05-Corona

Selbstständige in der Corona-Krise

1 Datengrundlage: Die HBS-Erwerbspersonenbefragung

Grundlage der vorliegenden Analysen sind die ersten fünf Wellen einer im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung von KANTAR durchgeführten Panelbefragung von Erwerbspersonen in Deutschland (vgl. Hövermann und Kohlrausch 2020; WSI-Datenzentrum 2021). Die Interviews wurden als computergestützte Online-Interviews (CAWI) mit Erwerbspersonen ab 16 Jahren durchgeführt.

1.1 Befragungszeitpunkte und
Fallzahlen

An der ersten Welle nahmen im Zeitraum vom 03. bis 14. April 2020 – also in einer noch relativ frühen Phase der Pandemie mitten im weitreichenden Lockdown – 7.677 Befragte teil. In jeder der folgenden vier Wellen wurde versucht, die Teilnehmer:innen der ersten Welle erneut zu kontaktieren. Die Ausgangsstichprobe basiert auf einer Quotenstichprobe im Rahmen eines sogenannten Online-Access-Panels. Dabei wurde die strukturelle Zusammensetzung der Befragten anhand von festgelegten Quoten nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildung abgebildet und zusätzlich mit Gewichten nachträglich korrigiert. Die Quotenvorgaben basieren auf Sollzahlen aus der amtlichen Statistik, sodass die Stichprobe die Erwerbsbevölkerung entsprechend dieser Merkmale adäquat abbildet. Gleichwohl handelt es sich bei dem Access-Panel nicht im strengen Wortsinn um eine Zufallsstichprobe, welche weiterhin als „Goldstandard“ für die Erhebung repräsentativer Stichproben gilt. Zur Auswahlgesamtheit gehören nur diejenigen Befragten, die eine Payback-Karte besitzen und damit Mitglieder des im Einzelhandel verbreiteten Payback-Kunden-Programms sind. Mittlerweile ist jedoch in mehr als jedem zweiten deutschen Haushalt eine Payback-Karte vorhanden, sodass die Auswahlgesamtheit ebenso groß wie divers ist. Aus der Grundgesamtheit der Payback-Bestandskundendaten wurden die Befragten aktiv schriftlich-postalisch rekrutiert – eine Offline-Rekrutierung also, um der Gefahr der Selbstselektion bei Online-Stichproben entgegenzutreten. Das hier gewählte Rekrutierungsverfahren hat den Vorteil, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund der Quotierung anteilsmäßig besser abgebildet und erreicht werden können als dies über Telefonumfragen möglich ist. Zudem sind Online-Befragungen deutlich besser als langwierige und komplexe Telefon-Stichproben geeignet, dynamische Situationen wie die Corona-Pandemie kurzfristig zu erheben. Des Weiteren erzielen Online-Stichproben eine hohe Teilnehmendenzahl, sodass eine detaillierte Auswertung und Analyse bestimmter Teilgruppen möglich werden. Zudem werden die Antworten zur Qualitätssicherung auf Plausibilität geprüft, d. h. nur Personen mit plausiblen Angaben werden ausgewertet (Hövermann 2021).

Die Ausgangsstichprobe der 7.677 Erwerbspersonen aus Welle 1 wurde zu vier Zeitpunkten erneut kontaktiert: Im Juni 2020, im November 2020, Ende Januar/Anfang Februar 2021 sowie Ende Juni/Anfang Juli 2021. So fiel die zweite Welle in eine Zeit, die durch eine langanhaltende Phase rückläufiger Infektionszahlen und schrittweiser Öffnungen des öffentlichen Lebens geprägt war. Nachdem die Infektionszahlen im Herbst 2020 wieder gestiegen waren, wurde am 02. November 2020 ein so genannter „Lockdown Light“ beschlossen, der zwar durchaus Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorsah, jedoch weniger gravierende als im ersten Lockdown. Die dritte Welle erfolgte im direkten Anschluss an diesen Lockdown Light, befragt wurde ab dem 05. November. Die vierte Welle, von Ende Januar bis Anfang Februar 2021, folgte im Anschluss an eine längere öffentliche Debatte darüber, ob denn die Möglichkeit des Homeoffice ausreichend genutzt würde. Die fünfte Welle schließlich wurde überwiegend im Juli 2021 durchgeführt, als die 7-Tage-Inzidenz-Werte in Deutschland auf einem zwischenzeitigen Tiefpunkt von rund fünf bis sechs Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern lagen (vgl. Emmler 2021).

Tabelle 1 bietet eine Übersicht über wesentliche Kennziffern der vier Befragungswellen.

1.2 Selbstständige in der
HBS-Erwerbspersonenbefragung

Selbstständige waren in den ersten vier Wellen der HBS-Erwerbspersonenbefragung unterrepräsentiert. Lediglich 208 Befragte und damit etwas mehr als 4 Prozent des (erwerbstätigen) Samples aus Welle 5, welches bereits in Welle 1 befragt wurde, gehören zu den Kategorien „Selbstständige/r Landwirt/in“ (7), „Selbstständige/r Freiberufler/in“ (111) sowie „Sonstige/r Selbstständige/r oder Unternehmer/in“ (90), während einschlägigen Quellen zufolge rund 10 Prozent zu erwarten wären (Brenke und Beznoka 2016). Die Kategorie der 4.675 unselbständig Beschäftigten bilden „Arbeiter:innen“, „Angestellte“ und „Beamte“ 3.

Um die Situation der Selbstständigen belastbar darstellen zu können, haben wir deshalb eine disproportionale Nachziehung von Selbstständigen für die fünfte Erhebungswelle in Auftrag gegeben. Diese 1.142 neubefragten Selbstständigen haben das gleiche Fragenprogramm durchlaufen wie die Befragten aus der „alten“ Stichprobe. Zusammen mit den 208 Selbstständigen können wir nun, für die aktuelle Situation im Juli 2021, auf die Angaben von insgesamt 1.350 Selbstständigen zurückgreifen. 4

Für die retrospektiven Auswertungen – also die Angaben im Zeitverlauf – müssen wir jedoch auf ein reduziertes Sample zurückgreifen, da die oben erwähnten nachgezogenen Selbstständigen in den Wellen 1 bis 4 nicht befragt wurden. Zudem kann zur Zuordnung der Kategorie „Selbständig“ lediglich die Tätigkeitsangabe aus der fünften Welle zugrunde gelegt werden, da die Tätigkeit in den Wellen 1 bis 3 in einer Form erfolgte, in der einzelne Kategorien sowohl selbständig als auch nicht selbständig sein konnten und in Welle 4 keine separate Identifikation von Solo-Selbständigkeit möglich war. Unseren Auswertungen liegt deshalb implizit die Annahme zugrunde, dass selbstständige Befragte in Welle 5 auch in den vorigen Befragungswellen selbstständig tätig waren. 5 Wenngleich dies im Einzelfall nicht immer zutreffen mag, 6 so gehen wir davon aus, dass solche Wechsel zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung nicht systematisch sind und die Ergebnisse deshalb grundsätzlich Bestand haben.

Sofern nicht anders ausgewiesen, beziehen sich die aktuellen Angaben der Selbstständigen zum Zeitpunkt Juli 2021 stets auf das volle Erwerbstätigensample (N = 1.350), während sich die Angaben im Zeitverlauf auf das reduzierte Sample (N = 208) beschränken.

2 Sozialstruktur und Lebensumstände

Selbstständige unterscheiden sich in ihren soziodemographischen Merkmalen von abhängig beschäftigten Befragten, das bestätigen auch die Daten der HBS-Erwerbspersonenbefragung: Sie sind älter (im Durchschnitt 51 gegenüber 43 Jahren unter den abhängig Beschäftigten), häufiger männlich (67 gegenüber 52 Prozent), haben häufiger Abitur (53 gegenüber 40 Prozent) oder einen Magister- bzw. vergleichbaren Abschluss (27 gegenüber 13 Prozent). Selbstständige sind deutlich seltener Gewerkschaftsmitglieder (6 gegenüber 19 Prozent).

Möglicherweise auch durch das durchschnittlich höhere Alter bedingt, leben selbstständige Beschäftigte häufiger mit einem festen Partner oder einer festen Partnerin im Haushalt (77 gegenüber 66 Prozent) und zudem häufiger im Eigenheim statt zur Miete (64 Prozent, 42 Prozent unter abhängig Beschäftigten).

