Betriebliches Gesundheitsmanagement

Gesundheitsmanager und Gesundheitsmanagerinnen im Betrieb

Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) hat sich in den letzten Jahren zunehmend in deutschen Unternehmen etabliert (Henssler & Klenke, 2011). Immer mehr Unternehmen haben den Nutzen eines systematischen Gesundheitsmanagements erkannt und stellen finanzielle und personelle Ressourcen für die gezielte Umsetzung eines BGM bereit. Das betriebliche Gesundheitsmanagement wird aufgrund der Dynamik in der Arbeitswelt, der psychosozialen Belastungssituation und sich schnell ändernder Rahmenbedingungen zukünftig eine strategische Säule für Unternehmen sein. Flexibilisierungsprozesse, die steigende Anzahl Beschäftigter im Dienstleistungssektor, die zunehmende Diversität in den Arbeitsverhältnissen (vgl. auch Rigotti & Mohr, 2011) sowie steigende rechtliche Anforderungen (z. B. Arbeitsschutzgesetz, Präventionsförderungsgesetz, DGUV V2, § 20 SGB V, § 14 SGB VII, § 84 Abs. 2 SGB IX) und nicht zuletzt Zertifizierungsdrücke (z. B. DIN SPEC 91020 oder OHSAS 18001) befördern die Nachfrage nach BGM zusätzlich. Eine erfolgreiche Planung und Umsetzung des BGM ist stark von der Qualität und Kompetenz der fachlich Verantwortlichen abhängig. Trotz wachsender Bedeutsamkeit ist das Berufsbild „Gesundheitsmanager und Gesundheitsmanagerin im Betrieb“ derzeit weder geregelt noch geschützt. Es ist derzeit auch nicht zu erwarten, dass dies geschieht. Die Nachfrage nach professionellen Trägern steigt aber deutlich an. Wirft man einen Blick auf den in Deutschland bestehenden Ausbildungsmarkt, stößt man auf diverse Aus-, Fort- und Weiterbildungslehrgänge im Bereich des BGM. Die Eingangsvoraussetzungen, der Ausbildungsumfang, Titel und Preise differieren stark.

Wir haben uns deshalb mit verschiedenen Kollegen im Ressort „Aus- und Weiterbildung“ des Bundesverbandes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BBGM e.V.) beraten und zunächst grundlegende Richtlinien für „gute“ Fortbildungsstandards entworfen (http://www.bgm-bv.de/fileadmin/dokumente/BBGM/130206_B BGM_Kriterien.pdf). Aus diesen Vorüberlegungen und aus anderen Quellen (z. B. europäischer Qualifikationsrahmen, eine Marktanalyse, eine Studie zum Anforderungsprofil von Gesundheitsmanager/innen) haben wir nun eine Ausbildungskonzeption vorgelegt, die Fachkräfte adäquat an ihre Aufgaben heranführt und die als Orientierung für andere Ausbildungsinstitutionen dienen kann.

Marktanalyse relevanter Ausbildungsgänge
Es wurde zunächst eine Marktanalyse durchgeführt (vgl. auch Weinreich & Weigl, 2011). Dabei konnte grundsätzlich zwischen zwei großen Gruppen unterschieden werden: Auf der einen Seite die erst- und postgradualen Studiengänge im Sinne von eigenständigen Grund- und Zusatzausbildungen und auf der anderen Seite Fort- und Weiterbildungen für Personen mit einer Berufsausbildung und/oder einem abgeschlossenen Hochschulstudium. Insgesamt wurden 33 Anbieterinstitutionen untersucht und verglichen. Die Anbieterzahl dürfte heute noch deutlich darüber liegen. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen in der Vermittlung von Wissen und Methoden (siehe Abbildung 1).

In den berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildungen ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. Die Angebote unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihrer Ausrichtung (Zielgruppen, inhaltliche Ziele), ihres Umfangs (Tagesseminar bis ein Jahr berufsbegleitend) und ihrer Methodik (Seminar, Workshop, Fallstudien, Gruppenarbeiten, Frontalunterricht). Dabei fehlt im Gegensatz zu den Studiengängen oftmals der Praxisbezug. Auch die Namen der möglichen Abschlüsse differieren stark. Die Heterogenität ist unseres Erachtens Ausdruck der fehlenden Qualitätsstandards bei der Ausbildung zum/zur betrieblichen Gesundheitsmanager/in.

