Arbeitsschutz

Pilotstudie zum Effekt von Haltungsfeedback auf die Schmerzen und die Aufrichtung von Personen an Büroarbeitsplätzen

Zusammenfassung Längeres unbewegtes Sitzen in einer zusammengesunkenen Haltung ist ein Risikofaktor für Rückenschmerzen. Sehr häufig werden diese Rückenschmerzen an Büroarbeitsplätzen beobachtet. Ziel dieser Studie war es herauszufinden, inwieweit eine 15-minütige Arbeitsplatzumstellung und Haltungsinstruktion durch einen Physiotherapeuten gefolgt von einem sechswöchigen automatischen Haltungsfeedback 1) die Schmerzen und 2) die Aufrichtung am Büroarbeitsplatz verändert. Schließlich ging es darum, ob 3) eine anschließende zweiwöchige Pause ohne Haltungsfeedback die Aufrichtung verändert. Hierzu wurden sechs Büroarbeiter mit Rückenschmerzen ausgewählt. Am Tag 1 der Messungen wurden die ersten 30 Minuten ohne Feedback aufgezeichnet. Danach erfolgte eine durch einen erfahrenen Physiotherapeuten durchgeführte ca.15-minütige Arbeitsplatzumstellung und Haltungsschulung. Die anschließende 30-minütige Messung wurde ebenfalls ohne Feedback aufgezeichnet. Die nachfolgende und abschließende einstündige Messung über wurde die thorakolumbale Aufrichtung der Probanden aufgezeichnet, während sie ein automatisches Haltungsfeedback erhielten. In den folgenden sechs Wochen erhielten die Probanden das gleiche Haltungsfeedback dreimal zwei Stunden pro Woche. Nach der sechswöchigen Haltungsfeedbackphase folgte eine zweiwöchige Haltungsfeedbackpause, um im Anschluss eine letzte Messung ohne Feedback durchzuführen. Zu Beginn und am Ende der sechswöchigen Haltungsfeedbackphase und nach zweiwöchiger Pause füllten die Probanden einen Schmerzbefund aus. Der Aufrichtungsmittelwert aller sechs Probanden betrug vor der Arbeitsplatzumstellung 40 %, während der sechswöchigen Haltungsfeedbackphase 70 %. Die Aufrichtung der Probanden nahm also um 30 % zu. Gleichzeitig nahmen ihre Schmerzen von 100 % auf 39 % ab. Im Laufe der anschließenden zwei Wochen ohne Feedback, verloren vier von sechs Probanden wieder einen Teil ihrer zuvor gewonnenen Aufrichtung. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen die Ergebnisse der vorhergehenden Studie mit 50 Probanden, wonach ein sechs-wöchiges automatisches Haltungsfeedback dreimal pro Woche in Verbindung mit einer vorangegangenen Arbeitsplatzumstellung und Haltungsschulung durch einen erfahrenen Physiotherapeuten zu einer aufrechteren Haltung und zu einer klinisch signifikanten Schmerzreduktion führen. Im Anschluss an das sechswöchige Haltungsfeeback kann es für manche Büroarbeiter nötig sein, die erreichte Mehraufrichtung durch ein gelegentliches „Auffrischungs-Training“ zu erhalten. Schlüsselwörter

1. Universitätsklinik für Zahn-, Mund –und Kieferheilkunde

· Büroarbeit

· Rückenschmerzen

· Haltungsfeedback

· thorakolumbale Aufrichtung

· office work

· back pain

· posture feedback

· thoracolumbar extension

Rückenprobleme bei Personen an Büroarbeitsplätzen
Die Prävalenz von muskuloskelettalen Beschwerden an Büroarbeitsplätzen mit PC ist hoch (Bracci 2007, Iwakiri 2004, Korhonen 2003). Zum Beispiel hatten von 107 Büroarbeitern am Tag der Befragung 51 % der Frauen und 28 % der Männer Rückenschmerzen (Fischer 2013).

