Psyche und Arbeit

In 13 Schritten zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Denny WihanM. A. Gesundheitsmanagement und Organisationsentwicklung | Fachkraft für Arbeitssicherheit |

IfG GmbH Institut für Gesundheit und Managementeingereicht am 26.04.2017, Review: 08.05.2017, angenommen am: 10.05.2017

Einleitung

Die Thematik der psychischen Belastungen in der Arbeitswelt befindet sich in einem anhaltenden Interesse. Jedoch liegt in der häufigen Unkenntnis zu den Hintergründen psychischer Belastungen eine wesentliche Hemmschwelle der unternehmensseitigen Auseinandersetzung und Integration in die betriebliche Sicherheits- und Gesundheitsarbeit. Die Unsicherheit bezüglich der „weichen Faktoren“ der menschlichen Psyche schreckt häufig ab. Dabei existiert bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente und Methoden zur Erhebung und Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen.

Infolge zurückhaltender Zuwendung zum Thema können verpasste Möglichkeiten zur Minimierung arbeitsbedingter Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden. Die Diskussionen zu sichtbar negativen Beanspruchungsfolgen psychischer Belastungen zeigen das. Die alleinige Betrachtung seelischer Belastungen im Zusammenhang mit negativen Begleiterscheinungen (psychische Störungen, Fehlzeiten, vorzeitige Rentenzugänge) wäre jedoch zu einseitig. So sind positive Effekte wie Zufriedenheit, Engagement, Leistungsfähigkeit und Produktivität ebenfalls abhängig vom emotionalen Zustand der Beschäftigten.

Gesetzliche Hintergründe

Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes werden maßgeblich über die Gefährdungsbeurteilung gesteuert. Durch die Analyse der Arbeitsplätze und -abläufe können potenzielle Belastungsquellen aufgedeckt und das Risiko auf die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beurteilt werden. Das Arbeitsschutzgesetz (§5) verpflichtet Unternehmen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung sowie zur Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen, um diese Gefährdungen zu minimieren, idealerweise zu substituieren. Die Datenlage zur Verbreitung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist begrenzt und inkonsistent, lässt aber eine geringe Verbreitung vermuten. [vgl. 1] Dabei existiert ein Rechtsanspruch auf die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, wie das Bundesarbeitsgericht bereits 2008 festgestellt hat (Urteil vom 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06). Seit Oktober 2013 findet sich zudem im §5 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz eine explizite Ergänzung: „Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch […] psychische Belastungen bei der Arbeit.“. Ferner hat der „Arbeitgeber […] Arbeit […] so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.“ Rechtsverordnungen, welche sich spezifisch mit psychischen Belastungsfaktoren auseinandersetzen, finden sich darüber hinaus in der Richtlinie 2006/42/EG (Maschinenrichtlinie – Anhang 1.1.6.) sowie in der aktualisierten Betriebssicherheitsverordnung (§3) und novellierten Arbeitsstättenverordnung (§3).

Psychische Belastungen
messen und beurteilen

Jeder Mensch verarbeitet erlebte Situationen auf individuelle Weise und reagiert auf diese. Derartige Situationen oder auch „Zustände“, die eine individuelle „Wirkung“ auf den Menschen haben, lassen sich in der Arbeitswelt vielfach finden. Beispielsweise können soziale Faktoren (Alleinarbeitsplatz vs. Großraumbüro) oder Faktoren der Arbeitsaufgabe (komplexe vs. einfache Tätigkeitsabläufe), je nach Person, in dieser unterschiedliche Empfindungen und Wirkungen auslösen. Diese „Wirkungen“ auf erlebte „Zustände“ können sich sowohl negativ (Frustration, Demotivation, Trauer) sowie positiv (Freude, Motivation, Leistungsbereitschaft) äußern. Einflussfaktoren auf diese persönliche Verarbeitung können beispielsweise Erfahrungen, Überzeugungen und der Charakter des Menschen sein. Diese Tatsache muss bei der Erhebung und Beurteilung psychischer Belastungen berücksichtigt werden. Die reine Ermittlung des „Zustands“, z. B. Alleinarbeitsplatz ja oder nein, gibt Hinweise auf potenzielle Belastungen. Daraus pauschal abzuleiten, dass der Alleinarbeitsplatz die Beschäftigten auch psychisch negativ beeinträchtigt (z. B. frustriert) wäre jedoch unangemessen. Es kann sehr wohl sein, dass einzelne Personen diese Ungestörtheit für ein zielgerichtetes Arbeiten benötigen und sich somit in dieser Situation wohlfühlen. Aus diesem Grund sollte die Analyse psychischer Belastungen sowohl „Zustände“ als auch „Wirkungen“ der Beschäftigten ermitteln.