Von den in Welle 5 befragten 1.350 Selbstständigen geben 856 an, dass sie „keine weiteren Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen außer sich selbst“ beschäftigen, was einem gewichteten Anteil von 55 Prozent entspricht. Diese Solo-Selbstständigen ähneln in einer Reihe von Merkmalen den Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen, in anderen unterscheiden sie sich deutlich. Sie sind im Schnitt genauso alt wie andere Selbstständige, etwas häufiger weiblich (36 gegenüber 28 Prozent) und weisen noch etwas häufiger Abitur und einen Magisterabschluss auf als Selbstständige mit Mitarbeiter:innen. Sie haben seltener Kinder, die sie betreuen, und wohnen seltener mit einem festen Partner oder einer festen Partnerin im Haushalt als Selbstständige mit Mitarbeiter:innen (73 gegenüber 81 Prozent).

3 Die Situation von Selbstständigen in der Krise

3.1 Tätigkeit

Die in diese Analyse einbezogenen selbstständig Erwerbstätigen betrachten die Selbstständigkeit als ihren Haupterwerb. 14 Prozent von ihnen geben jedoch an, zusätzlich auch „angestellt beschäftigt“ zu sein.

Die Branchenstruktur unterscheidet sich naturgemäß zwischen selbstständigen und abhängig beschäftigten Erwerbspersonen: Weniger als ein Prozent arbeiten in der Öffentlichen Verwaltung (gegenüber 11 Prozent), etwas mehr sind im Grundstücks- und Wohnungswesen beschäftigt, etwas weniger im Gesundheits- und Sozialwesen, und viel mehr in den „sonstigen Dienstleistungen“ (18 gegenüber 10 Prozent), wobei die Solo-Selbstständigen hier überproportional vertreten sind (24 gegenüber 10 Prozent unter den Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen). Wenig überraschend, arbeiten Selbstständige in der Regel in Kleinstbetrieben mit weniger als fünf Beschäftigten (79 gegenüber 7 Prozent). Auch bei ausschließlicher Betrachtung der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen bleibt dieser Befund bestehen (69 Prozent), von denen allerdings auch 7 Prozent in Betrieben von 11 bis 19 Personen und immerhin noch 6 Prozent in Betrieben mit 20 bis 199 Personen arbeiten.

3.2 Arbeitssituation von Selbstständigen

3.2.1 Veränderung der Selbstständigkeit in der Krise

Etwas mehr als die Hälfte der selbstständig Erwerbstätigen konnten ihre Selbstständigkeit seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 unverändert fortführen. Während 13 Prozent ihre Selbstständigkeit sogar ausbauen konnten, gibt fast jede:r dritte Selbstständige an, in der einen oder anderen Form den Umfang seiner Selbstständigkeit reduziert zu haben – so kommen auf eine ausgeweitete Selbstständigkeit 2,5 Einstellungen oder Reduktionen. Es zeigen sich bei diesen Befunden keine auffälligen Unterschiede zwischen Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen.

Betrachtet man die Gründe, aus denen der zeitliche Umfang der Selbstständigkeit reduziert wurde, treten nur selten familiäre oder gesundheitliche Gründe zu Tage – insgesamt in etwa 10 Prozent der Fälle. Über 40 Prozent reduzierten ihre Selbstständigkeit aufgrund „betrieblicher Gründe“, also unter anderem wegen Auftragseinbrüchen oder Lieferengpässen, die nicht selten Corona-bedingt zustande gekommen sein dürften. Zwei Drittel der Selbstständigen mit Arbeitszeitreduktionen jedoch gaben an, dies infolge „gesetzliche[r] Vorgaben aufgrund der Corona-Pandemie“ getan zu haben – das bedeutet, dass insgesamt mehr als jede:r fünfte Selbstständige die Arbeitszeit durch die Corona-bedingten Einschränkungen reduzieren musste.

3.2.2 Arbeitszeiten

Im April 2020 arbeiteten 33 Prozent der Selbstständigen „zeitlich spürbar weniger“ als vor der Corona-Krise (gegenüber 10 Prozent der abhängig Beschäftigten), wobei überproportional Selbstständige mit Mitarbeiter:innen betroffen waren (39 Prozent). Im Juni galt dies für 21 Prozent, im Januar 2021 für 27 Prozent und im Juli 2021 für 21 Prozent (unter den abhängig Beschäftigten für 6,5 und 3 Prozent).

Bei Betrachtung der durchschnittlichen Arbeitszeiten fällt jedoch auf, dass die Reduktion der absoluten Arbeitszeiten zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten sowie auch zwischen Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen unterschiedlich verläuft. Während alle Beschäftigungstypen über alle Messzeitpunkte hinweg unterhalb des Vorkrisenniveaus lagen und liegen, waren Selbstständige in besonderem Maße von den Lockdowns betroffen. Besonders im März und April des Jahres 2020 waren massive Einbrüche bei den Arbeitszeiten zu verzeichnen, als Solo-Selbstständige im Schnitt nur noch rund zwei Drittel ihrer ursprünglichen Arbeitszeit leisten konnten. Bis zum Lockdown Light glichen sich die Arbeitszeiten von Solo-Selbstständigen und abhängig Beschäftigten wieder weitgehend an – wie schon vor der Krise, wenn auch auf geringerem Niveau. Vom Lockdown Light im November 2020 sowie vom erneut verschärften Lockdown ab Februar 2021 waren Solo-Selbstständige jedoch wieder überproportional betroffen, und auch jetzt liegen ihre durchschnittlichen Arbeitszeiten – unserer kleinen Stichprobe zufolge – unterhalb der Arbeitszeiten der abhängig Beschäftigten.

Die Arbeitszeiten von Selbstständigen sind zudem, wie zu erwarten, häufiger außerhalb der klassischen „nine-to-five“-Struktur verortet: Nur 15 Prozent arbeiten nie vor 7 oder nach 19 Uhr (gegenüber 31 Prozent unter abhängig Beschäftigten) und nur 10 Prozent arbeiten nie am Wochenende (unter den abhängig Beschäftigten sind es 45 Prozent). Selbstständige sind mit ihrer Work-Life-Balance weder mehr noch weniger zufrieden als abhängig Beschäftigte, wobei Solo-Selbstständige etwas zufriedener sind als Selbstständige mit Mitarbeiter:innen (84 gegenüber 76 Prozent „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“).

Selbstständige arbeiteten in der Krise häufiger im Homeoffice. Wie sich Abbildung 2 entnehmen lässt, gilt dies aber nur für Solo-Selbstständige. Bereits vor der Krise arbeitete jeder vierte Solo-Selbstständige „ausschließlich oder überwiegend“ von zu Hause. Ein Anteil, der sich zum Zeitpunkt der strengsten Verschärfungen – März/April 2020 sowie Januar/Februar 2021 – etwa verdoppelte. Selbstständige mit Mitarbeiter:innen arbeiten sogar seltener überwiegend von zu Hause aus als abhängig Beschäftigte, mit Ausnahme des zweiten Lockdowns. Das Vorkrisenniveau ist allerdings in allen drei Gruppen selbst im Juli 2021 noch deutlich übertroffen.

Selbstständige müssen nicht seltener oder häufiger Kinder betreuen oder ältere Verwandte pflegen als abhängig Beschäftigte. Jedoch haben sie seltener die Möglichkeit, bezahlten Urlaub zu nehmen, Überstunden abzubauen oder Kinderkrankentage zu nehmen. Sie haben im Schnitt nicht häufiger Kinder zu Hause, müssen aber tendenziell etwas häufiger ihre Arbeitszeit reduzieren, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Dieser Befund betrifft sowohl Selbstständige mit als auch solche ohne Mitarbeiter:innen.

3.3 Belastungen und Sorgen

Selbstständige machen sich seit Beginn der Krise durchgehend häufiger Sorgen um ihre eigene Beschäftigung und ihre wirtschaftliche Existenz:

35 Prozent machten sich im April 2020 große Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation (Juni 2020: 25 Prozent; November 2020: 21 Prozent; Juli 2021: 19 Prozent), während dies für 22 Prozent der abhängig Beschäftigten galt (Juni 2020:14 Prozent; November 2020:15 Prozent; Juli 2021:12 Prozent).

In Bezug auf die Familie und die Gesundheit sind die Unterschiede zwischen abhängig Beschäftigten und Selbstständigen dagegen geringer: Um ihre familiäre Situation sorgten sich im Juli 2021 10 Prozent der abhängig Beschäftigten und 8 Prozent der Selbstständigen. Um ihre eigene Gesundheit waren zu diesem Zeitpunkt 11 Prozent der Selbstständigen und 13 Prozent der abhängig Beschäftigten besorgt.

Bei diesen Fragen, die sich auf Sorgen beziehen, sind keine nennenswerten Unterschiede zwischen Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen zu verzeichnen, mit der Ausnahme, dass Solo-Selbstständige tendenziell etwas mehr Sorge um ihre eigene berufliche Zukunft und etwas weniger Angst vor Infektionen mit dem Coronavirus in ihrem familiären Umfeld haben.

