Grobprofessiogramm

Validitätsmaße des HRCT und des Röntgen-Thorax- Übersichtsbildes bei Patienten mit asbestfaserstaub- verursachten Erkrankungen der Lunge und der Pleura (BK Nr. 4103)

Abbildung 1: Korrelation des Ausprägungsgrades fibrotischer Lungenveränderungen zwischen ILO-Erst- und Zweitbeurteiler. Die Zahl neben dem Punkt bedeutet die zugehörige Anzahl n Patienten.

Zusammenfassung: Die durch Asbestfaserstäube hervorgerufenen Erkrankungen (Nr. 4103 BKV) steigen weiterhin an. Asbestfaserstaub-Inhalationsfolgeschäden werden röntgenologisch standardisiert beurteilt. Bei zweifelhaften Befunden erfolgt ein sog. Zweitbeurteilungsverfahren. Durch konventionelle p.a.-Übersichtsaufnahmen ist eine vollständige Exploration des Thoraxraumes nur sehr eingeschränkt möglich. Mit der hochauflösenden Computertomografie (HRCT) steht ein Verfahren zur Verfügung, welches bei Hochrisiko-Patienten in der arbeitsmedizinischen Vorsorge, zunehmend aber auch im BK-Feststellungsverfahren sowie zur Feststellung des Schweregrades und Komplikationen im Verlauf von asbestfaserstaubverursachten Erkrankungen eingesetzt wird. In dieser Untersuchung sollte der Grad der Übereinstimmung zwischen Erst- und Zweitbeurteilung der konventionellen Röntgenaufnahmen sowie den Befunden mit der HRCT-Untersuchung erfolgen. Bei n=169 Männern (35–74 Jahre alt) mit Lungen- und/oder Pleuraasbestosen wurden konventionelle Röntgen-Thorax-Untersuchungen und hochauflösende Computertomogramme durchgeführt und standardisiert beurteilt. Der Interobserver-Vergleich der ILO-Codierung der Röntgenthoraxbilder zeigte eine relativ gute Übereinstimmung, sowohl bezüglich der pleuralen, als auch der fibrotischen Lungenveränderungen. Die Sensitivität, einen ehemals durch Asbestfaserstaub gefährdeten Versicherten hinsichtlich der Diagnose „Lungenasbestose“ richtig zu diagnostizieren liegt bei 84% im Übersichtsbild. Die Sensitivität der „Pleuraasbestose“ im Übersichtsbild liegt bei 97,8% bei einer Spezifität von nur 16,9%. Die HRCT-Untersuchung erweist sich auch bei Patienten mit anerkannten Berufskrankheiten als eine Methode zur Steigerung der Spezifität bei pleuralen Veränderungen. Die Sensitivität zum Nachweis und des Schweregrades parenchymatöser Lungenveränderungen übersteigt die Ergebnisse im konventionellen Röntgenbild deutlich. Die in der Literatur beschriebene höhere Sensitivität und Spezifität der HRCT im Vergleich zur Befunderhebung mittels konventioneller Röntgentechnik ist auch bei Patienten mit anerkannten Berufskrankheiten zu bestätigen. Schlüsselwörter: Asbest – Radiografie – Zweitbeurteiler – HRCT Abstract: Asbestos induced fibrogenic effects (no. 4103 BKV) are still raising. Diagnosis is based on radiological changes according to ILO. In case of doubt, a B-reader examination is established. However examination with conventionally radiography is limited. High-resolution CT led to an improvement in the early recognition of asbestos diseases in formerly asbestos exposed workers. HRCT is also used in compensated cases for detection of severity or complications. In the presented study the correlation of radiography signs in A- and B-readers and also the accordance with HRCT was analyzed. N=169 male workers (35–74 age) with occupational diseases were examined with conventionally radiology and HRCT diagnosis. The interobserver-variation in reading the conventionally radiographs was relatively good. Sensitivity for diagnosis of lung fibrosis was 84% in X-ray. Sensitivity for pleural changes was 97,8% at a specificity of 16,9%. In the HRCT pleural plaques could be detected with certainty. Sensitivity in detection of progressive lung asbestosis was much better with HRCT in comparison to conventionally radiography. HRCT as an important tool not only in early detection of asbestos diseases but also in patients suffering from compensated occupational diseases. Key words: Asbestos – Radiography – B-reader – HRCT

