Recht

Novellierung der ArbMedVV

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Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) ist nun schon seit dem 24.12.2008 in Kraft (BGBl I S. 2768). Abgesehen von redaktionellen Anpassungen im Bereich der Gefahrstoffe (BGBl I S. 1643) und der Aufnahme der künstlichen optischen Strahlung in den Anhang zur ArbMedVV 2010 (BGBl. I S. 960) blieb diese Rechtsverordnung unverändert. Als schwierig erwies sich u. a. im Laufe der Jahre der Umstand, dass viele Regelungen und Untersuchungsanlässe lediglich aus anderen Vorschriften übernommen wurden, ohne jedoch ausreichend zu berücksichtigen, dass sich diese dort teilweise in einem anderen rechtlichen Rahmen befanden. So traten verschiedentlich Rechtsunsicherheiten auf. Dies betraf z. B. die Fragestellungen, wie mit den fehlenden Arbeitsplatzgrenzwerten z. B. bei Tätigkeiten mit dem Gefahrstoff Asbest umzugehen ist. Unklarheiten bestanden auch hinsichtlich der Fragestellung, ob Beschäftige klinische und körperliche Untersuchungen zu dulden haben. Die Gesamtbetrachtung der Problematik veranlasste die Bundesregierung als Verordnungsgeber (vgl. § 18 Abs. 1 ArbSchG) eine Novellierung der ArbMedVV vorzunehmen. Nach geschäftsmäßiger Abarbeitung eines entsprechenden Referentenentwurfs wurde die „Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ am 24.04.2013 durch das Bundeskabinett beschlossen und zur erforderlichen Zustimmung nach Art. 80 Abs. 2 GG an den Bundesrat verwiesen (BR-Drs. 327/13). Nach Behandlung der Änderungsverordnung in den zuständigen Ausschüssen am 04.09.2013 (Gesundheitsausschuss) und 05.09.2013 (federführender Ausschuss für Arbeit und Soziales und Wirtschaftsausschuss) wurde die Änderungsverordnung am 20.09.2013 im Bundesratsplenum nach Maßgabe von Änderungen beschlossen. Diesen Änderungen wurde im Bundeskabinett am 16.10.2013 zugestimmt. Die „Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ ist nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 31.10.2013 in Kraft getreten.

Erfolgte Änderungen
Die erfolgten Änderungen betreffen sowohl den Vorschriftenteil der ArbMedVV als auch den Anhang. Ein umfassender Gesamtvergleich der neuen mit der alten Fassung („Synopse“) kann der Internetpräsenz www.sicherheitsrecht-bayern.de/Novellierung-ArbMedVV entnommen werden. Nachfolgend werden nur die wichtigsten Änderungen dargestellt.

Psychische Gesundheit
Klarstellend wurde in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbMedVV auch die psychische Gesundheit mit übernommen. In der Rechtswissenschaft ist schon länger anerkannt, dass auch die geistig-psychische Integrität des Beschäftigten Bestandteil des staatlichen Arbeitsschutzes ist (vgl. BAG v. 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06). Auch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) bezieht seit dem 25.10.2013 die Psyche ausdrücklich und klarstellend mit ein (vgl. § 4 Nr. 1, 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). In Bezug auf die psychischen Gesundheitsgefährdungen finden sich allerdings im Anhang der ArbMedVV keine entsprechenden Vorsorgeanlässe für Maßnahmen der Pflicht- oder Angebotsvorsorge. Insofern kann dieser Aspekt lediglich als Wunschvorsorge (§ 5a ArbMedVV) geltend gemacht werden.

