Psyche und Arbeit

Analyse des Burnout-Risikos bei Lehrerinnen im deutsch-ukrainischen Vergleich

Zusammenfassung Der Lehrerberuf gehört zu den Berufen mit hohen psychischen und emotionalen Belastungen im Arbeitsalltag. Daten zu Arbeitsunfähigkeitszeiten und -diagnosen der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger Deutschlands bestätigen für Lehrkräfte einen erhöhten Anteil psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, die als Hauptursachen für Frühberentungen gesehen werden. Der Arbeitswandel und die moderne Gesellschaft veränderten auch im Lehrerberuf die Arbeitsbedingungen. Ziel dieser internationalen Vergleichsstudie war es, das Burnout-Risiko von deut-schen und ukrainischen Lehrkräften zu untersuchen, wobei in diesem Beitrag nur ein Aspekt der großangelegten Lehrer-Studie berichtet wird. Es wurden 269 Lehrerinnen aus Deutschland (45,8 ± 7,7 Jahre) und 282 aus der Ukraine (43,6 ± 12,7 Jahre) mit dem „Maslach Burnout Inventary – General Survey“ (MBI-GS) befragt und die MBI-GS-Ausprägungen beider Stichproben verglichen. Das MBI-GS besteht aus den Subskalen „emotionale Erschöpfung“, „Zynismus“ (Depersonalisierung) und „reduzierte Leistungsfähigkeit“, wobei hohe Werte für „emotionale Erschöpfung“ und „Zynismus“ sowie geringe für „reduzierte Leistungsfähigkeit“ auf ein Burnout-Risiko hinweisen. „Emotionale Erschöpfung“ unterscheidet sich zwischen beiden Stichproben nicht signifikant (p = .147), während für „Zynismus“ (p < .001) und „reduzierte Leistungsfähigkeit“ (p = .041) in der ukrainischen Stichprobe signifikant höhere Werte auftreten. Hohe Werte liegen für „emotionale Erschöpfung“ bei 27 % der Gesamtstichprobe vor (p = .140) und für „Zynismus“ bei 21 % der deutschen und 39 % der ukrainischen Lehrerinnen. „Reduzierte Leistungsfähigkeit“ besteht für 11 % der deutschen und 13 % der ukrainischen Lehrerinnen. Nur 3 % aller Lehrerinnen weisen in beiden Stichproben ein hohes Burnout-Risiko nach Kalimo et al. (2003) auf. Die Untersuchung unterstützt die Annahme, dass ein vollständiges Burnout-Syndrom entsprechend dem MBI-GS in der Berufsgruppe der Lehrkräfte eher selten auftritt. Jedoch gibt fast die Hälfte aller Lehrerinnen an, dass einige Burnout-Symptome, insbesondere „emotionale Erschöpfung“ und „Zynismus“ häufiger auftreten. Da sich aus diesen Symptomen ein Burnout-Syndrom entwickeln kann, besteht Handlungsbedarf an Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Stärkung interner Ressourcen der Stress- und Konfliktbewältigung. Schlüsselwörter

· Burnout

· Lehrerinnen

· Deutschland

· Ukraine

· burnout

· female teachers

· Germany

· Ukraine

Einführung
Für die moderne Arbeitswelt ist in zahlreichen Berufen ein Anstieg psychischer und psychosozialer Anforderungen charakteristisch, die sich ungünstig auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Beschäftigten auswirken können.1 Fragen des eingeschränkten Wohlbefindens und der Krankheit sind daher nicht nur für das Leistungsvermögen des Arbeitsnehmers, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene im Rahmen der Ursachenforschung für arbeitsbedingte Erkrankungen zunehmend von Bedeutung.

