Arbeitsschutz

Die psychosoziale Arbeitssituation von Betriebsärzten im Berufsvergleich

Zusammenfassung Die Arbeitsrealität der Betriebsärzte befindet sich im Umbruch. Die anhaltende Privatisierung betriebsärztlicher Dienstleistungen, Konkurrenzdruck und die Neuregelung des Arbeitsschutzes lassen annehmen, dass sich die psychosoziale Arbeitssituation auch in dieser Berufsgruppe verändert hat und auch weiter verändern wird. In diesem Beitrag wird das psychosoziale Belastungs- und Beanspruchungsprofil von 352 Betriebsärzten im Vergleich zu 406 Krankenhausärzten und 101 Sicherheitsingenieuren mittels COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich bei der betriebsärztlichen Tätigkeit um eine ausgesprochen positive Beschäftigung mit deutlichen Stärken handelt. Dass die Befunde der Betriebsärzte denen der Sicherheitsingenieure näher lagen als denen der Krankenhausärzte, weist auf den bedeutenden Einfluss des Arbeitsinhalts (präventiver Charakter im Arbeitsschutz, Alleinarbeit) auf das psychosoziale Milieu und Erleben hin. Die niedrig erlebte Bedeutung der Arbeit könnte für alle Betriebsärzte nahe legen, sich an der Diskussion zu Inhalt und Rolle der Betriebsmedizin zu beteiligen und dabei auch die eigene Tätigkeit zu hinterfragen. Schlüsselwörter: psychosoziale Arbeitsbelastung, Betriebsarzt, COPSOQ Psychosocial work load of Occupational Health Physicians in comparison to other professional groups Abstract In Germany, work reality of Occupational Health Physicians is changing. The ongoing privatisation, increasing competition and new occupational safety legislation are likely to increase the psychosocial work load of this occupational group. In this study the psychosocial work profile of 352 Occupational Health Physicians is being compared with that of 406 physicians in hospitals and 101 Safety Engineers by means of the COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire). The results indicate that Occupational Health work is a explicitly positive work with obvious strengths. Findings for Occupational Health Physicians were more equivalent to those of the Safety Engineers than of physicians in hospitals. This underlines the relevance of the work content (preventive work, solitary work places) for the psychosocial work environment and –perception. The low perceived ‘meaning of work’ of Occupational Health Physicians might implicate for this group to participate in the current debate about content and role of Occupational Health and also to reconsider their work. Keywords: psychosocial work load, occupational health physician, COPSOQ

Einleitung
Im Jahr 2005 waren in Deutschland 12.267 Ärzte mit arbeitsmedizinischer Fachkunde tätig1. Während die Arbeitsbedingungen von Krankenhausärzten (Wenn nicht explizit anders erwähnt, verwenden wir in diesem Beitrag zur Erhöhung des Leseflusses nur die männliche Bezeichnung und schließen natürlich implizit Frauen mit ein) insbesondere in jüngerer Zeit öffentlich ausführlich diskutiert und auch wissenschaftlich untersucht werden2,3, werden die der Betriebsärzte nur selten thematisiert. Doch auch die Arbeitsrealität der Betriebsärzte befindet sich in einer Umbruchphase4. Zunehmende Privatisierung (Outsourcing) betriebsärztlicher Dienstleistungen, der anhaltende Konkurrenzdruck, die Neuorientierung des Arbeitsschutzes (z.B. die reformierte Unfallverhütungsvorschrift BGV A2, siehe auch 5) und die gleichzeitig steigenden Ansprüche an die Qualitätssicherung der betriebsärztlichen Arbeit lassen annehmen, dass sich die psychosoziale Arbeitssituation auch in dieser Berufsgruppe verändert hat und auch weiter verändern wird.

Prinzipiell können psychosoziale Faktoren am Arbeitsplatz mit verschiedenen Verfahren erfasst werden: z.B. durch Begehungen, Beobachtungen, Expertenbewertungen oder Befragungen der Beschäftigten. Der Vorteil von schriftlichen Befragungen besteht u.a. darin, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand große Datenmengen erhoben werden können.

