerkannt Erkrankter ohne Symptome im öffentlichen Raum bewegt, schützt ein Mund-Nasen-Schutz andere Menschen, verringert damit die Ausbreitung der Infektion und senkt somit mittelbar das Risiko, sich selbst anzustecken. Ein Mund-Nasen-Schutz dient eingeschränkt auch unmittelbar dem Eigenschutz. Eine schrittweise Lockerung der Einschränkungen sollte daher mit dem flächendeckenden Tragen von Mund-Nasen-Schutz einhergehen. Dies gilt im gesamten öffentlichen Raum, u. a. in Betrieben, Bildungseinrichtungen und
im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Voraussetzung ist die flächendeckende Verfügbarkeit von schützenden Masken. Der Mangel sollte bereits jetzt durch selbst hergestellten Mund-Nasen-Schutz, Schals und Tücher überbrückt werden. Diese sollten dabei Mund, Nase, Kinn und die Seitenränder möglichst vollständig abdecken. FFP2/3-Masken sollten weiterhin dem medizinischen Bereich, der Pflege und besonderen Berufsgruppen vorbehalten sein.

2. Die kurzfristige Verwendung mobiler Daten, die ortsunabhängig den räumlichen und zeitlichen Kontakt von Personen abbilden, ist für die Identifizierung von infizierten Personen und ihren Kontakten hilfreich.3 Daher sollten schnellstmöglich digitale Werkzeuge wie eine entsprechende App für Mobiltelefone verfügbar gemacht werden, in denen Personen freiwillig und unter Einhaltung von Datenschutz sowie Persönlichkeitsrechten anonym diese Daten teilen. Diese nach einem definierten Zeitraum (z.B. max. vier Wochen) zu löschenden Daten sind für zielgenaue Maßnahmen wie die Informierung potentiell gefährdeter Personen unentbehrlich.

3. Die Testkapazitäten in Deutschland auf eine akute Infektion mittels PCR-Test wurden inzwischen auf über 350.000 Tests/Woche erhöht. Sie sollten, z.B. durch neue validierte Schnelltests, weiter ausgebaut werden, um möglichst gezielt breit testen zu können. Damit können Ausbreitungsherde besser eingegrenzt und Quarantänemaßnahmen passgenau verhängt werden. Zur Erhöhung der Testkapazität könnten für eine Überbrückungszeit auch veterinärmedizinische Untersuchungseinrichtungen und weitere Forschungsinstitutionen einbezogen werden. Darüber hinaus müssen serologische Tests (Antikörpertests) validiert, etabliert und hinsichtlich ihrer Kapazitäten ausgebaut werden.

4. Darüber hinaus ist eine repräsentative und randomisierte Testung der Bevölkerung hinsichtlich akuter Infektionen und Immunität dringend notwendig. Dies ist die Voraussetzung für eine realistische Abschätzung der epidemiologischen Situation (relativer Anteil Infizierter, Erkrankter, schwer Erkrankter, Intensivfälle, Verstorbener, Immunität). Die Daten bilden auch die Grundlage für verlässliche Berechnungen der Wirkung verschiedener Maßnahmen. Auf dieser Basis lassen sich auch regional angepasste Maßnahmen entwickeln.

5. Bei der Registrierung von Neuerkrankten müssen auch deren Risikofaktoren (Alter, Vorerkrankungen, Rauchen etc.) umfassend und standardisiert elektronisch erfasst werden. Da die Risikofaktoren die Schwere des Krankheitsverlaufs maßgeblich beeinflussen, ist diese Information im Hinblick auf die Abschätzung einer möglichen Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems wichtig.

6. Zeitweilig sind durch COVID-19 deutliche Umstrukturierungen in den Kliniken und im öffentlichen Gesundheitssystem notwendig geworden. Diese müssen regelmäßig überprüft und angepasst werden. Es ist dabei zu beachten, dass alle anderen akut und chronisch Erkrankten nicht aus der Versorgung herausfallen, wichtige Diagnosen weiterhin frühzeitig gestellt und nachverfolgt sowie langfristig angelegte Therapien nicht unterbrochen werden. Dabei können digitale Angebote (z. B. Videosprechstunden) eine zunehmende Rolle spielen.