Der Lehrerberuf gehört zu den akademischen Berufen mit hohen psychischen und psychoemotionalen Belastungen, die das Risiko für psychosomatische und psychische Erkrankungen und insofern auch für Burnout-Syndrom2 erhöhen. Diese Erkrankungen werden als Hauptursache für den hohen Anteil des vorzeitigen Berufsausscheidens bei Lehrkräften angesehen.3 Daten einer medizinisch-psychosomatischen Klinik ergaben, dass Lehrkräfte die größte Berufsgruppe von den über das Jahr behandelten Patienten mit den Hauptsymptomen Depressionen, somatoforme Störungen, Angst, Persönlichkeitsstörungen und Tinnitus waren.4 Das bestätigen auch Analysen der Arbeitsunfähigkeitszeiten und -diagnosen der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger in Deutschland.5

Burnout wird nach Maslach & Jackson6 als Syndrom mit den drei Hauptmerkmalen emotionale Erschöpfung, Zynismus (Depersonalisierung) und reduzierte Leistungsfähigkeit mit geringer persönlicher Erfüllung beschrieben. Ein Burnout-Syndrom kann als Folge einer länger anhaltenden Fehlbeanspruchung ohne Kompensationsmöglichkeiten und Verlust von eigenen Ressourcen entstehen. Ursachen liegen auch in belastenden Faktoren der Arbeitswelt oder der privaten Umwelt im Sinne einer mangelnden sozialen Unterstützung (externe belastende Faktoren) bis hin zu individuellen personellen Eigenschaften, wie emotionaler Instabilität (interne belastende Faktoren). Allerdings berichten Studien zum Burnout-Risiko im Lehrerberuf widersprüchliche Resultate (Spannweite: 0 – 33 %).7 Daten für ukrainische Lehrkräfte liegen nicht vor.

Fengler8 diskutiert Gemeinsamkeiten zwischen emotionaler Erschöpfung und beruflicher Deformation im Lehrerberuf und begründet emotionale Erschöpfung durch die Person selbst – z. B. damit, wenn deren berufliche Weiterentwicklung nicht stattfindet. Dabei gingen die Motivation für neue Arbeitsmethoden und der Ehrgeiz, Probleme zu lösen, verloren. Es kommt zu einer Veränderung des beruflichen Bewusstseins mit nicht realer Zielsetzung, in deren Folge berufliche Konflikte entstehen können. Auch sollen Angst vor Schüler/innen und fehlende Empathie auftreten.8 Insgesamt scheint eine Persönlichkeitsdeformation vorzuliegen.

Bellingrath et al.9 untersuchten die Hormonregulation und fanden bei Lehrkräften mit Gratifikationskrisen eine hormonelle Dysregulation.

Vor allem wird die Arbeitssituation als Ungleichgewicht von Anstrengung und Belohnung wahrgenommen10, was ebenfalls mit einem Risiko für die Entwicklung von Burnout-Symptomen verbunden sein kann. Diese Imbalance zwischen beruflicher Verausgabung und Belohnung wird als „berufliche Gratifikationskrise“ bezeichnet.11

Die Profession des Lehrerberufs ist vielfältig und das Setting Schule als Arbeitsplatz ist eine besondere Herausforderung. Primär sind Lehrkräfte für die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrages verantwortlich. Es besteht aber ein enormer Leistungsdruck, um die Erwartungen von Schülern, Eltern, Kollegen, Schulleitung und übergeordneten gesellschaftlichen Struktureinheiten zu erfüllen.

Außerdem befindet sich neben dem Arbeitsplatz Schule ein zweiter Arbeitsplatz in der Häuslichkeit, wo u. a. Korrekturen von Klausuren bzw. Klassenarbeiten sowie Vor- und Nachbereitungen für den Unterricht erfolgen. Allerdings wird in der Allgemeinbevölkerung meist nur die Präsenzzeit an der Schule wahrgenommen, weshalb Lehrkräfte häufig als „Teilzeitkräfte“ gesehen werden.12 Nach wie vor besteht auch nur für die Unterrichts-Pflichtstundenzahl eine vertragliche Regelung, nicht aber für die weitere Aufgabenbearbeitung am häuslichen Arbeitsplatz. Dadurch ergeben sich im individuellen Fall sehr unterschiedliche Zeitumfänge für die häusliche Aufgabenbearbeitung.13

Weiterhin ist die Lehrer-Schüler-Beziehung „erzwungen“ und einseitig, was zu Spannungen und Konflikten führen kann, d. h. Lehrkräfte und Schüler/innen können sich nicht gegenseitig aussuchen, müssen aber meist mehrere Jahre lang zusammenarbeiten. Die Lehrkräfte geben ihr Wissen an die Schüler/innen weiter und nicht umgekehrt.14

