Arbeitsschutz

Gefährdungen durch künstliche Mineralfasern (KMF) in Luftfahrzeugen der Bundeswehr

Künstliche Mineralfasern mit kritischen Abmessungen und hoher Biobeständigkeit können beim Einatmen eine gesundheitsschädigende Wirkung auslösen. Im Gegensatz zu dem natürlich vorkommenden Asbest handelt es sich hierbei um industriell hergestelltes Isoliermaterial mit sehr guten Dämmeigenschaften. Aus diesem Grund wurden diese Fasern speziell in der Innenraumverkleidung verschiedener Luftfahrzeuge der Bundeswehr, u. a. im Waffensystem BO 105 verwendet . Bei Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, wie z. B. Ein- und Ausbau der Innenverkleidung, treten dadurch hohe Luftraumbelastungen mit KMF auf. Gemäß ArbMedVV sind den betroffenen Arbeitnehmern insbesondere bei Expositionszeiten von über 15 Jahren ohne entsprechende persönliche Schutzausstattung Vorsorgeuntersuchungen nach G 1.3 anzubieten. Im Zeitraum 2009 bis 2011 konnten 111 Fluggerätmechaniker des Waffensystems BO 105 in diese Untersuchung eingeschlossen werden. Bei diesem untersuchten Kollektiv fielen 14 Probanden mit einer veränderten Lungenfunktion sowie drei Probanden mit einem pathologischen Röntgenthorax auf. Kofaktoren wie z. B. Rauchen fanden hierbei Berücksichtigung. Ein gesicherter Zusammenhang zwischen den erhobenen pathologischen Befunden und einer langjährigen KMF-Exposition konnte zu diesem Zeitpunkt nicht hergestellt werden.

1 Vorkommen/Herstellung/ Eignung von künstlichen Mineralfasern
Künstliche Mineralfasern (Abkürzung: KMF) sind amorphe silikatische Fasern aus anorganischem Material. Sie werden aus der mineralischen Schmelze über unterschiedliche Düsen- oder Schleuderverfahren gewonnen. Zur Herstellung von Glaswolle werden z. B. Mischungen aus Flaschenglas oder Fensterglas (ca. 60 %) mit Sand, Soda oder Kalk oder Zusätzen von Chemikalien und Flussmitteln verwendet. Zu den KMF zählen:

· Mineralische Wollen

· Textilglasfasern

· Endlosfasern (sogenannte Whisker)

· Polykristalline Fasern

Sie zeichnen sich durch hervorragende Isoliereigenschaften bei Schall und Wärme aus, sind beständig gegen Hitze und relativ beständig gegen Wasser und Chemikalien. Weiterhin reduzieren sie die Brandgefahr. Rund 95 % der KMF-Produktion entfallen auf Mineralwolle und textile Glasfasern, 5 % auf Keramikfasern und Glasmikrofasern.

Dämmwollen aus Glas und Gestein finden eine breite Anwendung für Wärmedämmung, Kälteschutz, Brandschutz und für die Schallisolierung. Aus diesen Gründen wurden diese Isoliermaterialien in Form von Bordwandplatten am Waffensystem des Hubschraubers BO 105 verwendet.

Eine gesundheitliche Gefährdung kann beim Einatmen von KMF entstehen, vor allem dann, wenn die Fasern kritische Abmessungen aufweisen. Ähnlich wie bei Asbest wirken sie dann krebsinduzierend. Im Feinstaubbereich, bei Faserlängen > 1µm, sind sie besonders schädlich für die Lunge. Bei Hautkontakt können KMF Juckreiz auslösen. KMF – Dämmstoffe, die bis 1996 produziert worden sind, enthalten ca.10 % Fasern, die aufgrund ihrer Länge und Dicke 1988 von der WHO vorbeugend als krebsinduzierend eingestuft wurden (Kategorie 2B). Schon 1993 wurden KMF in Deutschland in der MAK-Werte-Liste (maximale Arbeitsplatz- Richtwerte) in der Gruppe „als ob III A2“ eingestuft. Diese Eingruppierung zeigt bereits, die krebsinduzierenden Wirkungen von KMF dürfen nicht mit einer Gefährdung durch Asbest (Kategorie (III A1)) gleichgesetzt werden.³

Derzeit gibt es keine präzise und wissenschaftlich ausreichend begründete Definition der Faktoren, die eine krebsinduzierende Wirkung von Fasern ausmachen. Jedoch hat man Hinweise auf eine krebserregende Wirkung von Fasern mit kritischen Abmessungen (Abbildung 1).

