Arbeitsschutz

Moderner Integrierter Arbeitsschutz – Das MIAS-Konzept

1. Was bedeutet MIAS?

MIAS bedeutet „Moderner Integrierter Arbeitsschutz“ und geht im Vergleich zu dem traditionellen Arbeitsschutz weit über die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzverpflichtungen hinaus. Denn neben dem traditionellen Arbeits- und Gesundheitsschutz hat sich MIAS die Förderung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zum Hauptziel gesetzt. MIAS ist umfassend. Er strebt zum einen die Verhinderung gesundheitlicher Schädigungen (Prävention) an, zum anderen auch die Stärkung bestehender Gesundheitsressourcen und -potenziale (Gesundheitsförderung). Er vereint auf diese Weise zum einen die pathogene und salutogene Perspektive auf das Krankheits- bzw. Gesundheitsgeschehen, zum anderen die Handlungsfelder der betrieblichen Gesundheitsförderung und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

MIAS steht für ein Gesundheitsverständnis, nach welchem der Mensch nicht nur vor (arbeitsbedingten) Krankheiten und Unfällen zu schützen, sondern auch zur Steigerung seiner Gesundheit zu befähigen ist. Gesundheit wird dabei nicht als ein Zustand (krank oder gesund) verstanden, sondern vielmehr als ein Prozess, bei dem der Mensch in seiner Entwicklung als Ganzes, mit all seinen Potenzialen und seinem psychischen, physischen und sozialen Wohlbefinden wahrgenommen wird. Denn Gesundheit ist mehr als sichere Maschinen!

Der „Moderne Integrierte Arbeitsschutz“ verfolgt daher die Zielstellungen, den Mitarbeitern von Unternehmen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie zur Bewahrung und Steigerung ihrer Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit zu befähigen. Denn wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind ohne Mitarbeiter, die regelmäßig ein gesundes Wohlbefinden ausstrahlen und vermitteln, nur schwer vorstellbar (vgl. auch Weinreich & Weigl, 2002; Jancik, 2002).

Eine weitere Besonderheit von MIAS besteht darin, dass es die Leitlinien und Vorgehensweisen der zielorientierten und selbstkontrollierten Unternehmensführung umfasst und speziell auf die Themengebiete Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung ausgerichtet ist.

Außerdem ist MIAS so konzipiert, dass es problemlos in ein vorhandenes Führungs- und Organisationskonzept oder in ein integriertes Managementsystem eingefügt werden kann.

1. Zielorientierungund Nachhaltigkeit

Das Motiv, ein Unternehmen zielorientiert strategisch auszurichten und zu führen, ergibt sich aus dem Überlebenstrieb von Unternehmen und Organisationen. Denn ohne Ziele wird eine Organisation langfristig nicht bestehen können (vgl. auch Drucker, 2001).

Am Anfang der Wertschöpfungskette des Unternehmens steht daher stets die Unternehmensphilosophie, die die Basis für das Denken und Handeln aller Mitarbeiter schafft und damit Werte und Leitbilder vorgibt. Das Ziel des „Modernen Integrierten Arbeitsschutzes“ besteht deshalb darin, ein homogenes „Werte-Ziel-Verständnis“ für die Bereiche Arbeitsschutz, Anlagensicherheit und Gesundheitsförderung innerhalb des gesamten Unternehmens zu transferieren und zu kommunizieren. Das bedeutet, dass aus der Philosophie (z. B. eine höhere Zufriedenheit und Bindung der Mitarbeiter und Kunden) alle weiteren Ziele, Methoden und Maßnahmen abgeleitet werden und das Mitarbeiterverhalten mit den Werten der Organisation, der Politik und Strategie übereinstimmt. Dieser Ableitungsprozess beschreibt die vier konzeptionellen Ebenen der Führung, der damit eine besondere Rolle im Rahmen des „Modernen Integrierten Arbeitsschutzes“ zukommt (Abbildung 1).

Den Ausgangspunkt, um arbeitsschutzbezogene und gesundheitsförderliche Interventionen einzuleiten, stellt die Entwicklung strategischer Leitlinien dar. Die Leitlinien legen den Kurs eines Unternehmens für die nächsten dreibis fünf Jahre fest. Sie münden in der Formulierung der unternehmerischen Vision (z. B. „gesund mit sich und anderen umgehen“, „den modernen integrierten Arbeitsschutz umsetzen“ …).

