02_Betrieblicher Infektionsschutz

Vor dem Virus sind nicht alle Erwerbstätigen gleich

Trotz des wegen der Corona-Pandemie drohenden wirtschaftlichen Abschwungs bewerten die Beschäftigten in Deutschland die eigene wirtschaftliche Situation derzeit als positiv. Das gilt insbesondere für die höher Gebildeten. Das ist das zentrale Ergebnis einer ersten Analyse, die heute auf Basis der Daten der im April gestarteten SOEP-Corona-Studie (SOEP-CoV) in der Reihe DIW aktuell veröffentlicht wurde. Weiterhin zeigt die Studie: Rund 20 Prozent der Erwerbstätigen aus 2019 haben schon jetzt Einkommenseinbußen erlitten. Davon berichten Menschen mit einem geringen Einkommen und damit geringeren finanziellen Spielräumen genauso häufig wie besser Verdienende. Etwa 35 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Homeoffice und können sich so vor Ansteckungen schützen, darunter vor allem Menschen mit höheren Einkommen und besserer Bildung. Von Kurzarbeit sind derzeit 17 Prozent der Erwerbstätigen betroffen, vor allem weniger gebildete. „Schon jetzt zeichnet sich also ab, dass Menschen mit höherem Einkommen und besserer Bildung die Krise leichter bewältigen werden als andere“, sagt SOEP-Direktor Stefan Liebig, Co-Leiter der Studie. „Wir werden auf Basis der SOEP-CoV-Daten auch beobachten können, wie die Pandemie das Leben in Deutschland in den kommenden Jahren prägen wird.“

Die für Deutschland repräsentative SOEP-Corona-Studie (SOEP-CoV) untersucht die sozialen Folgen der Corona-Pandemie. Dabei geht es u.a. um das Arbeitsleben und den Alltag, die seelische und körperliche Gesundheit, aber auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für SOEP-CoV werden seit Anfang April mehr als 12.000 Menschen befragt, die in der Vergangenheit regelmäßig an der repräsentativen Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) teilgenommen haben und auch in Zukunft jedes Jahr wieder befragt werden.

Alleinstellungsmerkmal der SOEP-Corona-Studie ist die Langzeitperspektive. „Wir können nicht nur schon jetzt sehen, wie sich das Leben der Menschen hierzulande durch die Corona-Krise im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie verändert“, sagt Stefan Liebig, Direktor des SOEP und Co-Leiter der Studie. „Wir werden auf Basis der SOEP-CoV-Daten auch beobachten können, wie die Pandemie das Leben in Deutschland in den kommenden Jahren prägen wird.“

SOEP-CoV ist ein gemeinsames Projekt des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin und der Universität Bielefeld und wird mit 0,5 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. „Mit unserer Studie schließen wir eine entscheidende Datenlücke und fördern sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Krise“, sagt Simon Kühne von der Universität Bielefeld, Co-Leiter der Studie.

Corona-Elternzeit und -Elterngeld können Eltern entlasten

Seit Wochen weitgehend geschlossene Kitas und Schulen, eine Rückkehr zum Normalbetrieb nicht in Sicht: Die Folgen der Corona-Pandemie stellen in Deutschland mehr als vier Millionen Familien mit erwerbstätigen Eltern und Kindern im Alter von bis zu zwölf Jahren vor große Probleme, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht. Wie eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt, dürften von den Mehrbelastungen in Sachen Kinderbetreuung und Hausarbeit in erster Linie die Mütter betroffen sein. Den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zufolge hat zudem ein großer Teil der Haushalte nicht einmal theoretisch die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten. Und selbst wenn diese Möglichkeit besteht, sind die Vereinbarkeitsprobleme noch nicht dauerhaft gelöst. Viele Familien benötigten dringend unmittelbar eine Entlastung und mittelfristig eine Perspektive, schlussfolgern Kai-Uwe Müller, Claire Samtleben, Julia Schmieder und Katharina Wrohlich aus der Abteilung Staat und der Forschungsgruppe Gender Economics des DIW Berlin. Helfen könnte die Einführung einer Corona-Elternzeit verbunden mit einem Corona-Elterngeld.

