Arbeitsschutz

Mutterschutz am Arbeitsplatz

Der demografische Wandel ist in den Betrieben angekommen. Ältere Arbeitnehmer werden ebenso wie Berufsanfänger zunehmend umworben. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein gesellschaftsethisches Thema für Sonntagsdiskussionen, sondern eine ökonomische Notwendigkeit von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Dazu gehört auch eine angemessene Gestaltung der Arbeitsbedingungen für schwangere Frauen und stillende Mütter. Denn wird in der besonderen Situation einer Schwangerschaft einmal das Vertrauen zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber gestört, wird sich die junge Frau nach der Elternzeit möglicherweise beruflich anders orientieren. Die Arbeitsmedizin kann dazu beitragen, die beiderseitigen Interessen zusammenzuführen und durch Vermittlung im Konfliktfall das Arbeitsverhältnis dauerhaft positiv zu gestalten. Dafür ist es entscheidend, die rechtlichen Grundlagen des Mutterschutzes am Arbeitsplatz1, 2 zu kennen und beiden Seiten nahe zu bringen, was bei der Arbeitsgestaltung richtig, wichtig und sinnvoll ist.3

Das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) hat eine Reihe von Informationen ins Internet gestellt*, die hierfür nützlich sind. Seit vielen Jahren sind die vom MAIS herausgegebenen Merkblätter zum Mutterschutz – ursprünglich in gedruckter, jetzt vornehmlich in elektronischer Form – eine bewährte Hilfe für alle Beteiligten. Sie sind in Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung in Nordrhein-Westfalen entstanden und werden laufend aktualisiert. Das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA.NRW) hat von Anfang an daran mitgewirkt. Im Rahmen dieses Beitrags sollen zwei häufig gestellte Fragekomplexe aus der Beratungspraxis des LIGA.NRW auf der Basis der Merkblätter angesprochen und in Hinblick auf die betriebliche Arbeitsmedizin dargestellt werden.

Merkblatt „Individuelle, ärztliche Beschäftigungsverbote für Schwangere“
Dieses Merkblatt wendet sich vornehmlich an Ärztinnen und Ärzte, die eine Schwangere betreuen, und soll ihnen die mit einem (individuellen) ärztlichen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) verbundenen Anforderungen erläutern und Hilfestellungen anbieten. Gleichzeitig sind auch die von einem individuellen Beschäftigungsverbot betroffenen Arbeitgeber angesprochen (Abbildung 1).

Häufig besteht Unklarheit über die Abgrenzung der beiden Beschäftigungsverbote nach dem MuSchG voneinander und zu einer Arbeitsunfähigkeit. Im Kern geht es um die Fragen:

· Liegt eine Krankheit bei der Schwangeren vor, die eine weitere Berufstätigkeit zurzeit ausschließt (Arbeitsunfähigkeit)?

· Ist ein individuelles Beschäftigungsverbot wegen einer drohenden Gefährdung von Mutter und Kind durch ein ärztliches Attest auszusprechen (§ 3 Abs. 1 MuSchG)?

· Ergibt die Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber, dass der Arbeitsplatz generell für Schwangere ungeeignet ist (§ 4 MuSchG)?

Auch wenn der Arbeitgeber feststellt, dass generell die konkrete Arbeit für Schwangere nicht geeignet ist – also ein generelles Beschäftigungsverbot vorliegt – schickt er mitunter die Betroffene zur Frauenärztin bzw. zum Frauenarzt, damit diese ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG attestieren oder sogar eine Arbeitsunfähigkeit feststellen. Er übersieht dabei, dass es allein in seiner eigenen Kompetenz liegt, auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung das generelle Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG festzustellen.

