Arbeitsschutz

Auswirkung von Schichtarbeit auf die körperliche Aktivität

Zusammenfassung Das Bewegungsverhalten von 42 gewerblichen Angestellten in einem Betrieb der Schwermetallverarbeitung mit Warm- und Kaltumformung mit insgesamt 4200 Mitarbeitern wurde über einen Zeitraum von sieben Tagen objektiv mit uniaxialen Beschleunigungssensoren erfasst. Für die körperliche Aktivität wurde die Gehzeit in Minuten pro Stunde berechnet. Während eines Arbeitstages, an dem eine Nachtschicht gearbeitet wurde, war die Ruhephase wesentlich kürzer und unruhiger als an anderen Arbeitstagen. Auch an arbeitsfreien Tagen konnte bei Angestellten mit mindestens einer Nachtschicht eine verringerte körperliche Aktivität während der Tageszeit und eine erhöhte Aktivität während der Nachtstunden beobachtet werden. Die beobachtete Gehzeit wurde erheblich von den Arbeitsphasen beeinflusst. Personen mit Früh- und Nachtschicht haben die kürzesten bzw. unruhigsten Ruhephasen. Während der Freizeit ist die körperliche Aktivität merklich geringer als während der Arbeitszeit. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass objektive Bewegungsdaten in Form von 24-Stunden-Aktivitätsprofilen eine geeignete Methode darstellen, um die Effekte von (Schicht-)Arbeit auf das Bewegungsverhalten und andere Lebensstilparameter zu untersuchen. Schlüsselwörter

· Bewegungsmessung

· Gehzeit

· Schichtarbeit

· Nachtschicht

· Freizeitaktivität

· activity monitoring

· walking time

· shift schedule

· night work

· physical activity

1 Einleitung
Zahlreiche Studien belegen die aus Schichtarbeit resultierenden spezifischen Belastungen (Akerstedt 1990, Bara und Arber 2009, Rajaratnam und Arendt 2001). Schichtarbeit über lange Zeit erhöht das Risiko für zahlreiche gesundheitliche Probleme (Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Ängstlichkeit, Depression, Herz-Kreislauf- und Verdauungsprobleme) (Boggild und Knutsson 1999). Neben einer erhöhten Adipositasprävalenz haben Schichtarbeiter ein höheres Risiko, an Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden (Suwazono et al. 2008, Suwazono et al. 2006, Knutsson et al. 2003). Die Ergebnisse einer italienischen Studie bestätigen diese Annahme bei Krankenschwestern in Abhängigkeit von Nachtarbeit: Von vielen untersuchten Faktoren waren allein Nachtarbeit und Bewegungsmangel Prädiktoren für die Entwicklung der Stoffwechselstörung (Angerer und Retru 2010, Pietroiusti et al. 2010). Der positive Effekt von körperlicher Aktivität hinsichtlich des Inzidenzrisikos einer Vielzahl von Erkrankungen ist unbestritten (Ford und Li 2006, Gans 2006, Neumann und Frasch 2007, Reimers 2003). Die untersuchten Lebensstilparameter wurden bisher hauptsächlich anhand subjektiver Parameter erfasst (Harrington 2001). Diese Vorgehensweise führt hinsichtlich körperlicher Aktivität oft zu einer Überschätzung (Janz et al. 2006; Mackay et al. 2011). In neuerer Zeit haben technische Entwicklungen im Bereich der Sensorik die objektive und ambulante Langzeiterfassung von körperlicher Aktivität ermöglicht. Das Ziel der Studie war es, den Einfluss von Schichtarbeit auf das Bewegungsverhalten mithilfe von objektiver Langzeitbewegungsmessung explorativ zu untersuchen.

2 Methodik
Mitglieder einer Bereitschafts-Betriebsfeuerwehr in einem metallverarbeitenden Betrieb wurden gebeten, an einer objektiven Bewegungsmessung teilzunehmen. Insgesamt stimmten 42 von 75 Personen zu (56 %). Aufgrund eines Messfehlers konnten die Daten eines Teilnehmers nicht ausgewertet werden. Von Nicht-Teilnehmern liegt keine Information vor. Alle Teilnehmer haben einen regulären Arbeitsplatz und sind für den Brandfall in Bereitschaft. Ein Teil der Probanden war im Ein- oder Zweischichtbetrieb (Tag- bzw. Früh- und Spätschicht) tätig. Personen mit Nachtschicht arbeiten in einem rückwärts rotierenden Dreischichtsystem (Nacht-, Spät-, Frühschicht).