Außerdem werden fehlende Motivation und Lernbereitschaft einzelner Schüler/innen als Belastungsfaktor angegeben. Die Klassen werden heterogener, weil mehr und mehr verschiedene soziale Schichten und ethnische Gruppen in die Klassen integriert werden müssen. Zudem können Eltern eine zusätzliche Belastung darstellen, wenn bspw. zu hohe Anforderungen an die Schüler/innen gestellt werden und diese von den Lehrkräften umgesetzt werden sollen. Dem steht ein unklares Rollenbild der Lehrkraft gegenüber. Sie soll Wissen optimal vermitteln, Freund sein, Fachmann, Organisator und Mängel in der häuslichen Erziehung kompensieren.13 Als weitere Belastungen wurden Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen, Klassengröße und Lärmbelastung im Unterricht14, aber auch mangelhafte materielle und räumliche Begebenheiten angegeben.13 –16

Inwiefern psychische und psychosoziale Belastungen zu einer Fehlbeanspruchung führen, hängt unter anderem von den individuell vorhandenen psychischen und sozialen Voraussetzungen sowie den bestehenden Bewältigungsmechanismen ab.17 Verschiedene Studien belegten bei Lehrkräften Zusammenhänge zwischen Arbeitszufriedenheit und Gesundheitszustand. Eine Meta-Analyse mit 485 Studien verschiedener Studienpopulationen ergab höchste Zusammenhänge zwischen Arbeitszufriedenheit und psychischer Gesundheit18. Wegner et al.19 untersuchten bei 531 Lehrkräften den Zusammenhang von psychomentalen Belastungen und gesundheitlichen Symptomen. Neben Kopfschmerzen (50 %), rascher Ermüdbarkeit (47 %) und erhöhter Reizbarkeit (44 %) wurden reduziertes Leistungsvermögen (32 %), Schlafstörungen (31 %) und Nackenschmerzen (30 %) als psychosomatische Beschwerden angegeben.

Schulsystem in Deutschland und der Ukraine
Die Schulsysteme in Deutschland und der Ukraine unterscheiden sich. In Deutschland gibt es verschiedene Schularten: Grundschule, Hauptschule, Mittelschule, Realschule, Gesamtschule, Gymnasium, Förder-/Sonderschule und Berufsschulen. Es wird überwiegend ein Haupt- und ein Nebenfach unterrichtet. An welchem Schultyp unterrichtet wird, entscheidet sich während des Studiums. Der Ablauf eines deutschen Schulwerdeganges wird als bekannt vorausgesetzt und nicht weiter erläutert.

Das ukrainische Schulwesen wurde nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 von der Sowjetunion mit dem Ziel, das Bildungswesen/-niveau zu erhalten, neu gestaltet. Es gibt eine nicht obligatorische Vorschule im 6. bzw. 7. Lebensjahr. Danach folgt die dreistufige Mittelschule, die die Grundschule für 3 oder 4 Schuljahre enthält, den Sekundarbereich I für die Schuljahre 5 bis 9 und den Sekundarbereich II für die Schuljahre 9 bis 11/12. Die Sekundarbereiche I und II existieren auch als Verbundeinrichtungen. Ebenso gibt es den Sekundarbereich II mit einer Hochschule als Verbund. Im Sekundarbereich II beginnt für die ukrainischen Schüler/innern der Wettbewerb, da Leistungsträger gefördert werden. Darüber hinaus gibt es Gymnasien, die entweder wissenschaftlich-theoretisch oder allgemein-kulturell ausgerichtet sind. Spezielle Bildungseinrichtungen für begabte Schüler nennen sich Lyzeen, Colleges und Spezialschulen, die je nach Orientierung auf den späteren Beruf vorbereiten. Die berufliche Ausbildung gilt für alle Bürger als Grundrecht auf Bildung.20

Die statistischen Daten aus der Ukraine21 zeigen, dass auch in ukrainischen Schulen Lehrkräfte fehlen. Die Zahl der Pädagogen unter 30 Jahren sinkt mit jedem Jahr. 2006 lag der Anteil der unter 30-jährigen Lehrkräfte bei 21 %, vor zwei Jahren waren es nur noch 17 %. Der Anteil der Lehrkräfte, die in der Ukraine im Rentneralter noch berufstätig sind, liegt bei 16 %. Die sehr niedrigen Renten „zwingen“ die Lehrkräfte vermutlich zum Weiterarbeiten.