Das wiederum ist nicht gleichbedeutend mit einer Freistellung der Schwangeren von jeglicher Arbeit, sondern erfordert zunächst zu überprüfen, ob und wie der bisherige Arbeitsplatz schwangerschaftsgerecht umgestaltet werden kann oder ob ein anderer unbedenklicher und zumutbarer Arbeitsplatz für die Schwangere zur Verfügung steht – und zwar in dieser Rang- und Reihenfolge. Erst wenn beides nicht möglich ist, muss der Arbeitgeber die Schwangere freistellen. In dieser Situation sollte die Betriebsärztin bzw. der Betriebsarzt eingeschaltet werden. Deren bzw. dessen Aufgabe ist es, einerseits wenn nötig die Unterschiede der Beschäftigungsverbote zu erläutern und andererseits bei der Umgestaltung oder Umsetzung mitzuwirken. Eines betriebsärztlichen Attestes bedarf es jedoch nicht. Allerdings könnte eine schriftliche Gefährdungsbeurteilung, die auch von der Betriebsärztin bzw. vom Betriebsarzt abgezeichnet wurde, bei der Abwicklung der Kostenerstattung im Umlageverfahren4 hilfreich sein.

Die Kostenerstattung für beide mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote erfolgt durch die Umlagekasse (sogenanntes U2-Verfahren). Diese Umlagekasse wird von der jeweiligen Krankenkasse der Schwangeren verwaltet. Bei einem generellen (weiteren) Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG wird von dieser Seite widerrechtlich manchmal ein ärztliches Attest gefordert. Um solchen Schwierigkeiten auszuweichen, wird stattdessen auf ein individuelles, ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs.1 MuSchG oder gar eine Arbeitsunfähigkeit ausgewichen, was nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht und sogar zu einer Kostenverschiebung zulasten der Krankenkasse führen kann. Das LIGA.NRW bemüht sich auf legislativem Weg, hierzu eine eindeutige, pragmatische Regelung herbeizuführen.

Merkblatt „Mutterschutz in Arztpraxen“
Die arbeitsmedizinische Beratung Schwangerer und stillender Mütter im Bereich der medizinischen Berufe ist mitunter eine besondere Herausforderung für die Arbeitsmedizin. Verschiedene besondere Gefährdungen von Gesundheit und Leben von Mutter und Kind sind zu berücksichtigen (Abbildung 2). Neben den physikalischen Belastungen z. B. durch Heben und Tragen sowie der Arbeitszeitgestaltung gibt es Infektionsgefahren und den Umgang mit chemischen Gefahrstoffen. Ein wesentlicher Unterschied bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben besteht zwischen ambulantem und klinischem Sektor.

In den Kliniken haben sich Standards herausgebildet, die aber nicht immer uneingeschränkt den Beifall des LIGA.NRW finden. So wird gelegentlich reflexartig ein generelles Beschäftigungsverbot fest- und die Betroffene von der Arbeit freigestellt, sobald eine Schwangerschaft bei einer Mitarbeiterin bekannt wird. Die gesetzlich vorgeschriebene Rang- und Reihenfolge der Schutzmaßnahmen wird dabei ignoriert (Umgestaltung vor Umsetzung vor Freistellung). Dass dies letztlich die von allen Arbeitgebern gemeinsam getragenen Umlagen belastet, sei nur am Rande erwähnt. Ganz abgesehen davon erreichen uns immer wieder Anfragen, in denen die werdenden Mütter sich darüber beklagen, dass sie sich durch die Freistellung von der Arbeit als desozialisiert und diskriminiert empfinden. Hier besteht Handlungsbedarf zur Arbeits(platz)gestaltung für schwangere Mitarbeiterinnen.

Während in den letzten Jahren viele Kliniken „gelernt“ haben, mit diesem Problem umzugehen, kann ein eingespieltes Praxisteam durch die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin erheblich ins Wanken geraten. In den Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte ist ein intensives Bemühen festzustellen, den Betroffenen auch in der Schwangerschaft eine Weiterarbeit zu ermöglichen. Dabei sind die Umgestaltungs- und Umsetzungsmöglichkeiten vergleichsweise geringer als im klinischen Sektor. Gerade bei Gefährdungen durch infektiöse Agentien ist neben der obligaten strikten Arbeitsplatzhygiene eine räumliche Trennung des Arbeitsplatzes der Schwangeren vom Gefahrenbereich erforderlich, was unter den realen Bedingungen einer Arztpraxis Probleme bereiten kann. Der Umgang mit den jüngsten epidemischen Ereignissen (Neue Grippe/Schweinegrippe und EHEC) hat diese Problematik wieder verdeutlicht.5.6 Ein Teil der Infektionsgefahren kann a priori durch rechtzeitige Impfungen vermieden werden, ohne dass ein Impfzwang besteht. Hier kann eine kompetente und unabhängige arbeitsmedizinische Beratung die Impfbereitschaft wesentlich fördern.