Selbstständige nehmen ihre Arbeitssituation deutlich häufiger als abhängig Beschäftigte als „äußerst belastend“ oder „stark belastend“ wahr. Aus Abbildung 3 lässt sich entnehmen, dass das Belastungsgefühl der Selbstständigen zu Beginn der Krise besonders hoch war und seitdem für alle Gruppen auf ähnlichem Niveau verharrt. Besonders ausgeprägt scheint die Arbeitsbelastung bei den Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen zu sein.

Für die Belastung durch „die Gesamtsituation“ zeigt sich ein ähnliches Bild zwischen abhängig Beschäftigten und Selbstständigen. Bei den finanziellen Belastungen jedoch treten deutliche Unterschiede zu Tage: Die Belastung der Selbstständigen ist durchgehend höher als die der abhängig Beschäftigten, während bei allen Gruppen das Maximum der Belastung zu Beginn der Krise zu verzeichnen war. Die Belastungen der Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen ähneln sich stark, mit dem Unterschied, dass unter den Soloselbstständigen auch im Juni 2020 noch ein hoher Anteil mit starken Belastungen zu verzeichnen war, während dieser Anteil unter den Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen bereits deutlich gesunken war.

3.4 Einkommen

Für die ersten vier Wellen der HBS-Erwerbspersonenbefragung lagen keine Informationen zu den Individual- und Haushaltseinkommen vor der Krise vor. Um diese Datenlücke zu schließen, wurden diese Angaben in der fünften Welle retrospektiv erhoben. Um Ungenauigkeiten durch z.B. verzerrte Erinnerungen auszuschließen, werden wir diese Angaben nur stark vergröbert auswerten. Dabei konzentrieren wir uns auf die individuellen Einkommen der befragten Personen.

Zum Zeitpunkt der fünften Welle (Ende Juni bis Mitte Juli 2021) gaben 21 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 37 Prozent der Selbstständigen an, dass sich die Corona-Pandemie bereits negativ auf ihr persönliches Einkommen ausgewirkt habe. Besonders ausgeprägt ist dieser Wert für die Solo-Selbstständigen: 44 Prozent erlitten bereits Einkommensverluste durch die Coronakrise (Selbstständige mit Mitarbeiter:innen: 29 Prozent). Nur 22 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 28 Prozent der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen und 41 Prozent der Solo-Selbstständigen mussten in den sechs Monaten vor dem Befragungszeitpunkt auf Ersparnisse zurückgreifen, um ihre monatlichen Ausgaben bestreiten zu können – obwohl Solo-Selbstständige weniger häufig über finanzielle Rücklagen verfügen als die anderen beiden Gruppen (61 Prozent; 73 Prozent bei Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen und 67 Prozent bei abhängig Beschäftigten).

Ein Blick auf die grobe Einkommensverteilung bestätigt die Ergebnisse: Während sich die Einkommensverteilung der abhängig Beschäftigten im Juli 2021 wie die Verteilung vor der Krise ausgestaltet, gab es bei Selbstständigen (mit und ohne Mitarbeiter:innen) eine Verschiebung zu den unteren Einkommensgruppen: So hat sich zum Beispiel der Anteil der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen mit einem Individualnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro monatlich etwa verdoppelt; ähnliche Prozentsatzdifferenzen sind bei den Solo-Selbstständigen zu beobachten.

Bemerkenswert ist, dass Selbstständige auch bei Betrachtung identischer Branchen teils deutlich häufiger Einkommenseinbußen hinnehmen mussten als abhängig Beschäftigte: Selbstständige, die im Bereich „Handel und KFZ-Gewerbe“ tätig sind, mussten zu 47 Prozent Einbußen hinnehmen, während dies nur für 28 Prozent der abhängig Beschäftigten gilt. Ähnliches ist für das Gesundheits- und Sozialwesen (31 gegenüber 10 Prozent) zu beobachten. Besonders deutlich wird der Unterschied jedoch in den „Sonstigen Dienstleistungen“ – eine Branche, die divers zusammengesetzt ist, unter anderem aus Medienberufen und Kunstschaffenden und in der anteilig viele Selbstständige beschäftigt sind; nur jede:r vierte abhängig Beschäftigte in dieser Branche berichtet über Verluste, aber fast jede:r zweite Selbstständige.

Zudem ist auffällig, dass soloselbstständige Frauen häufiger Einkommensverluste zu verzeichnen hatten als soloselbstständige Männer (48 gegenüber 40 Prozent). Eine Ursache für dieses Phänomen könnte darin liegen, dass Frauen anteilig häufiger in den von der Krise stark betroffenen Branchen erwerbstätig sind, zum Beispiel in den „Sonstigen Dienstleistungen“. Durch die unterschiedliche Betroffenheit der Branchen könnten sich die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern noch verstärken.

3.5 Einstellungen

Obwohl Selbstständige, wie bisher gezeigt, deutlich andere Krisenerfahrungen machen als abhängig Beschäftigte, unterscheiden sich ihre Einstellungen zu verschiedenen Aspekten der Krise nicht grundlegend voneinander. Sie schätzen das Krisenmanagement der Bundesregierung genauso ein wie abhängig Beschäftigte und fühlen sich ähnlich gut informiert. Lediglich beim Wissen über Hilfsmaßnahmen sind sie den abhängig Beschäftigten etwas voraus und haben diese Hilfsmaßnahmen häufiger genutzt. Allerdings schätzen sie diese deutlich seltener als „existenzsichernd“ ein.

Zu verschiedenen Statements zur Krise geben Selbstständige vergleichbare Antworten wie abhängig Beschäftigte; sie gelangen auch zu ähnlichen Einschätzungen zum Homeoffice. Mit etwas Vorsicht lässt sich feststellen, dass Solo-Selbstständige insgesamt etwas kritischer gegenüber den gesellschaftlichen Einschränkungen sind: So stimmen 23 Prozent der Solo-Selbstständigen der Aussage „Die derzeitigen Einschränkungen der Freiheitsrechte stellen eine Bedrohung der Demokratie dar.“ voll und ganz zu, während dies nur für 13 Prozent der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen und 14 Prozent der abhängig Beschäftigten gilt. 14 Prozent der Solo-Selbstständigen glauben, „dass das Corona-Virus [nicht] so gefährlich ist, wie es häufig behauptet wird“ – ein Statement, welches nur 10 Prozent der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen bzw. 9 Prozent der abhängig Beschäftigten unterschreiben würden.

4 Zusammenfassung der
empirischen Ergebnisse

Im vorliegenden Policy Brief wird die Situation von Selbstständigen in der Corona-Krise anhand von Daten der HBS-Erwerbspersonenbefragung beschrieben. Im Vergleich zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten zeigen sich deutliche Unterschiede:

