Arbeitsschutz

Konsequenzen für Flugbegleiter bei der Umsetzung der EU-Richtlinie „Lärm am Arbeitsplatz“ in deutsches Recht

Zusammenfassung: Die EU Arbeitsschutz-Richtlinie 2003/10/EG zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz wurde am 8. März 2007 durch die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) in deutsches Recht umgesetzt. Dadurch wurden die bisherigen Grenzwerte um 5 dB(A) auf 85 dB(A) für den oberen Auslösewert und auf 80 dB(A) für den unteren Auslösewert des Tageslärmexpositionspegels (bezogen auf eine Achtstundenschicht) gesenkt. Nunmehr müssen Beschäftigte über mögliche Gesundheitsrisiken und persönliche Gehörschutzmaßnahmen unterrichtet werden, wenn der Tagesbewertungspegel 80 dB(A) übersteigt. Zusätzlich müssen vom Arbeitgeber arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden. Übersteigt der Tagesbewertungspegel 85 dB(A) sind Maßnahmen zur Minderung des Lärmpegels notwendig. Dies führt zu einer Neubewertung der Lärmbelastung im Flugzeug für Flugbegleitpersonal. Es wurden in verschiedenen Flugzeugen Messungen gemäß den entsprechenden ISO Normen durchgeführt und Lärmbewertungen für verschiedene Flugzustände und für den mittleren Lärmbewertungspegel bezogen auf eine Achtstundenschicht durchgeführt, die in den meisten Fällen den neuen Grenzwert von 80 dB(A) überschritten. Formal sind damit dem Kabinenpersonal Gesundheitsschutzmaßnahmen und Beratungen anzubieten, um möglichen Schäden vorzubeugen. Allerdings ist die Arbeitsbelastung der Flugbegleiter unregelmäßig und entspricht nicht den der Verordnung zu Grunde liegenden Betrachtungen einer arbeitstäglichen Achtstundenschicht. Damit stellt sich die Frage, ob der Bewertungsmaßstab sachgerecht ist. Gehörschutzmaßnahmen bei fliegendem Personal dürfen zudem die Wahrnehmung von optischen und akustischen Warnsignalen aus Flugsicherheitsgründen nicht beeinträchtigen und müssen auch mit der Tätigkeit an Bord (Bordservice) vereinbar sein. Dies kann durch Maßnahmen in bestimmten Flugphasen erreicht werden. Bei einigen Flugzeugmustern, die sogar den Grenzwert 85 dB(A) erreichen, müssen Maßnahmen eingeleitet werden, um das Schutzziel der Verordnung zu erreichen. Dazu sind weitere Untersuchungen notwendig. Schlagwörter: Flugbegleiter – Lärmbelastung – Flugzeugkabine – Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) Implementation of EU directive ”Noise“ into German law and consequences for flight crews Abstract: The EU directive “Noise on workplace” had been implemented into German law. Thus a reassessment of the noise burden of flight personnel had to be done, because the threshold value of noise for an 8 h day period was reduced from 85 dB(A) to 80 dB(A). If the threshold value exceeds 80 dB(A) personnel has to be informed about possible health risks and personal hearing protection and preventive medical checkups have to be offered. Therefore noise level measurements according to ISO standards in different types of aircrafts were performed and the average noise exposure in dB(A) for an 8 h day was calculated. Noise exposure in the cabin of the aircrafts often exceeds the threshold value of 80 dB(A). Therefore the airline has to take actions in respect of the national law and EU guidelines. That potentially interferes with flight safety regulations and the quality of the on board service for passengers. Health protection of flight personnel is mandatory, but wearing of hearing protection by flight attendants during on board service might be considered less desirable. The exact analysis of noise levels during the different phases of the flight showed highest noise levels during the take-off period. Therefore, wearing individual hearing protection during noise-critical phases of the flight by cabin crews might sufficiently reduce the individual noise exposure and could allow working during the remaining time of flight without hearing protection but without a health risk. It must be considered also, that the daily threshold value of 80 dB(A) might not be adequate for flight personnel, since the working schedules are not comparable to regular 8-hour-shifts on 5 days a week. If noise levels on board exceeds 85 dB(A) actions against noise burden has to be taken to protect the health of flight personnel. However, further investigations are needed. Key words: flight attendant – noise burden – aircraft cabin – regulations to noise on workplace