Anforderungsprofil von betrieblichen Gesundheitsmanager/innen
Neben der Anbietersituation sollten auch die konkreten Anforderungen an betriebliche Gesundheitsmanager und Gesundheitsmanagerinnen herausgearbeitet werden. Erste intuitive Erkenntnisse und Vermutungen zur Tätigkeit sind den tatsächlichen Erfahrungen praktisch tätiger Gesundheitsmanager/innen genüberzustellen. Daher wurde eine Metaanalyse nach Art eines teilstrukturierten Interviews mit ca. 100 ehemaligen Teilnehmern und Teilnehmerinnen der „Weiterbildung zum Gesundheitsmanager und zur Gesundheitsmanagerin im Betrieb“ des Instituts für Gesundheit und Management (IfG GmbH) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt. Die IfG GmbH und die BAuA haben von 1998 bis 2012 ca. 220 Gesundheitsmanager/innen fortgebildet. Zur weiteren Vertiefung wurden die Methoden der Expertenbefragung und das Verfahren der kritischen Verhaltensbeobachtung (vgl. Flanagan, 1954) eingesetzt. Wir konnten fünf relevante Anforderungsbereiche eruieren und mit Bewertungskriterien untersetzen:

1. formale Qualifikationsanforderungen (Grundqualifikationen)

2. fachliche Kompetenz (spezifische und fachübergreifende Kenntnisse)

3. methodische Kompetenz (Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Planung, Durchführung und Kontrolle von Aufgaben notwendig sind)

4. sozial-kommunikative Kompetenz (Fähigkeit, mit anderen Personen erfolgreich zu kommunizieren und kooperieren) und

5. persönliche Kompetenz (Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale)

Im Rahmen einer Diplomarbeit wurden abschließend die Vorergebnisse validiert und die Anforderungen an Gesundheitsmanager/innen empirisch herausgearbeitet (Strübin, 2012). Mit Hilfe des Task-Analysis-Tools (TAToo; vgl. Koch & Westhoff, 2012) wurden Informationen zu Aufgaben und Anforderungen in einem Interview erhoben, anschließend in einem strukturiertem Workshop verdichtet und im dritten Schritt von den Teilnehmenden in einem Online-Fragebogen bewertet. Neben bedeutsamen Informationen über wichtige fachliche und methodische Grundlagen der Tätigkeit beinhaltet das Anforderungsprofil zusätzlich auch konkrete Verhaltensweisen, die entscheidend sind, um den beruflichen Alltag erfolgreich zu gestalten (siehe auch DIN 33430: 2002). Das endgültige Anforderungsprofil enthielt vier Anforderungsdimensionen, die aus der Beschreibung des Wissens, der Fähigkeiten und Fertigkeiten abgeleitet wurden und 16 verhaltensnahe Anforderungen, die aus dem beobachtbaren Verhalten der Stelleninhaber/innen in erfolgreich gestalteten Arbeitssituationen resultierten (sog. „critical incidents“).

Es zeigte sich insgesamt, dass die zentralen Anforderungsdimensionen für die Tätigkeit als betrieblicher Gesundheitsmanager und betriebliche Gesundheitsmanagerin soziale und kognitive Fähigkeiten bilden. Im Bereich der sozialen Fähigkeiten sind Anforderungen an eine gut ausgebildete Kommunikationsfähigkeit, Kooperations- und Koordinierungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit besonders hervorzuheben. Gesundheitsmanager und Gesundheitsmanagerinnen stehen ständig in Kontakt mit anderen Personen, müssen mit diesen kooperieren, kommunizieren, verhandeln, sie überzeugen und zwischen den verschiedenen Akteuren vermitteln. Zusätzlich koordinieren sie verschiedene Projekte, die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen internen und externen Schnittstellen und müssen flexibel Entscheidungen treffen. Im Bereich der kognitiven Fähigkeiten ist das analytische Denken elementar, d. h. Zusammenhänge erkennen, sie entsprechend zu strukturieren, zu interpretieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. In Folge dessen sollten Gesundheitsverantwortliche in der Unternehmenspraxis auch in der Lage sein, komplexe Sachverhalte zu verdichten und diese an unterschiedliche Anspruchsgruppen vermitteln zu können. Für diese Vermittlung sind wiederum die sozialen Fähigkeiten ausschlaggebend. Untersetzt werden diese zentralen Anforderungsdimensionen mit einem breit angelegten Fachwissen und einer hohen Dichte an methodischen Kompetenzen, die bei der Initiierung und Umsetzung von Projekten zielgerichtet eingesetzt werden. Die Erkenntnisse aus den beiden Untersuchungen beeinflussten die Konzeption und den inhaltlichen Aufbau des neuen Ausbildungssystems maßgeblich.