  • Die von uns befragten Selbstständigen unterscheiden sich strukturell von abhängig Beschäftigten: Sie sind durchschnittlich älter und häufiger männlich. Sie arbeiten nur selten im Öffentlichen Dienst, dafür überproportional im Grundstücks- und Wohnungswesen und vor allem in den „Sonstigen Dienstleistungen“.
  • Knapp ein Viertel der Solo-Selbstständigen arbeitete bereits im Dezember 2019 im Homeoffice, zu Beginn der Pandemie im März 2020 stieg der Anteil auf knapp die Hälfte (49 Prozent), im Juli 2021 waren es noch 38 Prozent. Im Vergleich dazu ist der Anteil der abhängig Beschäftigten und der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen im Homeoffice mit jeweils 3 Prozent im Dezember 2019 und 15 bzw. 8 Prozent im Juli 2021 deutlich niedriger.
  • Sowohl bei den abhängig Beschäftigte als auch bei Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen war zu Beginn der Pandemie (März 2020) ein deutlicher Einbruch der Arbeitszeit zu verzeichnen. Am stärksten war der Einbruch bei den Solo-Selbstständigen. Im Juli 2021 liegt die Arbeitszeit der abhängig Beschäftigten mit 35,6 Stunden pro Woche und der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen mit 49,4 Stunden pro Woche fast wieder auf dem Vorkrisenniveau (Dezember 2019: 37,7 bzw. 50,1 Stunden). Nur bei den Solo-Selbstständigen verharrt die Arbeitszeit mit 31,9 Stunden pro Woche im Juli 2021 noch weit unter dem Vorkrisenniveau (Dezember 2019: 37,7 Stunden pro Woche).
  • Selbstständige haben weniger Möglichkeiten, mithilfe von bezahltem Urlaub oder Überstundenabbau Kinderbetreuung zu gewährleisten.
  • Fast jede:r dritte Selbstständige gibt an, seit März 2020 den Umfang der selbstständigen Tätigkeit reduziert zu haben. Allerdings konnten auch 13 Prozent die Selbstständigkeit ausweiten.
  • Zwei Drittel der Selbstständigen, die ihre selbstständige Tätigkeit reduziert haben, berichten, dies infolge „gesetzliche[r] Vorgaben aufgrund der Corona-Pandemie“ getan zu haben.
  • Selbstständige nehmen im gesamten Befragungszeitraum (April 2020 bis Juli 2021) ihre Arbeitssituation deutlich häufiger als abhängig Beschäftigte als „äußerst belastend“ oder „stark belastend“ wahr. Besonders ausgeprägt ist die Arbeitsbelastung bei den Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen.
  • Im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten fühlen sich Selbstständige durch die finanzielle Situation besonders zu Beginn der Pandemie häufiger „äußerst“ oder „stark“ belastet. Im April 2020 trifft dies auf einen Anteil von 47 Prozent der Selbstständigen mit Mitarbeiter.innen bzw. 44 Prozent der Solo-Selbstständigen zu – im Vergleich dazu für 22 Prozent der abhängig Beschäftigten. Im Juli 2021 war dies noch bei 28 bzw. 27 Prozent der Selbstständigen mit und ohne Mitarbeiter:innen der Fall und bei 15 Prozent der abhängig Beschäftigten.
  • Selbstständige (mit und ohne Mitarbeiter:innen) machen sich seit Beginn der Krise durchgehend häufiger Sorgen um ihre eigene Beschäftigung und ihre wirtschaftliche Existenz als abhängig Beschäftigte. 35 Prozent der Selbstständigen machten sich im April 2020 große Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation (Juni: 25 Prozent, November: 21 Prozent; Juli 2021: 19 Prozent), während dies für 22 Prozent der abhängig Beschäftigten galt (14 Prozent; 15 Prozent; 12 Prozent). Selbstständige sorgen sich im Vergleich zu abhängig Beschäftigten dagegen etwas weniger häufig um ihre familiäre Situation und um ihre Gesundheit.
  • Im Juli 2021 geben 21 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 37 Prozent der Selbstständigen an, dass sich die Corona-Pandemie negativ auf ihr Einkommen ausgewirkt habe. Besonders betroffen sind Solo-Selbstständige: 44 Prozent erlitten Einkommensverluste durch die Coronakrise (Selbstständige mit Mitarbeiter:innen: 29 Prozent).
  • Soloselbstständige Frauen hatten infolge der Corona-Pandemie häufiger Einkommensverluste zu verzeichnen als soloselbstständige Männer (48 gegenüber 40 Prozent).
  • Der Anteil Selbstständiger mit einem Individualnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro monatlich hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich erhöht. Dies gilt sowohl für Solo-Selbstständige als auch für Selbstständige mit Mitarbeiter:innen.
  • Ein Drittel (33 Prozent) der solo-selbstständigen Frauen erzielt im Juli 2021 ein Einkommen von unter 1500 Euro (vor der Krise 27 Prozent), bei den solo-selbstständigen Männern beträgt dieser Anteil 18 Prozent (vor der Krise 11 Prozent).
  • Befragt im Juli 2021 gaben 22 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 28 Prozent der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen und 41 Prozent der Solo-Selbstständigen an, dass sie in den sechs Monaten vor dem Befragungszeitpunkt auf Ersparnisse zurückgreifen mussten, um ihre monatlichen Ausgaben bestreiten zu können – dies obwohl Solo-Selbstständige weniger häufig über finanzielle Rücklagen verfügen als die anderen beiden Gruppen.
  • Obwohl Selbstständige offensichtlich andere Erfahrungen als abhängig Beschäftigte gemacht haben, unterscheiden sich ihre Einstellungen zu verschiedenen Aspekten der Krise (zum Beispiel zum Krisenmanagement der Bundesregierung) nicht grundlegend von denjenigen der abhängig Beschäftigten.

Es muss festgehalten werden, dass wir für einige Angaben im Zeitverlauf nur wenige Selbstständige befragen konnten und diese Selbstständigen möglicherweise auch einer gewissen Selektivität unterliegen. Deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass die hier vorgestellten Befunde als Vorlage für weitere Forschung zu verstehen sind.

5 Handlungsbedarf

Selbstständige unterscheiden sich in ihren soziodemographischen Merkmalen von den abhängig beschäftigten Befragten: Sie sind älter, häufiger männlich, haben häufiger Abitur oder einen Magister- bzw. vergleichbaren Abschluss und sie sind deutlich seltener Gewerkschaftsmitglieder. Über die Hälfte der Selbstständigen sind solo-selbstständig.

Aus früheren Studien wissen wir, dass der Anteil der Solo-Selbstständigen, in den letzten Dekaden beständig zugenommen hat. Seit Anfang der 2000er Jahre setzt sich die Gruppe der Selbstständigen in Deutschland mehrheitlich aus Solo-Selbstständigen zusammen (BMAS 2020).

Insgesamt ist die Selbständigkeit in Deutschland im Wandel begriffen: Zwar ist ihr Anteil an allen Erwerbstätigen seit Anfang des 21. Jahrhunderts relativ stabil bei ca. 10 Prozent, jedoch verändern sich Struktur und Zusammensetzung stetig. Selbstständigkeit entwickelt sich zu einer heterogenen Beschäftigungskategorie mit einer weiten Spannbreite von Branchen und Berufsfeldern, häufig beruhend auf Tätigkeitsprofilen, die auf persönlichen Wissensbeständen basieren und vergleichsweise geringe Anforderungen an ökonomische und personelle Ressourcen zur Gründung stellen (Schulze Buschoff 2018), wie es in der Plattformökonomie der Fall ist. Zur Ausübung der Tätigkeit reicht oftmals der Besitz eines mobilen Endgerätes.

Problematisch ist dabei, dass die Entwicklung hin zu einer Diversifizierung der Selbstständigkeit mit einem vergleichsweise hohen Anteil an Selbstständigen mit prekären Arbeitsbedingungen einhergeht, insbesondere mit unregelmäßigen und niedrigen Einkommen und mangelnder sozialer Absicherung (Brenke und Beznoska 2016; Conen, Schippers und Schulze Buschoff 2016; Eurofund 2017; Hlava und Schulze Buschoff 2021).

Die Ergebnisse der HBS-Erwerbspersonenbefragung zeigen, dass sich diese Befunde infolge der Corona-Krise noch verschärfen: So hat sich zum Beispiel der Anteil der Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen mit einem Individualnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro monatlich im Juli 2021 im Vergleich zum Vorkrisenniveau etwa verdoppelt. Ähnliche Prozentsatzdifferenzen sind bei den Solo-Selbstständigen zu beobachten. Im Juli 2021 waren bereits ein Drittel der solo-selbstständigen Frauen der untersten Einkommenskategorie unter 1500 Euro netto monatlich zuzurechnen. Selbstständige leiden wie kaum eine andere Beschäftigungsgruppe unter den finanziellen Folgen der Krise.

Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf die soziale Absicherung schlecht abschneidet: Während in der Mehrzahl der EU-Länder die Selbstständigen durch die staatlichen Pflichtversicherungssysteme systematisch erfasst werden, ist die Pflichtversicherung in Deutschland entsprechend der Tradition der Bismarckschen Sozialversicherung auf wenige Sondergruppen Selbstständiger (bzw. Scheinselbstständiger) begrenzt 7. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Selbstständigen für sich selbst vorsorgen können und nicht des kollektiven Schutzes der Solidargemeinschaft der Versicherten bedürfen (Schulze Buschoff 2016). Vor dem Hintergrund, dass die Annahme fehlender Schutzbedürftigkeit nicht der Realität entspricht, wird eine Erweiterung der staatlichen Systeme der sozialen Sicherung um den Versichertenkreis der Selbstständigen aller Berufsgruppen schon seit vielen Jahren gefordert (Fachinger 2007; Fachinger und Frankus 2011; Schulze Buschoff 2007). Auch in dieser Legislaturperiode war die Verbesserung der sozialen Absicherung Selbstständiger als Reformvorhaben im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien aufgeführt, aber nicht umgesetzt worden 8. Das ist ein fatales Versäumnis. Die Erfahrung mit der Pandemie verdeutlicht, dass der Mangel an sozialer Absicherung für Selbstständige eine schwerwiegende und folgenreiche Lücke in den Sozialversicherungssystemen darstellt (Schoukens und Weber 2021).

Viele Selbstständige sind gar nicht oder nur unzureichend gegen Wechselfälle des Lebens (insbesondere Alter und Erwerbsminderung, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit) abgesichert. Zwar wurden Sonder-Maßnahmen ergriffen, um Selbstständigen während der Corona-Krise zu helfen. Diese Maßnahmen waren erforderlich, um die Existenz der Selbstständigen in dieser Sondersituation zu sichern, sie sind jedoch zeitlich begrenzt. Es ist darüber hinaus notwendig, die Lücken beim Zugang zum Sozialschutz für Selbstständige dauerhaft zu schließen.