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen unterscheidet sich in den meisten Fällen deutlich von der technischen, biologischen oder chemischen Gefährdungsbeurteilung. Während letztere meist objektiv mit Hilfe von Begehungen, Checklisten, Messungen und rechtlichen Vorgaben zu einer Beurteilung der Situation führen, ist die Psyche der Menschen nur bedingt objektivierbar oder von Einzelpersonen „von außen“ abschätzbar. Daher ist eine Beteiligung der Mitarbeitenden bei der Ermittlung und Beurteilung zumeist unumgänglich. Die Sozialwissenschaft liefert dazu in Form von Beobachtungen, Einzel-/Gruppeninterviews und Befragungen passende Methoden zur Ermittlung.

13 Schritte zur
Gefährdungsbeurteilung
psychischer Belastungen

Häufig ist die Recherche und Auswahl des richtigen Instruments für Unternehmen die zentrale Fragestellung, wenn es um die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen geht. Jedoch steht diesem Schritt eine Vielzahl an Überlegungen und organisatorischen Vorbereitungen vor (siehe Abbildung 1).

Motivation der
Unternehmensleitung

Grundvoraussetzung für eine erfolgreich durchgeführte Gefährdungsbeurteilung ist die Absichtserklärung der obersten Führungsebene. Diese sollte nicht nur den Erhebungs- und Beurteilungsentschluss beinhalten. Von wesentlicher Bedeutung ist zudem die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Ergebnissen sowie zur Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen. Dies stellt bereits §5 (1) ArbSchG ins Zentrum seiner Formulierung: „Der Arbeitgeber hat […] zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“.

Darüber hinaus ist die Unterstützung der operativen Führungskräfte sicherzustellen. Diese können Multiplikatoren für eine erfolgreiche Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen sein oder diese grundlegend blockieren. Der Beitrag der Führungskräfte ist abhängig von der Informiertheit über Hintergründe und Ziele sowie vom Abbau eventueller Ängste und Bedenken, dass die Ergebnisse als Beurteilungsgrundlage ihrer Führungskompetenz gewertet werden könnten. Die Information der Führungskräfte ist sinnvoll, nachdem erste Festlegungen zu Methodik und Vorgehen klarer erarbeitet wurden.

Steuerung

Die Organisation der Gefährdungsbeurteilung sollte nicht allein den Führungskräften, dem Betriebsarzt oder der Fachkraft für Arbeitssicherheit obliegen. Die Steuerung durch ein Gremium ist ratsam, da verschiedene Interessen zu berücksichtigen und Entscheidungen zu treffen sind. Der Arbeitsschutzausschuss als bereits bestehendes Gremium stellt durch seine Besetzung eine optimale Basis für eine Steuerungsgruppe dar. Soweit vorhanden, ist eine Verknüpfung mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement anzustreben, da hier die Kenntnis über sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden und im weiteren Verlauf eine Vielzahl potenzieller Maßnahmen bereits verortet sind. Der Kreis ist je nach Bedarf zu erweitern. Um das Steuergremium präsent und persönlich zugänglich zu machen, sollte es eine Identität bekommen. Ein im Intranet veröffentlichtes Bild der Mitglieder und Kontaktinformationen sind nur einige Beispiele für Identitätsbildung. Dadurch ist auch die Erreichbarkeit des Gremiums für Rückfragen im Rahmen der Information und Kommunikation gewährleistet.