Einleitung
Die EU Arbeitsschutz-Richtlinie 2003/10/ EG zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz vom 6. März 2003 wurde am 8. März 2007 durch die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) in deutsches Recht umgesetzt. Ziel ist der Schutz der Beschäftigten vor tatsächlichen oder möglichen Gefährdungen ihrer Gesundheit und Sicherheit durch Lärm oder Vibrationen bei der Arbeit. Dies betrifft ausdrücklich nicht nur einen möglichen Gehörschaden, sondern auch alle anderen mittelbaren oder unmittelbaren Gefährdungen (§2, Abs. 1 LärmVibrationsArbSchV). Definiert wird der Lärmexpositionspegel als über die Zeit gemittelter A-bewerteter Schalldruckpegel bezogen auf eine Achtstundenschicht (LEx, 8h) und umfasst alle Schallereignisse (§2, Abs.2). Zusätzlich wird ein Wochen-Lärmexpositionspegel bezogen auf eine 40-Stundenwoche beschrieben (LEx, 40h).

Es besteht auch die Pflicht zur Ermittlung und Bewertung der Lärmgefährdung durch Messungen (§3).

Die bisherigen Grenzwerte wurden um 5 dB(A) auf 85 dB(A) (LEx, 8h) für den oberen Auslösewert und auf 80 dB(A) (LEx, 8h) für den unteren Auslösewert ohne Berücksichtigung möglicher dämmender Wirkungen von persönlichem Gehörschutz gesenkt (§6). Nunmehr müssen Beschäftigte über mögliche Gesundheitsrisiken und persönliche Gehörschutzmaßnahmen unterrichtet werden, wenn der Tagesbewertungspegel 80 dB(A) übersteigt (§11). Zusätzlich müssen vom Arbeitgeber arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden. Übersteigt der Tagesbewertungspegel 85 dB(A) sind Maßnahmen zur Minderung des Lärmpegels notwendig.

Von diesen Bestimmungen ist auch das fliegende Personal betroffen. Dies spielt insbesondere bei Flugbegleitern eine besondere Rolle, da auf Grund der Aufgaben an Bord eines Flugzeugs nicht ohne weiteres Gehörschutz getragen werden kann. Einerseits muss sichergestellt sein, dass akustische Signale und Warnsignale wahrgenommen werden können, auch der Service wäre an Bord mit Gehörschutz deutlich erschwert. Andererseits sind insbesondere kleinere Flugzeugmuster, wie sie häufig auf Kurz- und Mittelstrecken (innerdeutsche oder zentraleuropäische Strecken) eingesetzt werden, für flugzustandsabhängige hohe Schallpegel in der Flugzeugkabine bekannt.

Einige Muster haben zu Beschwerden von Flugbegleitern geführt (Dash 8Q-400). Anregungen von Fachkräften für Arbeitssicherheit haben deshalb dazu geführt, dass Messungen bei verschiedenen Flugzeugmustern durch die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) durchgeführt wurden, um eine der LärmVibrationsArbSchV entsprechende Gefährdungsbewertung zu erstellen.

Methoden
Es wurden jeweils Flüge mit verschiedenen Flugzeugmustern (Tabelle 1) durchgeführt. Neben den Messungen im Cockpit, die hier nicht Gegenstand der Darstellung sind, wurden in der Regel bei zwei Flugbegleiterinnen personenbezogene Messungen durchgeführt. Zusätzlich wurden ortsbezogene Messungen auf einem Passagiersitz durchgeführt.

Die Messungen wurden mit kalibrierten und gemäß ISO Normen zugelassenen Messgeräten durchgeführt. Im wesentlichen kamen Dosimeter der KL.2, Typen 4443 und 4446 von B&K für die personenbezogenen Messungen und ein Schallpegelmesser Kl.1, Typ 2238 von B&K für die ortsbezogenen Messungen zum Einsatz.

Bei den personenbezogenen Messungen wurden die Mikrofone der Schalldosimeter in der Nähe des Ohres im Schulterbereich an der Kleidung befestigt und die ohrnahe Geräuschbelastung aufgezeichnet und ausgewertet.