Die Bewegungsmessung fand von April bis Mai 2010 statt. Dazu wurde jeweils ein kleiner Sensor mithilfe einer Folie auf dem rechten Oberschenkel angebracht, wo er sieben Tage lang automatisch die Bewegungen protokollierte (activPALTM, PAL Technologies Ltd., Glasgow, UK). Die Validität des Sensors wurde in mehreren Studien bestätigt (Godfrey et al. 2007; Tsavourelou et al. 2009).

Die Klassifizierung der Daten in (1) liegend oder sitzend, (2) stehend und (3) gehend erfolgte durch die Software des Sensorherstellers (activPal© Professional Software Version 5.9.1.1). Die Gehzeit (3) wurde als Indikator für körperliche Aktivität herangezogen. Für die weitere Analyse wurden die Daten auf Stundenbasis aggregiert, d. h. ein gemessener Tag wird durch 24 Datenpunkte repräsentiert. Wegen der in anderen Studien beobachteten höheren körperlichen Aktivität von älteren Schichtarbeitern (Fullick et al. 2009) wurde eine Altersadjustierung vorgenommen (proc mixed procedure; SAS 9.2 © software package).

Schlafphasen können mit den benutzten, uniaxialen Sensoren nicht detektiert werden. Deshalb wurde das 24-Stunden Minimum der beobachteten Bewegungsaktivität als „Ruhephase“ bezeichnet. Mithilfe der Stempelzeiten konnten Arbeitszeiten und arbeitsfreie Zeiten bestimmt werden. Mithilfe der Stempelzeiten wurden Arbeitstage von arbeitsfreien Tagen unterschieden.

3 Ergebnisse
Die durchschnittliche Messdauer pro Person betrug 145 Stunden (ca. 6 Tage), so dass insgesamt 249 Messtage analysiert werden konnten. Das Körpergewicht der Teilnehmer hatte hierbei keinen Einfluss auf das Bewegungsverhalten (Daten nicht gezeigt).

3.1 Gehzeit und Schichtarbeit
Die Gesamtgehzeit über 24 Stunden betrug für Probanden im Dreischichtbetrieb (Früh-, Spät- und Nachtschicht) unabhängig von der jeweiligen Schicht ca. drei Stunden pro Tag (Abbildung 1). Der Anteil der Gehzeit außerhalb ist während der Freizeit mit ca. 80 Minuten verhältnismäßig geringer. Im Vergleich zu Arbeitstagen fällt die gemessene Gesamtgehzeit an arbeitsfreien Tagen mit ca. 100 Minuten deutlich kleiner aus.

3.2 Aktivitätsprofile
Bei Probanden in der regulären Tagschicht fand ca. 60 Minuten vor dem Einstempeln ein Aktivitätsanstieg statt (Abbildung 2A). Während der Arbeitszeit betrug die Gehzeit pro Stunde ungefähr neun Minuten, um nach dem Ausstempeln um 15:30 auf 12 Minuten pro Stunde anzusteigen und danach bis 19:00 stetig abzufallen. Die Ruhephase mit fast keiner Aktivität begann um Mitternacht und dauerte bis 06:00.

Das Aktivitätsprofil der Mitarbeiter mit Nachtschicht war nicht einfach zeitversetzt, sondern unterschied sich grundlegend von dem der Kollegen in Dauer-Tagschicht: Das Minimum an körperlicher Aktivität betrug ca. zwei Minuten pro Stunde und wurde ca. 90 Minuten nach dem Ausstempeln um 05:00 erreicht. Nach der relativen Ruhephase von 06:30 bis 11:30 war ein stetiges Ansteigen auf acht bis neun Minuten Gehzeit pro Stunde bis zum neuerlichen Einstempeln zu beobachten.

Bei den Aktivitätsprofilen für Früh-, Tag- und Spätschicht ließen sich ein zeitversetzter Beginn am Morgen und eine Verdichtung am Abend beobachten (Abbildung 2B). Die Folge war eine längere ungestörte Ruhephase bei Spätschicht und vergleichsweise kürzere bei Frühschicht.

An komplett arbeitsfreien Tagen trat das gemessene Aktivitätsmaximum gegen 15:00 auf und lag zwischen sieben und neun Minuten Gehzeit pro Stunde. Probanden, die während der Messperiode mindestens eine Nachtschicht gearbeitet hatten, wiesen auch an diesen Tagen ein deutlich erhöhtes nächtliches Aktivitätsniveau auf. Das Minimum wurde nicht vor 06:30 morgens erreicht (Abbildung 2C).

4 Diskussion
In diesem Beitrag haben wir Aktivitätsprofile von gewerblichen Angestellten mit verschiedenen Schichtplänen, die aus objektiv gemessenen Daten gewonnen wurden, gezeigt. Die Bewegungsprofile weisen auf mögliche Auswirkungen von Schichtarbeit auf das Bewegungsverhalten hin. Aufgrund der geringen Fallzahlen können jedoch keine verallgemeinernden Rückschlüsse gemacht werden.