Kooperation

Für das Gelingen der Gefährdungsbeurteilung kann das Schließen einer Kooperation oder das Beauftragen externer Unterstützung von Vorteil sein. Mögliche Kooperationspartner können wissenschaftliche Einrichtungen wie Fachhochschulen und Universitäten, professionelle Beratungsinstitute sowie die zuständige Unfallversicherung sein. Das Unternehmen kann dabei von fachlicher Expertise, Erfahrungen oder auch Ressourcenschonung (z. B. in Form personeller Entlastung, zeitnaher Durchführung, etablierter Instrumente) profitieren.

Qualifizierung

Voraussetzung für die gelungene Zusammenarbeit und Effektivität des Gesamtprozesses ist die Fähigkeit, über ein gemeinsames Wissensniveau zu verfügen und zu kommunizieren. Daher sollten alle Mitglieder des Steuergremiums in Bezug auf psychische Belastungen und deren Möglichkeiten zur Analyse qualifiziert sein. Dies kann sowohl durch interne Schulungen von Experten (Betriebsmedizin, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Gesundheitsmanagement) als auch extern durch Bildungsdienstleister erfolgen. Zur Schonung der Ressourcen kann Wissen ebenfalls durch einzelne qualifizierte Multiplikatoren in das Gremium eingebracht werden.

Konzept, Methoden
und Instrumente

Nachdem die personelle und fachliche Organisation sichergestellt ist, steht die eigentliche Vorbereitung und Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung im Fokus des steuernden Gremiums. Diese erarbeitet ein schlüssiges Konzept. Im Zentrum steht dabei die Festlegung der passenden Methodik und des einzusetzenden Instruments (vgl. Abbildung 2). Zusätzlich umfasst das Konzept die Zielstellung, die zeitliche, personelle und finanzielle Planung, das Analysevorgehen, die Informations- und Kommunikationsstrategie sowie weiterführende Maßnahmen und Folgeprozesse.

Die Beobachtung

Die Methodik mit dem erfahrungsgemäß geringsten Aufwand zur Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen stellt die Beobachtung dar. Hierbei wird anhand von Kriterien/ Checklisten ein Arbeits-/ Tätigkeitsbereich durch Beobachtende analysiert. Neben objektivierbaren Kriterien (Anzahl Vorgänge pro Zeiteinheit, Anrufaufkommen, Arbeitszeit, Pausenzeiten etc.), gilt es ebenfalls nichtobjektivierbare Situationen (sozialer Umgang zwischen Kollegen, Beziehung zur Führungskraft, qualifikatorische Überforderung etc.) zu erheben. Die Methodik stößt jedoch schnell an ihre Grenzen, da sie durch die zeitliche Begrenzung zumeist unvollständig ausfällt. Ein weiterer Nachteil ist die eingeschränkte Beurteilbarkeit „von außen“. Zwar ist es möglich den Beobachtungskriterien eine Skalierung nach dem Schema „x Telefonate/h = negative Beeinträchtigung“ zu hinterlegen, jedoch ist die Aussagekraft durch die individuelle Wahrnehmung der Situation durch die Beschäftigten in Frage zu stellen. Hinzu können verzerrende Faktoren in Form von Beobachtungsfehlern (observer bias) kommen. Diese können sowohl durch den Beobachter (Projektionsfehler) als auch durch den Beobachteten (Hawthorne-Effekt) verschuldet werden. Die Beobachtung eignet sich daher nur bedingt als vollwertige Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Sie stellt eher eine erste grobe Orientierung potenziell belastender Faktoren dar, welche durch weitere Methoden schrittweise vertieft werden sollte.