Während bei abhängig Beschäftigten im Rahmen von Sozialversicherungen Möglichkeiten bestehen, einen zeitweiligen Einkommensverlust auszugleichen, z. B. in Deutschland in Form von Kurzarbeit, die während der Krise genutzt und erweitert werden, gibt es auch solche Versicherungsleistungen für Selbstständige nicht oder nur unzureichend. Die gegenwärtige Krise rückt die Lücken in der sozialen Sicherung der Selbstständigen noch deutlicher in den Fokus. Das Ziel von dringend erforderlichen Reformen sollte darin bestehen, Selbstständige möglichst umfassend in obligatorische staatliche Versicherungssysteme einzubeziehen, die einen zumindest vorübergehenden Einkommensverlust infolge von Auftragslosigkeit ausgleichen und sie vor Altersarmut schützen. Versicherungsleistungen sind zuverlässiger und sicherer als staatliche einmalige Zahlungen und belasten zudem nicht die Steuerzahler:innen bzw. die öffentlichen Haushalte.

Die Lücke der sozialen Absicherung wurde von verschiedenen Fraktionen im Bundestag aufgegriffen und jüngst im Rahmen von Anhörungen debattiert (Bundestagsdrucksache der FDP 2021, Bundestagsdrucksache der Fraktion Die Linke 2021, Bundestagsdrucksache der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 2021) 9. Die Anträge der Fraktionen zielen insbesondere auf soziale Sicherheit für Gig- bzw. Crowd-Worker (Fraktion Die Linke), eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens für Selbstständige (FDP und Bündnis 90/Die Grünen), eine weitere Öffnung der Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie eine Reform der Altersvorsorge (Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen).

6 Handlungsempfehlungen

In Deutschland besteht ein umfänglicher Handlungsbedarf bezüglich der sozialen Rechte Selbstständiger, insbesondere hinsichtlich der Entgeltsicherung, z.B. durch Tarifverträge, und der Einbeziehung Selbstständiger in die Sozialversicherungszweige, z. B. in der Arbeitslosen-, der Kranken- und Alterssicherung. Vor allem die obligatorische Altersvorsorge für alle Selbstständigen ist ein dringender und überfälliger Schritt.

In dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 07.02.2018 für die 19. Legislaturperiode findet sich entsprechend folgender Passus:

„Um den sozialen Schutz von Selbstständigen zu verbessern, wollen wir eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen einführen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch (z.B. in Versorgungswerken) abgesichert sind. Grundsätzlich sollen Selbstständige zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und – als Opt-out-Lösung – anderen geeigneten insolvenzsicheren Vorsorgearten wählen können, wobei diese insolvenz- und pfändungssicher sein und in der Regel zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen müssen.“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 07.02.2018)

Durch die Covid-19-Pandemie haben sich die wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen für die Umsetzung dieses wichtigen Reformvorhabens massiv geändert. Gleichzeitig zeigt aber gerade diese Krise, wie wichtig soziale Sicherungssysteme sind und dass die entsprechenden sozialpolitischen Schutzlücken für Selbstständige geschlossen werden müssen.

6.1 Alterssicherung

Derzeit bestehen für etwa ein Viertel der Selbstständigen obligatorische Sondersysteme zur Alterssicherung, wobei die Bedingungen je nach Berufsgruppe sehr unterschiedlich sind. Vielfach gefordert wird eine umfassendere und obligatorische Alterssicherung für Selbstständige aller Berufsgruppen (Schulze Buschoff 2016).

Die in den Anträgen der Fraktionen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen geforderte Einführung einer allgemeinen Altersvorsorgepflicht für Selbstständige ist dringend notwendig. Für die allgemeine Altersvorsorgepflicht bzw. obligatorische Versicherung von Selbstständigen aller Berufsgruppen bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: erstens die Versicherungspflicht, d.h. die Pflicht zur Versicherung bei einem frei wählbaren Versicherungsträger (d.h. auch bei privaten Anbietern), und zweitens die Pflichtversicherung in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), das heißt die Einbeziehung aller nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die GRV. Die Pflichtversicherung in der GRV ist der im Antrag der FDP geforderten Pflicht zur Versicherung mit maximaler Wahlfreiheit vorzuziehen. Die Pflicht zur Versicherung bei einem frei wählbaren, auch privaten Versicherungsträger mit maximaler Wahlfreiheit macht die geforderte Vorsorgepflicht faktisch unkontrollierbar.

Für die Pflichtversicherung in der GRV spricht weiterhin das gesetzlich vorgeschriebene breite Leistungsspektrum der Rentenversicherung, das neben der Zahlung von Altersrenten auch Erwerbsminderungsrenten, Witwen-, Witwer- und Waisenrenten und die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen umfasst. Die Leistungen der GRV beinhalten Elemente des Solidarausgleichs; diese sind in privaten, zumeist marktvermittelten Systemen nur schwer zu realisieren. Hinzu kommt bei wählbaren Versicherungsträgern, dass sowohl die Prüfung, ob der Versicherungspflicht nachgekommen wird, als auch die Koordinierung von Ansprüchen bei verschiedenen Trägern mit einem hohen verwaltungstechnischen Aufwand verbunden sein würden. Bei den Selbstständigen mit häufig unstetigen Erwerbsbiografien würde bei einer Pflichtversicherung in der GRV hingegen der Wechsel von selbstständiger und abhängiger Erwerbsarbeit nicht mit einem Wechsel des Versicherungsträgers verbunden sein. Somit wird die Stetigkeit der Beitragszahlung gestützt, was vor allem Personen mit hybriden Beschäftigungen und unterbrochenen Versicherungsbiografien zu Gute kommt. Vor dem Hintergrund der geringen Sparfähigkeit vieler Selbstständiger, den Folgen der Finanzmarktkrise und der Niedrigzinspolitik scheint es problematisch, auf private Vorsorge zu setzen. Da freie Anlageformen mit dem Risiko von Wertschwankungen verbunden sind, müsste im Fall von Wertverlusten die Gemeinschaft der Steuerzahler mit Grundsicherungsleistungen einspringen.

Ein zentrales Problem der Umsetzung der Pflichtversicherung für Selbstständige in der GRV betrifft die Beiträge, d.h. die Beitragsgestaltung und die Beitragszahlung. Bei der im Prinzip paritätisch angelegten Beitragszahlung „fehlt“ der Arbeitgeberanteil. Wenn man voraussetzt, dass der „fehlende“ Arbeitgeberanteil von den Selbstständigen mitgetragen wird, dann würde dies insbesondere für Solo-Selbstständige im unteren Einkommensbereich zu einer erheblichen relativen Belastung führen. Der „fehlende“ Arbeitgeberanteil könnte in Form einer Auftraggeberabgabe oder in Form von Zuschüssen aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Bei der Auftraggeberabgabe sollen Auftraggeber analog zu den Arbeitgebern an der Finanzierung der Altersversorgung ihrer Auftragnehmer beteiligt werden. Konkret könnte das bedeuten, dass jeder, der Selbstständige beauftragt, im Rahmen einer gesetzlichen Auftraggeberbeteiligung zur Zahlung von Versicherungsbeiträgen verpflichtet werden würde. Bereits heute ist die verpflichtende Beteiligung an der Beitragszahlung von Auftraggebern bestimmter Gruppen von Selbstständigen geltendes Recht, z. B. bei der Beauftragung von selbstständigen Künstler:innen und Publizist:innen und bei Hausgewerbetreibenden. Diese Beispiele zeigen, dass eine Auftraggeberabgabe prinzipiell möglich ist. Allerdings reduzieren sich die bisherigen Erfahrungen auf Bereiche, in denen die „Auftraggebereigenschaft“ eindeutig zu sein scheint, z. B. ist im Falle der selbstständigen Schauspieler:innen ein Theater oder ein Filmstudio oder Fernsehsender eindeutig als Auftraggeber:in benennbar. Schwieriger dürfte die Handhabung etwa im Bereich des Einzelhandels sein. Bei einem selbstständigen Kioskbesitzer etwa müsste konsequenterweise jeder Kunde als Auftraggeber:in behandelt werden. Offen bleibt dabei, wie dies praktisch umgesetzt werden soll. Offen bleibt auch, in welcher Form die Abführung der Beiträge überprüft und Beitragsschulden eingefordert werden sollen. Problematisch erscheint eine erfolgversprechende Einforderung von Beitragsschulden bei Auftraggeber:innen mit Sitz im Ausland. Geklärt werden müsste weiterhin, ob und in welcher Form Beitragsschulden der Auftraggeber:innen kompensiert werden. Wer soll dafür aufkommen?