Eine Möglichkeit, muskuloskelettale Beschwerden unter Büroarbeitern zu verringern, ist eine ergonomische Arbeitsplatzumstellung. In einer Studie mit 200 Probanden (Pillastrini 2007) erhielten 100 eine Broschüre mit Informationen zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung und kleinen Erholungspausen. Die anderen 100 erhielten zusätzlich zu der Broschüre noch eine individuelle Einstellung der eigenen Haltung und des Arbeitsplatzes durch einen Physiotherapeuten. Letztere Gruppe verzeichnete eine deutlich stärkere Schmerzreduktion in den Bereichen Schulter, Handgelenk / Hand, HWS und LWS, wobei die Schmerzreduktion in der HWS und vor allem der LWS am deutlichsten war.

Eine andere Möglichkeit ist die 32 % / 46 % thorakolumbale Aufrichtung bei Frauen/Männern an Büroarbeitsplätzen (Fischer 2013) durch Haltungsfeedback zu fördern. So wurde in einer Studie (Waibel 2013) untersucht, ob sich Rückenbeschwerden durch ein Vibrationsfeedback verbessern lassen, das automatisch durch eine zusammengesunkene Haltung ausgelöst wird. Die 50 Probanden der Studie trainierten ihre Haltung sechs Wochen lang 3 x 3 Stunden pro Woche mit dem automatischen Haltungsfeedback. Dieses Training führte zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Rückenstreckerkraft, Wirbelsäulenbeweglichkeit und zu subjektivem Wohlbefinden.

Nachdem also mit quantitativen Studien festgestellt wurde (Pillastrini 2007, Fischer 2013), dass eine ergonomische Arbeitsplatzumstellung und automatisches Haltungsfeedback muskuloskelettale Beschwerden unter Büroarbeitern statistisch signifikant verringern können, wollte die vorliegende Pilotstudie anhand von sechs Einzelfällen qualitativ beschreiben, um wie viel Prozent sich die thorakolumbale Wirbelsäule infolge der Interventionen „ergonomische Arbeitsplatzumstellung“ und „automatisches Haltungsfeedback“ aufrichtet.

Zudem sollte festgestellt werden, wie sich die muskuloskelettalen Beschwerden der sechs Probanden in Folge der ergonomischen Arbeitsplatzumstellung und des automatischen Haltungsfeedbacks veränderten. Schließlich sollte untersucht werden, ob auch 3 x 2 Stunden automatisches Haltungsfeedback pro Woche zu mehr Aufrichtung und weniger Beschwerden führen.

Die Ergebnisse sollten ein erster Schritt zur Beantwortung der Frage sein, wie viel thorakolumbale Aufrichtung muskuloskelettale Beschwerden am effektivsten verringert und wie sich dieses Maß an Aufrichtung erreichen lässt.

Wissenschaftliche Fragen
Ziel der Studie war es, festzustellen, welchen Effekt eine Intervention in Form einer 15-minütigen Arbeitsplatzumstellung mit Haltungsanleitung gefolgt von einem 6-wöchigem automatischem Haltungsfeedback mit 3 x 2 Stunden pro Woche auf die thorakolumbale Aufrichtung und die Schmerzen von Büroarbeitern haben kann.

Im Einzelnen wurden folgende Null-Hypothesen in der vorliegenden Studie untersucht:

· Null-Hypothese I: Die Intervention beeinflusst Schmerzen nicht.

· Null-Hypothese II: Die Aufrichtung unmittelbar vor und nach der Haltungsfeedbackphase unterscheidet sich nicht.

· Null-Hypothese III: Die Aufrichtung vor und nach der zweiwöchigen Pause im Anschluss an die Haltungsfeedbackphase unterscheidet sich nicht.

Probanden
Für die Studie wurden die Daten von sechs Probanden (Tabelle 1) mit vorwiegend sitzender Arbeitstätigkeit am Schreibtisch mit PC-Arbeit ausgewertet. Voraussetzung für die Studienteilnahme waren Rückenschmerzen. Als Ausschlusskriterien für die Studienteilnahme galten Schmerzen, die sich durch aufrechte Haltung verstärken, eine unbewegliche Wirbelsäule, Schwangerschaft und ein Herzschrittmacher.