Das Interview

Das Interview zählt zu den qualitativen Erhebungsverfahren. Das Interview als persönliches Gespräch kann durch einen Fragenkatalog vollständig standardisiert (alle Fragen sind bereits vorformuliert), halbstandardisiert (nur das grobe Interviewthema ist vorbereitet, Leitfragen sind formuliert) oder vollkommen offen ablaufen (relevante Themen werden narrativ entwickelt). Je nach Gestaltung können somit sehr spezifische Informationen erfragt oder größere Zusammenhänge erörtert werden. Das persönliche Gespräch stellt einen hohen Informationsgewinn sicher – jedoch zum Preis einer hohen Befragungs- und Auswertungsdauer. Zudem können Datenschutzbedenken bei den Interviewten auftreten, weshalb die Methodik häufig eher im Kontext der arbeitsmedizinischen Vorsorge angewandt wird, da hier die ärztliche Schweigepflicht ein Grundvertrauen schafft. Ferner sind Befragungsfehler eine mögliche Störungsquelle. Durch psychologische Effekte kann es beim Befragten zu einer Antworttendenz (response bias) kommen, die von der eigentlichen persönlichen Sichtweise abweicht. Aufgrund des hohen zeitlichen Bedarfs für Umsetzung und Auswertung des Interviews empfiehlt sich das Verfahren meist nur für kleinere Befragungsgruppen sowie bei Wiederholungsbefragungen oder Befragungen mit eingeschränkter Themenvielfalt.

Der Workshop als Gruppeninterview

Ebenfalls den qualitativen Verfahren zugehörig ist der Workshop. Dieses Gruppeninterview kennzeichnet sich durch einen strukturierten Ablauf, bei dem Fragestellungen durch einen Moderator diskutiert und deren Ergebnisse meist visuell (Flipchart, Pinnwand) festgehalten werden. Der Workshop folgt dabei einem Befragungskonzept mit definierten Themenbereichen ohne auf vorformulierte Fragestellungen zurückzugreifen. Aus den verschiedenen Sichtweisen der Teilnehmenden leitet der Moderator eine Diskussion, um möglichst vielfältige Informationen zu Belastungen und Beanspruchungen zu ermitteln. Wesentlicher Vorteil des Workshops ist, dass Themen sehr detailliert mit einer repräsentativen Gruppe bearbeitet werden können. Dabei muss nicht nur die Ermittlung und Beurteilung der Belastungsfaktoren im Mittelpunkt stehen. Mögliche Lösungswege sollten ebenfalls Teil des Workshops sein. Somit können die Betroffenen an der Maßnahmenplanung partizipieren, nicht relevante Lösungen ausgeschlossen und gefundene Lösungen nach Wirksamkeit und Aufwand bewertet werden. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass je nach Durchführungsart der Workshops weitere Folgeprozesse induziert werden können. Als nachteilig erweist sich der zeitliche und personelle Aufwand. Um eine Verbindlichkeit zur Auswertungseinheit zu schaffen, benötigt es eine nicht zu kleine Gruppengröße (optimal 8–15 Beschäftigte). Je nach inhaltlicher Planung des Workshops (Ermittlung, Beurteilung, Lösungssuche) kann dieser leicht 3 – 4 Stunden dauern. Durch die soziale Interaktion kann es ebenfalls zu Erhebungsfehlern, beispielsweise die Entwicklung einer nichtrepräsentativen Leitmeinung durch einzelne dominante Beschäftigte kommen.

Der Fragebogen

Eine häufig eingesetzte Methodik stellt die schriftliche Befragung mittels Fragebogen dar. Das Instrument ist den quantitativen Methoden zuzurechnen, da es alle Beschäftigten integriert. Mit Hilfe des Fragebogens kann in kurzer Zeit mit überschaubarem Aufwand eine Vielzahl an standardisierten Informationen erhoben werden. Der Informationsgehalt ist durch das vorgegebene Antwortformat jedoch nicht vergleichbar mit denen der qualitativen Methoden. Durch die Anreicherung mit offenen Fragestellungen kann dem jedoch entgegengewirkt werden.