Untersuchungszwang
Rechtliche Unsicherheiten bestanden des Öfteren bezüglich der Fragestellung, ob der Beschäftigte gezwungen ist, körperliche und klinische Untersuchungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge nach der ArbMedVV zu dulden. Verkannt wurde hier des Öfteren die Tatsache, dass die ArbMedVV selber keine Verpflichtungen für den Beschäftigten enthält. Die ArbMedVV enthielt somit auch vor Inkrafttreten der Änderungsverordnung keinen Untersuchungszwang für die Beschäftigten. Dies wäre verfassungsrechtlich auch gar nicht möglich gewesen, da das ArbSchG die hierzu geforderte Zitierklausel nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (zur Einschränkung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gar nicht enthält. Körperliche und klinische Untersuchungen sind aber weiterhin Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge nach der ArbMedVV, soweit diese für die individuelle Aufklärung und Beratung erforderlich sind und der Beschäftigte diese Untersuchungen nicht ablehnt (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbMedVV). Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat der Beschäftigte auch einen Rechtsanspruch auf Durchführung der entsprechenden körperlichen und klinischen Untersuchungen. Insbesondere bedeutet die Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbMedVV nicht, dass es nun dem Arbeitgeber obliegt, über die Durchführung von entsprechenden Untersuchungen zu entscheiden. Der umschriebene Rechtsanspruch auf die klinischen und körperlichen Untersuchungen verhindert auch, dass der Arbeitgeber aus Kostengründen den Beschäftigten dahingehend beeinflusst, auf die entsprechenden Untersuchungsparameter zu verzichten (vgl. BR-Drs. 327/1/13, Seite 2).

Unverzichtbarer Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen nach der ArbMedVV ist das ärztliche Beratungsgespräch mit Anamnese einschließlich der Arbeitsanamnese (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbMedVV). Werden die körperlichen und klinischen Untersuchungen durch den Beschäftigten abgelehnt, so muss sich der Arzt auf dieses Beratungsgespräch beschränken. Bei Maßnahmen der Pflichtvorsorge (ehemals: Pflichtuntersuchungen) bleibt auch die Teilnahme an der Vorsorgemaßnahme Tätigkeitsvoraussetzung. Der Arbeitgeber darf die entsprechenden Tätigkeiten nur dann ausüben lassen, wenn der Beschäftige an dieser Pflichtvorsorge teilgenommen hat (§ 4 Abs. 2 ArbMedVV). Als Ausfluss seiner arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (bei Beamten, Soldaten und Richtern entsprechend dem Dienstrecht) ist der Beschäftigte somit auf zivilrechtlicher Ebene verpflichtet, an dem Vorsorgetermin mit Beratung und Anamnese teilzunehmen, da ihm die Verpflichtung obliegt, die rechtlichen Gegebenheiten zu schaffen, die notwendig sind, um die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen (vgl. auch BAG v. 08.03.1961 – 4 AZR 71/59).

Der Klarstellung entsprechend, dass im Rahmen der ArbMedVV hinsichtlich der klinischen und körperlichen Untersuchungen kein Zwang für den Beschäftigten besteht und es beim Vorsorgetermin bei einer Beratung mit Anamnese bleiben kann, erfolgte auch hinsichtlich der Terminologie eine Anpassung der Vorsorgemaßnahmen. Aus der Pflicht-, Angebots- und Wunschuntersuchung wurde somit eine Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge oder Wunschvorsorge.

Ebenfalls als Folgeänderung wurde die an den Arzt gerichtete Verpflichtung aus der ArbMedVV genommen, eine ärztliche Beurteilung abgeben zu müssen, ob und inwieweit bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit gesundheitliche Bedenken bestehen (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 ArbMedVV in der bis zum 30.10.2013 gültigen Fassung).