Der COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire; siehe 6 und www.copsoq.de) ist ein schriftliches Fragebogeninstrument. Er wurde von den Autoren in den Jahren 2003–5 im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) für die Anwendung in Deutschland angepasst und mit guten Ergebnissen validiert7. Das Instrument hat den Anspruch, in möglichst kurzer Form die zentralen Aspekte des psychosozialen Arbeitsmilieus einschließlich möglicher Konsequenzen zu erfassen. Es handelt sich um ein so genanntes „generisches Instrument“, d.h. der Bogen ist prinzipiell in allen Berufsgruppen und Branchen einsetzbar.

Inzwischen liegt ein umfangreicher deutscher Datensatz vor, der auch Berufsvergleiche mit externen Referenzdaten ermöglicht. So konnten wir für diesen Beitrag zwei Berufsgruppen auswählen, die einen direkten Bezug zu Betriebsärzten haben: zum einen die Gruppe der Krankenhausärzte (gemeinsame Ausbildungsherkunft). Daneben ziehen wir Daten von Sicherheitsingenieuren hinzu, die wie Betriebsärzte präventiv im Arbeitsschutz tätig sind und damit ein ähnliches Tätigkeitsumfeld haben.

Methode
Die Daten der Betriebsärzte entstammen einerseits einer anonymen, passwortgeschützen online-Befragung, die 2006 über verschiedene betriebsärztliche und arbeitsmedizinische Email-Informationsnetze (ArbMedNet, Teilnehmer einer betriebsärztlichen Fortbildungsveranstaltung des VdBW in Stuttgart sowie eine hausinterne mailerliste) in Deutschland bekannt gemacht worden war. Hieran haben 253 Betriebsärzte teilgenommen. Eine Rücklaufquote ist bei dieser Erhebungsform nicht zu ermitteln. Parallel dazu haben wir eine schriftliche postalische Befragung bei 182 Betriebsärzten durchgeführt, deren Adressen teilweise aus einer hausinternen Adressenliste stammten sowie z.T. aus online Adressenlisten der Ärztekammern (um mehr selbständige Betriebsärzte zu erreichen) gewonnen wurden. Von ihnen haben 84 Personen geantwortet (Rücklauf 46,2%). Bei diesen beiden Gruppen hatten wir – um potentielle tätigkeitsspezifische Belastungen für Betriebärzte vertiefend zu erfassen – 20 so genannte tätigkeitsspezifische Zusatzfragen gestellt. Ferner lagen uns die Daten von 22 Betriebsärzten aus früheren COPSOQ-Erhebungen vor.

Teilnehmer

Sieben der insgesamt 359 Befragten waren nicht betriebsärztlich tätig, weshalb deren Daten von den folgenden Analysen ausgeschlossen wurden. Von den verbleibenden 352 Betriebsärzten hatten 248 die online-Version für Betriebsärzte, 82 die identische postalische Version und 22 zuvor in anderem Zusammenhang den Standard-COPSOQ ausgefüllt. 51 der Antwortenden waren in einer eigenen betriebsärztlichen Praxis niedergelassen, 41 waren „als sonstiger Facharzt nebenbei betriebsärztlich tätig“, 150 waren beim betreuten Betrieb, 98 bei einem überbetrieblichen arbeitsmedizinischen Dienst und 3 in einer betriebsärztlichen Praxis angestellt (teilweise Mehrfachnennungen, Rest „Sonstige“ bzw. „keine Angabe“).

Die Vergleichsgruppen setzen sich aus früheren COPSOQ-Befragungen aus den Jahren 2004–2006 (406 Krankenhausärzte) sowie 2005 (101 Sicherheitsingenieure)8 zusammen. Insgesamt basiert dieser Beitrag folglich auf den Daten von 859 Personen aus der COPSOQ-Datenbank.