Eine häufig erkennbare Schwäche vorgegebener Instrumente ist die fehlende Verknüpfung von potenziellen Belastungen („Zustand“) und die auf die Beschäftigten wirkenden Beanspruchungen („Wirkung“). Die Gefährdungsbeurteilung umfasst eine Ermittlung von Gefährdungen und deren Beurteilung. Daher sollte bei der Auswahl des Instruments darauf geachtet werden, dass eine Einordnung der „Wirkung“ durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich ist. Dies ist beispielsweise durch eine zweifache Beantwortung von Fragen möglich. Die Beschäftigten geben beispielsweise an, ob eine Situation zutreffend ist („Ich erledige viele Aufgaben parallel“) und darauffolgend wird die „Wirkung“ erfragt („Dies beeinträchtigt mich negativ“), denn nicht jede Belastung stellt für Mitarbeitende auch eine Beeinträchtigung dar. Zur Einstufung eines Risikos werden anschließend Grenzwerte festgelegt, die eine Einordnung der Antworten in eine Risikostufe erlauben. Beispielsweise kann festgelegt sein, wenn 25 % oder mehr Personen eine negative Beeinträchtigung wahrnehmen, ist dies ein „auffälliges Risiko“ (Handlungsbedarf). Ab 50 % derartiger Antworten liegt ein „hohes Risiko“ (dringender Handlungsbedarf) vor. Eine gesetzliche Vorgabe zu Grenzwerten existiert hierbei nicht, die Ableitung von Maßnahmen bei Gefährdungen dagegen schon. Daher liegt es in der Verantwortung des Unternehmens tolerierbare Risikoschwellen zu definieren. Zum Teil werden Schwellenwerte auch durch die Instrumente selbst vorgegeben. Darüber hinaus ist auf neutrale Fragestellungen zu achten, damit Beschäftigte in ihrer Antworttendenz nicht beeinflusst werden. Der Einsatz von Fragebögen bietet sich besonders bei großen Befragungsmengen, Erhebungen umfangreicher Informationen oder bei begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen an.

Der Methodenmix

Eine Mischung verschiedener Methoden bietet sich an, um die Schwächen einzelner Instrumente auszugleichen. So folgen meist Vertiefungsworkshops auf schriftliche Befragungen. Je nach Situation kann eine Abweichung davon sinnvoll werden, so z. B. die Durchführung von Interviews folgend auf eine Beobachtung in kleinen Unternehmen.

Eine umfangreiche Übersicht über mögliche Instrumente bietet die „Toolbox: Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen“ [2] der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Inzwischen werden auch meist branchenspezifische Instrumente durch die Unfallversicherungsträger herausgegeben. Durch die hohe Anzahl an Verfahren liegt die eigentliche Schwierigkeit immer noch in der Auswahl eines passenden Verfahrens. Eine Hilfestellung zur Einschätzung der Güte und Qualität eines Instruments können hierbei die „Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“ der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie [3] sein. Die Leitlinie gibt einen Hinweis darauf, welche Merkmalsbereiche psychischer Belastungen und Beanspruchungen vom Instrument mindestens abgedeckt sein sollten. Die Dokumentationsform ist, bis auf einige Inhalte, nicht vorgegeben (vgl. §6 ArbSchG). Daher kann diese beispielsweise in Form eines Berichtes mit Beschreibungen, Grafiken und Tabellen (Fragebogen) oder in Form eines Protokolls (Interview) erfolgen.