Eignungsuntersuchungen
Auch lediglich deklaratorisch wurde in § 2 Abs. 1 Nr. 5 ArbMedVV nochmals hervorgehoben, dass die arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen nach der ArbMedVV nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen umfassen. Dies ist vor allen in den Bereichen bedeutsam, in denen als Eignungsanforderung immer noch auf arbeitsmedizinische Vorsorgemaßnahmen verwiesen wird, wie z. B. bei Trägern von Atemschutzgeräten. Im Rahmen der Feuerwehrdiensttauglichkeit (Atemschutz) kann folglich ein Verweis auf die ArbMedVV („Pflichtuntersuchung“) nicht mehr erfolgen, da (wie unten noch erläutert wird) der Arbeitgeber kein Ergebnis der Vorsorgemaßnahme mehr erhält. Insofern ist dringend erforderlich, die entsprechenden Feuerwehrdienstvorschriften bzw. Unfallverhütungsvorschriften der Unfallversicherungsträger diesbezüglich zu ändern.

Das Trennungsgebot bleibt weiterhin bestehen, so dass arbeitsmedizinische Vorsorgemaßnahmen nach der ArbMedVV nicht zusammen mit Untersuchungen der Eignung durchgeführt werden sollen. Erfordern betriebliche Gründe dennoch die Zusammenlegung dieser Untersuchungen/Vorsorgemaßnahmen, so hat der Arbeitgeber den Arzt zu verpflichten, dem Beschäftigten die unterschiedlichen Zwecke offenzulegen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 ArbMedVV).

Vorsorgekartei
Nach alter Rechtslage war der Arbeitgeber lediglich bei Pflichtuntersuchungen verpflichtet, eine Vorsorgekartei mit Angaben über Anlass, Tag und Ergebnis der Untersuchungen zu führen (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 ArbMedVV in der bis zum 30.10.2013 gültigen Fassung). Da diese Vorsorgekartei auch gegenüber den zuständigen Arbeitsschutzbehörden als Nachweis ordnungsgemäßer arbeitsmedizinischer Vorsorge dient, wurde diese Verpflichtung sowohl für die Pflicht-, Angebots- als auch Wunschvorsorge ausgedehnt. Somit hat der Arbeitgeber bei Maßnahmen der Pflicht-, Angebots- als auch der Wunschvorsorge eine Vorsorgekartei mit Angaben, dass, wann und aus welchem Anlass arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat, zu führen (§ 3 Abs. 4 ArbMedVV). Das Ergebnis der Vorsorgemaßnahme ist dagegen nicht mehr Bestandteil der Vorsorgekartei.

Impfungen
Auch im Bereich der Impfungen wurden Änderungen mit Auswirkungen auf die Praxis vorgenommen. Diese Änderungen erschienen notwendig, da auch hier Rechtsunsicherheiten auftraten. So war es fraglich, ob auch bei Angebotsuntersuchungen ein entsprechendes Impfangebot zu unterbreiten ist. Auch war unklar, aus welcher rechtlichen Grundlage sich ein Impfanspruch des Beschäftigten bei Auslandsaufenthalten ergibt. Vor dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (§ 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden verfassungsmäßigen Bestimmtheitsgebot ist es nämlich problematisch, allein aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG konkrete verwaltungsrechtliche Ansprüche wie einen Impfanspruch abzuleiten.

Vor Inkrafttreten der Änderungsverordnung bestand eine konkrete Arbeitgeberverpflichtung zum Impfangebot nur bei Pflichtuntersuchungen anlässlich von Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen und auch nur dann, wenn der zugrunde liegende Biostoff im Anhang der ArbMedVV als impfpräventabel gekennzeichnet wurde (vgl. Teil 2 Abs. 1 Satz 2 Anhang ArbMedVV in der bis zum 30.10.2013 gültigen Fassung). Problematisch war ferner auch, dass das Gelbfieber-Virus nicht als impfpräventabel gekennzeichnet war, obwohl diesbezüglich ein wirksamer Lebendimpfstoff zur Verfügung steht.