Aus der formulierten MIAS-Vision werden Grobziele (z. B. „ein hohes Maß an Sicherheit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit erreichen“) abgeleitet. Um die Vision zu erreichen, sind in einem weiteren Schritt die Grobziele hinsichtlich ihres Stellenwertes zu quantifizieren (Gewichtung). Durch die Gewichtung bringt das Unternehmen zum Ausdruck, in welcher Relation die einzelnen Grobziele zur angestrebten Vision stehen. Aus den Grobzielen werden wiederum Feinziele abgeleitet und ebenfalls gewichtet (siehe Abbildung 2). Damit die MIAS-Feinziele (wie z. B. „Arbeitsmittel“, „Anreizsystem“) möglichst umfassend erhoben werden können, erfolgt eine weitere Differenzierung dieser in die jeweiligen Feinstziele.

Abbildung 3 überträgt die in Abbildung 2 dargestellte Zielhierarchie auf den „Modernen Integrierten Arbeitsschutz“ und spezifiziert die einzelnen Grob-, Fein- und Feinstziele. Die inhaltliche Bestückung der Zielhierarchie kann von Unternehmen zu Unternehmen variieren ebenso die Gewichtung der einzelnen Zielfelder. Die Zielmatrix, wie sie in Abbildung 3 ausgeführt wird, versteht sich also als nicht zwingend „vollständig“ oder zwingend „richtig“.

Wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist, setzt sich MIAS keine Ziele, wie die Reduktion von Fehlzeiten und Arbeitsunfällen. Warum ist das so?

Gemäß dem Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (siehe Abbildung 4) stellen Leistungseinschränkungen, Fehlzeiten und Arbeitsunfälle das Resultat der Kausalkette Belastung Õ (Fehl-)Beanspruchung Õ (negative) Beanspruchungsfolgen dar. Um das Ergebnis eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses beeinflussen zu können, ist es sinnvoll und langfristig wesentlich effektiver, bei den Ursachen anzusetzen. MIAS setzt daher an der Optimierung und Anpassung der arbeitsbedingten Belastungen und der Stärkung der individuellen und situativen Leistungsvoraussetzungen an. Auf diese Weise können langfristig die Leistungsdefizite, die Fehlzeiten und die Unfallquoten reduziert bzw. auf einem gesunden niedrigen Niveau gehalten werden. Im Ergebnis dieser Konzentration auf die Ursachen entwickelt das Unternehmen für jedes einzelne Organisationsmitglied eine bessere Basis für die nachhaltige Sicherstellung der Arbeitsbewältigungsfähigkeit.

Die Nachhaltigkeit des „Modernen Integrierten Arbeitsschutzes“ kann dann realisiert werden, wenn seine Philosophie, die Grob-, Fein- und Feinstziele in die Aufbau- und Ablauforganisation integriert worden sind. Denn es herrscht ein hohes Maß an Zielklarheit und Transparenz, so dass MIAS von allen im Unternehmen Beteiligten gelebt und schließlich die Unternehmensperformanz (hierzu siehe Kapitel 4) langfristig gefestigt bzw. gesteigert werden kann.

1. Zielgewichtung und -bewertung

Die definierten Grob- und Feinziele des „Modernen Integrierten Arbeitsschutzes“ sind von jedem Unternehmen individuell zu gewichten. Dies hatten wir bereits erwähnt. Die Gewichtung kann von unterschiedlichen Anspruchsgruppen innerhalb des Unternehmens vorgenommen werden. Zu ihnen zählen die Geschäftsleitung, Betriebsräte, Führungskräfte und Experten (z. B. Sicherheitsfachkraft, Arbeitsmediziner). Die Gewichtung sollte ausgehandelt werden und das Kräfteverhältnis im Unternehmen widerspiegeln sowie für alle akzeptabel sein. Als Gremium für die Gewichtung bietet sich der Arbeitsschutzausschuss an. Für die Gewichtung wurden Handlungshilfen angefertigt (siehe Abbildung 5).

Der Gewichtung der einzelnen Zielbereiche schließt sich eine IST-Analyse der gegenwärtigen Zielereichungsgrade im Unternehmen an (Bewertung). Aus der Abbildung 3 geht hervor, dass die Instrumente zur Messung der Zielerreichung unterschiedlich sind.