Statistik

Statistische Analysen wurden mit SPSS14 ausgeführt. Bei Berufsgruppenvergleichen wurde für Geschlecht, Alter und Erhebungsform (online Betriebsärztebefragung Erhebung, sonstige online COPSOQ Erhebung, schriftliche Erhebung) adjustiert.

Ergebnisse
Vergleich der beteiligten Gruppen

Die untersuchten drei Berufsgruppen unterschieden sich bezüglich des Anteils an Frauen sowie in Bezug auf das mittlere Alter in signifikantem Maß (Tabelle 1). Frauen waren bei Sicherheitsingenieuren die Ausnahme und bei ärztlichem Personal in Krankenhäusern in der Mehrheit. Betriebsärzte waren im Mittel deutlich älter als die Sicherheitsingenieure und die Krankenhausärzte.

Zwischen den drei betriebsärztlichen Gruppen bestanden keine signifikanten Unterschiede in der Geschlechterverteilung, wohl aber bezüglich des Alters (Tabelle 2).

– Arbeitsinhalt und Arbeitsorganisation

Das psychosoziale Belastungsprofil von Betriebsärzten war im Vergleich zu dem der Krankenhausärzte deutlich günstiger (Abbildung 1). So hatten die befragten Betriebsärzte niedrigere Werte für die Belastungsindikatoren des Arbeitsinhalts sowie höhere für die Ressourcenfaktoren der Arbeitsorganisation.

– Soziales Arbeitsumfeld

Im Bereich des Sozialen Arbeitsumfelds lagen dagegen die Krankenhausärzte zumeist günstiger. Sie berichteten über mehr Rollenklarheit und eine höhere Soziale Unterstützung sowohl durch Kollegen als auch – interessanterweise – durch den direkten Vorgesetzten. Bei all diesen Aspekten lagen die Betriebsärzte weitaus niedriger. Die Führungsqualität wurde von allen drei Berufsgruppen niedrig bewertet – wie so oft bei Untersuchungen in Deutschland9. Mobbing (mit einer Frage erfasst: „Fühlen Sie sich durch Kollegen und Vorgesetzte häufig zu unrecht kritisiert, schikaniert oder vor anderen bloßgestellt?“) wurde von Krankenhausärzten häufiger berichtet, als von Betriebsärzten (Frage bei Sicherheitsingenieuren nicht gestellt). Für die Skala Gemeinschaftsgefühl – also das allgemeine „Arbeitsklima“ – lagen die Werte bei allen drei Berufsgruppen hoch.

– Endpunkte

Unter „Endpunkten“ verstehen wir mögliche Konsequenzen bzw. Wirkungen der psychosozialen Arbeitsexposition, die sich auf der Ebene der Einstellungen (z.B. Arbeitszufriedenheit, Verbundenheit mit Arbeitsplatz) sowie der körperlichen und psychischen Gesundheit manifestieren können.

Die Bedeutung der Arbeit wird im COPSOQ durch die Fragen „Ist Ihre Arbeit sinnvoll?“, „Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit wichtig ist?“ sowie „Fühlen Sie sich motiviert und eingebunden in Ihre Arbeit?“ erfasst. Die Mittelwerte lagen bei Krankenhausärzten (adjustierter Mittelwert 76 von 100 Punkten) und Sicherheitsingenieuren (75 Punkte) – wie bei fast allen Berufen, die helfend mit Menschen arbeiten (also auch Feuerwehr, Rettungssanitäter, Pflege) – im hohen Bereich. Dagegen ist der Mittelwert von 68 von 100 Punkten bei den Betriebsärzten schon als niedrig zu bewerten.

