10_Aktuelles Recht

„Der Sicherheitsbeauftragte ist für die Durchführung des Arbeitsschutzes verantwortlich“ …

Das Amtsgericht Heilbronn hat nach einem Unfall mit einem Gabelstapler in Ilsfeld die Position des Sicherheitsbeauftragten (Sibe) fundamental und fulminant missverstanden2. Es heißt dort allen Ernstes: „Der Angeklagte hat in seiner Eigenschaft als Sibe des Unternehmens nicht dafür Sorge getragen, dass im Betrieb regelmäßige Unterweisungen im Umgang mit allen zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln auf der Grundlage schriftlicher Betriebsanweisungen durchgeführt werden. Dem Angeklagten ist zur Last zu legen, dass er die Einhaltung der Durchführung der regelmäßigen Unterweisungen nicht überwacht hat.“ Es ist zwar ganz am Anfang des Sachverhalts kurz erwähnt, er sei „Schichtleiter und Sicherheitsbeauftragter“ – und als Schichtleiter kann er durchaus die erwähnten Führungspflichten verletzt haben. Aber das AG Heilbronn stellte bei seiner Verurteilung allein auf die Position des Sibe ab. Das wird schon zu Beginn der Aussagen zu ihm deutlich: „Zunächst ist festzustellen, dass der Angeklagte in seiner Position als Sibe für die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen und damit grundsätzlich für die Durchführung von Unterweisungen verantwortlich ist.“ Das Gericht setzt seinen rechtlich unzutreffenden Weg sogar noch konsequent und kontraproduktiv bei der Strafzumessung fort und berücksichtigt strafschärfend, dass „der Angeklagte die Funktion des Sicherheitsbeauftragten innehatte“.

Was hat das Gericht übersehen?

Das Gericht hat übersehen, dass bei einer „Doppelfunktion“ der Sibe „seine Weisungsbefugnis aus seiner Funktion als Vorgesetzter und nicht aus seiner Funktion als Sibe herleitet“3. Das Bundesverwaltungsgericht fasst ausführlich zusammen4: Sibe „rücken nicht im geringsten, was die Verantwortlichkeit für die Betriebssicherheit betrifft, an die Stelle des Unternehmers“; dem Sibe „selbst werden allein aufgrund der Bestellung keine konkreten Pflichten übertragen. Insbesondere gehen die öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers zur Unfallverhütung wie auch die straf- und zivilrechtliche Verantwortung weder ganz noch auch nur teilweise auf ihn über; er ist nur Helfer des Arbeitgebers“5.

Praktisch relevant ist – wie nach dem Unfall in Ilsfeld – vor allen Dingen die Frage, ob Sicherheitsbeauftragte eine Garantenstellung gemäß § 13 StGB haben, die sie zum Handeln zwingt, um Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung nach Arbeitsunfällen zu vermeiden6. Das hängt von den Rechtspflichten ab, die sie übernommen haben.

Was sind die Aufgaben des Sibe? – gesetzliche Ausgangspunkte

Sicherheitsbeauftragte haben eine „den Unternehmer unterstützende Funktion“7. Die § 22 Abs. 2 SGB VII und § 20 Abs. 2 DGUV Vorschrift 1 legen ihren Aufgabenbereich mit drei Verben fest: unterstützen, sich überzeugen und aufmerksam machen.

Verb heißt „Tun-Wort“ – also muss das ein Sibe auch tun. Die Unterstützungsfunktion ist exakt so formuliert bei der Fachkraft für Arbeitssicherheit. Die Überzeugungsaufgabe klingt nach Kontroll- und Überwachungspflicht. Zum aufmerksam machen sagt die DGUV: „Werden die Hinweise und Empfehlungen nicht beachtet, müssen Sicherheitsbeauftragte durch Information der Vorgesetzten darauf hinwirken, dass von Seiten der Vorgesetzten Abhilfe geschaffen wird“8, und der Sibe soll „auf die Beseitigung des Mangels achten und notfalls so lange daran erinnern, bis diese erfolgt ist“9, so dass empfohlen wird: „Nicht locker lassen!“10. Das ist die Terminologie des ASiG – und die Sifa kann unbestritten bei unrichtiger und unvollständiger Beratung haften11.

Was kann und soll wirklich vom Sibe verlangt werden?