Erwerbs- und Sorgearbeit schon vor Corona-Pandemie ungleich verteilt

Repräsentative Informationen zur Frage, wie viele erwerbstätige Eltern derzeit von zu Hause arbeiten können und wie sie sich die Erwerbs- und Sorgearbeit aufteilen, liegen bisher kaum vor. Die StudienautorInnen haben daher SOEP-Daten aus Vorkrisenzeiten analysiert und daraus Erkenntnisse mit Blick auf die gegenwärtige Situation abgeleitet. Demnach sind in zwei Drittel aller Paarhaushalte mit Kindern im Alter von bis zu zwölf Jahren beide Elternteile erwerbstätig. Allerdings hat nur in etwas mehr als der Hälfte dieser Haushalte zumindest eine Person theoretisch die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten. Unter den besonders betroffenen Alleinerziehenden, von denen ebenfalls etwa zwei Drittel erwerbstätig sind, gilt das sogar nur für rund 35 Prozent.

„Das vielfach als Vereinbarkeitswunder gepriesene Arbeiten im Home-Office ist also für einen Großteil der betroffenen Eltern schlicht keine Option – ganz abgesehen davon, dass wirklich produktives Arbeiten parallel zur Kinderbetreuung oftmals auch nicht möglich ist“, sagt Studienautorin Claire Samtleben. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der Kontaktbeschränkungen – und weil sie durch das Corona-Virus besonders gefährdet wären – Großeltern bei der Betreuung nicht wie gewohnt helfen können. In normalen Zeiten nehmen rund 30 Prozent der Haushalte mit Kindern im Alter von bis zwölf Jahren regelmäßig Betreuung durch Verwandte in Anspruch, unter den Alleinerziehenden sind es sogar 40 Prozent.

„Die Erfahrung vieler Eltern nach zwei Monaten Home-Office verdeutlicht die Grenzen der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und produktivem Arbeiten zu Hause. Eine Corona-Elternzeit und ein Corona-Elterngeld könnten für Entlastung sorgen“, sagt Katharina Wrohlich.

Den Hauptteil der zusätzlichen Last tragen vermutlich die Mütter. Schon in normalen Zeiten leisten sie den größten Teil der Kinderbetreuung, selbst wenn sie wie ihr Partner in Vollzeit erwerbstätig sind und noch umso mehr, wenn sie teilzeitbeschäftigt sind. Auch andere Haushaltstätigkeiten wie Einkaufen, Kochen und Putzen, die in Corona-Zeiten verstärkt anfallen, dürften wie zuvor allen voran Mütter übernehmen. „Wenn in einer Familie jemand die Arbeitszeit reduzieren oder den Job zumindest zeitweise ganz aufgeben muss, um Zeit freizuschaufeln, dann dürften es am ehesten die Mütter sein“, so Studienautorin Julia Schmieder, „denn sie sind oft teilzeitbeschäftigt und haben mehrheitlich ein geringeres Gehalt als ihre Partner. Die Gefahr eines gleichstellungspolitischen Backlashs ist daher nicht abwegig, sondern sogar sehr real.“

Corona-Elternzeit könnte gleichstellungspolitischen Impuls geben

Nach Ansicht der StudienautorInnen sollte die Politik das Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie dringend adressieren – zumal es umso größer wird, je länger der gegenwertige Zustand anhält. „Jahresurlaub und Überstunden sind nach einer Weile abgebaut, Einkommensersatzleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz laufen nach sechs Wochen aus und sind zudem an die Bedingung geknüpft, dass Eltern ihrem Beruf nicht im Home-Office nachgehen können“, erklärt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin. „Die Erfahrung vieler Eltern nach zwei Monaten Heimarbeit verdeutlicht jedoch die Grenzen der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und produktivem Arbeiten zu Hause. Deshalb müssen erwerbstätige Eltern schnell entlastet werden, etwa mit einer Corona-Elternzeit und einem Corona-Elterngeld“, so Wrohlich.

Dieser Vorschlag sieht vor, dass erwerbstätige Alleinerziehende sowie Familien, in denen beide Eltern gemeinsam mehr als 40 Stunden arbeiten, jeweils eine Reduzierung der individuellen Arbeitszeit beantragen können, um ihre Kinder zu betreuen. Dafür gäbe es dann eine staatliche Einkommensersatzleistung, ähnlich wie im Falle des Elterngeldes. Sofern die Eltern nicht in systemrelevanten Berufen arbeiten, sollte die Leistung bei Paaren an die Bedingung geknüpft werden, dass beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren. „So könnte vermieden werden, dass bestehende Geschlechterungleichheiten bei der Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit im Zuge der Corona-Krise noch verschärft werden“, sagt Wrohlich. „Damit würde auch ein gleichstellungspolitischer Impuls gesetzt.“


Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Aktuelle Ausgabe

Partnermagazine

Akademie

Partner