Krankenhausärzte fühlten sich weniger mit ihrer Arbeit verbunden als die beiden anderen Berufsgruppen. Wie erwartet, war bei Krankenhausärzten der Arbeit-Familien-Konflikt („work-privacy conflict“) mit Abstand am größten (adjustierter Mittelwert 69,7 von 100 maximalen Punkten). Diese Berufsgruppe liegt hier auch innerhalb der deutschen COPSOQ Datenbank mit derzeit etwa 4000 Datensätzen am höchsten, übrigens gefolgt von evangelischen Pfarrern. Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure lagen mit 46,7 bzw. 41,1 Punkten sehr weit unter dem Mittelwert für Krankenhausärzte.

Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure zeigten sich signifikant arbeitszufriedener als Krankenhausärzte und hatten demgemäß auch seltener die Absicht, ihren Beruf zu verlassen (Betriebsärzte 15 von 100 Punkten; Sicherheitsingenieure 12 von 100). Der entsprechende Werte der Krankenhausärzte lag dagegen relativ hoch (20 von 100) – auch im Vergleich mit weiteren Berufgruppen.

Bezüglich der allgemeinen Gesundheit waren die Unterschiede zwischen den drei Berufsgruppen auf relativ hohem Niveau gering, allerdings zeigten sich die Krankenhausärzte mit Abstand mehr ausgebrannt als Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure.

Tätigkeitsspezifische Belastungen

Der COPSOQ hat den Anspruch, die zentralen Grundfaktoren der beruflichen psychosozialen Belastung und Beanspruchung für die Gesamtheit aller Berufe zu erfassen – entsprechend beinhaltet er keine spezifischen Faktoren für einzelne Berufsgruppen. Solche potenziellen „tätigkeitsspezifischen Belastungen“ können aber als Zusatzfragen integriert werden. In Interviews mit 10 Betriebsärzten haben wir 20 solcher spezifischen Aspekte zusammengestellt und nach a) Auftreten und b) Ausmaß der erlebten Belastung (also im Sinne der „psychischen Beanspruchung“) beurteilen lassen. Diese Daten liegen von den 330 Personen vor, die an der Betriebsarztbefragung teilgenommen haben. Personen, die die gestellten Fragen nicht beantwortet haben, haben wir der Kategorie “tritt nicht auf / keine Angabe“ zugeordnet, so dass das Ausmaß der Belastung eher unter- als überschätzt wurde.

