Arbeitsschutz

Berufsbedingte, allergische und irritative obstruktive Atemwegserkrankungen im gewerblichen Bereich: Geschlechtssensitive Identifikation von Präventionspotenzialen

Zusammenfassung Berufliche inhalative Noxen verursachen 9–15 % aller neu aufgetretenen Asthmafälle im Erwachsenenalter. Geschlechtssensitive Auswertungen von Berufskrankheitenstatistiken geben Hinweise auf Präventionspotenziale und Forschungsbedarf. Aus dem Datenbestand des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) wurden für das Jahr 2004 die Fälle eines bestätigten Verdachts auf eine obstruktive Bronchialerkrankung (Berufsasthma) innerhalb der Berufskrankheiten BK 4301 (allergisierende Arbeitsstoffe), BK 4302 (chemisch-irritative oder toxische Arbeitsstoffe) und BK 1315 (Isocyanate) nach ursächlichem Stoff und Beruf aufgegliedert. Zusätzlich wurden die Jahre 1995 bis 2004 für ausgewählte Berufe nach zuerst meldender Stelle, dem Alter im Jahr der Feststellung und der Dauer der Einwirkung geschichtet. Gemessen an der Zahl der bestätigten Berufskrankheiten dominierten als Auslöser unter Männern Mehlprodukte, Nahrungs-/ Futtermittel und Isocyanate, unter Frauen Mehl/-produkte, Haarfixiermittel/-festiger und Haarfärbemittel. Zu den vorherrschend betroffenen Berufen zählten Bäcker, Maler und Schweißer einerseits und Friseurinnen, Bäckerinnen und Verkäuferinnen andererseits. Bezogen auf die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten waren Chemiebetriebswerkerinnen, Schweißer und Zimmerer und ebenfalls überhäufig betroffen. Die zur Erklärung heran gezogenen weiteren Sekundärdaten schließen geschlechtsspezifische Unterschiede in Berufswahl, beruflichen Tätigkeit und Atemwegsgefährdung, Expositionsdauer und Meldeverhalten von Berufskrankheiten nicht aus. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. In den verfügbaren Auswertungen zu Berufsasthma aus Finnland, Frankreich und Schweden wurden bei geschlechtssensitiver Auswertung Friseurinnen, Herstellerinnen von Chemikalien/Chemieprodukten/Plastik einerseits und Bäcker, Maler/Lackierer und Schweißer andererseits ebenfalls besonders häufig genannt. Im Gegensatz zu Deutschland unterschied sich die Inzidenz von Berufsasthma der männlichen Beschäftigten im Back- und Friseurhandwerk in Finnland jedoch nicht wesentlich von der der weiblichen. Für die Gestaltung einer effektiven Prävention obstruktiver Atemwegserkrankungen gibt es eine Fülle von Informationen (u.a. eine Leitlinie). Nach den vorgelegten Daten stellen in Deutschland das Back- und Friseurhandwerk den dringlichsten Handlungsbereich dar. Information über die besondere Atemwegsgefährdung in diesen Berufen sollte auch Berufsanfängern zur Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Schlüsselwörter: Berufsasthma, Unfallversicherung, Prävention, Gesundheitsüberwachung, Ursachen Summary Occupational inhalative exposures contribute to 9–15% of all cases of new-onset of asthma among adults. Gender specific analyses of data on occupational diseases from worker’s compensation can provide information on potentials for prevention and identification of research needs. From the German Federation of Institutions for Statutory Accident Insurance and Prevention (HVBG) for the year 2004, occupational obstructive airway diseases caused by allergens (occupational disease no. 4301), irritants (occupational disease no. 4302), and diseases due to isocyanates (occupational disease no. 1315) were stratified by causal factor and occupation. Additionally, the years 1995–2004 were analyzed by claim filing institution, age at diagnosis, and duration of exposure for selected occupations. As measured by the number of confirmed claims flour/flour products, food/animal feed and isocyanates dominated among males and flour/flour products and hair fixing and hair dyes among females. Predominantely affected occupations were bakers, painters and welders among men and hairdressers, bakers, and shop assistants among women. Female chemical workers as well as male welders and carpenters were also frequently affected when the number of files was related to the number of employees subject to social insurance contribution. Further secondary data that were presented for explanation did not exclude gender specific differences in vocational choice, occupational tasks, duration of exposure and claim filing. Further research is needed on this topic. In the available gender specific analyses of occupational asthma from Finland, France, and Sweden, female hairdressers and chemical workers as well as male bakers, painters, and welders were also named particularly frequently. In contrast to Germany, no gender specific differences in the incidence of occupational asthma among bakers and hairdressers were observed in Finland. For the effective prevention of occupational asthma there is sufficient information available in Germany (including a guideline). According to the presented data, the baking and hairdressing trade present the most urgent sector for preventive activities in Germany. Information on the specific airway hazards in these occupations should also be made available for job beginners as a basis for decision making. Keywords: Occupational asthma, worker’s compensation, prevention, surveillance, causes