Anwendung und Funktion des Haltungstrainers
Das automatische Haltungsfeedback erfolgte mit einem elektronischen Haltungstrainer (www.haltungstrainer.de). Der Haltungstrainer (Abbildung 1) ist ein valides und zuverlässiges Instrument zur Messung thorakolumbaler Aufrichtung (Fischer 2008). Er wird bei Männern und Frauen wie eine Pulsuhr mit einem Gurt um den Brustkorb getragen und wahlweise über dem T-Shirt oder auf der Haut befestigt. Der Haltungstrainer speichert den Aufrichtungsmesswert einmal pro Sekunde.

Festlegung der Feedbackschwelle
Zu Beginn der Messungen saßen die Probanden an ihrem Arbeitsplatz und ließen sich bis zu dem Punkt zusammensinken, ab dem sie ein Feedback wünschten. Diese Haltung wird am Haltungstrainer per Knopfdruck als Feedbackschwelle abgespeichert. Sinkt die Wirbelsäule weiter zusammen, vibriert der Haltungstrainer bis der Benutzer sich wieder über die Feedbackschwelle hinaus aufrichtet. Somit macht das Vibrationssignal jedes unbewusste Zusammensinken, das die Feedbackschwelle überschreitet, bewusst. Dies gibt dem Benutzer die Chance, sich frühzeitig aufzurichten, bevor die Wirbelsäule so überlastet wird, dass sie sich per Schmerz als körpereigenem Signal bemerkbar macht.

Messung der Aufrichtung
Nach Festlegen der Feedbackschwelle wurden die Probanden aufgefordert, eine maximal zusammengesunkene Sitzhaltung einzunehmen. Gleichzeitig wurde ein Knopf des Datenloggers gedrückt, um den entsprechenden Aufrichtungswert zu markieren. Die Aufrichtungsposition „Null“ war „ganz zusammengesunken“. Die darauf folgenden Positionen eins bis vier waren „in vier gleich großen Schritten“ bis in eine maximal mögliche Aufrichtungsposition, das heißt bis zum Anschlag ins Hohlkreuz.

Diesen Positionen wurden entsprechend 0, 25, 50, 75 und 100 % Aufrichtung zugeordnet (Abbildung 2). Die Werte zwischen diesen Positionen wurden proportional nach der Nähe zur nächsten Position bewertet. Lag ein Messwert zum Beispiel genau in der Mitte zwischen den Positionen 25 % und 50 % Aufrichtung, wurde er als 37,5 % Aufrichtung gewertet.

Trainingshäufigkeit und Dauer
Die Probanden dieser Studie trugen den Haltungstrainer 3 x 2 Stunden pro Woche. Dabei wurden die Probanden aufgefordert, zur Erholung ein bis zwei Tage Pause zwischen den Trainingseinheiten zu lassen.

Datenauswertungs-Software
Für die Datenauswertung wurden die gespeicherten Daten nach der Messung auf einen Computer überspielt und als Microsoft Office Excel 2003 -Tabelle gespeichert wie auch ausgewertet. Die Darstellung von Schmerz und Aufrichtung als Liniendiagramm erfolgte ebenfalls mit Microsoft Office Excel 2003.

Detaillierter Schmerzbefund
Für die Schmerzaufnahme wurde ein Schmerbefund (Abbildung 7) verwendet, der die Lokalisation der Schmerzen anzeigt. Die Schmerzen wurden auf einer Skala von null bis zehn so bewertet, wie sie typisch für die letzten fünf Arbeitstage waren.

Er wurde von den Probanden zu Beginn der sechswöchigen Aufzeichnung (Tag 1), nach sechswöchiger Trainingsphase (Tag 18) und nach der anschließenden zweiwöchigen Pause (Tag 19) ausgefüllt.

Fragebogen zur subjektiven Einschätzung des Effekts und Nutzens von Haltungstraining
Rund neun Monate nach der letzten Messung füllten die Probanden einen Fragebogen aus (Tabelle 3), der die subjektive Bewertung des Haltungstrainings und seiner Effekte abfragte.