Die Impfungen erfuhren daher eine Neuregelung. Impfungen sind Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge und den Beschäftigten anzubieten, soweit das Risiko einer Infektion tätigkeitsbedingt und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ArbMedVV). Hier ist es auch unerheblich, ob es sich um Maßnahmen der Pflicht-, Angebots- oder Wunschvorsorge handelt. Bei all den benannten Vorsorgemaßnahmen ist der Arzt folglich verpflichtet, dem Beschäftigten ein entsprechendes Impfangebot zu unterbreiten, sofern die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Einschränkungen ergeben sich lediglich aus dem Tätigkeitsbezug und dem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Risiko. In Bezug auf die Tätigkeit muss folglich ein Kausalzusammenhang bestehen. Besteht das Infektionsrisiko auch dann, wenn man sich die zugrunde liegende Tätigkeit wegdenkt (z. B. Tätigkeit im Gesundheitsdienst), so entfällt auch der Impfanspruch. Gleiches gilt auch dann, wenn zwar der Tätigkeitsbezug gegeben ist, andere Bevölkerungsteile, welche diese Tätigkeiten nicht ausüben, aber ebenfalls im gleichen Maße gefährdet sind. Auch in diesen Fällen wäre es nicht sachgemäß, den Arbeitgeber mit diesbezüglichen Kosten zu belasten.

Wie bereits Erwähnung gefunden hat, hat der Arzt das Impfangebot bei Vorliegen der Voraussetzungen auch bei Maßnahmen der Angebots- und Wunschvorsorge zu unterbreiten, so dass ggf. auch Grippeschutzimpfungen (z. B. bei umfangreichem Publikumsverkehr) angeboten werden müssen.

Ein Impfanspruch des Beschäftigten entfällt selbstverständlich dann, wenn dieser bereits über einen ausreichenden Immunschutz verfügt (§ 6 Abs. 3 Satz 4 ArbMedVV).

Bescheinigung
Die für den Arbeitgeber am deutlichsten zu spürende Änderung der ArbMedVV dürfte sich in Bezug auf das Bescheinigungswesen abspielen. Nach alter Rechtslage bestand für den Arzt die Verpflichtung, dem Beschäftigten eine Bescheinigung auszustellen, welche Angaben über den Untersuchungsanlass, den Tag der Untersuchung sowie eine ärztliche Beurteilung, ob und inwieweit bei Ausübung bestimmter Tätigkeiten gesundheitliche Bedenken bestehen, auszustellen (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 ArbMedVV in der bis zum 30.10.2013 gültigen Fassung). Weiterhin bekam der Arbeitgeber bei Pflichtuntersuchungen eine Kopie dieser Bescheinigung. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Dem Beschäftigten ist nur noch auf seinen Wunsch hin das Ergebnis schriftlich zur Verfügung zu stellen (§ 6 Abs. 3 Nr. 2 ArbMedVV). Die Ergebnismitteilung an den Arbeitgeber ist dagegen auch bei Maßnahmen der Pflichtvorsorge ausdrücklich nicht mehr vorgesehen! Dies dürfte sich vor allem dort auswirken, wo Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge auch als Eignungskriterien herangezogen wurden (z. B. Atemschutzträger bei der Feuerwehr). Hier ist dringendst erforderlich, den Rechtsbezug zur ArbMedVV in den Feuerwehrdienstvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften abzuändern und einen eigenen Eignungstatbestand zu schaffen.

Vorsorgebescheinigung
Neu ist, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der untersuchte Beschäftigte eine sog. „Vorsorgebescheinigung“ vom Arzt erhalten (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 ArbMedVV). Diese Vorsorgebescheinigung hat der Arzt verpflichtend sowohl bei der Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge auszustellen. Sie enthält Angaben darüber, dass, wann und aus welchem Anlass ein arbeitsmedizinischer Vorsorgetermin stattgefunden hat. Weiterhin hat der Arzt in dieser Bescheinigung anzugeben, wann eine weitere arbeitsmedizinische Vorsorge aus ärztlicher Sicht angezeigt ist. Letzteres entspricht den „Nachuntersuchungsfristen“. Wesentlich ist aber, dass auch in der Vorsorgebescheinigung keine Angaben darüber aufzunehmen sind, ob und inwieweit in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten gesundheitliche Bedenken bestehen.

