Arbeitsschutz

Vorbeugender Gesundheitsschutz in der Bundeswehr – ein interdisziplinärer Ansatz1

Schädlingsbekämpfung in Vaduz – Foto: Krabbe

Die Bundeswehr befindet sich vor dem größten Umbau ihrer Geschichte. Ziel der Neuausrichtung ist insbesondere die Schaffung durchhaltefähiger und flexibler Einsatzstrukturen. Für die Angehörigen der Streitkräfte impliziert dies das Erfordernis hoher körperlicher und psychischer Leistungsfähigkeit.

Im Zusammenhang mit der Neuausrichtung kommen der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten und Verletzungen eine besondere Rolle zu. Zusammen mit der kurativen Medizin und der Rehabilitation bilden sie die Säulen des sanitätsdienstlichen Versorgungssystems der Bundeswehr.

Während Prävention auf die Reduzierung von Belastungen zielt, steht bei gesundheitsfördernden Maßnahmen die Stärkung von Ressourcen im Vordergrund. Dieser salutogenetische Ansatz geht damit über die Vorstellungen des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes hinaus.2

Die Stärke der Bundeswehr liegt dabei in der Verzahnung zwischen sanitätsdienstlichen Versorgungseinrichtungen im Inland und in den Einsatzgebieten einerseits und fachlich-wissenschaftlicher Expertise auf Ämterebene sowie in den medizinischen Ressortforschungseinrichtungen andererseits. Erkenntnisse aus Praxis und Forschung können so in die Entwicklung von Konzepten zur Gesundheitsförderung und Prävention einfließen, die militärischen Spezifika Rechnung tragen:

· Auslandseinsätze: physische (z. B. durch extreme Umwelt- und Klimabedingungen) und psychosoziale (z. B. durch eingeschränkte Privatsphäre, lange Trennungszeiträume von der Familie, fremde Umgebung, Angst vor Verwundung, Verletzung, Krankheit, Tod) Belastungen, Gefährdung durch Infektionskrankheiten.

· Gestiegene körperliche Anforderungen bei gleichzeitig gesunkener körperlicher Leistungsfähigkeit in der Gesamtbevölkerung.

· Gestiegene Anforderungen an Mobilität und Flexibilität durch häufige Versetzungen, Übungsvorhaben und Einsätze verbunden mit planerischer Unsicherheit.

Das breite Aufgabenspektrum erfordert die Kooperation zahlreicher medizinischer Fachgebiete wie Arbeitsmedizin, Hygiene und Umweltmedizin, Tropenmedizin, Sport- sowie auch Ernährungsmedizin. Im interdisziplinären Kontext fließen zudem die Erkenntnisse der Arbeits- und Organisations- sowie der Gesundheitswissenschaften ein.

Arbeitsmedizin
Die Arbeitsmedizin bei der Bundeswehr ist in zwei Bereichen organisiert. Während die bei den vier regionalen Sanitätskommandos angesiedelten Arbeitsschutzärzte die öffentlich-rechtliche Aufsicht wahrnehmen, erfolgt die betriebsärztliche Betreuung der Bundeswehrdienststellen durch bundeswehreigene Betriebsarztgruppen sowie zivile Vertragsnehmer. Sowohl die Betriebsarztgruppen als auch die Laborabteilung IV des Zentralen Institutes der Bundeswehr Koblenz und das Institut für den medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr sind fachdienstlich dem Leitenden Betriebsarzt beim Sanitätsamt der Bundeswehr zugeordnet. Eine ausführliche Darstellung zu Aufgaben und Organisation der Gruppe Arbeits- und Umweltmedizin im Sanitätsamt der Bundeswehr findet sich bereits in der Ausgabe 6/2011 dieser Zeitschrift3 (Hinweis: im Zuge der aktuellen Bundeswehrstrukturreform sind hier organisatorische Änderungen zu erwarten). Die gesetzlichen Rahmenvorgaben für die betriebsärztliche Betreuung finden augrund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten regelmäßig auch im Auslandseinsatz analog Anwendung. Arbeitsmedizinische Expertise wird dabei je Einsatzkontingent durch einen auf einem temporären Dienstposten ausgebrachten Betriebsarzt sichergestellt.