Festlegung von (Pilot-)Bereichen

„Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend.“ (§ 5 (2) ArbSchG) Die Ermittlung und Beurteilung potenzieller Belastungen muss getrennt nach Tätigkeiten vollzogen werden. Daher empfiehlt sich eine Aufteilung der Befragten in einzelne Auswertungseinheiten. Dies erleichtert zudem die spätere Ableitung von Maßnahmen, da eventuell spezifische Handlungsbereiche identifiziert und somit keine unternehmensweiten Maßnahmen mit hohem Aufwand umgesetzt werden müssen. Maßnahmen können somit zielgruppenspezifisch geplant und deren Umsetzung in die Hand von verantwortlichen Personen, z. B. Führungskräften gelegt werden. Die Einteilung in Auswertungsgruppen sollte logisch, z. B. nach der Tätigkeit (Verwaltung, Vertrieb, Produktion, etc.) erfolgen. Ziel ist die Definition möglichst homogener Auswertungsgruppen. Zu kleine Auswertungseinheiten könnten jedoch Datenschutzprobleme erzeugen, weshalb die Gruppengröße von 8–10 Personen (bei schriftlichen Befragungen) nicht unterschritten werden sollte. Die Maximalanzahl an Beschäftigten pro Auswertungseinheit orientiert sich an der Überlegung, dass noch spezifische Maßnahmen aus den Ergebnissen abgeleitet werden können. Die Einteilung nach Funktionen kann ebenfalls einen Erkenntnisgewinn verschaffen, so können beispielsweise Personen mit Führungsverantwortung eine eigenständige Auswertungseinheit bilden.

Betriebs-/ Dienstvereinbarungen

Je nach Gegebenheiten des Unternehmens kann im Vorfeld der Gefährdungsbeurteilung der Abschluss einer Betriebs-/Dienstvereinbarung notwendig werden, die mit der Mitarbeitervertretung zu gestalten ist. Dabei kann auf bereits bestehendes Wissen zurückgegriffen werden. So bieten verschiedene Internetpräsenzen Vorlagen und Auszüge für Betriebs-/Dienstvereinbarungen an. Diese sind an die spezifischen Gegebenheiten anzupassen. Zentral sollte die Freiwilligkeit zur Teilnahme an der Erhebung, die Methodik und Verantwortung geregelt werden. Zusätzlich ist bei einer Unterstützung durch externe Beratungen eine Datenschutzvereinbarung ratsam. Diese definiert die zu erhebenden Daten, deren Verarbeitung, Weiterleitung und Löschung, sodass ein datenschutzkonformes Vorgehen gewährleistet werden kann. Hierbei ist die Beteiligung von betrieblichen Datenschutzbeauftragten unverzichtbar.

Information/ Kommunikation

Je nach Analysemethodik bedarf es einer direkten Beteiligung der Mitarbeitenden. Um eine hohe und repräsentative Beteiligung im Unternehmen zu erhalten, muss die Motivation der Beschäftigten mit einer umfangreichen Kommunikationsstrategie erhöht werden. Bewährt haben sich vor allem multiple Kommunikationskanäle. Die unpersönliche Kommunikation über E-Mail, Aushänge sowie Rundschreiben sollte dabei um persönliche Kommunikationswege erweitert werden. Dies kann durch Informationsveranstaltungen, Mitarbeiterbesprechungen mit der Führungskraft oder geschulten Multiplikatoren (Kommunikation von Mitarbeiter zu Mitarbeiter) erreicht werden. Die Führungskräfte als wesentliche Motivatoren sollten vor den Beschäftigten über den genauen Ablauf informiert werden. Wesentliche Inhalte der Kommunikation sind die Hintergründe und Ziele sowie die geplante Vorgehensweise. Unumgänglich ist die offene und transparente Information, da sich bei der Erhebung von Meinungen leicht Bedenken zur Anonymität sowie dem Sinn der Befragung entwickeln. Daher ist es ratsam, diese vorab zu ermitteln und direkt anzusprechen. Somit können Einwände vorweggenommen und relativiert werden (vgl. Infobox Kommunikation).