Es eignen sich objektive Messinstrumente (z. B. Lärmmessung, Bildwiederholfrequenzmessung, Temperaturmessung usw.) genauso wie subjektive Messinstrumente (z. B. eine Mitarbeiterbefragung). Auch die Situationsbewertung („Rating“) durch Fachexperten oder Führungskräfte ist ein legitimes und anerkanntes Verfahren zur Ermittlung des IST-Zustandes. Ebenso die Beobachtung eines Sachverhaltes (z. B. Pflichtenübertragung ist schriftlich erfolgt oder eben nicht = ja/nein).

Wir unterscheiden bei MIAS in zwei Messbereiche, welche auch durch Farben grau (Checkliste) und orange (Mitarbeiterbefragung) visualisiert werden.

Die Bewertung erfolgt sowohl in der Checkliste als auch in der Mitarbeiterbefragung anhand einer einheitlichen 6-Stufen-Skala, die von 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 6 = „trifft völlig zu“ bzw. von 1 = „sehr schlecht“ bis 6 = „sehr gut“ reicht.

Der Grad der Zielerreichung variiert also zwischen zwei Extrempolen. Jedes Item wird nach der Erhebung zum Zwecke der einheitlichen Visualisierung in eine Richtung gepolt, so dass hohe Werte immer einer guten Zielerreichung, geringe dagegen einer schlechten Zielerreichung entsprechen. Ergebnisse der Checkliste und der Mitarbeiterbefragung werden später zusammengeführt und zu prägnanten Kennzahlen verdichtet.

Checkliste
Objektive Messungen finden ihren Platz insbesondere in den Bewertungen der Checkliste. Die Checkliste stellt ein internes arbeitsschutzzentriertes Auditinstrument dar. Sie kann beliebig erweitert und an die betriebliche Situation angepasst werden. Wir haben in die Checkliste zunächst insgesamt 14 Zielbereiche (Feinstziele) mit insgesamt 81 Items aufgenommen. Diese bilden die Grundlage für die Bewertung nach der MIAS Zielhierarchie, wie sie in der Abbildung 3 ausgeführt wurde. Einen Einblick in die Checkliste erhalten Sie in der Abbildung 6.

Befragung
Die MIAS Grobziele „Gesundheit“ und „Leistungsfähigkeit“ werden mit Hilfe einer standardisierten Mitarbeiterbefragung erhoben und bilden die subjektive Wahrnehmung der Beschäftigten ab. Durch den kombinierten Einsatz von „objektiven“ Checklisten und einer „subjektiven“ Mitarbeiterbefragung werden sowohl „harte“ als auch „weiche“ Faktoren erhoben, die in ihrer Gesamtheit eine Aussage über den Zielerreichungsgrad der MIAS Vision geben.

In Anlehnung an Abbildung 4 werden auf diese Weise die Belastungen, die Beanspruchungen und die gegenwärtigen Leistungsvoraussetzungen der Mitarbeiter gleichermaßen und umfassend abgebildet, so dass sichere Schlussfolgerungen zu fortführenden Interventionen gewährleistet sind.

Die Mitarbeiterbefragung enthält insgesamt 33 Zielbereiche mit 82 Items. Dazu kommen noch soziodemografische Items (z. B. „Alter“, „Geschlecht“, „Arbeitsbereich“). Diese werden – abhängig von der betrieblichen Situation – gesondert aufgenommen. Mit ihnen sind später detaillierte Aussagen zum Stand der Zielerreichung in Unternehmensteilen (z. B. Produktion, Verwaltung oder Versand) oder einzelnen Zielgruppen (z. B. Frauen oder Ältere) möglich.

Jedes Feinstziel wird mit unterschiedlich vielen Items abgebildet. Wir haben das Instrument so konzipiert, dass zu allen Zielbereichen gültige Aussagen generiert werden.