Anhaltspunkte für unzureichende Schutzmaßnahmen
Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die objektiven Maßnahmen des Arbeitsschutzes für die Beschäftigten nicht ausreichen, so hat der Arzt dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes vorzuschlagen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 ArbMedVV). Erfasst sind hiervon die Maßnahmen, welche für alle Beschäftigten von Nutzen sind, welche an dem entsprechenden Arbeitsplatz arbeiten. Die neue Fassung dieser Vorschrift enthält nicht mehr den Rechtsbezug zu den vorzunehmenden Auswertungen, so dass sich die entsprechenden „Anhaltspunkte“ für unzureichende Schutzmaßnahmen nicht zwingend aus einer Auswertung der Vorsorgemaßnahmen ergeben müssen. Erfasst sind somit auch Erkenntnisse, welche dem Arzt auf einer anderen Weise zugehen, z. B. anlässlich von Betriebsbegehungen oder Mitteilung Dritter.

Tätigkeitswechsel
Der Arzt kann allerdings auch zu der Erkenntnis gelangen, dass gesundheitliche Bedenken gegen eine Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz sich allein aus medizinischen Gründen ergeben, welche ausschließlich in der Person des Beschäftigten liegen. Hält der Arzt hieraufhin einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf diese Mitteilung an den Arbeitgeber der Einwilligung des Beschäftigten (§ 6 Abs. 4 Satz 3 ArbMedVV). Diese Vorgehensweise ist dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Beschäftigten geschuldet. Da es sich bei dem Umstand des Tätigkeitswechsels um personenbezogene Daten nach dem Datenschutzrecht handelt, müssen auch die diesbezüglichen Voraussetzungen für die Mitteilung an den Arbeitgeber vorliegen. Dies ist auch insofern relevant, als dass es sich bei Gesundheitsdaten um „besondere Arten personenbezogener Daten“ handelt (vgl. § 3 Abs. 9 BDSG). Die Einwilligung zur Datenweitergabe (rechtlich handelt es sich um ein „Verarbeiten“ der Daten, § 3 Abs. 4 BDSG) muss schriftlich erfolgen (§ 4a Abs. 1 BDSG). Gemeint ist hier die Schriftform im Sinne von § 126 BGB, so dass die Einwilligung eigenhändig durch Namenszeichnung der betroffenen Person unterzeichnet werden muss. Ein Fax oder eine E-Mail sowie eine eingescannte Unterschrift sind hierfür nicht ausreichend. Wird die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen abgegeben (z. B. auf einem Gesundheitsfragebogen), so ist sie besonders hervorzuheben (§ 4a Abs. 1 Satz 4 BDSG). Auch muss klar sein, dass sich die Einwilligung ausdrücklich auf gesundheitsbezogene Daten bezieht (§ 4a Abs. 3 BDSG). Datenschutzrechtlich auf der sicheren Seite ist der Arzt aber immer dann, wenn er der untersuchten Person ein entsprechendes „Attest“ zur Weitergabe an den Arbeitgeber einfach mitgibt.

Arbeitsplatzgrenzwerte
In der alten Fassung der ArbMedVV waren für bestimmte explizit benannte Gefahrstoffe Pflichtuntersuchungen dann durch den Arbeitgeber zu veranlassen, wenn deren Arbeitsplatzgrenzwerte überschritten wurden (z. B. Asbest gem. Teil 1 Abs. 1 Nr. 1 Anhang ArbMedVV). Aus unterschiedlichen Gründen waren aber für eine Vielzahl der dort benannten Gefahrstoffe keine Arbeitsplatzgrenzwerte festgelegt (ausführlich hierzu: Aligbe, Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen in Form von Pflichtuntersuchungen bei fehlenden Arbeitsplatzgrenzwerten, ASU, 6/2012, S. 355–359, kostenfrei abzurufen auf der Internetpräsenz der Landesärztekammer Baden-Württemberg). Da sich die fehlenden Arbeitsplatzgrenzwerte verwaltungs- und strafrechtlich als problematisch darstellen, erfolgte im Teil 1 Abs. 1 Nr. 1 Anhang ArbMedVV eine Neustrukturierung in Bezug auf die Veranlassung von Maßnahmen der Pflichtvorsorge. Für die in Teil 1 Abs. 1 Nr. 1 Anhang ArbMedVV benannten Gefahrstoffe ist folglich dann eine Pflichtvorsorge zu veranlassen, wenn