Der „fehlende“ Arbeitgeberanteil könnte in Form von Zuschüssen aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Ein Beispiel für die gesetzliche Verankerung und Praktizierung von Zuschüssen aus Steuermitteln zu den Beiträgen aller Selbstständigen ist Österreich. Dort wurden im Zuge der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1998 alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbezogen, auch die bislang nicht versicherten Selbstständigen. Der Begriff der „neuen Selbstständigen“ wurde eingeführt.

In Abgrenzung zu den (alten) Selbstständigen, das heißt z. B. zu Gewerbetreibenden, umfasst die Kategorie der neuen Selbstständigen Werkunternehmer, unternehmerisch freie Dienstnehmer:innen und bestimmte Freiberufler:innen (Ärzte, Apotheker, Ziviltechniker etc.). Durch das reformierte österreichische Rentenversicherungssystem werden alle Erwerbstätigen, auch alle Selbstständigen, erfasst und zugeordnet. Zur Lückenschließung und Strukturbereinigung wurden neben der Einführung der Kategorie der neuen Selbstständigen der Arbeitnehmerbegriff konkretisiert, klare Regeln für eine Mehrfachversicherung und eine Prüfreihenfolge festgelegt. Im Zweifelsfall erfolgt die Zuordnung zur Kategorie „Neue Selbstständige“ (Auffangtatbestand). Die Beitragsgrundlage der Selbstständigen in Österreich sind die Einkünfte nach dem Steuerbescheid. Der Beitragssatz der Selbstständigen beträgt 18,5 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der paritätisch getragene Beitragssatz für abhängig Beschäftigte bei 22,8 Prozent. Die Differenz des Beitrags der Selbstständigen zum 22,8 Prozent-Beitrag der abhängig Beschäftigten wird als sogenannte „Partnerleistung des Bundes“ aus Steuermitteln bezahlt (Blank et al. 2016).

Der Nachteil, der den Selbstständigen durch den „fehlenden“ Arbeitgeberanteil im Vergleich zu den abhängigen Beschäftigten entsteht, könnte auch hierzulande durch die maßvolle Bezuschussung durch Steuermittel wieder ausgeglichen werden. Die Corona-Krise hat die Selbstständigen finanziell hart getroffen. Weitere finanzielle Belastungen in Form von obligatorischen Versicherungsbeiträgen könnten durch eine Bezuschussung abgemildert werden. Funktional könnte eine solche Bezuschussung aus Steuermitteln auch als gezielte Sozialdividende bezeichnet werden, die sich dadurch rechtfertigt, dass Selbstständige ein höheres Einkommensrisiko als abhängig Beschäftigte tragen, dafür aber mehr zur innovativen Dynamik der Gesamtgesellschaft beitragen (Schmid 2018). Ein Ausgleich des fehlenden Arbeitgeberanteils ist dringend notwendig um Härten abzumildern, die bei niedrig oder unstetig verdienenden Selbstständigen bei der Einführung einer Versicherungspflicht entstehen werden. Für viele Selbstständige im unteren Einkommensbereich, die jetzt schon durch die Folgen der Corona-Pandemie und die Regelung der Beiträge zur Krankenversicherung relativ stark belastet werden, würde die Verpflichtung zur „vollen“ Beitragslast eine Bedrohung der beruflichen Existenz darstellen. Ohne Ausgleich der vollen Beitragslast wird voraussichtlich die Zahl der selbstständig erwerbstätigen Aufstocker:innen weiter steigen.

6.2 Krankenversicherung

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 07.02.2018 ist die Verbesserung des sozialen Schutzes von Selbstständigen als Reformvorhaben angekündigt worden. Im Kern stand dabei die Einführung der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige, die allerdings in der folgenden Legislaturperiode nicht umgesetzt wurde. Handlungsbedarf wurde aber auch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der zur Zeit der Vereinbarung des Vertrages bereits bestehenden Pflicht zur Krankenversicherung für Selbstständige gesehen. So heißt es in der Koalitionsvereinbarung: „Zudem werden wir
die Mindestkrankenversicherungsbeiträge für kleinere Selbstständige reduzieren (Koalitionsvertrag, Randziffer 4313 ff.).“ Hintergrund war, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung die Beiträge der Selbstständigen nicht am Realeinkommen bemessen, sondern mit einem „angenommen Mindesteinkommen“ festgelegt werden, das oftmals faktisch nicht erreicht wurde.

Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, hat das Bundeskabinett im Rahmen des Versichertenentlastungsgesetz (GKV-VEG) im Juni 2018 beschlossen, die Belastungen für Selbstständige mit geringen Einkommen zu senken und den Mindestbeitrag auf 171 Euro im Monat zu halbieren. Anzuerkennen ist, dass dies eine deutliche Entlastung für „kleine“ Selbstständige ist, für die die vormals geltenden Mindestbeiträge eine erhebliche finanzielle Belastung bedeuteten. Die Bemessungsgrundlage der Beiträge sollte aber wie bei den abhängig Beschäftigten auch besser das reale Erwerbseinkommen und kein „angenommenes Mindesteinkommen“ sein. Im Sinne der Gleichbehandlung mit abhängig Beschäftigten ist deshalb die Forderung nach einkommensabhängigen Beiträgen weiterhin aktuell – vor allem für in Teilzeit Selbstständige (mit Einkommen von 451 bis 1150 Euro).

6.3 Arbeitslosenversicherung

Die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie zeigen, dass eine Verbesserung der Absicherung Selbstständiger gegen das Risiko Arbeitslosigkeit infolge von Auftragsflauten dringend geboten ist. Derzeit ist die Absicherung Selbstständiger gegen Arbeitslosigkeit nur in Form der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung im Anschluss an eine versicherungspflichtige abhängige Beschäftigung möglich. Als Kriterium für die Leistungen gilt die Qualifikation der freiwillig versicherten Selbstständigen unabhängig von der Höhe der geleisteten Beiträge.

Mit einer Verbesserung bzw. Reform der bestehenden Arbeitslosenversicherung für Selbstständige befassen sich auch die im Bundestag im Frühjahr 2021 gestellten Anträge der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Linken (BT-Drucksache 19/15232, BT-Drucksache 19/24691, BT-Drucksache 19/ 17133). Alle drei Anträge schlagen vor, die Zugangsvoraussetzungen zu lockern und die Arbeitslosenversicherung prinzipiell für alle Selbstständigen zu öffnen. Dies ist zu unterstützen, denn wie die Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie verdeutlicht haben, beschränkt sich der Bedarf an sozialer Absicherung keinesfalls nur auf Selbstständige, die vormals sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Versicherung sollte für alle Selbstständigen geöffnet werden, auch für langjährig Selbstständige und für Einsteiger ohne Vorversicherung.

Auch die derzeit geltende Regelung der Freiwilligkeit der Versicherung gilt es zu überdenken. Für eine obligatorische Einbeziehung Selbstständiger in die Arbeitslosenversicherung im Vergleich zu einer rein freiwilligen Absicherung spricht, dass so einer negativen Risikoselektion zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorgebeugt wird (siehe Antrag Fraktion DIE LINKE 2021, BT-Drucksache 19/24691). Allerdings ist zu bedenken, dass von den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19 Pandemie Selbstständige zum Teil hart betroffen sind und eine neue finanzielle Belastung in Form einer obligatorischen Beitragslast – in Kombination mit der der Krankenversicherungspflicht und der zu erwartenden Pflicht zur Altersvorsorge – eine weitere Härte darstellen würde. Eine neue finanzielle Belastung durch obligatorische Beiträge zur Arbeitslosen- und möglicherweise auch zur Altersvorsorge sind derzeit wohl nur mit einer längeren Vorlauffrist denkbar.

Bei der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung ist analog zur Regelung bei den abhängig Beschäftigten ein einkommensabhängiger Beitrag zu befürworten, der sich am laufenden Einkommen des/der Selbstständigen orientiert (Schoukens und Weber 2021). Dabei sollte der Beitrag angemessen sein und die Leistung der Versicherten sollte sich – unabhängig von der Qualifikation, die derzeit als Kriterium der Leistungen gilt – nach der Höhe des Einkommens bemessen, so dass Beiträge und Leistungen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Anspruch auf Leistungen sollten diejenigen haben, die ihre selbstständige Tätigkeit beendet bzw. ihr Unternehmen aufgegeben haben. Bei der Frage der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt sollte so weit wie möglich Spielraum für Entscheidungen für selbstständige Tätigkeiten geboten werden, aber auch Vermittlungen in abhängige Beschäftigung und eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration ermöglicht werden (Schoukens und Weber 2021). Ziel einer Reform sollte wie bei anderen Sozialversicherungszweigen auch bei der Arbeitslosenversicherung sein, dass Selbstständige und abhängig Beschäftigte möglichst gleichbehandelt werden.

