VAF e.V.

Zur bildungspolitischen Situation des arbeitsmedizinischen nichtärztlichen Assistenzpersonals in Deutschland

Foto: Robert Kneschke – Fotolia.com

Die vom VAF e.V. angestrebte und beim 35. Fohneu-Board-Meeting im Mai 2012 in Paris/Frankreich angekündigte „OHN-education at Bachelor level“ wird z. Zt. vom VAF e. V. u. a. aus den folgenden Gründen nicht mehr verfolgt:

1. Auf Grund der Berufestruktur und des unterschiedlichen Bildungslevel in diesem Bereich würden wir z.Zt. nur ca. 20% unseres Assistenzpersonals erreichen.

2. Bei der im Jahre 2013 durch das EU-Parlament geänderten Richtlinie für die Krankenpflege (RL 2013/55/EU) – hier Art. 31 / Anhebung der Zulassungsvoraussetzung für den Krankenpflegeberuf mit 12-jähriger allgemeiner Schulbildung, wurde in Deutschland ein Sonderweg – wieder einmal – mit 10-jähriger Schulbildungsvoraussetzung beschritten, und das auch noch mit Unterstützung der zuständigen Gewerkschaft. Wen wundert es, wenn Eurostat bereits 2010/11 veröffentlichte, dass Deutschland mit 4,98% des Bruttosozialprodukts an 19. Selle der öffentlichen Gesamtausgaben für Bildung in der EU liegt, und wenn die Universität in Nijmwegen/Holland seit Jahren von Deutschen Studenten in Pflegewirtschaft (Nurses) überlaufen ist.

3. Das höchste Gremium der deutschen Ärzte, die Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin, hat auf ihrem 115. Deutschen Ärztetag in Nürnberg gefordert, die Arbeitsmedizin und betriebsärztliche Versorgung zu einer zentralen Säule der Gesundheitsvorsorge in Deutschland auszubauen und sich zur Erarbeitung eines Fortbildungscurriculums „Arbeits- und Betriebsmedizin für Medizinische Fachangestellte (MFA”s)“ verpflichtet (Entschließung VI-56).

Zielsetzung des Curriculums, das 2015 in Kraft treten soll, sei die Sicherstellung der Aufgabenerfüllung in der betriebsärztlichen Betreuung durch eine stärkere Einbeziehung des nichtärztlichen Assistenzpersonals. Durch die Delegation von Aufgaben an qualifiziertes Assistenzpersonal soll auch künftig die Qualität der betriebsärztlichen Versorgung gesichert sein.

Das „qualifizierte Fortbildungscurriculum“ wurde bei der BÄK durch eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin e.V. (DGAUM), der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), des Verbandes Arbeitsmedizinisches Fachpersonal (VAF e. V.), des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), der Landesärztekammer Hessen (LÄK) und des Verbandes Medizinischer Fachberufe, erarbeitet.

Qualifizierung auf Kammerebene: Das Curriculum kann als Wahlteil für die Aufstiegsfortbildung „Fachwirtin für ambulante medizinische Versorgung“ gem. § 1 Abs. 4 in Verbindung mit § 54 Berufsbildungsgesetz (bundeseinheitliche Fortbildung) für die MFA”s (doctor”s assistants) durch die Landesärztekammern anerkannt werden.

1. Auf seinem 117. Deutschen Ärztetag 2014 in Düsseldorf lehnte die BÄK jede Substitution ärztlicher Leistungen (originär ärztliche Tätigkeiten) durch nichtärztliches akademisiertes Personal ab. Außerdem will sie Rahmenvorgaben für die Ausbildung und für den Einsatz von nichtärztlichem akademisierten Personal setzen. Ob sie hierzu legitimiert ist, wird an dieser Stelle nicht beantwortet. Das entspricht der Aussage der BÄK: „In Deutschland gibt es die Profession Occupational Health Nurses nicht“, und: „Weitere nichtärztliche Professionen können die Betriebsärzte nicht ersetzen“ (Fr. Dr. Schöller, ASU 48 / 03.2013).