Ausbildungskonzept
Der Strukturaufbau der neuen Ausbildungskonzeption wurde am Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) ausgerichtet und berücksichtigt auch den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR). Der EQR beschreibt auf insgesamt acht Niveaus fachliche und personale Kompetenzen, die für die Erlangung einer Qualifikation erforderlich sind. Auch wurden Anleihen aus der aktuellen Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit in der Trägerschaft der DGUV entnommen. Die Ausbildung umfasst insgesamt drei Ausbildungs- und Qualifizierungsstufen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (siehe Abbildung 2).

Ausbildungsstufe I
Die Ausbildungsstufe I ist dreigliedrig: Grundlagenseminar, Selbstlernphase und schriftliche Prüfung. Im fünf-tägigen Grundlagenseminar werden alle erfolgsrelevanten Inhalte für ein wirksames und evaluierfähiges BGM inhaltsdicht und systematisch dargestellt. Der inhaltliche Aufbau der ersten Ausbildungsstufe dient dabei vor allem der Vermittlung von Basiswissen und Kenntnissen, welche sich neben dem Fachwissen auch aus methodischem Wissen zusammensetzt. Damit wurden die Erkenntnisse aus den durchgeführten Studien in die Konzeption eingebettet. Es dient der Schaffung eines Gesamtüberblicks im Themenfeld. Basierend auf den empirischen Ergebnissen wird Basiswissen zu folgenden Themen vermittelt:

· Gesundheit & Prävention

· Arbeitswissenschaft

· Arbeitspsychologie

· Arbeit & Organisation

· Gesetze, Gesundheitspolitik und Gesundheitsmarkt

· Management

· Methoden für das BGM (insbesondere Analysen und Projektorganisation)

Alle prüfungsrelevanten Inhalte werden im Grundlagenseminar vermittelt. Kleinere „Probeprüfungen“ bereiten die Teilnehmer/innen zusätzlich auf die schriftliche Prüfung (ca. 60 Minuten) vor. Im Anschluss an das Grundlagenseminar durchlaufen die Teilnehmer/innen eine kürzere Selbstlernphase. In ihr werden die vermittelten Inhalte individuell vertieft. Dies erfolgt anhand von Literaturlisten, Lernmanualen und weiterer Lernhilfen. Quereinsteigern ist es so möglich, direkt die schriftliche Prüfung abzulegen. Wer die schriftliche Prüfung erfolgreich abschließt, ist berechtigt an der Ausbildungsstufe II teilzunehmen.

Ausbildungsstufe II
Die Ausbildungsstufe II ist ebenfalls dreigliedrig: Fallstudienseminar, Praxisphase und Praxisbericht. Im dreitägigen Fallstudienseminar wird eine komplexe und sehr realitätsnahe Fallstudie durchgeführt, um den methodischen Hintergrund des BGM zu erfahren und exemplarisch einzuüben. In Anlehnung an die Wichtigkeit der Anforderungen an Projektmanagement, den Umgang mit Konflikten und einer gut ausgebildeten Methodenkompetenz werden mit Hilfe der Fallstudie auch die Kompetenzen zur Steuerung des BGM (Managementkreislauf) und der Umgang mit Konflikten und Barrieren in der Praxis vermittelt. Es werden folgende Fertigkeiten eingeübt:

· strategische, taktische und operative Planungen

· qualitative und quantitative Analysemethoden

· Ableitung konkreter Ziele und Maßnahmen

· Qualitätssicherung und Monitoring

· Umgang mit Barrieren im Projekt (z. B. Interessenskonflikte, Informationsdefizite)