1 Einleitung und Fragestellung
Den arbeitsbedingten Staublungenerkrankungen (Pneumokoniosen) kommt nicht nur aus arbeitsmedizinischer, sondern auch aus sozio-ökonomischer Sicht nach wie vor eine wesentliche Bedeutung zu. Die durch Asbestfaserstäube hervorgerufenen Erkrankungen gemäß der Nr. 4103 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) zeigen in den Statistiken seit Anfang der 80er Jahre weiterhin einen deutlichen Anstieg.

Hierbei ist anzunehmen, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Häufigkeit der fortgeschrittenen Asbestosen zurückgehen wird, während Frühstadien und insbesondere asbestverursachte Pleuraveränderungen eher zunehmen werden.

Zahlreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Pleura als besonders sensitives Organ im Hinblick auf eine Asbestfaserstaub-Einwirkung anzusehen ist. Dalquen1 et al. wiesen den Pleuraplaques als „epidemiologischem Leitfossil einer Asbestfaserstaub-Einwirkung“ eine besondere Bedeutung zu.

Unfallversicherungsträger haben alle Maßnahmen zu treffen, um eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende, sachgemäße Heilbehandlung zu gewährleisten. Dies gilt – soweit erforderlich – nicht nur für eine besondere unfallmedizinische Behandlung, sondern auch für diejenige von Berufskrankheiten. Die Unfallversicherungsträger können je nach Art und Schwere des Gesundheitsschadens besondere Verfahren für die Heilbehandlung vorsehen.

Der Berufsgenossenschaftliche Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen G 1.2 „Asbestfaserhaltiger Staub“ wurde Anfang der 70er Jahre etabliert, um fibrogene Asbestinhalations-Folgeschäden frühzeitig zu erkennen, ggf. gesundheitliche Bedenken für eine Weiterbeschäftigung zu äußern und soweit der begründete Verdacht bestand, das Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren einzuleiten.

Die Beurteilung der konventionellen p.a.-Thoraxaufnahmen erfolgt nach der ILO 1980 bzw. 2000/BRD. Bei zweifelhaften Befunden wird vom erstbeurteilenden Arzt, der nach der ILO-Klassifikation den radiologischen Befund erhebt, in einem Zweitbeurteilungsverfahren von einem erfahrenen, arbeitsmedizinisch und radiologisch geschulten Beurteiler das konventionelle Röntgenbild erneut beurteilt. Dieses Verfahren hat sich bewährt. Es wurde zwischenzeitlich leicht modifiziert2.

Immer häufiger war jedoch in der Vergangenheit zu erkennen, dass in der konventionellen p.a.-Übersichtsaufnahme eine vollständige Exploration des Thoraxraumes nur sehr eingeschränkt möglich ist. Oft konnten insbesondere die malignen Erkrankungen in einem therapierbaren und frühen Stadium selten diagnostiziert werden3. Erst durch die Entwicklung der Computertomografie war die Möglichkeit gegeben, insbesondere den Thoraxraum genauer abzubilden4, 5. Dieses Verfahren wurde ständig weiter entwickelt. So wurde in der hochauflösenden Computertomografie (HRCT) eine Chance zur Effizienzsteigerung gesehen6, 7, 8. Dieses Verfahren wird mittlerweile insbesondere bei Hochrisiko-Patienten in der arbeitsmedizinischen Vorsorge, zunehmend aber auch im BK-Feststellungsverfahren sowie zur Feststellung des Schweregrades und Komplikationen im Verlauf von asbestfaserstaubverursachten Erkrankungen eingesetzt. Voraussetzung ist ein jedoch weitgehend einheitliches Untersuchungsverfahren mit standardisierter Aufnahme- und Abbildungstechnik. Zunehmend setzt sich eine Kombination von Spiraltechnik mit zusätzlichen hochauflösenden Schichten durch. Analog dem ILO-Auswertungsbogen als semiquantitativer Befundauswertung, wurde schließlich auch für die Computertomografie-Beurteilung ein solcher Auswertebogen geschaffen.