Bei der Durchführung einer Mitarbeiterbefragung sind die Randbedingungen zu beachten, wie sie bereits bei Weinreich (2000) und bei Weinreich & Weigl (2002) ausgeführt wurden. Insbesondere möchten wir hervorheben: die Abstimmung der Befragung mit den betrieblichen Interessenvertretern, die intensive Erläuterung der Hintergründe und Inhalte der Befragung sowie eine zeitnahe Information über die Ergebnisse. Einen Ausschnitt aus der Befragung können Sie der Abbildung 7 entnehmen. Die Bewertungsergebnisse aus der Checkliste und der Mitarbeiterbefragung werden in einem einzigen Bewertungsschema zusammengeführt und in Form eines Kreissektorendiagramms (KSD) abgebildet. Die Visualisierung und Ermittlung der verdichteten Kennzahlen wird durch die Software SusA® (System zur universellen strukturierten Analyse) der IfG GmbH unterstützt. Aus den Kreissektordiagrammen wird sofort ersichtlich, in welchen Bereichen Defizite existieren. Entscheidend für die Beurteilung von Defiziten ist jedoch nicht nur die Bewertung allein, sondern immer die Kombination von Bewertung und Gewichtung. Aus Gründen der Anwenderfreundlichkeit werden hohe Zielerreichungsgrade grün, mittlere gelb und geringe (Achtung Defizit!) rot markiert. Ein Kreissektorendiagramm eignet sich also deshalb gut für die Darstellung, weil es alle relevanten Informationen über den IST-Zustand enthält:

· die gewichteten Teilziele

· die Bewertungen der Zielerreichung auf einer einheitlichen Skala und

· die verdichteten Kennzahlen.

Das Kreissektorendiagramm in Abbildung 8 visualisiert den Zielerreichungsgrad der drei MIAS-Grobziele: „Sicherheit“, „Gesundheit“ und „Leistungsfähigkeit“. Das Programm SusA® lässt jedoch auch verschiedene Auflösungsebenen in der Darstellung zu. So können z. B. auch die Feinziele dargestellt werden (siehe Abbildung 9).