Fragestellung
In der internationalen Literatur werden irritiative und allergische obstruktive Atemwegserkrankungen unter dem Begriff Berufsasthma subsumiert und von anderen chronischen obstruktiven Atemwegserkrankungen (v.a. COPD) unterschieden. Obwohl die genaue Häufigkeit von Berufsasthma unbekannt ist, da es keine komplette Registrierung von Berufskrankheiten gibt, ist von einer Unterschätzung auszugehen. Datengrundlage für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Asthma und beruflicher Belastung sind Gesundheitsüberwachungen, Versicherungsdaten und epidemiologische Studien. Die Inzidenz des Berufsasthmas variiert je nach Land. Neben der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen hängt die Häufigkeit von der Methodik und dem Zweck der Datenerhebung, der Definition der Erkrankung, der Wirtschaftsstruktur, rechtlichen Rahmenbedingungen und Verwaltungsverfahren sowie der Integration der Berufskrankheiten in das soziale Sicherungssystem ab. In einer systematischen Analyse der vorliegenden Studien aus 19 Ländern errechneten Blanc & Toren1, dass 9 bis 15 % der neu aufgetretenen bzw. reaktivierten Asthmafälle im Erwachsenenalter auf berufliche Faktoren zurückzuführen sind. Ein neuerer Review von 21 Studien kam zu einem ähnlich Ergebnis mit 15 %2. Nach Auswertung der Daten des bevölkerungsbezogenen European Community Respiratory Health Surveys (ECRHS) sind 5 bis 10 % der Asthmaerkrankungen arbeitsbedingt3.

Mehr als 400 Allergene und Irritantien sind als Auslöser von Berufsasthma beschrieben worden4, 5, 6. Jedes Jahr kommen neue, möglicherweise atemwegsgefährdende Substanzen auf den Markt. Im Hinblick auf die Zunahme der Asthmahäufigkeit in Industrieländern7 sind Auswertungen von Berufskrankheitenstatistiken zur Identifikation von Risikobereichen und Präventionspotenzialen sowie von Forschungsbedarf wichtig. Die meisten diesbezüglichen Register beruhen auf freiwilligen Arztmeldungen und/oder Angaben von Versicherern. Die zuverlässigsten Angaben stammen von Ländern mit Meldepflicht wie z.B. in Finnland und Deutschland. Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Präventionspotenzialen sind bisher nur wenig erforscht.

Ziel der Untersuchung war, die aktuellen Daten aus dem gewerblichen Bereich Deutschlands bezüglich geschlechtsspezifischer Unterschiede darzustellen.

Methoden
Aus dem Datenbestand (BK-DOK) des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), St. Augustin zu Fällen eines bestätigten Verdachts einer obstruktiven Atemwegserkrankung durch allergisierende Arbeitsstoffe (BK 4301), chemisch-irritative oder toxische Arbeitsstoffe (BK 4302) und Isocyanate (BK 1315) im Jahr 2004 wurden die Fälle, die mit der Diagnose Berufsasthma (Bronchialobstruktion) vereinbar waren, festgestellt (HVBG-Referat ZIGUV, St. Augustin, erstellt am 19.10.2005). Insgesamt wurden hierfür die in der BK-DOK aufgeführten Diagnosen allergische Rhinopathie (n=263), Emphysem (n=23) interstitielle Lungenerkrankung mit Fibrose (n=1), allergische Konjunktivitis (n=22; sollte unter schweren und wiederholt rückfälligen Hautkrankheiten (BK5101) gelistet werden) sowie Fälle ohne Angabe einer Diagnose (n=20) ausgeschlossen. Eine Zusammenfassung dieser Auswertungen wurde im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) 2006 als Poster vorgestellt8.