Ziel dieser empirischen Querschnittsuntersuchung war es, Aussagen zum Burnout-Risiko von Lehrkräften im deutsch-ukrainischen Vergleich herleiten zu können. Dafür lagen ein positives Votum der Sächsischen Bildungsagentur (SBA, Zentralstelle: Aktenzeichen ZS-6499.20/789/1) vom 07. August 2012) und für die Ukraine eine schriftliche Genehmigung des städtischen Ministeriums für Schulwesen vor.

Stichprobe und Methodik
Die Stichprobe bestand aus 269 deutschen (D) und 282 ukrainischen Lehrerinnen (UK) mit einem Durchschnittsalter von 45,8 ± 7,7 Jahre bzw. 43,6 ± 12,7 Jahren. Männliche Lehrkräfte wurden aufgrund ihres sehr geringen Anteils aus den statistischen Analysen ausgeschlossen.

Die durchschnittliche Berufserfahrung betrug bei deutschen Lehrerinnen 22,7 ± 9,0 Jahre und bei ukrainischen Lehrerinnen 20,3 ± 10,0 Jahre. Die deutschen Lehrerinnen berichteten eine wöchentliche Arbeitszeit von 44,4 ± 11,8 h, obwohl nur 38 % von ihnen in Vollzeit und folglich 62 % in Teilzeit angestellt waren. 48,7 % absolvierten die Berufsausbildung an einer pädagogischen Hochschule, 4,1 % an einer Fachhochschule, 14,9 % an einer Universität und 31,6 % an einer Fachschule. 0,7 % hatten eine andere Berufsausbildung.

Die ukrainischen Lehrerinnen erlangten ihre Berufsausbildung zu 57 % an einer pädagogischen Hochschule, zu 35 % an einer Universität und jeweils zu 2 % an einer Fach- bzw. Fachhochschule sowie zu 4 % mittels anderer Berufsausbildung. Die Arbeitszeit in der Schule betrug 19,8 ± 10,6 h. Das sind 103,6 % einer Vollzeitstelle (normal 18,5 ± 5,4 h pro Woche).

Neben soziodemografischen und berufsanamnestischen Daten22 wurde das Burnout-Risiko mit dem „Maslach Burnout Inventar“ MBI-GS (Schaufeli et al.)23 erfragt. Das MBI-GS besteht aus den drei Subskalen „emotionale Erschöpfung“ (EE), „Zynismus“ (Depersonalisierung) (ZY) und „Leistungsfähigkeit“ (Lf), wobei hohe Werte für EE und ZY sowie geringe Werte für Lf hohen Burnout-Ausprägungen entsprechen und auf ein Burnout-Risiko hinweisen.

Im Schulbereich meint „emotionale Erschöpfung“ Gefühle des Ausgelaugt-seins, „Zynismus“ (Depersonalisierung) befasst sich mit der sich einstellenden distanzierten Haltung gegenüber den Schülern/innen, während die „reduzierte Leistungsfähigkeit“ sich auf die sinkende Wahrnehmung der eigenen beruflichen Kompetenz bezieht.

Der Fragebogen MBI-GS setzt sich aus 16 Aussagen zusammen, wovon jeweils fünf auf EE und ZY und sechs auf Lf entfallen. Die Aussagen sind auf einer siebenstufigen Antwortskala nach der Häufigkeit ihres Auftretens (0 = nie bis 6 = täglich) einzuschätzen. Dabei sind Antworten zu Gefühlen zu geben, die sich auf die Arbeit beziehen.