Versuchsablauf
Der Versuchsablauf ist in Abbildung 3 dargestellt. Tag 1 der Messungen gliederte sich in drei Abschnitte: In der ersten halben Stunde wurde kein Feedback eingestellt, damit die habituelle Haltung der Probanden aufgezeichnet werden konnte (t1a). Nach dieser halben Stunde erfolgte eine 15-minütige Arbeitsplatzumstellung, um eine ergonomischere Sitzhaltung überhaupt möglich zu machen. Die Arbeitsplatzumstellung beinhaltete auch eine ca. fünfminütige Anleitung in aufrechter Sitzhaltung durch einen Physiotherapeuten.

Abbildung 4 zeigt einen Probanden vor der Arbeitsplatzumstellung mit gekrümmter Wirbelsäulenhaltung und einem zu niedrig eingestellten Bürotisch. Abbildung 5 zeigt die deutliche Verbesserung der Haltung nach erfolgter Arbeitsplatzumstellung. Die zweite halbe Stunde wurde wiederum ohne Feedback gewählt, da die Folgen der Arbeitsplatzumstellung allein aufgezeigt werden sollten (t1b). Die zweite und letzte Stunde von Tag 1 erfolgte mit automatischem Haltungsfeedback und entsprach damit dem Feedbacktraining, das in den folgenden sechs Wochen dreimal zwei Stunden pro Woche durchgeführt wurde.

Nach dem sechswöchigen Haltungstraining wurde eine zweiwöchige Pause eingelegt, um dann letztmals eine einmalige zweistündige Messung ohne Feedback, das heißt ohne Vibration, durchzuführen. Diese Messung sollte zeigen, ob und wie sich die Haltung nach der zweiwöchigen Pause verändert hatte, um einen Hinweis auf die Nachhaltigkeit des Trainings zu bekommen.

Statistische Methoden
Die Aufrichtung (siehe „Messung der Aufrichtung“) der Probanden an den Messtagen t1a, t1b, t1c, t2-18 und t19 wurden als Mittelwerte dargestellt (Abbildung 8). In Abbildung 6 wurden die Schmerzen jedes Probanden zu Beginn des Haltungstrainings einheitlich mit 100 % festgelegt. Die weitere Schmerzentwicklung wurde in Relation dazu per Dreisatz ermittelt.

Schmerzbefund
Die Auswertung des Schmerzbefundes zeigte, dass alle Probanden nach dem sechswöchigen Haltungsfeedback (t18) deutlich weniger Schmerzen hatten als zu Beginn der Studie (t1a). Nach der anschließenden zweiwöchigen Haltungstrainingspause (t 19) hatten sich Schmerzen im Vergleich zu t18 wenig verändert (Abbildung 6). Die Schmerzintensität wurde an Tag 1 mit 100 % festgesetzt (Abbildung 6). An Tag 18 (letzter Tag der Feedbackphase) betrug die Schmerzintensität im Vergleich dazu durchschnittlich 40 % (Schmerzreduktion zwischen 16-92 %) und am Tag 19 (nach zweiwöchiger Feedbackpause) 39 %. Die am häufigsten genannten Schmerzlokalisationen waren im Kopf- und Nackenbereich Abbildung 7). Die größte Schmerzreduktion fand sich im Bereich der rechten Hand bzw. des rechten Arms, im Nacken- und Schulterbereich und Kopf (Tabelle 2).

Tabelle 3 zeigt die Antworten der Probanden bezüglich des von der Studienleiterin selbst entworfenen Fragebogens. Alle Probanden gaben an, dass ihre Schmerzen im Laufe des Haltungstrainings nachließen, während ihr Wohlbefinden zunahm. Die Motivation, den Haltungstrainer regelmäßig zu tragen, wurde von vier Probanden mit „groߓ beantwortet, von den restlichen beiden Probanden mit „mittel“. Alle Probanden fanden das Feedback hilfreich.