Hygiene und Umweltmedizin
Das Gebiet Hygiene und Umweltmedizin umfasst die Erkennung, Erfassung, Bewertung sowie Vermeidung schädlicher exogener Faktoren, welche die Gesundheit des Einzelnen oder der Bevölkerung beeinflussen sowie die Entwicklung von Grundsätzen für den Gesundheitsschutz und den gesundheitsbezogenen Umweltschutz. Hier bildet die Bundeswehr ein breites Spektrum von der Feld-, Liegenschafts- und Umwelthygiene bis hin zur Krankenhaushygiene und der Hygiene sonstiger Sanitätseinrichtungen ab und wirkt dabei im internationalen Verbund mit den Partnernationen. Einen besonderen Stellenwert nimmt die enge Kommunikation zwischen den vier Kommandohygienikern in den Sanitätskommandos, den leitenden Hygienikern im Einsatz und der zuständigen Fachabteilung im Sanitätsamt der Bundeswehr ein.

Die „Krankenhaushygiene und Hygiene sonstiger Sanitätseinrichtungen“ stellt die Umsetzung gesetzlicher Grundlagen sowie der Vorgaben des Robert-Koch-Institutes zur Infektionsprävention in der Bundeswehr sicher. Dazu gehören vorrangig das Erfassen und Bewerten nosokomialer Infektionen sowie eine stetige Anpassung des Hygiene-Managements und des Surveillancesystems.

Des Weiteren ist die Erstellung und Definition der Anforderungen an die hygienegerechte Aufbereitung von Medizinprodukten im Sinne des Medizinproduktegesetzes zu gewährleisten, was insbesondere Auswirkungen auf die bauliche und funktionale Gestaltung der Einsatzlazarette in den Einsätzen der Bundeswehr hat.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt in der Influenza- und sonstigen Seuchenschutzplanung, die die Umsetzung eines Frühwarnsystems einschließt.

Tropenmedizin und „Medical Intelligence“
Das Auftragsspektrum der Bundeswehr unterliegt keiner geografischen Beschränkung mehr. Insbesondere potenzielle Einsatzgebiete in tropischen Regionen stellen hohe Anforderungen sowohl an die Physiologie als auch an die Psyche der dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Neben extremen klimatischen Bedingungen sieht sich die Bundeswehr mit einem breiten Spektrum endemischer Infektionserkrankungen konfrontiert.

Hierzu bedarf es neben praktisch-tropenmedizinischer Kenntnisse auch infektionsepidemiologischer und entomologischer (Insektenkunde) Expertise sowie entsprechenden tropenmikrobiologischen und infektiologischen Wissens.

Neben dem Impfwesen obliegt der Abteilung Präventivmedizin des Sanitätsamtes die fachliche Abstimmung der tropenmedizinischen Maßnahmen in der Bundeswehr. Insbesondere mit dem Fachbereich Tropenmedizin des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg mit Sitz am Bernhard-Nocht-Institut (BNI) sowie der Laborgruppe „Medizinische Zoologie“ des Zentralen Institutes der Bundeswehr Koblenz besteht eine enge Zusammenarbeit.

Einen besonderen Aspekt der Präventivmedizin stellen die Risikoabschätzung und -bewertung im Hinblick auf Infektionskrankheiten, Zoonosen, Tierseuchen und Umweltbedingungen (Klima, Geografie, Toxine etc.) im Rahmen von „Medical Intelligence“ dar. Unter „Medical Intelligence“ (MEDINT) versteht man die Gewinnung von Informationen zu Erkrankungen in verschiedenen Ländern, zu aktuellen Ausbruchsgeschehen und anderen medizinisch relevanten Besonderheiten. Dabei gilt es einsatzvorbereitend und einsatzbegleitend tropenmedizinisch-entomologische, infektionsepidemiologische, veterinärmedizinische und umweltmedizinisch-toxikologische Expertise kombiniert zur Anwendung zu bringen. Dies schließt auch Risikoanalysen vor Ort mit ein, aus denen stets eine an den individuellen Standort und jeweiligen Zeitpunkt angepasste Empfehlung zu geeigneten Interventionen steht. So konnte etwa durch entsprechende Maßnahmen der Expositionsprophylaxe in Masar-e-Sharif eine Übertragung der dort massenhaft vorkommenden Erreger der kutanen Leishmaniose auf deutsche Soldatinnen und Soldaten im Gegensatz zu leidvollen Erfahrungen von Partnernationen bis auf wenige Einzelerkrankungen vermieden werden.