Im ersten Schritt wurde die Burnout-Ausprägung (Punkte) nach Maslach & Jackson6 für jede Subskala (EE, ZY, Lf) bestimmt und auf der Grundlage einer nordamerikanischen Stichprobe (n = 3.727) in Terzilen („gering“, „durchschnittlich“, „hoch“) klassifiziert. Im Anschluss daran erfolgte eine weiterführende Betrachtung der MBI-GS-Ergebnisse nach der von Kalimo et al.24 Dazu erfolgte eine Umkodierung der Lf in red Lf und die Bildung eines Gesamtscores nach folgender Zuordnungsvorschrift:

Burnout-Gesamtscore = (0,4 x EE + 0,3 x ZY + 0,3 x red Lf).

Danach wird der Durchschnittswert jeder Subskala eingebracht, gewichtet und als Gesamtscore zusammengefasst. Auf der Basis des Gesamtscores ist das Burnout-Risiko in diesen drei Kategorien klassifizierbar: (1) kein Burnout – 0.00 bis 1.49, (2) einige Burnout-Symptome – 1.50 bis 3,49 und (3) Burnout-Risiko – 3.50 bis 6.00.

Itemanalyse
Die Ergebnisse der Itemanalysen für die jeweiligen Subskalen sind in der Tabelle 1 dargestellt.

„Emotionale Erschöpfung“. Es lässt sich erkennen, dass mehr ukrainische als deutsche Lehrerinnen sich mehrmals in der Woche bis täglich „emotional leer“ fühlen und „morgens müde“ sind. Doppelt so viele ukrainische als deutsche Lehrerinnen sehen „tägliches Arbeiten als Belastung“ an, was mehrmals in der Woche bis täglich angegeben wurde. Knapp 50 % der deutschen, aber nur 26 % der ukrainischen Lehrerinnen fühlen sich mehrmals in der Woche bis täglich „am Tagesende ausgebrannt“. Etwa 15 % beider Stichproben gaben an, mehrmals in der Woche bis täglich „durch die Arbeit ausgebrannt“ zu sein.

„Zynismus“ (Depersonalisierung). Die Items dieser Subskala zeigen deutliche Unterschiede. So berichtete fast die Hälfte der ukrainischen und nur 1/7 der deutschen Lehrerinnen, dass sie mehrmals in der Woche bis täglich das Gefühl haben, dass sie nur ihre „ … Arbeit erledigen und ansonsten in Ruhe gelassen werden“ möchten. Ebenso berichteten in der ukrainischen Stichprobe deutlich mehr Lehrerinnen „fehlende/verlorene Begeisterung für die Arbeit“. Zudem gaben 10 % der ukrainischen Lehrerinnen an, mehrmals in der Woche bis täglich „zynisch gegenüber dem Nutzen der Arbeit“ zu sein (D: 1 %) und 8 % von ihnen haben „Zweifel an der Bedeutung der Arbeit“ (D: 1 %). „Weniger Interesse an der Arbeit“ mehrmals in der Woche bis täglich berichteten 6 % der ukrainischen und 3 % der deutschen Lehrerinnen.

„Leistungsfähigkeit.“ Hier können niedrige Werte auf ein Burnout-Risiko deuten (Aussagen „nie bis einige Male pro Jahr“). Auch hier sind Unterschiede zwischen beiden Stichproben nachweisbar. So schätzten 10 % der ukrainischen und 2 % der deutschen Lehrerinnen ein, dass ihnen ein „effektives Lösen von Arbeitsproblemen“ höchstens einige Male im Jahr gelingt. Auch meinten mehr ukrainische als deutsche Lehrerinnen, dass sie bestenfalls einige Male im Jahr einen „wirkungsvollen Beitrag“ leisten, „gute Arbeit“ verrichten, „nützliche Sachen in dieser Arbeit“ tun und ihnen „effektives Erledigen der Aufgaben“ gelingt.