Eine weitere relevante Information war die Bewertung, ob die spürbare Verbesserung des Wohlbefindens und der Schmerzen den Aufwand des Haltungstrainings rechtfertigte. Alle sechs Probanden beantworteten dies mit „Ja“.

Fünf Probanden fühlten sich am Ende des Haltungstrainings „viel besser“, ein Proband fühlte sich „etwas besser“.

Wie groß die gefühlsmäßige Reduktion der Rückenschmerzen zum Ende des Haltungstrainings war, gaben vier Probanden mit „groߓ an, die restlichen beiden Probanden mit „mittel“.

Aufrichtung
Abbildung 8 gibt die Durchschnittswerte der thorakolumbalen Aufrichtung von t1a, t1b, t1c, t2-18 und t19 an. Zu erkennen ist, dass alle Probanden am Tag 19 (t19) deutlich aufrechter waren als am ersten Tag (t1a). Ebenfalls ist die Mehraufrichtung nach der Arbeitsplatzumgestaltung (t1b) im Vergleich zu Beginn der Aufzeichnung (t1a) zu erkennen. Der Aufrichtungsmittelwert aller Probanden betrug am Tag 1a: 40 %, am Tag 1b: 70 %, am Tag 1c: 72 % und an den Tagen 2-18: 70 %. Am Tag 19 betrug der Aufrichtungsmittelwert 62 %.

Klinische Relevanz
Diese Pilotstudie hat gezeigt, dass eine 15-minütige Arbeitsplatzumstellung und Haltungsanleitung gefolgt von einem automatischen Haltungsfeedback 2 x 3 Stunden/Woche über 6 Wochen bei allen 6 Probanden zu einer subjektiven Verbesserung von Schmerz (Tabelle 2), Wohlbefinden und Aufrichtung führte. Im Fall der Aufrichtung deckte sich die subjektive Einschätzung mit den objektiven Messwerten der Aufrichtung (Abbildung 8).

Bestätigt wird der festgestellte Zusammenhang von Aufrichtung und Wohlbefinden auch durch die vorhergehende Haltungstrainer-Studie (Waibel 2013), in der 50 Probanden ihre Aufrichtung ebenfalls dreimal pro Woche sechs Wochen lang mit Haltungsfeedback verbesserten. Hierdurch kam es neben einer messbaren Verbesserung von Kraft und Beweglichkeit ebenfalls zu einer Verbesserung des Wohlbefindens.

In Anbetracht dieser beiden Studien erscheint die erreichte Mehraufrichtung insofern klinisch relevant, als dass sie positive strukturelle (Muskelaufbau) und funktionelle (verbesserte Beweglichkeit) Veränderungen sowie eine Schmerzreduktion bewirkt.

Repräsentative Stichprobe in Bezug auf die habituelle Aufrichtung
Beobachtet man den Verlauf der prozentualen Aufrichtung jedes Probanden während der sechswöchigen Haltungstrainerphase, erkennt man durchweg eine Steigerung der thorakolumbalen Wirbelsäulenaufrichtung.

Vor dem Haltungstraining saßen die Probanden bei durchschnittlich 40 % ihrer maximalen Aufrichtungsfähigkeit. Dieser Ausgangswert ist vergleichbar mit einer Haltungsstudie (Fischer 2013), für die 107 Personen im Sitzen an Büroarbeitsplätzen vermessen wurden. Hierbei ergab sich eine durchschnittliche Aufrichtung von 39 %. Dies spricht dafür, dass die habituelle Aufrichtung der sechs Probanden der vorliegenden Studie für sitzende Büroarbeit repräsentativ war.