7. Die Bevölkerung zeigt eine hohe Bereitschaft, die empfohlenen Maßnahmen umzusetzen. Eine transparente und regelmäßige Kommunikation u. a. von nachvollziehbaren Zielgrößen (z. B. Zahl schwer Erkrankter in Relation zur Versorgungskapazität) kann diese noch weiter stärken. Bei SARS-Cov-2-Infizierten kann die Erkrankung schon 2,5 Tage vor Symptombeginn übertragen werden, und ein Großteil der Infizierten weist auch nach der mittleren Inkubationszeit von 5 bis 6 Tagen bei sehr hoher Viruslast im Rachenraum wenige bis keine Symptome auf.4 Diese Information muss breit kommuniziert werden, um dadurch ein nachhaltiges, verantwortungsbewusstes Verhalten zu fördern.

Aktuell sind gesundheitsrelevante Maßnahmen besonders wichtig. Darüber hinaus müssen unmittelbare und langfristige gesellschaftliche sowie ökonomische Folgen berücksichtigt und in die Entscheidungen einbezogen werden. Die Leopoldina erarbeitet derzeit weitere Stellungnahmen mit Empfehlungen für ein nachhaltiges „Wiederhochfahren“ des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft.

1Abrufbar unter www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/coronavirus-pandemie-in-deutschland-herausforderungen-und-interventionsmoeglichkeiten-2020/ (letzter Zugriff 02.04.2020).

2 Siehe Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT) zu Mund-Nasen-Schutzmasken (2020). Abrufbar unter: www.oeginfekt.at/download/oegit-stellungnahme_mns.pdf (letzter Zugriff 02.04.2020).

3 Ferretti et al. (2020). Quantifying dynamics of SARS-CoV-2 transmission suggests that epidemic control and avoidance is feasible through instantaneous digital contact tracing. medRxiv.

4 He et al. (2020) Temporal dynamics in viral shedding and transmissibility of COVID-19. medRxiv. Wölfel et al. (2020) Virological assessment of hospitalized patients with COVID-2019. Nature, https://doi.org/10.1038/s41586–020–2196-x.


Aus der Wissenschaft:


Modellierung der Neuinfektionen A) ohne die hier vorgeschlagenen Maßnahmen (Nasen-Mund-Schutz, Testen, Verwendung digitaler Daten, Abstands- und Hygieneempfehlungen, gezielte Quarantäne), B) bei optimaler Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen und C) reale Daten aus Südkorea.

Verlauf und Projektion1 von Neuinfektionen2 in Deutschland ab dem 04.04.2020. Die gestrichelte Linie markiert den 20.04.2020. Der schattierte Bereich in A) und B) beschreibt die Unsicherheiten der Vorhersage [Anmerkung: A) und B) sind halblogarithmisch und C) linear skaliert].

A) Das öffentliche Leben wird ohne Umsetzung de r hier vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen schrittweise hochgefahren.

B) Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden parallel zur schrittweisen Lockerung des öffentlichen Lebens optimal umgesetzt (angenommen wird bei diesem Modell, dass sich die Anzahl der Neuansteckungen, die von einem Infizierten ausgehen, auf unter 1,0 reduzieren lässt).

C) Die Entwicklung der täglichen Neuinfektionen in Südkorea vom 15.02. – 01.04.2020, wo entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.3

Das Beispiel Südkorea zeigt, dass selbst bei Umsetzung der Maßnahmen neue Infektionen sich nicht vollständig vermeiden lassen, insofern handelt es sich in Abbildung B um einen idealisierten Modellverlauf.

1 Der Berechnung liegt das folgende Modell zugrunde: Maier und Brockmann (2020) Effective containment explains sub-exponential growth in confirmed cases of recent COVID-19 outbreak in Mainland China. arXiv preprint arXiv:2002.07572.

2 Die Zahlen basieren auf Erhebungen der Johns-Hopkins-Universität, abrufbar unter: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdash
board/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6
(letzter Zugriff 02.04.2020).

3 Abbildung entlehnt von https://www.worldometers.info/coronavirus/ (letzter Zugriff 02.04.2020).

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