Da in der Checkliste die Schwellenwerte für die Mindestforderungen im Arbeitsschutz definiert werden können (z. B. alles < 40 ist im „kritischen Bereich“) dient das KSD auch der unmittelbaren Überprüfung der Einhaltung und Umsetzung der gesetzlich festgeschriebenen Arbeitsschutzbestimmungen. SusA® ermöglicht es ebenfalls, in einzelne Zielbereiche zu gehen und diese darzustellen. Über eine Export-/Importfunktion („Plugins“) in das Programm MS Excel® können darüber hinaus auch direkt die Daten aus Befragungen eingelesen und ausgewertet werden. 1. Interpretation der Ergebnisse Jedem MIAS Ziel wird entsprechend seines Gewichtes ein Winkelmaß im Kreissektorendiagramm (KSD) zugeordnet. So geht das MIAS-Grobziel „Sicherheit“ im Beispiel mit einer Gewichtung von 34 % ein, was einem Winkel von ca. 120° im KSD entspricht. Daneben werden sämtliche Messdaten durch ein Umrechnungsverfahren auf eine einheitliche Bewertungsskala von 10 bis 60 überführt. Je höher der Wert, umso näher reicht das Teilziel im KSD an den Kreisrand heran und um so „grüner“ wird der Zielbereich. Mit diesem Verfahren werden auch inhaltlich unterschiedliche Parameter miteinander vergleichbar. Zur Interpretation der Ergebnisse dienen: · das Kreissektorendiagramm selbst (Überblick und farbliche Gestaltung) · der Systemwert · die Homogenität und · die Performanz Wie in den Abbildungen 8 und 9 dargestellt, werden im KSD die Zielerreichungsgrade der jeweiligen MIAS-Ziele dadurch visualisiert, wie stark oder weniger stark die KSD-Flächen ausgefüllt sind. Die farbliche Differenzierung gibt einen zusätzlichen und schnellen Hinweis darauf, in welchen Zielbereichen Stärken oder Schwächen bestehen. Die Farbe „grün“ weist auf Stärken, „gelb“ auf ausbaufähige Potenuiale und „rot“ auf Schwächen hin. Der Systemwert (SW) stellt den durchschnittlichen, gewichteten Zielerreichungsgrad über alle Teilziele dar und wird in Prozent angegeben. Im KSD erscheint er als gestrichelte Linie. Er kann theoretisch zwischen ca. 16,7 % und 100 % variieren. 100 % erreicht das rundum gesunde Unternehmen, das die MIAS Ziele zu 100 % verwirklichen konnte. Einen SW von 16,7 % erhält ein Unternehmen, das in allen Messbereichen den Wert 1 = „sehr schlecht“ bekommen hat. Manchmal werden wir gefragt, warum ein Unternehmen keinen SW unterhalb dieses minimalen Wertes erreichen kann. Dies liegt zum einen in der Methode selbst begründet, zum anderen aber auch daran, dass alle Unternehmen über eine minimale Widerstandsfähigkeit verfügen müssen, um existent zu sein. Denn ohne ein Mindestmaß an Sicherheit bei der Arbeit, physischen und psychosozialen gesundheitlichen Fähigkeiten sowie einer entsprechenden Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hat ein Unternehmen keinen Bestand. Die Homogenität (Ho) gibt an, wie gleichmäßig die einzelnen Messbereiche bewertet wurden. Sie misst die Summe der quadrierten Abweichungen in den Bewertungen der einzelnen Messbereiche und drückt diesen Wert in Prozent aus. Die Standardabweichung zwischen allen Messbereichen ist also die rechnerische Grundlage der Homogenität. Systeme können extrem homogen (alle Bereiche gleich gut oder gleich schlecht ausgeprägt) oder extrem inhomogen (alle Bereiche variieren stark) sein. Homogen gute oder schlechte Systeme erreichen einen Ho-Wert von 100 %. Warum ist die Homogenität so wichtig? Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das über hervorragende Leistungsparameter verfügt (z. B. ein hohes Maß an Engagement), aber diese Leistungsbereitschaft durch ein hohes Maß an Überforderung/Unterforderung in den Tätigkeiten oder durch unsichere Arbeitsverhältnisse, ungesunde Arbeitsplätze oder insuffiziente Führung verschleißt. Nach unserem Verständnis befindet sich das System dann in einem äußerst inhomogenen Zustand. Es wird instabil. Das Risiko der Instabilität eines Systems (hier eines Unternehmens) muss bei der Gesamtbewertung berücksichtigt werden. Dies geschieht durch die Ermittlung der systembezogenen Performanz (Systemleistung). Die Performanz stellt den am höchsten verdichteten und wichtigsten Kennwert bei MIAS dar. Der Wert ergibt sich aus dem Systemwert (SW) und der Homogenität (Ho) und kann daher als vollständige Bewertung der Organisation interpretiert werden. Die Performanz kann nicht höher sein als der Systemwert. Das bedeutet, dass eine hohe Homogenität (z. B. 90 %) einen niedrigen Systemwert (z. B. 40 %) nicht positiv beeinflussen kann. Denn sonst würde ein Unternehmen, das in allen MIAS-Zielen ausgeglichen schlechte Werte aufweist, aufgrund seiner hohen Homogenität eine dennoch höhere Performanz aufweisen. Das macht keinen Sinn. Die Homogenität senkt also den Systemwert nur unterschiedlich stark. Die Formel zur Berechnung der Performanz lautet: Performanz = Systemwert – ¼ x (100-Homogenität). Ist die Homogenität eines Systems bei 100 %, so entspricht die Performanz exakt dem Systemwert. Ist die Homogenität niedriger als 100 %, so werden ¼ vom Systemwert der Differenz der Homogenität von 100 % abgezogen. Beispiel: SW = 80 % / Ho = 60 % ÕPerformanz = 80 – ¼ x (100–60) = 70. Anders ausgedrückt: Die Performanz dieses Arbeitsystems sinkt um weitere 10 %. Wie gut ist mein Unternehmen?
Viele Unternehmen stellen uns die Frage: „Wie gut bin ich eigentlich?“. Andere wiederum wollen sich mit Unternehmen der Branche vergleichen oder sich an nationalen bzw. internationalen Maßstäben orientieren. Dies ist auch in Ordnung, wenngleich wir aus verschiedenen methodischen und unternehmenspolitischen Gründen kein Verfechter externer Benchmarks sind. Für die Beantwortung der Fragestellung „Wie gut sind wir?“ ist es notwendig, eigene MIAS-Erfahrungswerte über die Zeitachse zu sammeln. Um aber dennoch Anhaltspunkte für die Einschätzung zu bieten, haben wir in der Abbildung 10 Richtwerte zusammengestellt.