So auch der CDU-Gesundheitspolitiker, Vorsitzender des Marburger Bundes und stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsgesundheitsausschusses, Rudolf Henke, am 17.09.2014 auf dem BMVZ-Praktiker-Kongress in Berlin: „Der Arztberuf sei im Gesundheitswesen die Zentral-Profession; Delegation ja, Substitution nein.“ Na bitte: Teamarbeit für den Patienten unter der strammen Hierachie der erweiterten Aufgabenverteilung. Es ist eben so: nicht die schlechten Schützen überschätzen sich, sondern die guten. Die Frage bleibt: Ist es Anspruch oder ist es Regierungsvorgabe? Wirkliche Kooperation kann nur auf gleicher Augenhöhe erfolgen.

1. Die Kompetenz der EU stützt sich auf die Freizügigkeit der Arbeitsnehmer (Art. 46) zur Beseitigung von Hindernissen bei der freien Wahl des Arbeitsplatzes in der EU. Auf dem Gebiet des Gesundheitswesens (Art.168 ff. AEUV / Vertrag über die Arbeitsweise der EU) gibt es neben Koordinierungskompetenzen bei der sozialen Sicherheit – z.B. bei der Kranken- und Pflegeversicherung – kaum Kompetenzen heilberufsrechtlicher Art (CAU/Kiel-Univ. Prof. Dr. jur. G. Igl/2014). Zwar wird in der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/ EG bereits Fortbildung für bestimmte Heilberufe gefordert, da hier aber wenig oder kaum Einfluss der EU besteht, sind der Bund (Gesetzgebung) und die Länder (Ausgestaltung und Weiterbildung) die zuständigen Ansprechpartner.

Arbeitsschutzsystem
Der deutsche technische, medizinische oder soziale Arbeitsschutz richtet sich an den dafür verantwortlichen Arbeitgeber.

Dualismus
Das Arbeitsschutzsystem beruht auf 2 Säulen: Dem staatlichen Arbeitsschutz, und den Unfallversicherungsträgern. Alle Unternehmen, Betriebe und Verwaltungen sind Versicherungs-Pflichtmitglieder. Um Doppelarbeit der staatlichen und versicherungstechnischen Arbeitsschutzaufsicht zu vermeiden, sind die zuständigen Landesbehörden und die Unfallversicherungsträger zur engen Zusammenarbeit verpflichtet.

Förderalismus
Deutschland ist ein Bundesstaat mit eigenständigen Bundesländern. Dieses förderale System findet sich auch im Arbeitsschutz wieder. Die Gesetze macht der Bund mit Beteiligung der Länder, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Unfallversicherung und weiterer Fachverbände. Die Überwachung und Einhaltung der Vorschriften obliegt den Ländern, wozu jedes Bundesland eine eigene Arbeitsschutzaufsicht hat.

Nichtärztliches Assistenzpersonal
In diesem Dickicht der Zuständigkeiten und bei dem in Deutschland gesetzten „Übervater Arzt“, den für das nichtärztliche Personal jeweils geeigneten Ansprechparter zu finden, ist nicht immer leicht, vor allem nicht beim Motto des stetigen Wandels: was gestern noch gültig war, wird heute neu definiert. Die Arbeitsmedizin wird in Deutschland mit den unterschiedlichsten Trägern aus Wissenschaft und Praxis auf einem hohen, international geachteten Niveau gehalten. Für fast alles gibt es Vorschriften, Regeln und Normen, jedoch bisher seltsamerweise nicht nicht für das dem Arzt nachgeordneten Personal, das nach Gutsherrenart rekrutiert werden kann. Deshalb hier die versuchte Antwort auf die verständlicher Weise immer wieder aufkommende Frage unserer Kolleginnen und Kollegen aus den europäischen Regionen nach dem Bildungslevel des arbeitstechnisch tätigen, jedoch nichtärztlichen Personals in Deutschland.