Die Zahl der bestätigten Verdachtsfälle ausgewählter Berufsgruppen wurde in Bezug zur Zahl der sozialversichungspflichtig Beschäftigten ? basierend auf Angaben der Beschäftigtenstatistik9 dargestellt.

Zusätzlich wurde die Anzahl der bestätigten Fälle einer allergischen Atemwegserkrankung ausgewählter Berufe der Jahre 1995 bis 2004 zusammengefasst und nach zuerst meldender Stelle, Alter im Jahr der Feststellung und Dauer der Einwirkung ausgewertet (HVBG-Referat ZIGUV, St. Augustin; erstellt am 24.05.2006).

Aus den über MEDLINE verfügbaren Statistiken von Berufskrankheiten anderer Länder wurden geschlechtssensitive Auswertungen identifiziert10, 11.

Ergebnisse
Geschlechtssensitive Auswertung der Ursachen von Berufsasthma im gewerblichen Bereich

Im Jahr 2004 bestätigten die gewerblichen Berufsgenossenschaften in 711 Fällen ? darunter 224 Frauen (31,5 %) und 487 Männer (68,5 %) ? den Verdacht einer Berufskrankheit (BK), die mit Berufsasthma (Bronchialobstruktion) vereinbar ist. Tabelle 1 führt die 10 häufigsten Ursachen getrennt für Männer und Frauen auf. Als Auslöser dominierten unter Männern Mehl/-produkte, Teig-/ Back-/ Konditorware (41,1 %), Staub von Nahrungs-/ Futtermittel (9,2 %) und Isocyanate (7,8 %) sowie unter Frauen Mehl/-produkte, Teig-/ Back-/ Konditorwaren (17,9 %), Haarfärbemittel (11,6 %) und Haarfixiermittel (11,2 %) (Tabelle 1).

Zu den am häufigsten betroffenen Berufen zählten Bäcker/Konditoren/Süßwarenhersteller (46,4 %), Maler/ Tapezierer/ Gebäudereiniger (4,5 %) und Schweißer/Brennschneider (4,3 %) einerseits und Friseurinnen (35,3 %), Bäckerinnen/ Konditorinnen/Süßwarenherstellerinnen (14,7 %) und Laden-/ Verkaufs-, Marktstandsverkäuferinnen (8,0 %) andererseits (Tabelle 2).

In Tabelle 3 ist die Zahl der bestätigten Fälle ausgewählter Berufe bezogen auf die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufgeführt. In grober Abschätzung entspricht die Zahl der bestätigten Fälle pro 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 33,2 unter Bäckern/Konditoren/ Süßwarenherstellern gegenüber 9,2 unter Bäckerinnen/Konditorinnen/ Süßwarenherstellerinnen; der Quotient der Chemiebetriebswerker gegenüber der Chemiebetriebswerkerinnen betrug 1,5 vs. 6,2 (Tabelle 3). Eine hohe Zahl bestätigter Fälle bezogen auf die Zahl der Beschäftigten zeigten Friseurinnen/ sonstige Körperpflegerinnen (6,3 pro 10.000), Schweißer/ Brennschneider (3,0 pro 10.000) und Zimmerer (2,0 pro 10.000). Die Fallzahl der bestätigten Fälle unter Friseuren, Schweißerinnen/ Brennschneiderinnen und Zimmerinnen war gering.

Mögliche Gründe für die beobachteten Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Zur weiteren Klärung der Frage, warum bei Männern in einigen Arbeitsbereichen ? sowohl was die Fallzahl als auch was die Zahl bezogen auf die Beschäftigten anbelangt ? häufiger ein Berufsasthma bestätigt wurde als bei Frauen, wurden vorliegende Prozessdaten herangezogen, um geschlechtssensitiv die BK-Anzeigen und Frühberentungen hinsichtlich des Auftretens von Berufsasthma zu beschreiben.

Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit

Zur Beurteilung möglicher Selektionsprozesse in den am häufigsten betroffenen Berufen wurde die Anzahl der bestätigten Fälle einer allergischen Atemwegserkrankung unter Bäcker/innen und Friseur/innen der Jahre 1995 bis 2004 zusammengefasst und nach der zuerst meldenden Stelle ausgewertet (Abb. 2). Die meisten der bestätigten Verdachtsanzeigen bei Männern und Frauen wurden von Ärzten gestellt (der Anteil war mit 63,3 % am geringsten bei Friseurinnen und mit 78,8 % am höchsten bei Friseuren). Das Arbeitsamt meldete einen höheren Anteil von Bäckerinnen/ Konditorinnen/ Süßwarenherstellerinnen als von Bäckern/ Konditoren/ Süßwarenherstellern (13,9 % vs. 9,1 %). Entsprechendes gilt für Friseurinnen im Vergleich zu Friseuren (14,4 % und 6,1 %).

Im Jahr der Feststellung der Berufskrankheit waren 40,5 % der Bäckerinnen unter 25 Jahren; bei den Bäckern waren dies nur 22,6 %. Während die Dauer der Einwirkung bei 24,3 % der Bäcker mindestens 20 Jahre betrug, traf dies nur auf 6,5 % der Bäckerinnen zu (Abb. 2).

Krankheitsbedingte Frühberentung

Auswertungen der Daten des Verbands der Deutschen Rentenversicherungsträger12 legen nicht nahe, dass Frauen eher als Männer aufgrund von Krankheiten der Atmungsorgane frühberentet werden. Im Jahr 2003 gab es prozentual mehr Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund von Krankheiten der Atmungsorgane unter Männern als unter Frauen (3,1 % vs. 2,0 %) (Abb. 3).

Diskussion
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Prävention von Berufsasthma in Deutschland

Deskriptive Auswertungen von Routinedaten der Unfallversicherungsträger können Hinweise auf Präventionspotenziale geben. Die systematische Erfassung irritativer und allergischer obstruktiver Atemwegserkrankungen betrifft nur die Anzahl der Fälle und nicht die Inzidenz. Selektionseffekte durch Vorbehalte im Gesetzestext, bei der Anzeige und negative Testergebnisse durch lange Bearbeitungszeiten führen zu einer Unterschätzung der Zahl gemeldeter und bestätigter Fälle. Eine grobe Abschätzung der berufsbezogenen Inzidenz ist nur begrenzt über die Beschäftigtenstatistik möglich.

Obwohl nur knapp ein Drittel der 2004 anerkannten Fälle eines Berufsasthmas Frauen waren, ist deren Anteil hiermit höher als der Durchschnitt aller Berufskrankheiten. Sonderberechnungen des HVBG für das Jahr 2002 zeigen, dass 24,4 % der Verdachtsanzeigen und 26,7 % aller bestätigten Berufskrankheiten weibliche Erwerbstätige betrafen13. Mit einem Frauenanteil von jeweils 41,3 % bei den Anzeigen und den bestätigten Fällen gehörten allergische Atemwegserkrankungen sowohl zu den häufigsten Berufskrankheiten als auch zu denen mit dem höchsten Frauenanteil13.

Zur Klärung geschlechtsspezifische Unterschiede in Berufswahl, Tätigkeit und Atemwegsgefährdung, Expositionsdauer, Anzeige und Anerkennung der BK, Ausscheiden aus dem Berufsleben und krankheitsbedingter Frühberentung wurden weitere Prozessdaten herangezogen.

Unterschiede in der Berufswahl

Die beobachteten geschlechtsspezifischen Unterschiede spiegeln z.T. Unterschiede in der Berufswahl wider. Laut Angaben der Beschäftigtenstatistik waren 2004 93,4 % der Friseure/innen, aber nur 34,6 % der Bäcker/innen/ Konditoren/innen/ Süßwarenhersteller/innen Frauen9. Die aussagekräftigere Berechnung von Inzidenzen ist wegen fehlender Angaben zur Zahl der unfallversicherten Vollarbeiter oder Vollarbeiterinnen in den einzelnen Berufsgruppen nicht möglich. Wenn Angaben aus der Beschäftigtenstatistik zugrunde gelegt werden (in der ein anderer Tätigkeitsschlüssel als in der BK-DOK verwendet wird und auch die Beschäftigten außerhalb des gewerblichen Bereichs enthalten sind), entspricht dies in einer groben Abschätzung pro 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ca. 3,5 bestätigten Fällen von Berufsasthma unter Friseuren/Kosmetikern (bei eingeschränkter Aussagekraft wegen geringen Zahl von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Friseuren und damit geringen Fallzahlen) und 6,3 unter Friseurinnen/ Kosmetikerinnen9. Den 33,2 bestätigten Fällen pro 10.000 Bäckern/Konditoren/ Süßwarenherstellern stehen 9,2 bestätigte Fälle unter Bäckerinnen/ Konditorinnen/ Süßwarenherstellerinnen gegenüber9.