Bitte beachten Sie: Die Werte dienen Ihnen zur Orientierung und als Markierungspunkt, um als Unternehmen sicherer, gesünder und leistungsfähiger, d. h. widerstandsfähiger zu werden.

Das (fiktive) Unternehmen von oben (Abbildungen 8 und 9) besitzt z. B. einen Systemwert von 69 %, eine Homogenität von 65 % und eine Performanz von 60 %. Gemäß Tabelle 10 ist der Zielerreichungsgrad der MIAS-Ziele als „befriedigend“ zu bewerten. Ein Blick auf den Zielerreichungsgrad der MIAS-Grob- und Feinziele zeigt, dass erhebliche Defizite im Bereich „Leistungsfähigkeit“, konkret in den Teilbereichen „Freiheitsgrade“ und „Anreizsystem“ zu finden sind. Weitere Einschränkungen bestehen in dem Bereich „Arbeitsmittel“. Alle Bereiche wurden signifikant gewichtet, d. h. eine anschließende Maßnahmenplanung und -umsetzung sollte daher überwiegend an der Potenzialsteigerung dieser Teilbereiche ansetzen.

1. Interventionsplanungund -umsetzung

Entsprechend der Zielerreichungsgrade der einzelnen MIAS Grob- und -Feinziele werden in einem weiteren Schritt die erforderlichen Interventionen geplant, um die Zielerreichungsgrade zu steigern. Die Interventionen richten sich dabei nach der Art der bestehenden Defizite bzw. ausbaufähigen Potenziale des Unternehmens. Die Maßnahmenplanung muss daher stets spezifisch für jedes Unternehmen erfolgen.

Die bisher beschriebene quantitative Analyse (Checkliste, Mitarbeiterbefragung, Kennzahlen) kann im Rahmen der anschließenden konkreten Interventionsplanung durch eine qualitative Analysephase vervollständigt werden. Ein besonders wertvolles und ertragreiches qualitatives Analyseinstrument stellen die Ideenwerkstätten dar, durch welche die Beschäftigten und damit die unmittelbar Betroffenen aktiv an der Gestaltung von betrieblichen Maßnahmen beteiligt und gleichzeitig für ein gesundheitsbewusstes Verhalten am Arbeitsplatz sensibilisiert werden können. Hierfür werden mehrere Beschäftigte eines Tätigkeits- oder Arbeitsbereiches in einer Ideenwerkstatt zusammengeführt, um die verschiedenen Inhalte (Defizite, Ressourcen) zu konkretisieren und praktikable Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Wichtig in den Ideenwerkstätten ist nicht nur problemfixiert zu sein, sondern insbesondere auch ressourcen- und lösungsorientiert zu arbeiten. Die Ideenwerkstatt ist also sowohl als qualitatives Analyseinstrument wie auch als erstes Interventionsinstrument der Umsetzung im modernen integrierten Arbeitsschutz zu betrachten.

Die erarbeiteten Verbesserungsvorschläge werden an das zentrale MIAS-Steuergremium weitergeleitet und hinsichtlich ihrer Priorität und Realisierbarkeit überprüft. Das MIAS-Steuergremium kann z. B. ein erweiterter Arbeitsschutzausschuss sein, in dem auch Personalverantwortliche und externe Experten mitarbeiten. Das MIAS-Steuergremium setzt sich i. d. R. aus Mitgliedern der Unternehmensleitung, des Betriebsrates und der Personalabteilung zusammen und wird durch den Betriebsarzt, die Sicherheitsfachkraft, zwei bis vier Mitarbeitervertreter und ggf. einen Moderator ergänzt. In Betracht kommen auch Schwerbehindertenvertreter, Sucht- und Frauenbeauftragte sowie überbetriebliche Instanzen wie Berufsgenossenschaften und Krankenkassen.

Durch die dargestellte Methodik werden die Mitarbeiter frühzeitig in den Veränderungsprozess mit einbezogen. Sie erhalten die Chance, eigene Verbesserungsvorschläge mit einzubringen und werden nicht vor vollendete Tatsachen gestellt. Aber keine Angst vor übertriebenen Vorschlägen. Einbindung bedeutet nicht, dass alle gemachten Vorschläge auch zwangsläufig umgesetzt werden müssen. Einbindung bedeutet vielmehr, dass die Mitarbeiter, insbesondere über die Entscheidungshintergründe, sowohl bei Zusagen als auch bei Absagen informiert werden, so dass ein „fairer Prozess“ sichergestellt werden kann (vgl. auch Kim, Chan und Mauborgne, 1997).