Ausprägung der MBI-GS-Subskalen
Abbildung 1 zeigt eine Zusammenfassung der drei MBI-GS-Subskalen, wobei eine geringe, durchschnittliche und hohe Ausprägung berücksichtigt wird. Die Subskala „emotionale Erschöpfung“ unterschied sich zwischen beiden Stichproben nicht signifikant (p = .147), während für die Subskalen „Zynismus“ (Depersonalisierung) (p < .001) und „Leistungsfähigkeit“ (p = .037) in der ukrainischen Stichprobe signifikant höhere Werte auftraten (Chi-Quadrat nach Pearson). Hohe Werte für „emotionale Erschöpfung“ lagen bei 27 % (p = .140) der Gesamtstichprobe vor, hohe Werte für „Zynismus“ (Depersonalisierung) gaben 21 % der deutschen und 39 % der ukrainischen Lehrerinnen an; geringe Werte für die „Leistungsfähigkeit“ bestanden bei 12 % der deutschen und 13 % der ukrainischen Lehrerinnen. Nach der Burnout-Klassifikation von Kalimo et al.24 liegt ein Burnout-Risiko nur für 1 % der deutschen und 5 % der ukrainischen Lehrerinnen vor. Allerdings berichten jeweils 47 % der Lehrerinnen beider Gruppen einige Burnout-Symptome (p = .030). Die Ergebnisse sind in Abbildung 2 dargestellt. Diskussion
Burnout gehört zu dem am häufigsten genutzten psychologischen Konstrukten in der gegenwärtigen Zeit.25 Nichts verbindet mehr als das Thema Burnout, wenn es um Stress am Arbeitsplatz geht. Burnout ist in der heutigen Gesellschaft vergesellschaftet. Es gibt unterschiedliche Meinungen, ob Betroffene stigmatisiert werden oder nicht. Immer mehr wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema, auch zahlreiche über den Lehrerberuf, sind zu finden.

Die Analyse von Arbeitsunfähigkeitsdaten aus dem Jahre 2012 ergab, dass die höchsten Krankenstände bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen lagen. Fast ein Drittel der Frühberentungen ist auf eine psychisch bedingte Erwerbsminderung zurückzuführen.1 Die Forschungsergebnisse zu Belastungen und Beanspruchungen von Lehrkräften widersprechen den allgemeinen Vorurteilen, unterstreichen deutliche Arbeitsbelastungen in der Schule und die vielfältigen häuslichen Aufgaben26, was den hohen Krankenstand erklären könnte.

Die Ausprägung von Burnout unterscheidet sich zwischen deutschen und ukrainischen Lehrerinnen nicht praktisch bedeutsam. Die Berufserfahrung beider Stichproben war annährend gleich. In der vorliegenden Studie weisen nur 3 % aller Lehrerinnen in Deutschland und der Ukraine ein vollständiges Burnout-Syndrom im Sinne von Maslach und Jackson6 auf, allerdings klagt fast die Hälfte aller Lehrerinnen über einige Burnout-Symptome, aus denen sich ohne präventive Maßnahmen ein Burnout entwickeln kann. Im Vergleich zu den deutschen berichteten die ukrainischen Lehrerinnen eine doppelt so hohe Ausprägung der Subskala „Zynismus“ (Depersonalisierung). Die durchschnittliche Berufserfahrung von 20 Jahren entspricht ungefähr dem Zeitraum der Umstrukturierung des Schulwesens in der Ukraine nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Russland. Schüler der alten Schulstruktur, die zur Lehrkraft ausgebildet wurden, sind möglicherweise desillusioniert und in ihren Berufserwartungen enttäuscht worden.

Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass ein komplettes Burnout-Syndrom im Sinne von Maslach und Jackson6 selbst in der Berufsgruppe der Lehrkräfte eher selten auftritt, sondern vielmehr einige Burnout-Symptome der Skalen „emotionale Erschöpfung“ und „Zynismus“ (Depersonalisierung) dominieren.

Insgesamt ergeben sich aus den Studien zum Burnout-Risiko im Lehrerberuf widersprüchliche Resultate. Neben vielen nationalen Studien befassten sich auch zahlreiche internationale Studien mit der Lehrergesundheit. Es sollte beachtet werden, dass die in der Literatur beschriebenen unterschiedlichen Auftrittshäufigkeiten von psychischen und psychosomatischen Beschwerden sowie Burnout bei Lehrkräften durch den eingesetzten Fragebogen sowie die jeweilige Skalierung und weniger durch länderspezifische Besonderheiten determiniert sind. Im Rahmen des „EURO-TEACH“-Projektes wurden 13 europäische Länder verglichen. Dabei boten westeuropäische Lehrkräfte im Vergleich zu süd- und osteuropäischen Ländern eine hohe Ausprägung von Depersonalisierung und geringere körperliche Beschwerden.27