Aber Sibe haben nur „faktische Macht“ und keine – für eine strafrechtliche Garantenstellung und damit strafrechtliche Verantwortung – erforderliche Sacheinwirkungsbefugnis12 und keine Eingriffs- und Weisungsbefugnis. Man kann hier eine Parallele zur Rechtsprechung zu Sozialarbeitern ziehen, die nach nicht verhinderten Kindesmissbrauchsfällen vor Gericht standen. Den ersten Fall entschied das Landgericht Osnabrück13 – und die Begründung für Sozialarbeiter gemäß SGB VIII ist sinngemäß auf Sibe gemäß SGB VII übertragbar: Das „SGB VIII ist, wie seine zusätzliche Benennung ‚Kinder- und Jugendhilfegesetz‘ deutlich werden lässt, in seinem Kerngehalt kein Eingriffs- sondern ein Leistungsgesetz“.
Aus dem „Kanon“ der Vorschriften zur Hilfeleistung „ragt lediglich eine Vorschrift heraus, nämlich § 50 Abs. 3 SGB VIII, nach der das Jugendamt zur Abwendung einer Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Jugendlichen das Gericht anzurufen hat14. Auch dies ist erkennbar als Hilfeleistung, nämlich zugunsten des bedrohten
Kindes bzw. Jugendlichen gedacht. Unmittelbare Weisungsbefugnisse gegenüber Eltern und jungen Menschen gibt das Gesetz,
mit Ausnahme kurzfristiger Eingriffe in Krisensituationen, nicht.
Es liegt schon deswegen fern, dass der Gesetzgeber bei dieser
Sachlage mit der voraufgeführten Bestimmung Garantenpflichten begründen wollte“.

Ähnlich ist es für Sicherheitsbeauftragte: Sie sind „freiwillige Helfer“15, haben keine Eingriffs- und Weisungsbefugnisse16 und wirken nur durch „informierendes Eingreifen“ von „Kollege zu Kollege“17 und nicht als Vorgesetzter, so dass der Gesetzgeber für sie keine Garantenpflichten schaffen wollte, die zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Am deutlichsten ist wieder das Bundesverwaltungsgericht18: Der Sibe ist für seine „Aufgabe, das Sicherheitsbewusstsein der Arbeitnehmer zu stärken, nur auf seine Überzeugungskraft im persönliche Gespräch und auf den persönlichen Zugang zu den Kollegen vor Ort angewiesen“. Wie es das LG Osnabrück für Sozialarbeiter gemäß SGB VIII sagt, haben auch Sicherheitsbeauftragte gemäß SGB VII nur die Aufgabe der Hilfeleistung und § 22 SGB VII ist kein „Eingriffsgesetz“ und Sibe sind nicht die Unternehmenspolizei. Die Unterstützungsaufgabe ist so „weich“ geregelt, dass daraus keine Garantenverantwortung abzuleiten ist. Das ist auch örtlich gemeint: der Sibe hat den „Blickwinkel des Mitarbeiters vor Ort“19 und seine Funktion als „Mittler“ ist auf das
„eigene“ bzw. „direkte“ Arbeitsumfeld“ bezogen20.

Das LG Osnabrück ergänzte noch, das SGB VIII „würde sich selber konterkarieren, wenn es eine Garantenpflicht für bestimmte Rechtsgüter hätte konstituieren wollen. Gegenstand des Gesetzes ist letztlich die Erziehung junger Menschen“. Auch das SGB VII würde sich selbst konterkarieren, wenn es die Chancen durch Hilfeleistungen der Sibe erschweren würde mit Risiken für die Sibe durch strafrechtliche Verfolgung – also einem „Sanktionsdruck“21; dann „würde sich bald niemand mehr finden, der die Stellung des Sicherheitsbeauftragten (freiwillig und unentgeltlich) übernimmt, wenn ihm damit auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führende Rechtspflichten aufgebürdet würden“22. Das SGB VII dient noch nicht einmal der „Erziehung“ der Beschäftigten, sondern „nur“ ihrer Motivation durch Vorbild.

Vorsicht: Wo und für was Verantwortung besteht!