Die Ergebnisse dieses Befragungsteils können quantitativ und qualitativ betrachtet werden. Ersteres wird in Tabelle 3 dargestellt: demnach gaben 34 der 330 Befragten (10,3%) für keine der 20 „tätigkeitsspezifischen Belastungen“ an, hierdurch „hoch“ belastet zu sein. Fasst man die beiden Antwortoptionen „zum Teil“ und „hoch“ belastet zusammen, waren es nur 5 Teilnehmer (1,5%), die keine Belastung berichteten. Etwa ein Drittel aller Befragten gab bei mehr als 5 verschiedenen Aspekten eine „hohe“ Belastung an (n=111, 33,7%); bei Zusammenfassung der Kategorien >„zum Teil“ und „hoch“< waren dies 256 Personen (77,6%). Die qualitative Betrachtung der Ergebnisse zu den „tätigkeitsspezifischen Belastungen“ ergibt unterschiedliche Befunde je nachdem, ob man lediglich die erlebte „hohe Belastung“ betrachtet oder ob man auch bereits die „teilweise Belastung“ in Betracht zieht. Die erste Betrachtungsweise würde der Einstellung entspringen, dass vor allem „hohe“ Belastungen als kritisch zu bewerten sind; die zweite ginge von der Annahme aus, dass bereits das Zusammentreffen mehrerer erlebter Belastungen mittlerer Intensität als problematisch zu werten ist. In Abbildung 2 finden sich die verschiedenen Aspekte nach Häufigkeit der letzteren Betrachtungsweise sortiert: demnach fühlten sich von den angebotenen 20 „betriebsarztspezifischen Belastungen“ bei sechs Faktoren mehr als 50% aller 330 Befragten „teilweise bis hoch belastet“. „Probleme mit einzelnen Beschäftigten“ war die höchste Belastungsquelle (76,1%). Der in der Rangliste folgende Aspekt überschneidet sich inhaltlich teilweise mit dem ersten: „konfliktträchtige Fälle zu bearbeiten“ (61,2%). In der Folge finden sich zwei spezifische Probleme des Arbeitsschutzes: „praxisfremde Gesetze / Verordnungen im Arbeitsschutz“ (60,3%) und „mangelnde Nachhaltigkeit der Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ (53,3%). Ein allgemeines Problem der Arbeitsorganisation war der „Zeitdruck“ (53,9%), sehr tätigkeitsspezifisch ist dagegen die Belastung durch erlebte „Forderungen, nicht-betriebsärztliche Aufgaben wahrzunehmen“ (53,0%). Die Betrachtung des Anteils derer, die sich „hoch“ belastet fühlten, zeigt eine etwas abweichende Gewichtung der Ergebnisse: Unter den fünf Aspekten, bei denen sich mehr als 25% der Teilnehmer „hoch belastet“ fühlten, waren drei, die Probleme zwischen Personen/-gruppen beinhalteten: „Probleme mit einzelnen Beschäftigten“ (45,5%), „Probleme mit Personalvertretung der Betriebe“ (29,4%) und „Probleme in der eigenen Arbeitsumgebung“ (28,2%). Hinzu kommen die beiden bereits im vorherigen Abschnitt erwähnten Aspekte „Forderungen, nicht-betriebsärztliche Aufgaben wahrzunehmen“ (30,6%) sowie „praxisfremde Gesetze / Verordnungen im Arbeitsschutz“ (27,6%). „Zeitdruck“ dagegen würde bei dieser Betrachtung mit 17,9% an sechzehnter Stelle eine untergeordnete Rolle spielen. Bei „relativer Sichtweise“ waren die „Probleme mit Aufsichtsbehörden“ sowie „Arbeitsplatzunsicherheit“ die am schwersten belastenden Probleme: Von den 81 Teilnehmern, die sich durch „Probleme mit Aufsichtsbehörden“ belastet fühlten, waren allein 76,5% (62 Personen) „hoch“ belastet. 137 Personen fühlten sich durch „Arbeitsplatzunsicherheit“ belastet, davon 56,9% „hoch“. Es folgten die drei im vorherigen Abschnitt beschriebenen interpersonellen Aspekte „Probleme mit einzelnen Beschäftigten“ (54,5% aller Belasteten „hoch“ belastet), „Probleme mit Personalvertretung der Betriebe“ (54,5%) sowie „Probleme in eigener Arbeitsumgebung“ (54,1%). Diskussion
Anwendung des COPSOQ

Nach unserer Meinung hat sich bei dieser Betriebsarztbefragung der COPSOQ als ein sinnvolles Erhebungsinstrument erwiesen. Zum einen wird durch die Nutzung eines wissenschaftlich geprüften Instruments zur Messung der psychischen Faktoren am Arbeitsplatz eine hohe Messqualität erreicht. Zum anderen wird die Interpretation der Ergebnisse der eigenen Befragung (hier: Betriebsärzte) durch die Nutzung von Vergleichsdaten aus der COPSOQ-Datenbank wesentlich erleichtert.

Offensichtlich ist es mit Hilfe des COPSOQ möglich, plausible Unterschiede zwischen Berufsgruppen zu entdecken, Stärken von Gruppen bewusst zu machen und aus Schwächen Handlungsansätze und -prioritäten abzuleiten. Die Ergänzung von „tätigkeitsspezifischen Zusatzfragen“ erlaubt zusätzlich, auf die Besonderheiten der untersuchten Gruppe einzugehen und kann wichtige Ergänzungsinformationen liefern. In diesem Fall konnten hierdurch Probleme mit Personengruppen (mit einzelnen Beschäftigten, Personalvertretungen und in der Arbeitsumgebung) als bedeutendste Belastungsursache von Betriebsärzten identifiziert werden. Fachspezifische Aspekte folgten als Belastungsquelle, nämlich „praxisfremde Verordnungen / Gesetze“ sowie „mangelnde Nachhaltigkeit der Maßnahmen des Arbeitsschutzes“, was zur in dieser Untersuchung festgestellten und unten diskutierten bei Betriebsärzten als relativ niedrig empfundenen Bedeutung der Arbeit passen könnte.