Bei wie viel Prozent Aufrichtung sollten die Feedbackschwelle und die Arbeitshaltung liegen?
Die Probanden der vorliegenden Studie konnten frei wählen, bei wie viel Prozent Aufrichtung sie ihre Feedbackschwelle wählten. Im Schnitt wählten sie ihre Feedbackschwelle bei 50 % Aufrichtung. Das sind 10 % über ihrer durchschnittlichen habituellen Aufrichtung von 40 % und 20 % unter den durchschnittlich 70 % Aufrichtung während des Haltungsfeedbacks. Dies beweist nicht, wie viel Aufrichtung optimal ist, zeigt aber zumindest, dass eine Feedbackschwelle bei 50 % Aufrichtung eine Aufrichtung um 70 % erzielen und Rückenschmerzen effektiv reduzieren kann. Um genau herauszufinden, wie viel Prozent Aufrichtung Schmerzen am effektivsten reduzieren und verhindern, könnte die Feedbackschwelle in einer weiteren Studie bei 50 %, 60 %, und 70 % Aufrichtung vorgegeben werden. Auf diese Weise ließe sich herausfinden, ob eine dieser Vorgaben die Schmerzen besonders effektiv reduziert. Es erscheint aber nicht unwahrscheinlich, dass sich die freie Wahl der Feedbackschwelle wie in der vorliegenden Studie – zumindest für körperbewusste Menschen – als am effektivsten erweisen würde, weil sie ihnen erlaubt, ihre Aufrichtung auf die aktuelle Tagesform adäquat einzustellen.

Nachhaltigkeit des Trainingseffekts
Der Vergleich zwischen dem durchschnittlichen Aufrichtungswert der sechswöchigen Haltungsphase (Tag 2-18) und Tag 19 ergab, dass lediglich zwei der sechs Probanden nach der zweiwöchigen Trainingspause geringfügig aufrechter waren (Abbildung 8). Die restlichen vier Probanden lagen unterhalb des Durchschnittswertes von Tag 2-18 (Abbildung 8). Dies zeigt, dass die durch ein sechswöchiges Haltungstraining gewonnene Aufrichtung bei manchen Büroarbeitern nach Beendigung des Haltungsfeedbacktrainings wieder nachlässt. Für sie mag die sechswöchige Haltungstrainingsphase unter Umständen zu kurz gewesen sein, um Rückenbeschwerden auf lange Sicht zu vermindern.

Um dauerhaft aufrecht zu bleiben, benötigen diese Personen vermutlich eine Feedback-Auffrischung, um nicht in alte und falsche Haltungsmuster zurückzurutschen. Wie oft dieses Auffrischungstraining nach den ersten sechs Wochen nötig ist – ob zum Beispiel einmal pro Woche genügen würde – muss in Folgestudien geklärt werden. Dass aber nicht bei allen Menschen die Aufrichtung nach Abschluss eines sechswöchigen Haltungstrainings wieder nachlässt, zeigen sowohl die zwei Probanden dieser Studie, die nach zweiwöchiger Pause sogar noch leicht an Aufrichtung zulegten, als auch eine 20-köpfige Kontrollgruppe einer vorigen Studie mit 50 Probanden (Waibel 2013). Bei dieser Kontrollgruppe nahm der in sechs Wochen gewonnene Kraftzuwachs der Rückenstrecker von 14,3 Nm (von 247,4 auf 261,7 Nm) auch sechs Wochen nach dem Training sogar noch leicht um weitere 2,7 Nm zu (Waibel 2013).

Die offene Frage 10 des Fragebogens (Tabelle 3) ergab, dass die Schmerzen der Probanden auch neun Monate nach dem Haltungstraining immer noch spürbar verringert waren.