Die längste Ruhephase trat während der Spätschichten auf. Die beobachteten verkürzten Ruhephasen für Mitarbeiter in Früh- und Nachtschicht genügen möglicherweise nicht dem normalen Schlafbedürfnis (Ingre et al. 2004; Sallinen and Kecklund 2010). An komplett arbeitsfreien Tagen waren die Gehzeiten insgesamt deutlich reduziert. Bei Personen mit Nachtschichtarbeit könnte die andauernde relative Ruhelosigkeit in der Nacht und reduzierte Aktivität während des Tages an diesen Tagen ein Hinweis auf eine andauernde Anpassungsreaktion sein.

Die Stärke dieser Arbeit liegt in den über einen Zeitraum von einer Woche kontinuierlich gemessenen Daten und den daraus generierten Aktivitätsprofilen. Die geringe Fallzahl ist ein limitierender Faktor, einzelne Aktivitätsspitzen aufgrund individueller Messungen (z. B. 60 Minuten Gehzeit in einer Stunde) wären in einer größeren Gruppe ausgemittelt worden. Aus diesem Grunde haben wir auf weitergehende statistische Tests verzichtet und uns auf die Angabe von Konfidenzintervallen beschränkt. Weiterhin hat ein verlängertes Wochenende während der Messperiode aufgrund eines Feiertages (1. Mai) vermutlich zu erhöhter Freizeitaktivität während der Nachtstunden beigetragen. Von den Probanden wurde kein Bewegungs-Tagebuch geführt, so dass eine Validierung der Daten bzw. weitere Unterteilung der Aktivitäten (z. B. Fernsehen, Schlafen) nicht möglich war.

Zusammenfassend ergeben objektiv und über längere Zeit erhobene Bewegungsdaten ein wesentlich detaillierteres Bild über den Einfluss von Arbeit auf die körperliche Aktivität. Die bildliche Darstellung von 24-Stunden-Aktivitätsprofilen ist dabei eine anschauliche Methode, um die Effekte von (Schicht-)Arbeit auf das Bewegungsverhalten zu untersuchen.

5 Danksagung
Die Datenerhebung wurde finanziert von der Wieland-Werke AG. Alle Teilnehmer sind Angestellte der Wieland-Werke AG. Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Universität Ulm genehmigt (Nr. 18/11). Ein Interessenkonflikt seitens der Autoren besteht nicht.

Literatur

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2. Angerer P, Retru R. Schichtarbeit in der modernen Industriegesellschaft und gesundheitliche Folgen Somnologie – Schlafforschung und Schlafmedizin 2010;14:88–97

3. Bara A, Arber S. Working shifts and mental health – findings from the British Household Panel Survey (1995–2005). Scandinavian Journal of Work, Environment and Health 2009;35:361–367

4. Boggild H, Knutsson A. Shift work, risk factors and cardiovascular disease. Scandinavian Journal of Work, Environment and Health 1999;25:85–99

5. Ford E, Li C. Physical activity or fitness and the metabolic syndrome. Expert Review of Cardiovascular Therapy 2006;4:897–915

6. Fullick S, Grindey C, Edwards B, Morris C, Reilly T, Richardson D, Waterhouse J, Atkinson G Relationships between leisure-time energy expenditure and individual coping strategies for shift-work. Ergonomics 2009;52 (4):448–455. doi:10.1080/00140130802707725

7. Godfrey A, Culhane KM, Lyons GM. Comparison of the performance of the activPAL™ Professional physical activity logger to a discrete accelerometer-based activity monitor. Medical Engineering & Physics 2007;29:930–934. doi: 10.1016/j.medengphy.2006.10.001

8. Harrington JM. Health effects of shift work and extended hours of work. Occupational and Environmental Medicine 2001;58:68–72

9. Ingre M, Kecklund G, Akerstedt T, Kecklund L (2004) Variation in sleepiness during early morning shifts: a mixed model approach to an experimental field study of train drivers. Chronobiol Int 21 (6):973–990

10. Janz KF. Physical activity in epidemiology: moving from questionnaire to objective measurement. Br J Sports Med 2006;40:191–192

11. Knutsson A, Jonsson BG, Akerstedt T et al. Increases Risk of Ischaemic Hart Disease in Shift Workers. Lancet 2003; 328:89–92

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20. Suwazono Y, Dochi M, K. S et al. Shift work is a risk factor for increased blood pressure in Japanese men: a 14-year historical cohort study. Hypertension 2008;52:581–586

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22. Tsavourelou A, Rowe P, Babatsikou F, Koutis C. Validation of the ACTIVPAL™ in the health promotion context. Health Science Journal 2009;3 (1):105–114.

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