Im Rahmen dieser differenzierten Vorsorge-Strategie wurde geprüft, ob die Effektivität zum Nachweis von fibrogenen Asbestinhalationsfolgen durch den Einsatz der HRCT-Untersuchung gesteigert wird.

2 Fragestellung
Welcher Grad der Übereinstimmung besteht zwischen der Erst- und Zweitbeurteilung der konventionellen Röntgenaufnahmen nach der ILO-Klassifikation?

Welche Korrelation besteht zwischen der Beurteilung des Röntgenbildes nach der ILO-Klassifikation und der Beurteilung von HRCT?

Welche Korrelationen bestehen zwischen Befunden der konventionellen Röntgenaufnahmen der Thoraxorgane und der hochauflösenden computertomografischen Untersuchung (HRCT)?

Bei Patienten mit bereits anerkannter Berufskrankheit sollte die Sensitivität der HRCT-Untersuchung hinsichtlich der Beurteilung insbesondere fibrotischer Veränderungen an Lunge und Pleura im Vergleich zu den Befunden der konventionellen Röntgentechnik ermittelt werden.

3 Methode
An einem Kollektiv mit n=169 Männern im Alter zwischen 35 und 74 Jahren mit Lungen- und/oder Pleuraasbestose wurden konventionelle Röntgen-Thorax-Untersuchungen und hochauflösende Computertomogramme durchgeführt und standardisiert beurteilt. Die Versicherten befanden sich zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik in Bad Reichenhall. Die Röntgenthoraxbilder wurden doppelt blind nach der ILO-Klassifikation erst- und zweitbeurteilt und die HRCT-Bilder standardisiert in Anlehnung an die neue internationale HRCT-Klassifikation befundet.

4 Ergebnisse
Der Interobserver-Vergleich der ILO-Codierung der Röntgenthoraxbilder zeigte eine relativ gute Übereinstimmung, sowohl bezüglich der pleuralen, als auch der fibrotischen Lungenveränderungen, siehe Tabellen 1 und 2.

Die Diagnose einer Hyalinosis complicata (n=14; 12,1%) erfolgte stets übereinstimmend durch den Erst- und Zweitbeurteiler.

Eindeutige, asbesttypische Veränderungen mit dem Nachweis von kleinen, unregelmäßigen Schatten der Form s/t/u und einem Streuungsgrad von mindestens $1/1 wurden vom Erstbeurteiler bei 16,6%, vom Zweitbeurteiler bei 14,8% der Patienten mittels konventionellem Röntgenthoraxbild festgestellt (siehe Abbildung 1).

Vergleicht man bezüglich der Diagnose „Pleuraasbestose“ HRCT und konventionelles Röntgenbild, kam es in 53,2% zu einer positiven Beurteilung mittels beider Verfahren. In 7,7% der Patienten war durch keines der beiden Diagnosemethoden eine Pleuraasbestose nachweisbar. In 37,9% der Patienten wurde nur im HRCT ein positiver Befund erhoben, in nur 1,2% der Fälle ließ sich konventionell radio-morphologisch eine Pleuraasbestose nachweisen, die sich im HRCT nicht nachvollziehen ließ (siehe Tabelle 3). Als positiver Befund einer Lungenasbestose im konventionellen Röntgenbild wurde jeweils die Kodierung kleiner irregulärer Schatten s, t oder u einer Streuung $1/1 angesehen. Als positiver Befund im HRCT wurden irreguläre (s´t´u´) und/oder lineare Schatten (v´w´x´) der Streuung $1/1 angesehen.

Bezüglich der Diagnose einer „Lungenasbestose“ konnte in 12,4% der Fälle eine positive übereinstimmende Befundung durch beide Verfahren erhoben werden. In 37,9% der Patienten wurde diese Diagnose allein durch das HRCT gestellt, da bei 47,3% der Patienten konventionell radiologisch ein negativer Asbestose-Befund festgestellt worden war. Nur in 2,4% wurde eine positive Beurteilung ausschließlich im Röntgenthoraxbild erhoben (Tabelle 3).