Man muss allerdings auch betonen, dass sich für Sibe nur „kein zusätzliches Haftungsrisiko“ ergibt: „Sibe tragen nicht mehr Verantwortung im Arbeitsschutz, wie jede/jeder andere Beschäftigte“23 – aber diese Verantwortung als Beschäftigte tragen sie24. Einerseits gilt also: „Die rechtliche Verantwortung des Sibe geht nicht über die der anderen Arbeitnehmer hinaus.“25 Andererseits gilt aber auch, dass jeder Sibe „in seinem Tätigkeitsbereich verbleibt“26, und hier besteht Verantwortung aus der Position heraus auch ohne schriftliche Pflichtenübertragung27, und so kann jeder Sibe daher „in gleichem Maße rechtlich verantwortlich gemacht werden, wie jeder andere Mitarbeiter“28. Sibe können auch Führungskräfte sein (in Ilsfeld war er Schichtleiter) – auch wenn das nicht ganz im Sinne ihrer vom Gesetz vorgesehenen Position ist. Dann können Sie als diese Führungskräfte straf- und zivilrechtlich haften29.

Fazit und Kritik

Der ehemalige BGH-Strafrichter Thomas Fischer kritisiert in seinem 2018 erschienenen Buch „Über das Strafen – Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft“ an etwa 50 (!) Stellen, wie schlecht und schief die Presse über Strafprozesse schreibt, auf Seite 92 und 93 etwa, „wie wenig Sorgfalt und Sachkenntnis“ viele Medien bei Berichten über Strafrecht aufwenden – und ergänzt: „Wer im Fernsehen zum Elfmeter ‚Freistoß‘ sagt, kann die Sportreporter-Karriere vergessen.“

Nach dem Urteil titelte die Heilbronner Stimme30: „Tödlicher Arbeitsunfall: Firmenvorstand und Sicherheitschef verurteilt.“ Es ist zwar nicht gut, den Sicherheitsbeauftragten ohne Recherche in einen Sicherheitschef umzumünzen – aber nach dem völligen Fehlgriff im Gerichtsverfahren kann man der Zeitung nicht wirklich einen Vorwurf machen. Man kann und muss vielmehr dem Amtsgericht Heilbronn zwei Grundsätze entgegenwerfen:

  • „Ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtskenntnis“: Das Amtsgericht Heilbronn macht sich nicht die Mühe, gesetzliche Grundlagen zum Sibe heranzuziehen – dann hätte es spüren können, dass mit seiner Entscheidung etwas (Wesentliches) nicht stimmt.
  • „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“: das Amtsgericht ignoriert die seit Jahrzehnten existierende Rechtsprechung zur Haftung als Sibe – wobei die „Bestrafung“ für das Gericht nur darin besteht, diese scharfe Kritik aushalten zu müssen.

Das Landgericht Heilbronn reduzierte mit Urteil aus Februar 2019 die Geldstrafe für den Sibe dann nur noch von 90 auf 70 Tagessätze – exakt so wie für den geschäftsführenden Vorstand. Eine weitere Begründung zu den Haftungsgrundlagen enthält dieses Urteil nicht, denn beide Angeklagten hatten ihre Berufung gegen das Strafurteil auf die Strafhöhe beschränkt, so dass es nicht mehr um die Strafbarkeit ging.

Wie kann ein solches Urteil passieren? Das Gericht hat – um es vorsichtig auszudrücken – nicht sorgfältig gearbeitet. Zuvor hatte der Staatsanwalt denselben
Fehler gemacht: Vor dem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn gab es nämlich einen ähnlichen Strafbefehl – und die werden zwar vom Gericht erlassen, aber von der Staatsanwaltschaft vorbereitet und formuliert. Ebenfalls zu unsorgfältig waren Sachverständige und der Rechtsanwalt. Und alle haben sich nicht mit der Position des Sibe beschäftigt – auch nicht sein Verteidiger. Das ist schwer vorstellbar – aber eine andere Erklärung habe ich nicht. Der Sibe hat mit der Beschränkung seines Rechtsmittels auf die Strafhöhe die strafrechtliche Verurteilung akzeptiert – vielleicht auch, weil er Schichtleiter ist und die strafrechtliche Verantwortlickeit sonst aus dieser Position abgeleitet werden könnte.

1 Siehe Kahl, Arbeitssicherheit – Fachliche Grundlagen, 2019, 7.2.3, S. 297 und DGUV Regel 100–001 Grundsätze der Prävention, 4.2.2.