Die zweitgrößte Gruppe unter den Fachberufen im Gesundheitswesen sind mit ca. 320.000 Personen die „Medizinischen Fachangestellten“. Sie unterstützen den Arzt vornehmlich in Arztpraxen (physicians”s office) in der ambulanten Versorgung. Durch das o. a. Aufstiegscurriculum wird dieser Tätigkeitsbereich nun ausgeweitetauf die arbeitsmedizinische und betriebsärztliche Betreuung (Vorsorge) als einem eigenständigen Versorgungsbereich, der in Zukunft angeblich einen höheren Stellenwert als bisher einnehmen soll. Seit der Gründung des VAF – Mitte der 70er Jahre bei der Neuausrichtung des (west)-deutschen Arbeitsschutzrechtes (ASiG) – schulen wir unser Personal mit unseren Ärzten nach einem gemeinsamen Rahmenplan-Curriculum und festigten dabei den Begriff der arbeitsmedizinischen Assistenz. Trainings, Curricula und Fachbezeichnung sind öffentlich anerkannt und wurden von der BÄK protokollarisch manifestiert. Darüber hinaus fordern wir eine einheitliche öffentlich-rechtliche Aus- und Weiterbildung sowie eine „Berufsbezeichnung“ für dieses Personal.

Zur damaligen Zeit rekrutierten sich die nichtärztlichen Mitarbeiter überwiegend aus dem Krankenpflege- (Health-Nursing / ca. 70 %) und dem Erste-Hilfe-Bereich. Nach unseren langjährigen Statistiken setzt sich z. Zt. die Berufestruktur unserer Schüler/innen in etwa zu 45 % aus dem Krankenpflegebereich, zu 50 % aus dem MFA-Bereich – mit steigender Tendenz – und zu 5 % aus dem Ersten-Hilfe-Bereich zusammen. Bei z. Zt. etwa 12 ½ -tausend aktiv tätigen Betriebsärzten in Deutschland können wir den zugehörenden nichtärztlichen Personalbestand auf ca. 40.000 Personen schätzen. Die Personaltendenz für die arbeitsmedizinischen Dienste in Richtung MFA”s dürfte aus u. a. folgenden Gründen erfolgen:

1. Zum ersten mal seit 1974 sind für einen Teil des nichtärztlichen arbeitsmedizinischen Personals durch Kammergesetz der BÄK lobenswerterweise ein gesetzlicher Anfang und Einstiegslevel erreicht, wodurch zudem die Vorgaben des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) umgesetzt werden.

2. Die Crux dabei ist jedoch, dass das Personal gespalten wird. Die Landes-ärztekammern sind nur für die MFA”s zuständig. Entsprechend testieren sie diese Aufstiegsfortbildung auch nur ihrem Personal. Alle anderen Personen aus diesen Berufsfeldern, wie z.B. Krankenpflege und/oder andere Höherqualifizierte, die an dieser Fortbildung teilnehmen, bekommen gemäß Kammersatzungen keine offizielle Anerkennung.

3. Die den Rahmenplänen des VDBW und VAF entnommene arbeitsmedizinische Thematik dieses Aufstiegcurriculums beträgt im Umfang knapp 1/3 dessen, was VDBW und VAF bisher als sinnvolle arbeitsmedizinische Weiterbildung angesehen haben. Das heißt unterm Strich: schneller und preiswerter. Insofern erfolgte seitens der BÄK folgerichtig die Aufforderung an die Verbände, an der bisherigen Qualität weiterzuarbeiten.

Insgesamt sind Anspruch und Weiterbildung wohl nicht ganz kompatibel. Es kann der Eindruck entstehen, dass hier weniger die Arbeitsmedizin, denn die nach dem BBiG geforderte Beseitigung eines Sackgassen-Berufes gefragt ist. Gefördert wird hier nicht die europäische Vergleichbarkeit und Arbeitsmöglichkeit; gefördert wird die bedarfsgerechte Schnellausbildung. Der „ILO-Empfehlung 171“ vom 26.06.85 betreff der Betriebsärzlichen Dienste kann hiermit nicht entsprochen werden.