Sport- und Ernährungsmedizin
Bewegung und Ernährung haben einen wesentlichen Einfluss auf die körperliche Leistungsfähigkeit und spielen eine wichtige Rolle bei der Prävention von Krankheiten. Die Erkenntnisse der Sport- und Ernährungsmedizin fließen dabei unmittelbar in die Entwicklung von Programmen zur positiven Beeinflussung des Lebensstils ein und bilden damit die Grundlage dafür, fordernden körperlichen Belastungen auch unter extremen klimatischen Bedingungen gewachsen zu sein.

Im Folgenden sollen einzelne Themenschwerpunkte der Gesundheitsförderung und Prävention in der Bundeswehr exemplarisch vorgestellt werden.

Life-Style-Faktoren
Eine Vielzahl chronischer Erkrankungen ist mit ungünstigen Lebensstilfaktoren wie Bewegungsmangel, unausgewogener Ernährung, Alkohol- oder Nikotinabusus assoziiert. Der gesellschaftliche Trend einer Zunahme chronischer Gesundheitsstörungen macht auch vor den Streitkräften nicht halt. So steigt in den Armeen der NATO-Partner der Anteil übergewichtiger Soldatinnen und Soldaten, was zu wachsenden finanziellen, wie auch militärischen Problemen führt. Diese Entwicklung dürfte vornehmlich auf die Kombination ungünstiger Ernährungsgewohnheiten und massiver Reduktion von Bewegung in Beruf und Alltag zurückzuführen sein. Es bedarf daher nachhaltiger Konzepte und Programme zur allgemeinen und individuellen Gesundheitsbildung. Ziel muss es sein, Soldatinnen und Soldaten zu einem aktiven und verantwortungsbewussten Lebensstil zu motivieren. Positive Beispiele reichen von einer breit angelegten, niedrigschwelligen Aufklärungskampagne („Fit for Life“), der Etablierung eines truppennahen ambulanten Adipositas-Interventionsprogrammes auf Ebene der Regionalen Sanitätseinrichtungen bis hin zu einem Pilotprojekt der betrieblichen Gesundheitsförderung, das neben einem umfassenden Gesundheits-/Fitnesscheck auch regelmäßige Vorträge, eine Beteiligung der Verpflegungseinrichtungen sowie ein umfangreiches Sportangebot beinhaltet.

Unfälle und Verletzungen
Sogenannte „Non-Battle-Injuries“, also Verletzungen ohne Feindeinwirkung etwa im Rahmen von Ausbildung und Sport, stellen im Grundbetrieb und bei Einsätzen eine Belastung für das sanitätsdienstliche Versorgungssystem dar. Neben einer persönlichen Beeinträchtigung verursachen sie einen bedeutenden „Produktivitätsverlust“ in den Streitkräften. Hier gilt es, in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsschutz, den Ursachen nachzugehen und effektive Wege zu finden, um „riskantes“ Verhalten zu verändern und so die Gefahr von Unfallverletzungen zu reduzieren.

Psychische Gesundheit
Psychische Störungen haben in den vergangenen Jahren eine zunehmende Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren. Nicht zuletzt wird eine Kausalität zu möglichen Fehlbeanspruchungen am Arbeitsplatz und dem oftmals zitierten Wandel in der Arbeitswelt hergestellt: Arbeitsverdichtung, zunehmende Komplexität, mangelnde Planbarkeit, gestiegene Flexibilitätsanforderungen seien schlagwortartig genannt.4