· der vorhandene Arbeitsplatzgrenzwert nach der Gefahrstoffverordnung nicht eingehalten wird oder

· eine wiederholte Exposition nicht ausgeschlossen werden kann und der Gefahrstoff ein krebserzeugender oder erbgutverändernder Stoff oder eine Zubereitung der Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung ist oder die Tätigkeit mit dem Gefahrstoff als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet werden oder

· der Gefahrstoff hautresorptiv ist und eine Gesundheitsgefährdung durch Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann.

Somit ergeben sich für sämtliche nun in Teil 1 Abs. 1 Nr. 1 Anhang ArbMedVV benannten Gefahrstoffe klare Zuweisungen hinsichtlich der Vorsorgeanlässe. So hat z. B. Asbest zwar keinen Arbeitsplatzgrenzwert, ist aber als Gefahrstoff krebserzeugender Art der Kategorie 1 zugewiesen.

Blei
Da der Gefahrstoff „Blei“ weder den krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1 oder 2 zugewiesen werden kann, dieser Stoff keinen Arbeitsplatzgrenzwert besitzt und auch nicht hautresorptiv ist, wurde „Blei“ an anderer Stelle im Anhang der ArbMedVV verortet. Maßnahmen der Pflichtvorsorge sind bei Tätigkeiten mit Blei dann zu veranlassen, wenn eine Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen besteht und eine Luftkonzentration von 0,075 Milligramm pro Kubikmeter überschritten wird (§ 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 1 Abs. 1 Nr. 2h Anhang ArbMedVV). Maßnahmen der Angebotsvorsorge sind dann anzubieten, wenn bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen eine Luftkonzentration von 0,075 Milligramm pro Kubikmeter eingehalten wird (§ 5 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 1 Abs. 2 Nr. 2i Anhang ArbMedVV). Ferner sind hier Maßnahmen der nachgehenden Vorsorge anzubieten (Teil 1 Abs. 3 Nr. 2 Anhang ArbMedVV).

Mehlstaub
Ähnliches gilt auch für Mehlstaub. Auch Mehlstaub ist als Gefahrstoff weder krebserzeugend noch hat er einen Arbeitsplatzgrenzwert und auch eine dermale Gesundheitsgefährdung ist hier nicht gegeben. Auch Mehlstaub wurde somit an eine andere Stelle des Anhangs zur ArbMedVV verortet. Maßnahmen der Pflichtvorsorge sind bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Mehlstaub dann zu veranlassen, wenn eine Mehlstaubkonzentration von 4 Milligramm pro Kubikmeter Luft überschritten wird (§ 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 1 Abs. 1 Nr. 2j Anhang ArbMedVV). Eine Angebotsvorsorge ist dagegen anzubieten, wenn bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Mehlstaub eine Mehlstaubkonzentration von 4 Milligramm pro Kubikmeter Luft eingehalten wird (§ 5 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 1 Abs. 2 Nr. 2j Anhang ArbMedVV).