An delegierbaren Leistungen ändert sich expressis verbis nichts. Wieso auch, wenn schon alleine Haftung und GOÄ dem entgegenstehen. Und man sollte Erklärungen auch nicht mit Beweisen verwechseln. Das Personal des Arztes war schon immer auf der Basis seiner persönlichen Anerkennung stolz, viel machen, dürfen, und können zu müssen. Daran wird sich doch wohl nichts ändern?

Entschieden haben wir uns natürlich für den gesetzlichen Beginn, so nach dem Motto: „Ein Schiff ist zwar im Hafen sicher, dafür wurde es aber nicht gebaut.“ Die Zukunft wird zeigen, ob die zuständigen arbeitsmedizinischen Vereinigungen – und hier meine ich ausdrücklich DGAUM und VDBW – den anderen Teil Ihres Personals werden gewinnen können. Der Kern, alles weiter wie bisher, wird aber wohl aufgeweicht.

1. Im Gegensatz zum ärztlichen Personal wurde im kurativen Krankenpflege-bereich (Nursing) seit 1995 ca.15% des Pflegepersonals abgebaut (BÄK 09/14). Dennoch oder gerade auch deshalb wird hier die Akademisierung unter den verschiedensten Ausbildungsträgern weiter fortschreiten. Die Arbeitsmedizin jedoch ist hier weder in der Ausbildung noch in einer Weiterbildung vorhanden (das gilt übrigens auch für Österreich). Insofern, und weil ein Weiterbildungsanspruch in Arbeitsmedizin hier höher angesiedelt sein dürfte, ist der Begriff „OHN“ in Deutschland z.Zt. faktisch nicht vorhanden.

Die auffallende Selbstdarstellung der letzten Jahre im Fachblätterwald Medizin und Arbeitsmedizin, von Aufarbeitungen, Entwicklungen ärztlicher Bemühungen, Kursbuch Arbeits-/Betriebsmedizin, Gründungen von neuen Fachvereinigungen, etc., müsste nun langsam einen Gewinn für die Praxis bringen. Derselbe Blätterwald ist ebenfalls voll vom Unisono-Verbot der Substitution ärztlicher Aufgaben. Nun sind Pessimisten zwar unbeliebt, aber i.d.R. näher an der Realität. Und so frage ich mich, was das eigentlich soll ? Ist der Wald schon so dunkel, dass so laut gepfiffen werden muss ? Reibt man sich vehement an imaginären Gegenkräften in der Vermutung, einige alte Strukturen gehen auf den Müll? Das ist doch alles ein bisschen unwürdig. Wer will denn hier wirklich originär ärztliche Tätigkeiten übernehmen? Die Frage heißt doch in Wahrheit: „Sind alle Tätigkeiten, die Ärzte ausführen, eigentlich originär ärztliche Tätigkeiten?“ Oder um mit Heinrich Böll zu sprechen: „Die Dinge beim Namen nennen, bedeutet schon eine ganze Menge Wahrheit.“

Wenn die geforderte Schlüsselstellung des Arbeits- und Betriebsmediziners „in allen Fragen von Arbeit und Gesundheit“ erreicht werden soll, muss er abgeben können. Andernfalls versinkt er – auch bei weiterer Internationalisierung – im Klein-Klein und erreicht das Gegenteil von dem, was gewollt ist. Abgeben kann er aber nur an ausreichend geschultes Personal; das sollte einem der gesunde Menschenverstand eingeben. Die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität hat viele Fehler.

Bei der vorliegenden beabsichtigten Qualifizierung des einen Teils ihres Personals dürfen die Arbeitsmedizinischen Verbände – DGAUM und VDBW – nicht stehen bleiben. Für den VAF e. V. bedeutet das Vorhaben: Einen großen Schritt für die MFA, einen kleinen Schritt für die Arbeitsmedizin und eine gute Basis für eine weitere Höherqualifizierung des arbeitsmedizinischen Assistenzpersonals, die im Auge behalten werden wird. Hier sind noch Fragen offen.

Hans Schwertner, VAF e. V.

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