Interessant wäre es, in einer Folgestudie zu untersuchen, wie nachhaltig die deutliche Mehraufrichtung der Probanden in Folge der 15-minütigen Arbeitsplatzumstellung und Haltungsschulung durch den Physiotherapeuten (Tag 1b) ist. In der vorliegenden Studie wurde die alleinige Wirkung dieser Intervention nur 30 Minuten lang gemessen. Danach setzte das automatische Haltungsfeedback ein. In einer Folgestudie könnte das automatische Haltungsfeedback z. B. erst in der zweiten Trainingswoche hinzugefügt werden. Damit ließe sich deutlicher unterscheiden, wie effektiv die Interventionen „15 Minuten Arbeitsplatzumstellung und Haltungsanleitung“ und „sechs Wochen automatisches Haltungsfeedback“ einzeln betrachtet sind. Eine Studie an Zahnmedizinstudenten (Becker 2012) lässt jedoch vermuten, dass die Haltungsschulung durch den Physiotherapeuten und die Arbeitsplatzoptimierung allein nur bedingt nachhaltig sind, wenn sie nicht durch ein folgendes automatisches Haltungsfeedback unterstützt werden. In dieser Studie wurde kein automatisches Haltungsfeedback eingesetzt. Die 22 Probanden dieser Studie waren bei ihrer sitzenden Tätigkeit zu Beginn der Studie 44 % aufgerichtet. Nach Haltungsschulung durch den Physiotherapeuten und einer Anleitung in Arbeitsplatzoptimierung waren es 63 % Aufrichtung. Eine Woche später waren es nur noch 48 %.

Ergonomische Hilfsmittel
Schließlich könnte in weiteren Studien ohne Haltungsfeedback untersucht werden, wie effektiv diverse Hilfsmittel wie ergonomische Sitze, Tische, Buchstützen etc. die Aufrichtung verbessern.

Schlussfolgerung und Ausblick
Bei allen sechs Probanden dieser Studie hatte eine Intervention in Form einer 15-minütigen Arbeitsplatzumstellung und Haltungsanleitung gefolgt von einem sechswöchigem automatischem Haltungsfeedback mit 3 x 2 Stunden pro Woche einen positiven Einfluss sowohl auf die Haltung als auch auf die Schmerzreduktion und das Wohlbefinden. Für sich allein betrachtet ließen sich diese Ergebnisse aufgrund der kleinen Stichprobengröße von nur sechsProbanden nur sehr begrenzt verallgemeinern. Da die Vorgängerstudie mit 50 Teilnehmern aber zum gleichen Ergebnis kam (Waibel 2013), kann davon ausgegangen werden, dass die festgestellte Mehraufrichtung, Schmerzreduktion und das gesteigertes Wohlbefinden eine reproduzierbare und typische Reaktion auf die genannte Intervention sind.

Der Haltungstrainer in Kombination mit einer 15-minütigen Beratung und Arbeitsplatzumstellung durch einen Physiotherapeuten erscheint daher bei Personen mit sitzender Tätigkeit, z. B. bei Personen an Bildschirmarbeitsplätzen, eine geeignete Lösung für das viel beklagte, aber bislang wenig konsequent angegangene Problem der zusammengesunkenen Haltung.

Literatur

1. Bracci M, Crocone N, Baldassari M et al. Low back pain in VDT operators: importance of sports activities. G Ital Med Lav Ergon 2007; 29: 563–564.

2. Iwakiri K, Mori I, Sotoyama M et al. Survey on visual and musculoskeletal symptoms in VDT workers. Sangyo Eiseigaku Zasshi 2004; 48:201–212.

3. Korhonen T, Ketola R, Toivonen R et al.Work related and individual predictors for incident neck pain among office employees working with video display units. Occup Environ Med 2003; 60: 475–482.

4. Fischer P, S. Battes S, D. Axmann, Engel E. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Haltung und Rückenschmerz an Computer-Arbeitsplätzen. Physioscience 2013; 9(2): 59–64.

5. Pillastrini P, Mugnai R, Farneti C et al. Evaluation of two preventive interventions for reducing musculoskeletal complaints in operators of video display terminals. Phys Ther 2007; 87: 536–544.

6. Waibel C, Fischer P, Rapp W et al. Haltungsfeedback am PC-Arbeitsplatz –Auswirkungen auf Kraft, Mobilität, Wohlbefinden und Aktivitätsniveau. ErgoMed 2013; 2: 32–38.

7. Fischer P. Ist Haltung messbar? ErgoMed 2008; 3: 68–73.

8. Becker J. Ergonomietrainingseffekt auf die Haltung, Rückenschmerzen und die Präparationsqualität Zahnmedizinstudenten. Dissertation Universität Tübingen; 2012.

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