Für die Flugbegleiterinnen wurden bezogen auf das Muster Dash 8Q-400 bei einer Fluggesellschaft in der Regel 2–3, maximal 4 Flüge pro Tag mit einer Gesamtflugzeit von maximal ca. 4,5 Stunden ermittelt. Dazu kamen die Zeiten für die Flugvorbereitung und Flugnachbereitung sowie Zeiten zwischen den Flügen, die keine Lärmbelastung beinhalteten. Diese Annahmen können näherungsweise von den Zeitansätzen auch auf die Messungen in anderen Mustern übertragen werden, sind aber von den Flugumlaufplänen (Dienstplänen) der jeweiligen Fluggesellschaft, den Flugrouten (mehrmals die gleiche Flugroute pro Tag oder wechselnde Ziele), der Anzahl der Flüge und damit auch der Pausenzeiten zwischen den Flügen und den von den Flugrouten abhängigen Zeiten der Flugvor- und nachbereitung abhängig und können daher variieren.

Ergebnisse
Die Messergebnisse sind in Tabelle 2 aufgeführt. Bei den meisten gemessenen Mustern wurde der untere Auslösewert von 80 dB(A) nicht sicher unterschritten sondern überschritten. In einem Fall (CRJ 700) wurde auch 85 dB(A) überschritten. Die Lärmbelastungen sind je nach Flugzeugtyp in den einzelnen Flugphasen unterschiedlich hoch und übersteigen dabei auch teilweise 85 dB(A) (Tabelle 1).

Wenn der obere Auslösewert überschritten wird, sind gemäß §11 der LärmVibrationsArbSchV Maßnahmen erforderlich:

Die Mitarbeiter sind über die Ermittlungsergebnisse zu informieren und über die erforderlichen Maßnahmen zu unterweisen.

Geeigneter persönlicher Gehörschutz muss zur Verfügung gestellt werden.

Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen nach ArbMedVV (Verordnung zur Vereinfachung der arbeitsmedizinischen Vorsorge) oder BGI 768 (Arbeitshilfe zur Durchführung von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen bei fliegendem Personal (Kabine)) sind als Erstuntersuchung vor Aufnahme der Tätigkeit und als Nachuntersuchungen in regelmäßigen Abständen anzubieten.

Diskussion
Die Ermittlung und Bewertung möglicher Gefährdungen durch Lärm gemäß der neuen Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung zeigt, dass es in einigen Flugzeugtypen, insbesondere bei kleineren Flugzeugen, die bevorzugt auf Kurzstrecken und kurzen Mittelstrecken eingesetzt werden, zu einer Überschreitung des unteren Auslösewertes von 80 dB(A) kommt. Dies könnte bedeuten, dass dieser Lärm – bezogen auf eine Achtstundenschicht und eine 40-Stunden-Arbeitswoche – gesundheitsschädlich sein kann. Wird der untere Auslösewert von 80 dB(A) nicht eingehalten, muss den Flugbegleitern Gehörschutz zur Verfügung gestellt werden (LärmVibrationsArbSchV § 8).

Durch die Benutzung von Gehörschutz darf die Wahrnehmbarkeit von akustischen Warnsignalen und die Kommunikation der Crew untereinander sowie mit den Fluggästen nicht beeinträchtigt werden. Daher sind Gehörschützer mit einer geringen Schalldämmung und einer flachen Dämmcharakteristik empfehlenswert. Da ein weiteres Auswahlkriterium das Erscheinungsbild der Kabinenbesatzung während des Services im Flugzeug ist, kommen für diesen Einsatzzweck weder Kapselgehörschützer noch Bügelstöpsel in Betracht. Für diesen Anwendungszweck können z.B. Otoplastiken mit einem niedrig dämmenden speziellen Filter geeignet sein (Abbildung 1 und 2).

Bei Praxisversuchen mit schwach dämmenden Otoplastiken zeigte sich, dass die Otoplastiken immer noch von ca. 50% der in die Untersuchungen eingeschlossenen Flugbegleiter abgelehnt wurden. Der Hauptgrund war, dass die Sprachverständigung mit den Passagieren während der Servicezeiten an Bord als schlecht empfunden wurde.

Ergibt die Gefährdungsbeurteilung, dass die Lärmexposition im Wesentlichen außerhalb der Servicezeiten vorliegt, ist die Benutzung von Gehörschutz in diesen Zeitabschnitten sinnvoll.

Alternativ zu den Otoplastiken bieten sich hier schwach dämmende Gehörschutzstöpsel an (Abbildung 3a und b).