Vergleich der Berufsgruppen

Im Vergleich zeigen sich klare und signifikant abgegrenzte Berufsprofile. Insgesamt war das ermittelte psychosoziale Belastungs- und Beanspruchungsprofil von Betriebsärzten vergleichsweise günstig und das der Krankenhausärzte eher ungünstig. Dies galt insbesondere für die Indikatoren des Arbeitsinhalts, d.h. der Arbeitsanforderungen, was aufgrund der bekannten ärztlichen Arbeitsbelastung in Krankenhäusern zu erwarten war. Aber auch die äußerst ungünstigen Werte für Entscheidungsspielraum bei Krankenhausärzten überraschen angesichts ähnlicher früherer Befragungsergebnisse nicht10. Auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte über die Arbeitsbedingungen von Krankenhausärzten2,3 sind unsere Ergebnisse plausibel.

Bezüglich des Sozialen Arbeitsumfelds lagen die Betriebsärzte weitaus niedriger (und damit ungünstiger), was – darauf deuten differenziertere Analysen hin – vermutlich auf deren charakteristische Einzelarbeitssituation zurückzuführen ist: wer viel alleine arbeitet, hat naturgemäß weniger Kontaktmöglichkeiten zu Kollegen und Vorgesetzten. Die Führungsqualität wird von allen drei Berufsgruppen niedrig bewertet – wie so oft bei Untersuchungen in Deutschland9. Dennoch überrascht, dass hier Betriebsärzte, Krankenhausärzte und Sicherheitsingenieure nahe beieinander lagen, wo doch auch die hierarchischen Strukturen in Krankenhäusern als ein bedeutender Stressor speziell für diese Ärzte öffentlich diskutiert werden. Möglicherweise nehmen Krankenhausärzte gewisse Einschränkungen der Führungsqualität a priori in Kauf und bewerten eine mäßige Führungsqualität daher günstiger als andere. Es könnte jedoch auch sein, dass – tätigkeitsspezifisch – Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure ihre Vorgesetzten nicht oft sehen und daher relativ niedrige Werte für diesen zentralen Indikator erreichen. Wie erwartet erlebten Krankenhausärzten Mobbing (mit einer Frage erfasst: „Fühlen Sie sich durch Kollegen und Vorgesetzte häufig zu unrecht kritisiert, schikaniert oder vor anderen bloßgestellt?“) häufiger als Betriebsärzte (Frage bei Sicherheitsingenieuren nicht gestellt), allerdings weisen Ergebnisse von Fuß et al. (in Druck) darauf hin, dass Mobbing von Krankenhausärzten dann weniger als solches wahrgenommen wird, wenn Ärzte selbst (im Gegensatz zu Dritten) das „Opfer“ ihres Vorgesetzten sind.

Den relativen Stärken der betriebsärztlichen Arbeit bezüglich der Arbeitsanforderungen und des Entscheidungsspielraums entsprechen zumeist günstige Indikatoren für die erfassten Endpunkte, insbesondere weniger Burnout, weniger Arbeit-Familien Konflikt und mehr Arbeitszufriedenheit.

Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Bedeutung der Arbeit. Sie lag zwar mit 68,9 Punkten (adjustiert) noch scheinbar hoch, ist aber auch im Vergleich mit anderen Berufsgruppen als „relativ niedrig“ zu bewerten, denn dieser Wert wird im COPSOQ Gesamtdatensatz nur noch von Verwaltungsangestellten unterboten. Die relativ niedrigen Werte sind vor allem auf die Antworten zu den ersten beiden Fragen des Faktors: Fragen „Ist Ihre Arbeit sinnvoll?“ sowie „Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit wichtig ist?“ zurückzuführen. Dagegen fühlten sich die Betriebsärzte meist mehr „motiviert und eingebunden in ihre Arbeit“ (dritte Frage) als Krankenhausärzte. Möglicherweise misst eine Reihe betriebsärztlicher Kolleginnen und Kollegen einigen betriebsärztlichen Routinen keine besondere Praxisrelevanz und keine Sinnhaftigkeit bei. Ebenso könnte die Tatsache, dass Präventionsarbeit nur selten messbare Ergebnisse liefert, die niedrigeren Werte für diese Skala erklären. In diesem Fall hätte man dies allerdings auch bei den Sicherheitsingenieuren finden müssen.

In Zusammenhang mit der relativ niedrigen Bedeutung der Arbeit könnten möglicherweise die niedrigeren Werte für Rollenklarheit bei Betriebsärzten stehen. Diese sind auf sämtliche vier abgefragte Aspekte des Faktors zurückzuführen, d.h. auf mehr Unklarheit bezüglich der eigenen Befugnisse, weniger klare Ziele bei der Arbeit, weniger klarer Verantwortungsbereich sowie mehr Unklarheit bezüglich der an einen gestellten Erwartungen. Allerdings reichten die Werte selbständiger Betriebsärzte hier schon fast an die der Krankenhausärzte. Betriebsärzte aus überbetrieblichen Diensten dagegen hatten mit Abstand die ungünstigsten Werte (wie übrigens auch bei Bedeutung der Arbeit; eine differenzierte Untersuchung nach betriebsärztlicher Anstellungsform sprengt den Rahmen dieses Beitrags und wird an anderem Ort erfolgen.)

Für die deutlichen Unterschiede zwischen Krankenhaus- und Betriebsärzten gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: a) unterschiedliche berufliche Exposition und b) unterschiedliche persönliche Ressourcen / Persönlichkeitsstrukturen. Während Ersteres zweifellos zutrifft (und dadurch sicherlich einen großen Teil der Gruppenunterschiede erklärt), kann über b) nur spekuliert werden. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise Ärzte eher in die Betriebsmedizin wechseln, die sich den vielfältigen hohen (auch psychosozialen) Belastungen im Krankenhaus (z.B. durch starre Hierarchien) nicht anpassen wollen oder nicht gewachsen fühlen. Doch selbst wenn diese Spekulation bei einzelnen Betriebsärzten zuträfe, kann nicht angenommen werden, dass sie für alle oder die Mehrzahl gilt, denn die Liste der Motive für die Wahl der betriebsärztlichen Tätigkeit ist zweifellos lang und schließt z.B. das grundsätzliche Interesse an Präventionsarbeit ein.

Grenzen der Untersuchung

Die vorliegende Untersuchung hat – wie so oft bei Befragungen – eine Reihe von methodischen Grenzen, die bei der Interpretation der Ergebnisse zu bedenken sind. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass die ausgewählten Kollektive in hohem Maße repräsentativ für die jeweilige Berufsgruppe sind. Die Daten wurden an unterschiedlichen Zeitpunkten von 2004 bis 2006 und mittels unterschiedlicher Methoden (online, schriftlich) gewonnen und die Kollektive unterschieden sich bezüglich einiger einflussreicher Kenngrößen (z.B. Alter, Frauenanteil). Für einige der potenziellen Verzerrungsfaktoren (Alter, Geschlecht und Befragungsform) wurde statistisch adjustiert, so dass ihr verzerrender Einfluss beim Berufsvergleich reduziert werden konnte. Andere sind nicht direkt kontrollierbar, so die verzerrte Auswahl der Teilnehmer: es kann davon ausgegangen werden, dass Teilnehmer von ArbMedNet (eine der angesprochenen Quellen für die online-Befragung der Betriebsärzte) grundsätzlich ein größeres Interesse am fachlichen Dialog haben als andere betriebsärztliche Kolleginnen und Kollegen, dass sie möglicherweise dann aber kommunikative Defizite auch vermehrt empfinden und daher bei ihnen bestimmte Antworttendenzen zu erwarten sind.