Die Persönlichkeitsrechte der Schwangeren werden verletzt, und es entsteht ein Interessenkonflikt, wenn Praxisinhaberin oder Praxisinhaber nach Bekanntgabe der Schwangerschaft sofort selbst bei der Schwangeren Blut zur Antikörperbestimmung abnehmen und die Analyseergebnisse erhalten. Ebenso ist es unzulässig, die Schwangere bis zur betriebsärztlichen Untersuchung oder bis zur Mitteilung der Untersuchungsergebnisse zunächst am bisherigen Arbeitsplatz weiterarbeiten zu lassen. Dies wäre nur für den Fall möglich, dass eine Gefährdung generell ausgeschlossen werden könnte, was wiederum eine betriebsärztliche Untersuchung überflüssig machen würde.

Weniger restriktiv wirken sich im ambulanten Bereich die Bestimmungen zur Arbeitszeitgestaltung in der Schwangerschaft aus. Meist besteht kein Änderungsbedarf. Lediglich bei Sonn- und Feiertagsdiensten kann es zu Problemen kommen. Hier besteht aber auch die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung durch die zuständigen Behörden (in NRW die Bezirksregierungen) zu beantragen. Andere Probleme, wie z. B. schweres Heben und Tragen, lassen sich durch eine entsprechende Arbeitsorganisation weitgehend vermeiden.

Schlussfolgerungen
Beschäftigung und Beschäftigungsfähigkeit Schwangerer oder stillender Mütter sind ein anspruchsvolles und wichtiges Thema in der betriebsärztlichen Praxis. Eine fachkompetente betriebsärztliche Betreuung kann das „Problem“ entschärfen. Im Gegenteil: In der Beratung ist es immer wieder erfreulich zu erleben, dass bei Kenntnis der Rechtslage und adäquater Nutzung der unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten letztlich auf allen Seiten die Freude auf und später über den Nachwuchs überwiegt. Ein richtig verstandener und mit betriebsärztlicher Kompetenz professionell umgesetzter Schutz von Mutter und Kind zahlt sich für die Mutter und den Arbeitgeber durch eine Identifizierung mit gemeinsamen Zielen und ein stabiles Arbeitsverhältnis aus.

Literatur

1. Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz – MuSchG), neugefasst durch Bek. v. 20.6.2002, BGBl (2002) I S. 2318, zuletzt geändert durch Art. 14 G v. 17.3.2009, BGBl (2009) I S. 550. http://www.gesetze im internet.de/muschg/index.html

2. Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV), zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 8 V v. 26.11.2010, BGBl (2010) I S. 1643. http://www.gesetze im internet.de/muscharbv/index.html

3. Jansing P-J, Mutterschutz und Lohnfortzahlung: Auswirkungen von Arbeitsunfähigkeit und mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten für betroffene Frauen und Arbeitgebern, Prakt. Arb.med. 2006; 6: 33–24

4. Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (Aufwendungsausgleichsgesetz – AAG) vom 22. Dezember 2005, BGBl. (2005) I S. 3686), zuletzt geändert durch Artikel 4d des Gesetzes vom 21. Dezember 2008, BGBl. (2008) I S. 2940. http://www.gesetze im internet.de/aufag/index.html

5. NN. Empfehlungen des LIGA in Bezug auf schwangere Arbeitnehmerinnen im Gesundheitswesen, Rhein. Ärztbl. 2009; 9_ 55–56. http://www.aekno.de/downloads/archiv/2009.09.055.pdf**

6. NN. EHEC und Mutterschutz, Rhein. Ärztbl. 2011; 8; 49–50, http://www.aekno.de/downloads/archiv/2011.08.049.pdf**

*) Die nordrhein-westfälischen Merkblätter zum Mutterschutz sowie weitere Informationen finden Sie im Internet unter http://www.arbeitsschutz.nrw.de/Themenfelder/mutterschutz/index.php

· **) Inhaltsgleiche Veröffentlichungen auch im jeweiligen Westfälischen Ärzteblatt.

Priv.-Doz. Dr. Paul-J. Jansing

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