Es gilt, mögliche psychosoziale Fehlbeanspruchungen frühzeitig zu erkennen und wo immer möglich abzubauen. Ziel von Maßnahmen der Erziehung, Ausbildung und Forschung sind daher die Analyse und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Stärkung von Ressourcen zur Förderung der psychischen Stabilität der Soldatinnen und Soldaten, die frühe Erkennung Gefährdeter sowie die Vermeidung der Stigmatisierung bei Inanspruchnahme psychiatrischer oder psychologischer Behandlungsmaßnahmen.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den Einsätzen der Bundeswehr kommt posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) besondere Aufmerksamkeit zu. Unter PTBS wird die Entstehung einer verzögerten Reaktion auf ein stark belastendes einmaliges oder wiederkehrendes negatives Erlebnis verstanden. Erlebnisse oder Situationen, die von der Normalität abweichen, können derartige Reaktionen auslösen. Während kriegerischer Auseinandersetzungen werden Soldaten immer wieder mit schweren Schicksalen, Verwundung und Tod konfrontiert. Ständige Anspannung während des Einsatzes kann dazu beitragen, das Erlebte nicht verarbeiten zu können. Zur weiteren Verbesserung der Prävention, Betreuung und Behandlung erkrankter Soldatinnen und Soldaten wurde die Stelle des Beauftragten des Bundesverteidigungsministeriums für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte eingerichtet. Im Rahmen des psychosozialen Netzwerkes erfahren Angehörige der Bundeswehr auf Standortebene durch Truppenärzte, Truppenpsychologen, Sozialarbeiter oder Militärseelsorger Hilfe. Ambulante Behandlungen erkrankter Soldatinnen und Soldaten erfolgen über Sanitätszentren oder zivile Ärzte, stationäre Therapien werden vorwiegend an den Fachabteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser durchgeführt. Als herausgehobenes Bindeglied zwischen Forschung und Behandlung fungiert das Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie/Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin.

Prävention durch Begutachtung
Der Begutachtung kommt sowohl unter dem Aspekt einer optimalen Bedarfsdeckung als auch vor dem Hintergrund des breiten Spektrums gesundheitlicher Risiken in den Einsätzen der Bundeswehr eine herausgehobene Stellung zu. Es muss sichergestellt sein, dass gesundheitliche Probleme bzw. Dispositionen rechtzeitig erkannt werden, um einer Entstehung oder Verschlimmerung bestehender Gesundheitsstörungen und damit einer Gefährdung der Einsatzbereitschaft vorzubeugen. Daher werden in enger Abstimmung zwischen den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen Begutachtungsgrundlagen an die bestehenden Bedarfe laufend angepasst.

Fazit und Ausblick
Gesundheitsförderung und die Prävention von Krankheiten und Verletzungen sind Grundvoraussetzungen für eine physisch und psychisch belastbare und leistungsstarke Truppe. Die Arbeitsmedizin kann dazu im interdisziplinären Verbund mit den übrigen präventivmedizinisch orientierten Fachdisziplinen einen wesentlichen Beitrag leisten. Für die Zukunft ist im Sinne des Public Health-Gedankens eine an den spezifischen Fähigkeiten der Fachgebiete orientierte noch stärkere Vernetzung – sowohl innerhalb des Sanitätsdienstes als auch mit zivilen Gesundheitseinrichtungen und auf internationaler Ebene – anzustreben. Gesundheitsförderung umfasst darüber hinaus Maßnahmen, die auf die Stärkung einer positiven „Unternehmenskultur“ abzielen. Dies beinhaltet u. a. die Umsetzung von Erkenntnissen der Arbeitswissenschaften sowie Programme zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität. Beispielhaft genannt sei in diesem Zusammenhang ein vielschichtiges Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie.

Michael Hack

Sanitätsamt der Bundeswehr

Abteilung V – Präventivmedizin

Dachauer Straße 128

80637 München

Literatur

1. Eine ausführliche Version dieses Artikels wurde in der Wehrmedizin und Wehrpharmazie veröffentlicht: Rosenstiel, N. A. von et al. (2009): Gesundheitsförderung und Prävention in der Bundeswehr – Der Mensch im Mittelpunkt. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 33 (2): S. 62–67.

2. Metz, A.-M. (2011): Interventionen. In: Bamberg, E./ Ducki, A./ Metz, A.-M. (Hg.): Handbuch Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt. Göttingen, Bern, Wien: Hogrefe Verlag, S. 185–219.

3. Lüder, M. (2011): Arbeitsmedizin in der Bundeswehr: Der Leitende Betriebsarzt stellt sich vor. ErgoMed / Prakt. Arb. med. 35 (6): S. 24–26.

4. Jabobi, F. (2009): Nehmen psychische Störungen zu? Reportpsychologie 34 (1): S. 16–18.

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