Zwei Argumente sprechen trotz des ausbleibenden Nachweises der Repräsentativität des Kollektivs für die Validität der Befunde und damit die Aussagekraft der Studie:

a) die Plausibilität der Ergebnisse und

b) deren Robustheit: fast alle gefundene COPSOQ-Unterschiede zwischen Betriebsärzten und den beiden übrigen Berufsgruppen gelten auch für sämtliche betriebsärztlichen Untergruppen, sei es bezüglich der betriebsärztlichen Anstellungsform oder der Form der Befragung.

Schlussfolgerungen
Insgesamt legen unsere Ergebnisse nahe, dass es sich bei der betriebsärztlichen Arbeit um eine ausgesprochen positiv erlebte Tätigkeit handelt. Sie hat deutliche Stärken gegenüber zahlreichen anderen – auch anderen ärztlichen.

Dass Betriebsärzte allerdings die Bedeutung der Arbeit – für medizinische Berufe – relativ niedrig bewerten, sollte eine Aufforderung an jeden Einzelnen sein, sich an der gegenwärtigen Diskussion zu Inhalt und Rolle der Arbeits- und Betriebsmedizin in einem sich wirtschaftlich, sozial und auch politisch wandelnden Land (siehe z.B. 4) zu beteiligen und auch die Ausführung seiner eigenen Tätigkeit zu hinterfragen.

Literatur
1. Bundesärztekammer (2006): http://www. bundesaerztekammer.de/30/Arbeitsmedizin/ (letzter Zugang 12.12.2006)

2. Bergner T Burn-out bei Ärzten – Lebensaufgabe statt Lebens-Aufgabe. Dtsch Arztebl 2004;101: 2232–2234

3. Fuß I, Nübling M, Hasselhorn HM, Schwappach D, Rieger MA (in Druck) „Work-family-conflict“ und Mobbing – Prävalenz und Prädiktoren bei Krankenhausärzten in Deutschland. 46. Jahrestagung der DGAUM 2006

4. DGAUM (2006) Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. (DGAUM) (Hrsg.) Arbeitsmedizin heute – Konzepte für morgen, Gentner Verlag, Stuttgart

5. Müntefering F Gemeinsame Arbeitsschutzstrategie. Praktische Arbeitsmedizin 2006;2: 14–15

6. Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F Messung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz: die deutsche Standardversion des COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire). Ergomed 2007;31: 4–9

7. Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F (2006) Measuring psychological stress and strain at work: Evaluation of the COPSOQ – Questionnaire in Germany. GMS Psychosoc Med. 3:Doc05. http://www.egms.de/en/journals/psm/2006–3/psm000025.shtml.

8. Hasselhorn HM, Kompa L, Martini Y, Nübling M Psychosoziale Arbeitssituation von Sicherheitsingenieuren. Der Sicherheitsingenieur 2005;36: 12–18

9. Nübling M, Stößel U, Hasselhorn HM, Michaelis M, Hofmann F (2005) Methoden zur Erfassung psychischer Belastungen – Erprobung eines Messinstrumentes (COPSOQ). Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Fb 1058. NW Verlag Bremerhaven

10. Hasselhorn HM, Rönsch-Hasselhorn B, Arnetz B Evaluation psychosozialer Faktoren in einem Krankenhaus. In: Hofmann F, Reschauer G, Stößel U (Hrsg.) Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst – Band 13. Freiburg: edition ffas 200: 218–226

Hasselhorn, H.M. (1), Nübling, M. (2), Stößel, U. (3), Hofmann, F. (1) Michaelis, M. (2)

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