Die Information ist spätestens wenige Wochen vor eigentlichem Beginn der Ermittlung zu starten und nicht auf einmalige Aktivitäten zu beschränken. Eine wiederholte Präsenz des Themas sowie der Hinweis auf die Notwendigkeit und Vorteile der Teilnahme erhöhen die Beteiligungsmotivation. Zudem erhalten die Beschäftigten bei Unsicherheiten oder Anmerkungen die Gelegenheit im Vorfeld Fragen an das Steuergremium zu richten.

Umsetzung der Datenerhebung

Die im Rahmen des Konzeptes getroffenen Festlegungen sind nun zu organisieren und umzusetzen. Der Verlauf der Erhebung ist dabei permanent zu evaluieren, damit bei Auffälligkeiten kurzfristig korrigiert werden kann. So sind beispielsweise Rücklaufquoten anhaltend zu kontrollieren oder der zeitlich inhaltliche Verlauf von Workshops auszuwerten. Die Erkenntnisse des Verlaufscontrollings münden anschließend in Optimierungsmaßnahmen wie zusätzliche Kommunikation/Motivation zur Teilnahme oder Anpassung der Befragungsleitfäden.

Analyse und Rückmeldung
der Ergebnisse

Nachdem die Ergebnisse analysiert und dokumentiert wurden, sind diese an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück zu melden. Hintergrund ist die Aufrechterhaltung der Präsenz des Themas. Den Beschäftigten wird gezeigt, dass ihre Teilnahme zu einem Ergebnis geführt hat. Dies dient ebenfalls der Einordnung der eigenen Sichtweise in Bezug auf das gesamte Befragungsergebnis.

Die Art der Ergebnispräsentation ist dabei abhängig von organisatorischen Gegebenheiten und konzeptionellen Festlegungen. Eine Rückmeldung kann persönlich z. B. über eine Betriebsteilversammlung stattfinden sowie unpersönlich via E-Mail oder Intranetbeitrag. Neben dem Wie? ist das Was? zu klären. Um Stigmatisierungen vorzubeugen, sollte in der unternehmensweiten Kommunikation auf spezifische Ergebnisse von Auswertungsgruppen verzichtet werden. Relevant sind eine grobe und objektive Einordnung der Ergebnisse, der Status Quo sowie erste identifizierte Handlungsfelder, die sich daraus ergeben. Zusätzlich sollte das weitere Vorgehen (Vertiefung in Workshops, Auseinandersetzung im Steuergremium, etc.) erklärt werden. Die Rückmeldung der spezifischen Ergebnisse der Auswertungsgruppen bleibt jedoch nicht außen vor. Hierbei bietet es sich an, die Führungskräfte, beispielsweise in Form von Mitarbeiterbesprechungen, in den Informationsfluss zu integrieren. Alternativ ist die Kommunikation der Ergebnisse im Rahmen von Folgeprozessen (z. B. Workshops) vorstellbar.

Ableitung und Umsetzung
von Maßnahmen

Die Ableitung von Maßnahmen ist abhängig von der Güte der Ergebnisse. Konnten bereits genaue Vorstellungen über mögliche/notwendige Veränderungen ermittelt werden, so sind diese zu prüfen. Konnten Hintergründe für Beeinträchtigungen erhoben werden, sind hier mögliche Maßnahmen zu überlegen. Verfügt das Unternehmen nicht über detaillierte Erkenntnisse zu Belastungssituationen sind eventuell vertiefende Analysen zu bestimmen.