Die Ausprägungen der MBI-GS-Subskalen sowie der Einzelitems der vorliegenden Studie verdeutlichen dennoch Handlungsbedarf an Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Lehrerberuf zur Stärkung interner Ressourcen der Stress- und Konfliktbewältigung. Vorhandene Symptome sollten nicht ignoriert werden. Es ist von Bedeutung, einer Verschlimmerung der geklagten Beschwerden vorzubeugen. Somit kann ein ausgeprägtes Burnout-Syndrom verhindert werden, bei dem Betroffene häufiger vom Arbeitsplatz fern bleiben oder „Dienst nach Vorschrift“ leisten. Eine Interventionsstudie aus Deutschland von Wegner et al.28 zeigte nach psychotherapeutischer Behandlung bei 200 Lehrkräften eine Reduzierung der Krankheitstage und eine Abnahme Burnout-gefährdeter Lehrkräfte von 76 auf 44 %. Unabhängig davon ist der Erfolg einer solchen Behandlung von der Motivation des Betroffenen abhängig. Neben individuellen Möglichkeiten der Hilfestellungen ist es nötig, Rahmenbedingungen des Lehrerberufes in den einzelnen Schulen zu optimieren. Hier erscheint es sinnvoll, die Schulleitung auf die Problematik aufmerksam zu machen und sie aktiv in das Gesundheitsmanagement einzubinden. Eine flächendeckende Betreuung von Lehrkräften erfolgt seit Jahren erfolgreich in Sachsen.29, 30

Das Phänomen des Ausbrennens wurde besonders in den letzten 25 bis 30 Jahren intensiv – häufig bei sozialen Berufen – untersucht, und es wurde eine Vielzahl von Erklärungs- und Verlaufsmodellen entwickelt. Dennoch stellt Burnout aus medizinischer Sicht bis heute kein eindeutig definierbares Konstrukt dar, das keine diagnostischen Kriterien hat und somit auch nicht als Diagnose gestellt werden kann. Durch die unterschiedlichen Definitionen, Annahmen und Erhebungsmethoden ist das Konstrukt in seiner Bedeutung undurchsichtig und daher seine Anwendungsmöglichkeiten unklar. Das Fehlen einer gemeinsamen Kommunikationsbasis, z. B. in Form einer allseits anerkannten Definition, erschwert die Vergleichbarkeit und Kommunikation der unterschiedlichen Ansätze. Von daher sollte verstärkt in die Erarbeitung eines solchen Bezugsrahmens investiert werden, um das Nebeneinander der multiplen Ansichten zu beenden und zur Klärung des Konstrukts Burnout beizutragen.31

Durch das sehr unspezifische und vielfältige Symptomenbild fällt die Abgrenzung von anderen psychischen Erkrankungen (z. B. Depression) schwer. Es ist eine schwierige Aufgabe des Arbeitsmediziners herauszufinden, ob ein arbeitsbedingtes Burnout-Syndrom vorliegt oder ob die Symptome vorgeschoben werden, um andere psychische Erkrankungen zu verschleiern. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Psychologen oder psychosomatischen Fachärzten erscheint v. a. in letztem Fall indiziert. Dabei sollten berufliche Gratifikationskrisen berücksichtigt werden, da diese in der Genese des Burnout-Syndroms als bedeutend erkannt wurden.32

„Psychische Störungen bei Lehrern“ und deren „psychische Gesundheit“ bleiben ein aktuelles Thema. Trotz allem ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitsbedingungen an Schulen nicht in ausreichendem Maße verbessern werden. Dazu fehlen v. a. die finanziellen Mittel, sodass Reformen nicht erfolgreich durchgeführt werden. Umso wichtiger ist es, bei Lehrkräften durch Vorsorgeuntersuchungen, Fort- und Weiterbildungen die eigenen Kompetenzen und das Selbstmanagement zu stärken und zu fördern. Diese Anstrengungen entscheiden langfristig über nationalen und internationalen Erfolg und letztendlich den Wohlstand unseres Landes.

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