Die Sensitivität, einen ehemals durch Asbestfaserstaub gefährdeten Versicherten hinsichtlich der Diagnose „Lungenasbestose“ richtig zu diagnostizieren liegt bei 84% im Übersichtsbild. Hingegen ist mit 16% falsch negativer Diagnosen zu rechnen. Der positive Vorhersagewert bezüglich des Vorliegens einer Lungenasbestose liegt nur bei 24,7%. Die Sensitivität der „Pleuraasbestose“ liegt bei 97,8% bei einer Spezifität von nur 16,9%. 2,2% sind somit hinsichtlich der Pleuraasbestose falsch negativ. Der positive prädiktive Wert im Röntgenbild beträgt 58,4%. In sämtlichen Fällen konnte eine Hyalinosis complicata mit beiden Methoden nachgewiesen werden.

5 Schlussfolgerung
Die hochauflösende Computertomografie erweist sich auch bei Patienten mit anerkannten Berufskrankheiten als eine Methode zur Steigerung der Spezifität bei pleuralen Veränderungen. Die Sensitivität zum Nachweis und des Schweregrades parenchymatöser Lungenveränderungen übersteigen die Ergebnisse im konventionellen Röntgenbild deutlich. Sie ist somit auch zur Beurteilung des Schweregrades und des Verlaufs von asbestfaserstaubbedingten fibrogenen Erkrankungen an Lunge und Pleura ein geeignetes diagnostisches Instrument.

Insbesondere pleurale Veränderungen lassen sich in ihrer Lokalisation genauer beschreiben.

Die in der Literatur beschriebene höhere Sensitivität und Spezifität der HRCT im Vergleich zur Befunderhebung mittels konventioneller Röntgentechnik ist mit unseren Ergebnissen zu bestätigen.

· Literatur:

Dalquen P, Hinz I und Dabbert AF. Pleuraplaques, Asbestose und Asbestexposition, eine epidemiologische Studie aus dem Hamburger Raum. In: Pneumologie 1970; 143: 23–42

Hering KG, Jacobsen M, Borsch-Galetke E, Ellihausen HJ, Hieckel HG, Hofmann-Preiß K, Jacques W, Jeremie U, Kotschy-Lang N, Kraus T, Menze B, Raab W, Raithel HJ, Schneider WD, Straßburger K, Tuengerthal S und Woitowitz HJ. Die Weiterentwicklung der Internationalen Staublungenklassifikation – von der ILO 1980 zur ILO 2000 und zur ILO 2000/Version Bundesrepublik Deutschland. In: Pneumologie 2003; 57: 576–584

Raithel HJ, Weltle D, Bohling H, Valentin H. Health hazards from fine asbestos dust. In: Int Arch Occup Environ Health 1989; 61: 527–541

Hounsfield G, Ambrose J, Perry J, Bridges C. Computerized transverse axial scanning. In: Brit J Radiol 1973; 46: 148–149

Lissner J, Schwarz W. Technik und Apparatur der Ganzkörper-Computertomographie. In: Internist 1978; 19: 559–563

Raithel HJ, Kraus T, Hering KG, Lehnert G. Asbestbedingte Berufskrankheiten. Aktuelle arbeitsmedizinische und klinisch-diagnostische Aspekte. In: Deutsches Ärzteblatt. 1996; 93: 685–693

Kraus T, Raithel HJ. Frühdiagnostik asbeststaubverursachter Erkrankungen. In: Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Sankt Augustin 1998

Vehmas T, Kivisaari L, Zitting A, Mattson K, Nordman H, Huuskonen M. Computed tomography (CT) and high resolution CT for the early diagnosis of lung and pleural disease in workers exposed to asbestos: Finnish experiences. In: Proceedings of an international expert meeting on new advances in radiology and screening of asbestos-related diseases. Helsinke, Finnish Inst of Occupational Health. People and Work Research Reports 2000; 36: 53–56

Gabriele Hauser-Heidt1, Rolf Arhelger1, Kurt Georg Hering2, Hans-Joachim Woitowitz1, Wolfgang Raab3 und Joachim Schneider1 1 Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen 2 Knappschaftskrankenhaus Dortmund 3 B

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