In jedem Fall ist vor dem Einsatz des Gehörschutzes die Gewährleistung einer ausreichenden Kommunikation und Wahrnehmung von akustischen Warnsignalen zu überprüfen. Dies ist besonders deshalb wichtig, da das Angebot zum Tragen von Gehörschutz nicht nur zur Vermeidung möglicher Gehörschädigungen durch Lärm, sondern gemäß der LärmVibrationsArbSchV auch zur Vermeidung anderer, auch subjektiv empfundener Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Lärm dient.

Bisher sind allerdings keine lärmbedingten Gesundheitsschäden bei Kabinenpersonal und insbesondere keine arbeitsplatzbedingten Lärmschäden beschrieben (1) worden. Lindgren und Mitarbeiter (1) fanden bei vergleichbaren Lärmexpositionen bei einer Kohorte von 936 Flugbegleitern im Zeitraum 1974 bis 2005 keine Hinweise auf berufsbedingte Hörverluste.

Einerseits wird dafür das Tragen von Gehörschutz in Phasen, in denen kein Service erforderlich ist und die als besonders lärmbelastet gelten, verantwortlich gemacht.

Andererseits ergibt sich die Frage, inwieweit überhaupt eine zutreffende Lärmbewertung beim Arbeitsplatz Flugzeugkabine möglich ist, da die vorgegebenen Berechnungen der Lärmexpositionspegel von einer kontinuierlichen Arbeitswoche mit regelmäßigen Achtstundenschichten ausgehen. Dies ist bei Flugbegleitern auf Grund der Dienstpläne mit Umlaufphasen und Ruhephasen so nicht gegeben. Diese Frage stellt sich auch bei anderen Berufen mit teilweise hoher aber diskontinuierlicher Belastung wie z.B. Orchestermusiker.

Die LärmVibrationsArbSchV läßt als Ausnahmen bei erheblichen Schwankungen der Lärmbelastungen an verschiedenen aufeinanderfolgenden Arbeitstagen zu, statt des Tages-Lärmexpositionspegels einen Wochen-Lärmexpositionspegel zu verwenden (§ 15, Abs.2), was aber im Fall des Kabinenpersonals auch keine befriedigende Lösung darstellt, da die Belastungen eher in größeren Abständen in Abhängigkeit von den Dienstplänen schwanken und dann längere Phasen ohne berufsbedingte Lärmeinwirkung auftreten. Längere Beurteilungszeiträume (z.B. 2-Wochen-Lärmexpositionspegel, Jahres-Lärmexpositionspegel) sind nicht zugelassen.

In enger Anlehnung an die entsprechende Regelung der Gefahrstoffverordnung wurde in §15, Abs. 1 der LärmVibrationsArbSchV die Möglichkeit geschaffen, dass die zuständigen Behörden in begründeten Fällen weitergehende Ausnahmen zu den Bestimmungen zulassen. Bei den vorliegenden Messwerten, den Arbeitsverfahren und -schichten und den vorliegenden epidemiologischen Studienergebnissen ist in der Regel davon auszugehen, dass bei Kabinenpersonal gesundheitliche Schäden durch Lärm nicht zu erwarten sind. Mit entsprechender Unterrichtung, dem Angebot, in den besonders lärmkritischen Phasen, wenn durch den Flugbetrieb möglich, zusätzlichen persönlichen Gehörschutz zu tragen, sind die Voraussetzungen geschaffen, die Schutzziele der LärmVibrationsArbSchV für die Beschäftigten zu erreichen, ohne dass unverhältnismäßige Härten oder Belastungen für alle Beteiligten auftreten.

Bei den Fällen, in denen die oberen Auslösewerte in Bezug auf den Tages-Lärmexpositionspegel überschritten werden können (in dieser Untersuchung 1 Muster), müssen diese durch das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen (technisch, arbeitsorganisatorisch, Vorsorgemaßnahmen) reduziert werden.

Bei zukünftigen Flugzeugmustern muss schon bei der Planung und Konstruktion auf das Einhalten der Lärmexpositionspegel geachtet werden. Niedrigere Kabinenschallpegel sind nicht nur eine Vorsorgemaßnahme für die Beschäftigten sondern erhöhen auch den Reisekomfort der zahlenden Fluggäste, was durchaus ein kaufentscheidendes Kriterium bei der Auswahl von Flugzeugmustern sein kann.

· Literatur

Lindgren T, Wieslander G, Norbaeck D. Hearing status among cabin crew in commercial airline. Aviat Space Environmental Med 2008; 79 (3): 254 (abstr.)

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