6.4 Tarifverträge für Selbstständige

Tarifverträge, die nicht zwischen einzelnen Vertragsparteien, sondern verbindlich für ein Kollektiv geschlossen werden, sind für Erwerbstätige eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu guten und verlässlichen Arbeitsbedingungen. Für Selbstständige in Deutschland besteht die Möglichkeit laut Tarifvertragsgesetz (TVG § 12a) Tarifregelungen einschließlich von Mindestentgeltregelungen für arbeitnehmerähnliche Personen auszuhandeln. Anwendung findet diese Regelung vor allem in der Medien- und Kulturbranche. Es sollte die Möglichkeit geprüft werden, die bestehende Regelung (TVG § 12a) auf weitere Branchen auszuweiten, zum Beispiel auf den Bereich der beruflichen Bildung. Im Medien- und Kulturbereich gilt die Regelung, dass der Status der arbeitnehmerähnlichen Person dann vorliegt, wenn mindestens ein Drittel des Einkommens bei einem Auftraggeber erzielt wird, für alle anderen Berufsgruppen gilt ein 50 Prozent-Quorum (§ 12a As. 1.1 b TVG). Geprüft werden sollte, auch für alle anderen Berufsgruppen das Quorum für die Anerkennung der Schutzbedürftigkeit von 50 Prozent des Einkommens bei einem Auftraggeber generell auf ein Drittel (in § 12a Abs. b3 TVG) zu reduzieren. Damit würden die Voraussetzungen geschaffen, dass Solo-Selbstständige leichter unter Tarifverträge fallen können (Schulze Buschoff 2018).

Der EuGH hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine kollektivvertragliche Entgeltregelung, die auch für Selbstständige gilt, dem Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts (Art. 101 AEUV) unterliegt. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Kollektivverträge nur gültig, wenn diese ,,Schein-Selbstständige“ einbeziehen (EuGH v. 04.12.2014 – C-413/13 – FNV Kunsten). Ob die betroffenen Personen als Unternehmer oder als Schein-Selbstständige einzustufen sind, sei vom zuständigen innerstaatlichen Gericht zu beurteilen. Nicht hinreichend klar wurde aus dieser Entscheidung, ob der EuGH tatsächlich „nur“ Scheinselbstständige meinte, die damit in Wirklichkeit Arbeitnehmer:innen seien, oder ob er auch Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Selbstständige für zulässig ansah (für dieses Verständnis Heuschmid/Hlava 2015). Die Entscheidung macht es jedenfalls ebenfalls erforderlich den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu hinterfragen und neu zu definieren.

Das EU-Wettbewerbsrecht sollte entsprechend der Grundrechte interpretiert werden und allen Erwerbstätigen, einschließlich Plattformbeschäftigten und Selbstständigen, sollte das Recht auf Tarifverhandlungen und Kollektivvereinbarungen gewährt werden. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse überwiegen die gesellschaftlichen Vorteile, die solche Vereinbarungen in Bezug auf Fairness, gleiche Ausgangsbedingungen und sozialen Fortschritt mit sich bringen. Sinnvoll wäre es, hier eine Bereichsausnahme vom Kartellverbot für Kollektivvereinbarungen von Selbstständigen ausdrücklich im Europarecht festzuschreiben. Auf diese Weise ließe sich für alle übrigen Selbstständigen, die auch von einer weitergehenden Definition des Arbeitnehmerbegriffs nicht erfasst werden, eine Verbesserung erreichen (Hlava und Schulze Buschoff 2021). 10

7 Fazit

Im vorliegenden WSI-Report wurden die Situation von (Solo-)Selbstständigen in der Corona-Krise skizziert und Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Im empirischen Teil dieses Reports (Kapitel 1 bis 3) wurde auf Daten der HBS-Erwerbspersonenbefragung zurückgegriffen. In der fünften Welle dieser Längsschnitterhebung, die im Juli 2021 durchgeführt wurde, wurden dabei Selbstständige überproportional nachgezogen, so dass auf Angaben von 1.350 Selbstständigen zurückgegriffen werden konnte. Aufgrund dieser hohen Fallzahl konnte auch zwischen Soloselbstständigen und Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen differenziert werden. Für Untersuchungen im Zeitverlauf, über die unterschiedlichen Messzeitpunkte während der Coronakrise hinweg, konnten wir immerhin noch auf ein reduziertes Sample von 208 Selbstständigen rekurrieren.

Es zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten, sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrem Erleben der Coronakrise. Selbstständige sind zunächst einmal durchschnittlich älter, häufiger männlich und verfügen öfter über höhere Bildungsabschlüsse wie Abitur oder Universitätsdiplome. Sie arbeiten in anderen Branchen und in kleineren Betrieben.

In der Krise mussten Selbstständige häufiger ihre Arbeitszeit reduzieren und waren insbesondere in den Lockdowns von starken Einbrüchen ihrer Arbeitszeit betroffen. Ebenfalls mussten sie häufiger ihre Arbeitszeit reduzieren, um Kinder zu betreuen. Selbstständige machen sich viel häufiger als abhängig Beschäftigte Sorgen um ihre Arbeits- und um ihre finanzielle Situation. Dies gilt sowohl für Soloselbstständige als auch für Selbstständige mit Mitarbeiter:innen. Diese Sorgen spiegeln sich auch in realen Einkommensverlusten wider, denn sowohl unter Selbstständigen mit als auch solchen ohne Mitarbeiter:innen ist die unterste Einkommensklasse mit Individualnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro monatlich deutlich gewachsen.

Insgesamt bestand schon vor der Corona-Krise umfänglicher Handlungsbedarf zur Stärkung der sozialen Rechte Selbstständiger. Dieser Handlungsbedarf wurde durch die Folgen der Krise noch verstärkt. Vielfach gefordert wird bereits seit einigen Jahren die Verbesserung der sozialen Absicherung von Selbstständigen (Fachinger 2007, Fachinger und Frankus 2011, Schulze Buschoff 2007).

Auch im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien der laufenden 19. Legislaturperiode wurde dieser Punkt aufgegriffen und insbesondere die Verbesserung der Altersvorsorge für Selbstständige als Vorhaben angekündigt (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018: 93). Um die im Koalitionsvertrag angekündigte Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige ist es in der zweiten Hälfte der Legislatur still geworden – sicherlich auch aufgrund der vordringlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise. Dass die Reform der Altersvorsorge für Selbstständige nicht umgesetzt wurde, erweist sich allerdings als schweres Versäumnis – die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie dringend eine soziale Absicherung der Selbstständigen vonnöten wäre und wie verwundbar diese Gruppe mangels sozialer Absicherung in Krisenzeiten ist.

Die Pflicht zur Altersvorsorge für alle Selbstständigen ist ein dringender und überfälliger Schritt und muss mit hoher Priorität auf der politischen Agenda bleiben. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie sollte die Ausgestaltung des Reformvorhabens überprüft und in einem größeren Zusammenhang der sozialen Sicherung von Selbstständigen gesetzt werden. Berücksichtigt werden muss, dass die Covid-19-Krise viele Selbstständige finanziell hart getroffen hat und dass neue finanzielle Belastungen in Form von obligatorischen Beiträgen zu verschiedenen Zweigen der Sozialversicherungen möglicherweise einer längeren Übergangszeit bedürfen.

Vermieden werden sollte bei der Lösung des Problems der mangelnden sozialen Sicherung Selbstständiger der bislang in Deutschland beschrittene Weg, für weitere Gruppen von Selbstständigen sozialversicherungsrechtliche Sonderregelungen zu schaffen. Diese Sonderregelungen privilegieren dann die betreffenden Gruppen, schaffen aber zugleich neue Ausgrenzungen und Hürden für andere und damit neue Ungleichheiten. Statt Sonderreglungen sollten möglichst universelle Regelungen geschaffen werden. Angestrebt werden sollte eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten. Vor dem Hintergrund der hohen Dynamik der Selbstständigkeit und der Zunahme von hybriden Beschäftigungsformen wäre dann ein Wechsel des Erwerbstatus nicht mit Nachteilen in der Sozialversicherung verbunden. Durch eine möglichst universelle Lösung könnten Sicherungslücken aufgrund wechselhafter Erwerbsbiografien vermieden werden. Weiterhin wird damit anerkannt, dass eine klare Grenzziehung zwischen abhängiger und selbstständiger Erwerbsarbeit immer schwerer zu ziehen ist und der Graubereich wächst. Mit Blick auf die Altersvorsorge stellt die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung in Form der Pflichtversicherung für alle Erwerbstätigen in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) eine solche universelle Lösung dar. Durch die Erweiterung um bislang nicht in der GRV versicherte Erwerbstätige würde eine Stärkung der Solidargemeinschaft erfolgen (Schulze Buschoff 2018).