Unterschiede in Tätigkeit und Atemwegsgefährdung

Obwohl Frauen in der Arbeitswelt keine homogene Gruppe darstellen, unterscheiden sich ihre Arbeitsplätze und beruflichen Gesundheitsgefährdungen prinzipiell von denen ihrer männlichen Kollegen14. Frauen arbeiten häufig an anderen Arbeitsplätzen mit anderen Gesundheitsgefährdungen als Männer. Selbst bei gleichen Arbeitsplätzen können die Belastungen von Frauen unterschiedlich sein. Messing et al. (2002) zeigen am Beispiel öffentlich beschäftigter Arbeiter in Kanada, dass Gärtner bei gleichem Tätigkeitsschlüssel anderen beruflichen Belastungen als Gärtnerinnen ausgesetzt sind15. Dies deckt sich mit eigenen Beobachtungen aus der arbeitsmedizinischen Praxis. Bei der Begutachtung von 16 Verdachtsfällen auf ein Bäckerasthma in den Jahren 2005/06 fanden sich Hinweise darauf, dass Bäcker fast ausschließlich Tätigkeiten beim Brotbacken (einher gehend mit einer hohen Exposition gegenüber Mehlstaub) und Bäckerinnen überwiegend Tätigkeiten im Feinbackwaren- und Konditorbereich (mit geringeren Atemwegsbelastungen) wahr nahmen. Auch Schnock (1998) berichtet im Rahmen einer Literaturstudie, dass bei „typischen Männerberufen im gewerblich-technischen Bereich“, zu denen auch der Bäckerberuf zählt, insbesondere in Kleinbetrieben von Frauen die durch niedrige körperliche Anforderungen und mehr organisatorische, kaufmännische und Feinarbeiten „für sie besonders geeigneten Tätigkeitsfelder“ besetzt werden. Ob diese Beobachtung repräsentativ ist, kann nur im Rahmen einer analytischen epidemiologischen Studie geklärt werden. Den andererseits haben Erfahrungsberichte ergeben, dass Frauen in Handwerksberufen in sämtlichen Bereichen eingesetzt werden16.