· Evaluation und Handlungsanpassung

· Dokumentation und Informationsweiterleitung

· Nachhaltigkeitssicherung

· Marketing und Öffentlichkeitsarbeit

Das Fallstudienseminar dient der Vorbereitung der Teilnehmer/innen auf die sich anschließende Praxislernphase, bei der selbstständig ein BGM-Projekt innerhalb eines Betriebs nach vorgegebenen Kriterien (z. B. Aufbau, Gliederung, fachlicher Inhalt, Erkennen des Managementkreislaufs unter Berücksichtigung der Arbeitssystemelemente, äußere Form) umgesetzt wird. Das Projekt kann unter Inanspruchnahme von Tutoren durchgeführt werden. Die Ergebnisdokumentation der in der Praxislernphase umgesetzten Handlungen erfolgt anhand eines Praxisberichts (max. 20 Seiten). Dieser wird eingereicht und bewertet. Ein angenommener Praxisbericht gilt als bestandene praktische Prüfung und berechtigt zur Teilnahme an der Ausbildungsstufe III.

Ausbildungsstufe III
Der angefertigte Praxisbericht ist die Grundlage für eine Praxispräsentation mit anschließender Kurzdiskussion. Die Praxispräsentation stellt den Nachweis von Vermittlungskompetenzen dar und wird ebenfalls bewertet. Das abschließende zweitägige Reflexionsseminar dient dem moderierten Austausch gemachter Erfahrungen und zukünftiger Anforderungen an das BGM. Es werden auch die Grenzen und Risiken des Handelns von Gesundheitsmanagern und Gesundheitsmanagerinnen aufgezeigt und diskutiert. Mit der erfolgreichen Teilnahme am Reflexionsseminar erfolgt die Verleihung des Zertifikats „Betrieblicher Gesundheitsmanager“ oder „Betriebliche Gesundheitsmanagerin“. Dieses ist unbegrenzt gültig.

Dr. Christian Weigl

Sven Strübin

Literatur

1. Badura, B., Litsch, M. & Vetter, C. (2000). Vorwort. In B. Badura, M. Litsch & C. Vetter (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 1999: Psychische Belastung am Arbeitsplatz. Zahlen, Daten, Fakten aus allen Branchen der Wirtschaft (S. IV). Berlin: Springer.

2. Badura, B., Ritter, W. & Scherf, M. (1999). Betriebliches Gesundheitsmanagement: Ein Leitfaden für die Praxis. Berlin: Edition Sigma.

3. DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (2002). DIN 33430 – Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen. Berlin: Beuth.

4. DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (2012). DIN SPEC 91020 – Betriebliches Gesundheitsmanagement. Berlin: Beuth.

5. Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51(4), 327–358.

6. Henssler, O.-T. & Klenke, B. (2011). Studienergebnisse Gesundheitsmanagement 2011. In EuPD Research (Hrsg.), Corporate Health Jahrbuch. Betriebliches Gesundheitsmanagement in Deutschland (S. 17–69). Bonn: EuPD Research.

7. Koch, A. & Westhoff, K. (2012). Task-Analysis-Tools (TAToo): Schritt für Schritt Unterstützung zur erfolgreichen Anforderungsanalyse . Lengerich: Pabst Science Publishers.

8. Rigotti, T. & Mohr, G. (2011). Gesundheit und Krankheit in der neuen Arbeitswelt. In E. Bamberg, A. Ducki & A.-M. Metz (Hrsg.), Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt. Ein Handbuch (S. 61–82). Göttingen: Hogrefe.

9. Strübin, S. (2012). Einsatz des Anforderungsanalyseverfahrens Task-Analysis-Tools

10. (TAToo) zur Erstellung eines Anforderungsprofils für betriebliche Gesundheitsmanager und Gesundheitsmanagerinnen. Unveröffentliche Diplomarbeit, Universität Leipzig.

11. Weinreich, I. & Weigl, C. (2011). Unternehmensratgeber betriebliches Gesundheitsmanagement: Grundlagen – Methoden – personelle Kompetenzen. Berlin: Erich Schmidt.

12. Ulich, E. & Wülser, M. (2010). Gesundheitsmanagement in Unternehmen. Arbeitspsychologische Perspektiven (4., überarbeitete und erweiterte Aufl.). Wiesbaden: Gabler.

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