Nach der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) gibt es mehrere Möglichkeiten der Einstufung von KMF nach der Wirkung auf die Gesundheit: Zum einen werden KMF nach der chemischen Zusammensetzung (Kanzerogenitätsindex) sowie nach der Biobeständigkeit der Fasern (Grundlage für das RAL3-Gütezeichen) klassifiziert.

Der Kanzerogenitätsindex (KI) nach der TRGS 9054 ist ein aus der chemischen Zusammensetzung der Faser berechneter Wert. Dabei gilt: Je kleiner der KI, desto größer das krebserzeugende Potenzial der Faser.

Im Tierversuch wurde für fast alle anorganischen Fasern eine krebsinduzierende Wirkung nachgewiesen. Daher werden auch alle anorganischen Fasern für den Menschen als krebsverdächtig angesehen und, soweit keine weiteren Erkenntnisse vorliegen, nach Kategorie 3 eingestuft.

Seit dem 01.06.2000 sind in Deutschland nur noch Mineralwolle-Dämmstoffe auf dem Markt, die das RAL-Gütezeichen tragen und damit keine krebserzeugende Wirkung mehr haben.

2 Gesundheitsgefährdung: Toxikologie
KMF-Fasern mit ungünstigen Abmaßen und hoher Biobeständigkeit treten in den Innenraumverkleidungen verschiedener Luftfahrzeuge der Bundeswehr, u. a. in der BO 105 auf.

Untersuchungsberichten der WIWEB5 (März bis Juni 2007) und der FA. Eurocopter (Juli 2009) zufolge wurden Innenraumluftkonzentrationen zwischen 131 und 700.000 Fasern/m³ gemessen.

Grenzwerte am Arbeitsplatz liegen bei 500.000 Fasern/m³ bzw. in Innenräumen bei 1.000 Fasern/m³.

Die gemessenen hohen Konzentrationen traten ausschließlich bei Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten, speziell beim Ein- und Ausbau der Innenverkleidung auf (Abbildungen 2 und 3).

Aus Unkenntnis der von der eingebauten Innenverkleidung ausgehenden potenziellen Gefährdung wurden bis 30.09.2009 Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen durch das entsprechende Personal ohne geeignete PSA durchgeführt.

3 Schutzmaßnahmen/PSA
Nach Bekanntgabe, dass bei Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten mit einer potenziellen gesundheitlichen Gefährdung des betroffenen Personals gerechnet werden muss, wurden die nachstehenden Schutzmaßnahmen umgesetzt:

1. Anlegen einer Atemschutzmaske FFP2

2. Tragen von Handschuhen und Einwegschutzanzügen

3. Tragen von geeigneten Schutzbrillen bei Überkopfarbeiten

Seit dem 01.10 2009 wird bei Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Waffensystem BO 105 o. g. PSA getragen.

4 Spezielle Maßnahmen bei Unfällen an der Innenraumverkleidung
Ein besonders umsichtiger Umgang ist bei einer Beschädigung der Innenraumverkleidung erforderlich, da hierbei eine Überschreitung der Grenzwerte regelhaft zu erwarten ist.

Es wurde daher eine kurze Handlungsempfehlung für Wartungs- und Instandsetzungspersonal entwickelt und das Personal entsprechend unten dargestellter Handlungsanweisung unterwiesen:

1. Sofort von der Beschädigung zurücktreten – Umgebung angemessen warnen.

2. Atemschutzmaske anlegen oder je nach Umgebung entsprechend lange lüften.

3. Beschädigung der Verkleidung abkleben.

4. Bei Rückkehr das Wartungspersonal sofort in Kenntnis setzen!

5 Arbeitsmedizinische Vorsorge
Zur Früherkennung von pulmonalen Veränderungen bzw. zur Verhinderung gesundheitlich negativer Auswirkungen für das Wartungs- und Instandsetzungspersonal BO 105 wurde nachstehendes Stufenschema einer arbeitsmedizinischen Vorsorge empfohlen.