Unterschiede in der Expositionsdauer

2004 waren 45 % der Erwerbstätigen in Deutschland weiblich17. Der 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland18 zeigte im Jahr 2004 eine geringere Erwerbstätigenquote unter Frauen im Vergleich zu Männern (58,4 % vs. 70, 1 %). Hinzu kam ein größerer Anteil der Berufstätigen mit Teilzeitarbeit und eine kürzere Erwerbstätigkeitsdauer und damit eine potentiell kürzere Belastungsdauer. Abhängig erwerbstätige Frauen standen 2004 zu 43 % in Beschäftigungsverhältnissen < 31 Stunden gegenüber nur 7 % der Männer18. Unter älteren Beschäftigten (in der Altergruppe zwischen 50 und 54 Jahren) lag die altersspezifische Erwerbstätigenquote der Männer (80 %) wesentlich höher als die der Frauen (68 %)18. Die hier vorgelegten Auswertung der bestätigten BKen nach Alter bei Feststellung und Dauer der Einwirkung unterstützt die Annahme, dass Bäcker mit Berufsasthma länger im Beruf tätig sind als Bäckerinnen und damit länger exponiert sind. Nur eine analytische epidemiologische Studie kann klären, inwieweit dies auch auf Bäcker/innen insgesamt zutrifft. Unterschiede in der Anzeige einer Berufskrankheit Wenn bei einer/m Versicherten der konkrete Verdacht auf das Vorliegen einer BK vorliegt, ist eine BK-Anzeige zu stellen. Dies können die/der Versicherte selbst, die Krankenkasse, die Agentur für Arbeit, oder sonstige Stellen oder Personen sein. Behandelnde Ärzte oder Betriebsärzte sind nach § 202 Satz 1 SGB VII bei Vorliegen eines begründeten Verdachts zur BK-Anzeige verpflichtet. Für Unternehmer besteht nach § 193 Abs. 2 SGB VII Anzeigepflicht bei Anhaltspunkten für das Vorliegen einer BK. Zur Beurteilung möglicher Selektionsprozesse in den am häufigsten betroffenen Berufen wurde die Anzahl der bestätigten Fälle einer allergischen Atemwegserkrankung der Jahre 1995 bis 2004 zusammengefasst und nach der zuerst meldenden Stelle ausgewertet. Die meisten der bestätigten Verdachtsanzeigen wurden bei Männern und Frauen von Ärzten gestellt. Auffällig ist der höhere Anteil der primären Meldungen durch das Arbeitsamt unter weiblichen Erwerbstätigen im Back- und Friseurhandwerk gegenüber der männlichen (14 % vs. 6–9 %). Wenn eine, später bestätigte BK erst durch eine Arbeitsagentur angezeigt wird, haben hier die vorgehenden Instanzen versagt. Bei der Prüfung einer Kostenübernahme durch einen anderen Träger kann die Arbeitsagentur bei Arbeitlosen, die einen Antrag auf eine berufliche Rehabilitation beim Rentenversicherungsträger gestellt haben und bei denen der Verdacht besteht, dass der Wunsch nach einem Tätigkeits- oder Berufswechsel bzw. die Arbeitslosigkeit auf eine BK zurück zu führen ist, eine BK-Anzeige stellen (Dr. Lorenz, Agentur für Arbeit Hamburg, telefonische Mitteilung). Anhand der Daten lässt sich nicht klären, ob mehr arbeitslose Frauen, deren Atemwegsbeschwerden durch eine Berufskrankheit verursacht wurden, einen Antrag auf berufliche Rehabilitation gestellt hatten als arbeitslose Männer oder ob die Arbeitsagentur bei ihnen häufiger nachgefragt hat. Unterschiede in der Frühberentung Anhand der Daten der Rentenversicherungsträger12 ohne berufsbezogene Auswertung konnten wir keine Anhaltspunkte finden, dass Frauen eher wegen Atemwegserkrankungen früh berentet werden. Ob dies auch für Beschäftigte mit arbeitsbedingten, allergischen und irritativen obstruktiven Atemwegserkrankungen zutrifft kann nur im Rahmen einer analytischen epidemiologischen Studie geklärt werden. Bevölkerungsbezogene Studien
Auswertungen von Berufskrankheitenstatistiken erlauben nur selten eine Identifikation möglicher neuer Allergene und Irritantien am Arbeitsplatz. Bevölkerungsbezogene Studien können ? obwohl die Exposition meist retrospektiv durch Selbstangabe erfasst wird und die Asthmasymptome selten durch eine ärztliche Untersuchung validiert werden ? wichtige Hinweise auf (neue) Präventionspotenziale liefern. Eine Auswertung des bevölkerungbezogenen ECHRS zeigt ähnliche Risikoberufe hinsichtlich des Auftretens von bronchialer Hyperreagibilität mit asthmatischen Symptomen auf3. Neben der Landwirtschaft (die in Deutschland unter 5 % der Beschäftigten umfasst) war das Risiko berufsbezogener Atemwegsbeschwerden im gewerblichen Bereich am höchsten für Maler, Kunststoffarbeiter und Spritzlackierer3. Überraschend war das in dieser Studie beobachtete erhöhte Risiko der Reinigungskräfte, die in Berufskrankeitenstatistiken bisher meist unauffällig waren.