2 Ausführliche Fallbesprechung bei Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld, Fall 13, S. 233 ff.

3 So Spinnarke, Sicherheitstechnik, Arbeitsmedizin, Arbeitsplatzgestaltung, 2. Aufl. 1990, 5.7, S. 108.

4 BVerwG, Beschluss v. 18.05.1994 (Az. 6 P 27.92).

5 BVerwG, Beschluss v. 18.05.1994 (Az. 6 P 27.92).

6 Ausführlich Wilrich, Pflichten und Haftung der Arbeitsschutzbeauftragten, Anlagenverantwortlichen, Elektrofachkräfte und technischen Führungskräfte – Sicherheits-, Personal- und Betreiberverantwortung durch Übertragung von Unternehmerpflichten, erscheint 2021.

7 BSG, Urteil v. 28.05.1974 (Az. 2 RU 79/72).

8 DGUV Information 211–042 Sicherheitsbeauftragte, Ausgabe März 2017, 2.3; BGI 587 Arbeitsschutz will gelernt sein – Ein Leitfaden für den Sicherheitsbeauftragten, 2004, S. 8.

9 DGUV Information 211–042 Sicherheitsbeauftragte, Ausgabe März 2017, 2.1.5.

10 BGI 587 Arbeitsschutz will gelernt sein – Ein Leitfaden für den Sicherheitsbeauftragten, 2004, S. 8.

11 Das bekannteste Urteil kommt vom OLG Nürnberg zu einem Unfall an einer Pappkartonstanze – Besprechung in Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 2. Aufl. 2020, Fall 20, S. 427 ff.

12 Herzberg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz und Unfallverhütung im Betrieb, 1984, 6.2.2.3, S. 241.

13 LG Osnabrück, Urteil v. 6.3.1996 (Az. 22 Ns VII 124/95).

14 Seit 2012 gilt allerdings ein umfassender § 8a SGB VIII „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“.

15 Zakrzewski, in: Becker/Franke/Molentin, SGB VII, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 1.

16 BVerwG, Beschluss v. 18.05.1994 (Az. 6 P 27.92); DGUV Information 211–042 Sicherheitsbeauftragte, Ausgabe März 2017, 2.2; Zakrzewski, in: Becker/Franke/Molentin, SGB VII, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 9 und 15.

17 DGUV Regel 100–001 Grundsätze der Prävention, 4.2.1; DGUV Information 211–042 Sicherheitsbeauftragte, Ausgabe März 2017, 2.1.5 und 2.3; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 22 Rn. 15.

18 So BVerwG, Beschluss v. 18.05.1994 (Az. 6 P 27.92).

19 Schliephacke, Führungswissen Arbeitssicherheit, 3. Aufl. 2008, 7.1.4, S. 181 f.

20 Hackethal, in: Juris-Praxiskommentar SGB VII (Hrsg. Stephan Brandenburg), 2009, § 22 Rn. 9, 15 und 17.

21 Herzberg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz und Unfallverhütung im Betrieb, 1984, 2.2.2.1, S. 30.

22 So Spinnarke/Spork, Arbeitssicherheitsrecht (ASiR), 54. Lieferung September 1991, ASiG § 8 Rn. 27 und heute hrsg. von Häuptl/Fisi, Ausgabe 4/2020, ASiG § 1 Anm. 7.6 Rn. 64.

23 DGUV Information 211–042 Sicherheitsbeauftragte, Ausgabe März 2017, 2.2.

24 Siehe – mit zahlreichen Beispielen für die Fachverantwortung der Mitarbeiter – Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht (Fußnote 2).

25 Spinnarke, Sicherheitstechnik, Arbeitsmedizin, Arbeitsplatzgestaltung, 2. Aufl. 1990, 5.7, S. 108.

26 Nobbe/Pinter/Vögele, Verantwortung im Unternehmen, 1993, S, 155.

27 Ausführlich Wilrich, Arbeitsschutzverantwortung für Sicherheitsbeauftragte – Bestellung, Rechtsstellung, Pflichten und Haftung als Vertrauenspersonen und Beschäftigte – Grundwissen Arbeitssicherheit, Führungspflichten und Unternehmensorganisation (2020).

28 Schliephacke, Führungswissen Arbeitssicherheit, 3. Aufl. 2008, 7.1.4, S. 181.

29 Ausführlich Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht
(Fußnote 2).

30 https://www.stimme.de/heilbronn/hn/Toedlicher-Arbeitsunfall-Firmenvorstand-und-Sicherheitschef-verurteilt;art31502,3746192 (zuletzt abgerufen am 03.03.2020).


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