1. Personal, welches regelmäßig Umgang bei Wartungs- und/oder Instandsetzungsarbeiten an den Innenraumverkleidungen hat oder hatte, wird eine Untersuchung nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz 1.3 (Mineralischer Staub, Teil 3: Künstlicher mineralischer Faserstaub) angeboten.

2. Personal, welches beim regelmäßigen Umgang mit Innenraumverkleidungen die PSA, insbesondere den vorgeschriebenen Atemschutz trägt, ist nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz 26.2 (Atemschutzgeräte) zu untersuchen.

3. Personal, welches bis zu 15 Jahre ohne PSA einer KMF-exponierten Tätigkeit nachgegangen ist, ist durch die Einheit an ODIN Bw6 zu melden. Eine Untersuchung ist nachgehend (alle fünf Jahre, auch nach Ausscheiden aus der Bundeswehr) im Sinne einer Angebotsuntersuchung zu veranlassen.

4. Personal, welches mehr als 15 Jahre ohne PSA gearbeitet hat, ist nach drei Jahren (in Abhängigkeit von der kumulativen Expositionshöhe, anderen Faserexpositionen und dem Befund) zu untersuchen.

6 Anzahl der bislang durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen
Im Zeitfenster 01.10.2009 bis August 2011 wurden 111 Probanden untersucht (Abbildung 4). Im Rahmen durchgeführter Röntgenthoraxuntersuchungen fielen bei drei Probanden pulmonale, abklärungsbedürftige Befunde auf. Diese wurden mittels eines thorakalen HCT7 weiter abgeklärt. Ein Zusammenhang zwischen den pathologischen Befunden und der langjährigen KMF-Exposition konnte ausgeschlossen werden. Die 14 auffälligen Untersuchungsergebnisse in der Lungenfunktion konnten in der Regel auf ein hyperreagibles Bronchialsystem bei entsprechender atopischer Genese oder Raucherexposition (Nikotinkonsum?) zugeordnet werden.

Ein direkter Zusammenhang auffälliger klinischer oder durch Apparate erhobene Befunde zu einer langjährigen KMF-Faserstaubexposition konnte in keinem Fall hergestellt werden.

7 Zusammenfassung/ Schlussfolgerung
1. In neuen Herstellungsverfahren werden KMF ausschließlich in Verfahren produziert, in dessen Ergebnis Fasern von geringer Biobeständigkeit entstehen. Diese sind entsprechend RAL gekennzeichnet.

2. Eingebaute Innenraumverkleidungen des Waffensystems BO 105 werden nur noch von Fachpersonal unter Beachtung der Schutzmaßnahmen (hierzu wurde eine gesonderte Betriebsanweisung erstellt) ein- und ausgebaut.

3. Beschädigte Verkleidungsteile werden sofort abgeklebt, um anschließend ausgebaut und entsorgt zu werden. Instandsetzungsarbeiten wurden verboten.

4. Die vorhandenen KMF-haltigen krebsinduzierenden Innenraumverkleidungen werden langfristig gegen neue nicht krebsinduzierende KMF ausgetauscht.

Trotz erheblicher Exposition gegenüber KMF älterer Herstellung und damit krebsinduzierender Zusammensetzung konnte keine Signifikanz der erhobenen Befunde in Zusammenhang mit einer langjährigen Exposition gesehen werden.

Mit Dank für die freundliche Unterstützung durch Dipl. Ing. Peter Wolff, FAS Heeresflieger Ausbildungszentrum –Celle

1. Definition von Faserstäuben gemäß TRGS 521

2. World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)

3. Das RAL-Gütezeichen wird für biolösliche und damit nicht krebserzeugende Mineralfaserprodukte vergeben

4. Technische Regel für Gefahrstoffe

5. Wehrwissenschaftliches Institut für Wehr- und Betriebsstoffe

6. Organisationsdienst für nachgehende Untersuchungen der Bundeswehr

7. hoch auflösende computergesteuerte Röntgenschichtaufnahmen der Lunge

Dr. Thorsten Lieboldt

Aktuelle Ausgabe

Partnermagazine

Akademie

Partner