Wichtig: Das MIAS-Steuergremium verfügt über Entscheidungskompetenzen und kann auch über den Ressourceneinsatz bestimmen. Die Aufgaben des MIAS-Steuergremiums bestehen zusammenfassend darin, Prioritäten, Kriterien und Ziele festzulegen (die MIAS Ziele), die Arbeitssicherheit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördernden und gefährdenden Potenziale zu analysieren, eine entsprechende MIAS-Umsetzungsstrategie zu entwickeln, taktische und weiterführende Maßnahmen zu planen, zu steuern, zu koordinieren und zu evaluieren. Das MIAS-Steuerungsgremium beschließt auch, in welchen Bereichen Ideenwerkstätten eingerichtet werden sollen.

Weiterführende Möglichkeiten zur Analyse der konkreten Situation und zur Optimierung der Arbeitsverhältnisse sowie zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen stellen neben den bisher vorgestellten u. a. dar: Gefährdungsbeurteilungen, Arbeitsplatzanalysen, Führungskräftebefragungen, strukturierte Einzelinterviews, 360°-Feedbacks und Leistungsbeurteilungen.

Da der „Moderne Integrierte Arbeitsschutz“ weit über die Aufgabengebiete des traditionellen Arbeitsschutzes hinausreicht, kann das MIAS-Steuergremium als ein integriertes Instrumentarium aus dem Arbeitsschutzausschuss und dem Steuergremium Gesundheit verstanden werden. Es ist daher zu überlegen, ob das MIAS-Steuergremium mit dem Arbeitsschutzausschuss koordiniert oder das Aufgabenspektrum des Arbeitsschutzausschusses durch MIAS erweitert wird.

MIAS stellt also ein Konzept dar, das den traditionellen Arbeitsschutz mit dem Gesundheitsmanagement verbindet. Wie in Abbildung 11 dargestellt, werden allein durch die Bildung eines Steuergremiums und von Ideenwerkstätten zwei Managementansätze miteinander kombiniert. Während gemäß dem „top-down-Ansatz“ die Zielvorgaben durch die Führung vorgegeben werden können, haben die Mitarbeiter nach dem „bottom-up-Ansatz“ gleichfalls die Chance und die Aufgabe, Verbesserungsvorschläge einzureichen.

1. Evaluation und Nachhaltigkeit

Die Nachhaltigkeit des „Modernen integrierten Arbeitsschutzes“ wird dadurch sichergestellt, dass sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter Bestandteil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses sind. Dieser äußert sich in der fortwährenden Findung, Strukturierung, Erhebung und Erreichung betrieblich ausgehandelter arbeitsschutz- und gesundheitsspezifischer Ziele. Zur Förderung der Nachhaltigkeit ist es also sinnvoll, in kontinuierlichen Abständen die Zielerreichungsgrade der MIAS-Grob- und Feinziele zu überprüfen und auszuwerten. Der beschriebene Vorgang wiederholt sich fortlaufend und ist als kontinuierlicher Lern- und Verbesserungsprozess zu verstehen.

Dr. Christian Weigl

Literatur

1. Chan Kim, W. & Mauborgne, R. (1997): Fair process: Managing in the knowledge economy, Harvard Business Review, 4, pp. 60–70.

2. Drucker, P.F. (2001): Was ist Management?. Econ. München

3. Kaplan, R.S. & Norten, D.P. (1992): Using the Balance-Score-Card as a strategic Managementsystem. In: Harvard Business Review. Vol 74, No1, S.75–85.

4. Jancik, J.M. (2002): Betriebliches Gesundheitsmanagement. Produktivität fördern, Mitarbeiter binden, Kosten senken. Wiesbaden.

5. Weinreich, I. (2000): Mehrdimensionale Gesundheitsanalysen in Betrieben. Roderer. Regensburg.

6. Weinreich, I. & Weigl, C. (2002): Gesundheitsmanagement erfolgreich umsetzen. Ein Leitfaden für Unternehmen und Trainer. Luchterhand. Kriftel.

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