In den Wahlprogrammen der Parteien zur Bundestagswahl 2021 wird die Einbeziehung der Selbstständigen in die GRV immerhin von der SPD, von dem Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke gefordert. Die CDU/CSU propagiert dagegen in ihrem Wahlprogramm die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige wahlweise in der GRV oder in anderen „sicheren“ Vorsorgearten. Die FDP fordert eine Basisabsicherung mit maximaler Wahlfreiheit 11. Die Versicherung bei einem frei wählbaren, auch privaten Versicherungsträger, wie von CDU/CSU und der FDP in ihren Programmen gefordert, würde eine Vorsorgepflicht faktisch unkontrollierbar machen.

Die Öffnung der Sozialversicherungen für Selbstständige ist insbesondere in Zeiten des digitalen Wandels der Arbeitswelt und der Zunahme hybrider Beschäftigungen erforderlich, um ihrem Zweck des umfassenden Schutzes vor sozialen Risiken gerecht zu werden. Mit Blick auf die Arbeitslosenversicherung gilt es, die Zugangsvoraussetzungen zu lockern und sie prinzipiell für alle Selbstständigen zu öffnen. Ein notwendiger Schritt besteht weiterhin darin, arbeits- und sozialrechtliche Regelungen an die Bedingungen der Plattformökonomie anzupassen. Hier sollten Rahmenregulierungen auf europäischer Ebene entwickelt werden, um in diesem grenzübergreifenden Arbeitsmarkt größere Rechtssicherheit, Einheitlichkeit und Transparenz zu gewährleisten.

Auf europäischer Ebene sollte weiterhin durch entsprechende Festschreibungen im Europarecht allen Erwerbstätigen, einschließlich Plattformbeschäftigten und Selbstständigen, das Recht auf Tarifverhandlungen und Kollektivvereinbarungen gewährt werden. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse überwiegen die gesellschaftlichen Vorteile, die solche Vereinbarungen in Bezug auf Fairness und sozialen Fortschritt mit sich bringen (Hlava und Schulze Buschoff 2021).

Literatur

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Bundestagsdrucksache der Fraktion
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Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke: Arbeitslosenversicherung für Selbstständige reformieren – BT-Drucksache 19/24691.

Bundestagsdrucksache der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 2021: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Anja Hajduk, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Sicherheit in die Selbstständigkeit – Eine bessere Alterssicherung, mehr Rechtssicherheit und die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige anpassen – BT-Drucksache 19/17133.

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Hanschke, Kevin, und Strauß, Simon. 2021: Sie sterben still. FAZ vom 05.03. 2021. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/in-der-kantstrasse-in-berlin-zeigt-sich-das-versagen-der-wirtschaftspolitik- 17218132.html

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1 Für wertvolle Hinweise zur Überarbeitung einer früheren Version danken wir Aline Zucco.

2 Selbstständige konnten bei Liquiditätsproblemen im Rahmen der „Soforthilfe“ zwischen Ende März und Ende Mai 2020 einen einmaligen Zuschuss von bis zu 15.000 Euro zur Deckung fixer Betriebskosten beantragen. Im Verlauf der Pandemie wurden mit den Überbrückungshilfen I (Sommer 2020) und II (Herbst/Winter 2020) und der Überbrückungshilfe III einschließlich der „Neustarthilfe für Solo-Selbstständige“ (Winter 2020 bis Frühjahr 2021) zusätzliche Hilfen auf den Weg gebracht (Stiel et al. 2021: 1f.)

3 Darunter auch: Berufssoldaten und -soldatinnen sowie Richter und Richterinnen.

4 Diese 1.350 Selbstständigen stellen 22,4 Prozent unseres (erwerbstätigen) Samples in Welle 5. In den Gewichtungsfaktoren wird die disproportionale Ziehung natürlich berücksichtigt, so dass der gewichtete Anteil der Selbstständigen an unserer Stichprobe ca. 9,4 Prozent beträgt.

5 Dies bedeutet zugleich, dass wir nur Auswertungen für Teilnehmer:innen aus Welle 5 vornehmen können, für die zudem eine gültige Angabe zur Tätigkeit vorliegt. Die maximale Fallzahl unserer Analysen beträgt so N = 4.883.Entsprechend wird für alle Auswertungen der Gewichtungsfaktor aus Welle 5 verwendet, der für die Substichprobe der befragten Teilnehmer aus Welle 5 berechnet wurde.

6 Etwa 9 Prozent der 208 Selbstständigen aus Welle 5 waren in Welle 1 noch „Arbeiter:innen“ oder „Angestellte“; Gleiches gilt für 10 Prozent der Selbstständigen in Welle 2, für 8 Prozent in Welle 3 und nur noch für 5 Prozent in Welle 4.

7 So bestehen heute für etwa ein Viertel der Selbstständigen obligatorische Sondersysteme, wobei die Bedingungen je nach Berufsgruppe sehr unterschiedlich sind. Obligatorische Alterssicherungssysteme gelten für Hausgewerbetreibende, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Pflegepersonal, Hebammen, Seelotsinnen und Seelotsen, Küstenschifferinnen und Küstenschiffer und Küstenfischerinnen und Küstenfischer; Handwerker und Handwerkerinnen mit Eintrag in die Handwerksrolle und Bezirksschornsteinfegermeisterinnen und Bezirksschornsteinfegermeister; Künstlerinnen und Künstler und Publizistinnen und Publizisten; Landwirtinnen und Landwirten; sowie Freie Berufe wie Rechtsanwälte, Notare oder Ärzte und sogenannte arbeitnehmerähnliche Personen (siehe SGB VI § 2 Nr. 9).

8 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 2018, 19. Legislaturperiode, S. 93, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/koalitionsvertrag-zwischen-cdu-csu-und-spd-195906

9 1. Antrag der Abgeordneten Jessica Tatti, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

Gute Arbeit und soziale Sicherheit für Gig-Worker bei der ortsgebundenen Plattformarbeit – BT-Drucksache 19/16886/ 2. Antrag der Abgeordneten Jessica Tatti, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Gute Arbeit und soziale Sicherheit für Crowd-Worker bei der ortsungebundenen Plattformarbeit – BT-Drucksache 19/ 22122 (öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zu den Anträgen 1. und 2. in Berlin am 23. November 2020, Ausschussdrucksache 19(11)880/ 3. Antrag der Abgeordneten Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP. Fairness für Selbstständige – Statusfeststellungsverfahren reformieren, Altersvorsorge ermöglichen, Kranken- und Arbeitslosenversicherung öffnen – BT-Drucksache 19/15232/ 4. Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Arbeitslosenversicherung für Selbstständige reformieren – BT-Drucksache 19/24691/ 5. Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Anja Hajduk, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Mit Sicherheit in die Selbstständigkeit – Eine bessere Alterssicherung, mehr Rechtssicherheit und die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige anpassen – BT-Drucksache 19/17133 (öffentliche Anhörung von Sachverständigen zu den Anträgen 3.-5. in Berlin am 19. April 2021, Ausschussdrucksache 19(11)1037).

10 Unter arbeitnehmerähnlichen Personen werden nach § 12a TVG Solo-Selbstständige verstanden, „die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind“. Dies ist der Fall, wenn sie überwiegend für einen Auftraggeber tätig sind oder mehr als 50 Prozent ihres Einkommens von einem Auftraggeber erhalten. Bei Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Journalist:innen reicht es aus, dass 1/3 ihres Einkommens von einem Auftraggeber bezogen wird.

11 Quellen: CDUCSU: „Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ vom 21.06.2021; Alterssicherung Zeilen 2014 ff. / SPD: „Aus Respekt vor deiner Zukunft – Das Zukunftsprogramm der SPD“, beschlossen auf dem Parteitag am 09.05.2021, Seite 35/ Bündnis 90/Die Grünen: „Deutschland. Alles ist drin.“ Programm zur Bundestagswahl 2021 vom 19.03.21, beschlossen auf dem Parteitag am 09.07.2021, Seite 114/ Die Linke: „Zeit zu handeln: Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit!“, Wahlprogramm, beschlossen auf dem Parteitag am 20.06.2021, Kapitel: Gute Rente, gutes Leben/ FDP: „Nie gab es mehr zu tun“, Wahlprogramm beschlossen auf dem Bundesparteitag 14. bis 16. 05.2021, Seite 73–75.


AUTOR:INNEN

PD Dr. Karin Schulze Buschoff, Referat: Arbeitsmarktpolitik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung

Düsseldorf, Karin-Schulze-Buschoff@boeckler.de

Dr. Helge Emmler, Referat: WSI Datenzentrum, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung

Düsseldorf, Helge-Emmler@boeckler.de

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