Ursachen von Berufsasthma im internationalen Vergleich
Organische Stäube (Mehl, Nahrungs- und Futtermittel), Isocyanate, Schweißrauche und Friseurmittel waren gemessen an ihrer Anzahl die Hauptursachen von Berufsasthma in Deutschland. Die in vorhergehenden Jahren hohe Zahl der latexbedingten, obstruktiven Berufskrankheiten ist seit den intensiven Informations- und Präventionskampagnen der Fachgesellschaften, Ämter für Arbeitsschutz und der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege im Jahr 1997/98 sowie der Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (TRGS 540) deutlich reduziert19. Organische Stäube sind die Hauptursache von Berufsasthma in den meisten europäischen Ländern, Südafrika und Kanada. Isocyanat-Asthma weltweites Problem in Industriestaaten11, 20. Bäcker/innen zählen in Europa, Südafrika und Neuseeland zu den Hauptrisikogruppen. Friseure/innen sind in Norwegen und Frankreich häufig betroffen.

Geschlechtssensitive Auswertungen in anderen Ländern

In den über MEDLINE verfügbaren Auswertungen zu Berufsasthma11 aus Finnland (SF), Frankreich (F) und Schweden (S) werden bei geschlechtssensitiver Auswertung Friseurinnen (F), Herstellerinnen von Chemieprodukten (SF, S) einerseits und Bäcker (S, F, SF), Maler/Lackierer (SF, F) und Schweißer (S) andererseits ebenfalls besonders häufig genannt. Die Registrierung der Berufskrankheiten ist in den genannten Ländern sehr unterschiedlich. Während in Finnland basierend auf verpflichtenden Angaben von Ärzten und Unfallversicherungsträgern von einer hohen Qualität und Vollständigkeit der Erhebung ausgegangen werden kann, sind diese in Frankreich (Arztmeldung) und besonders Schweden (Selbstangabe) eingeschränkt. Im Gegensatz zu Deutschland unterschied sich die Inzidenz von Berufsasthma der männlichen Beschäftigten im Back- bzw. Friseurhandwerk in Finnland nicht wesentlich von der der weiblichen (44,4 vs. 40,8 bzw. 3,3 vs. 3,7, jeweils pro 10.000 Beschäftigte). Nur eine analytische epidemiologische Studie kann klären, ob berufsbedingte, allergische obstruktive Atemwegserkrankungen bei Frauen seltener zur Anzeige kommen oder ob Frauen in Deutschland tatsächlich durch Teilzeitarbeit, Unterschiede in der Tätigkeitsstruktur und früheres Ausscheiden aus dem Beruf weniger belastet sind als ihre männlichen Kollegen.

Präventionsmaßnahmen
Arbeitsbedingte, obstruktive Atemwegserkrankungen sind vermeidbar. Für die Gestaltung einer effektiven Prävention gibt es eine Fülle von Informationen6, 21. Die inzwischen guten Chancen einer wirksamen Sekundärprävention bei früher Diagnose (aus Beschwerdebild, Lungenfunktionsprüfung und Allergiediagnostik) weisen dem Betriebsarzt in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsfachkräften einerseits und dem Hausarzt und Pneumologen andererseits eine wichtige Rolle in der Zurückdrängung dieser Krankheitsgruppe zu.

Die wichtigsten Präventionsmaßnahmen sind die Risikokommunikation und die Beseitigung oder Reduktion der Exposition durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen6, 21. Nach den hier vorgelegten Daten stellen in Deutschland das Back- und Friseurhandwerk den dringlichsten Handlungsbereich dar. Information über die besondere Atemwegsgefährdung in diesen sollten auch Berufsanfängern zur Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden.

Arbeitsbedingte Risiken für die Gesundheit und Sicherheit von Frauen werden in verschiedenen Bereichen sowohl in der Forschung als auch in der Prävention offensichtlich unterschätzt und vernachlässigt. Zur Verbesserung der Prävention arbeitsbedingter Risiken von Frauen sollte mehr Augenmerk auf geschlechtssensitive wissenschaftliche Auswertungen gelegt werden22. Für die Gesundheitsberichterstattung wäre neben einer generellen geschlechtsdifferenzierenden Darstellung der Berufskrankheiten eine qualitative Verbesserung v.a. durch eine geschlechterdifferenzierende berufsbezogene Darstellung der versicherten Vollarbeiter zu erreichen23. Außerdem sollten Frauen ebenso wie Männer auf allen Ebenen in Entscheidungsprozesse im Arbeits- und Gesundheitsschutz eingebunden werden, um bestehende Missverhältnisse in der Gesundheitsförderung zu beseitigen24.

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Latza U, Cordula Bittner, Baur X

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