Die Ableitung von Maßnahmen kann generell über verschiedene Wege erfolgen. Unterschieden werden diese durch den Grad der Beschäftigtenbeteiligung (vgl. Abbildung 3). So kann die Maßnahmenbildung alleinig durch die Geschäftsführung oder Führungskräfte erfolgen. Bei diesem Vorgehen kann jedoch die Gefahr bestehen, dass unpassende Maßnahmen mit geringer Akzeptanz der Beschäftigten getroffen werden. Gleiches gilt, meist jedoch in geringerem Maße, für die Erarbeitung von Maßnahmen im Steuergremium. Eine indirekte Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgt hierbei durch die Interessensvertretungen. Die dritte Form ist die direkte Beteiligung der Beschäftigten am Prozess der Maßnahmenbildung. Diese ist bei der Durchführung von Interviews und Workshops bereits gegeben. Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung ist darüber hinaus durch das Führen von Mitarbeiterbesprechungen der jeweiligen Vorgesetzten denkbar.

Abhängig ist die Beteiligungstiefe oftmals von der Spannweite getroffener Maßnahmen. Diese reicht von „das gesamte Unternehmen betreffend“ bis „zielgruppenspezifischen Einzelmaßnahmen“. Häufig ergibt sich dabei eine Verknüpfung zur betrieblichen Gesundheitsförderung (Schulung „Gesund Führen“; Aktive Pause) bis hin zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (gesunde Unternehmenskommunikation; gezielte Entwicklung von Mitarbeiterpotenzialen). Daher ist das betriebliche Gesundheitsmanagement umfangreich in das Vorgehen zur Gefährdungsbeurteilung zu integrieren. Sollte kein betriebliches Gesundheitsmanagement existieren, ist bereits im Vorfeld eine Etablierung dessen in Erwägung zu ziehen. Dies kann beispielsweise durch Qualifizierung geeigneter Personen zu Gesundheitsmanager/innen im Betrieb erfolgen.

Evaluation

Im Anschluss an die Ersterhebung werden die gemachten Erfahrungen analysiert und ggf. Anpassungen vorgenommen. Hierbei stellen sich den Verantwortlichen zentrale Fragen zum Ablauf und der Organisation der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (vgl. Checkliste Evaluation). Aus so ermittelten Engpässen lassen sich anschließend Gestaltungsmaßnahmen ableiten, welche auf eventuelle Folgeerhebungen zu übertragen sind.

Wiederholungserhebung

Die Gefährdungsbeurteilung ist regelmäßig zu überarbeiten und an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen [vgl. §3 (2) DGUV Vorschrift 1]. Eine umfassende Veränderung der Arbeitstätigkeit ist kaum zu erwarten. Eine Wiederholung im 2– bis 3-Jahres Rhythmus ist daher meist ausreichend. Hintergrund ist die meist zeitlich umfangreichere Planung und Umsetzung von Maßnahmen bezüglich psychischer Belastungen. Um den Effekt einer Maßnahme erkennbar zu machen, benötigt diese Zeit sich zu etablieren. Eine erneute Durchführung der Befragung ohne nennenswerte Veränderungen könnte hingegen demotivierend wirken. Darüber hinaus ist eine sich entwickelnde Befragungsmüdigkeit bei Beschäftigen wahrzunehmen. Werden in zu kurzen Zeiträumen Erhebungen durchgeführt, sinkt die Bereitschaft zur Teilnahme. Eine Möglichkeit dem zu entgehen, ist beispielsweise die Veränderung der Methodik bei kurzfristigeren, themenspezifischen Wiederholungserhebungen (z. B. Kurzworkshop statt Befragung). Die Durchführung der ursprünglichen Erhebungsmethodik erfolgt dann erst wieder mittelfristig.

Literatur

Beck, D.; Richter, G.; Ertel, M.; Morschhäuser, M. (2012): Gefährdungsbeurteilung bei
psychischen Belastungen in Deutschland – Verbreitung, hemmende und fördernde
Bedingungen. Berlin, Heidelberg

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin: Toolbox: Instrumente zur
Erfassung psychischer Belastungen. http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-
Praxisbeispiele/Toolbox/Toolbox.html

Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (2016): Empfehlungen zur Umsetzung der
Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastung. http://www.gda-portal.de/de/pdf/Psyche-Umsetzung-GfB.pdf?__blob=
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