Hochtemperaturwolle
Neu eingeführt wurde ein Vorsorgetatbestand (Pflichtvorsorge nach § 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 1 Abs. 1 Nr. 2i Anhang ArbMedVV) für Tätigkeiten mit Hochtemperaturwollen. Hier sind dann Maßnahmen der Pflichtvorsorge zu veranlassen, soweit dabei als krebserzeugend Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung eingestufte Faserstäube freigesetzt werden können. Weiterhin ist bei derartigen Tätigkeiten eine nachgehende Vorsorge anzubieten (Teil 1 Abs. 3 Nr. 3 Anhang ArbMedVV).

Biostoffe allgemein
Bei den biologischen Arbeitsstoffen wurde die Tabellenform in Teil 2 Abs. 1 Anhang ArbMedVV aufgegeben. Stattdessen wurde ein branchenbezogener Ansatz gewählt.

Einrichtungen zur medizinischen Untersuchung, Behandlung und Pflege
In Einrichtungen zur medizinischen Untersuchung, Behandlung und Pflege von Menschen (z. B. Krankenhäusern) sind Maßnahmen der Pflichtvorsorge auch hinsichtlich der Biostoffe Bordetella pertussis, Hepatitis-A-Virus, Masernvirus, Mumpsvirus oder Rubivirus zu veranlassen, wenn diesbezügliche Tätigkeiten mit regelmäßigem direkten Kontakt zu erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen vorliegen (§ 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 2 Abs. 1 Nr. 3 c aa) Anhang ArbMedVV).

„Altenheime“
In Einrichtungen ausschließlich zur Betreuung von Menschen (folglich auch „Altenheime“) werden die Expositionsbedingungen zur Veranlassung von Maßnahmen der Pflichtvorsorge auch auf den Hepatitis-A-Virus (HAV) ausgedehnt (§ 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 2 Abs. 1 Nr. 2e Anhang ArbMedVV).

Fledermaus-Unterschlupfen
Ein neuer Tatbestand für Maßnahmen der Pflichtvorsorge wurde auch für Tätigkeiten in oder in der Nähe von Fledermaus-Unterschlupfen eingeführt, sofern Tätigkeiten mit engem Kontakt zu Fledermäusen hinsichtlich des Europäischen Fledermaus-Lyssavirus (EBLV 1 und 2) vorliegen (§ 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 2 Abs. 1 Nr. 3l Anhang ArbMedVV).

Muskel-Skelett-System
Letztendlich wurden auch für körperliche Belastungen entsprechende Vorsorgemaßnahmen in den Anhang der ArbMedVV neu mit aufgenommen. Der Arbeitgeber hat Maßnahmen der Angebotsvorsorge dann anzubieten, wenn Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen, die mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System verbunden sind, durch

· Lastenhandhabung beim Heben, Halten, Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten,

· repetitive manuelle Tätigkeiten oder

· Arbeiten in erzwungenen Körperhaltungen im Knien, in langdauerndem Rumpfbeugen oder –drehen oder in vergleichbaren Zwangshaltungen

durchgeführt werden.

Dieser Vorsorgetatbestand betrifft sowohl Arbeiten im handwerklichen Bereich als auch z. B. in sozialen Berufen (Krankenpfleger, Altenpfleger etc.).

Tätigkeiten in Druckluft
Die arbeitsmedizinischen Untersuchungsanlässe anlässlich von Arbeiten in Druckluft (Luft mit einem Überdruck von mehr als 0,1 bar) wurden in die Druckluftverordnung zurückverlagert. Hier ist auch weiterhin Tätigkeitsvoraussetzung, dass eine ärztliche Untersuchung stattgefunden hat und eine Bescheinigung über die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Tätigkeit vorliegt. Arbeitsmedizinische Vorsorgemaßnahmen anlässlich von Tätigkeiten unter Wasser, bei denen der Beschäftigte über ein Tauchgerät mit Atemgas versorgt wird (Taucherarbeiten), verbleiben aber weiterhin in der ArbMedVV (Pflichtvorsorge gem. § 4 Abs. 1 ArbMedVV i. V. m. Teil 3 Abs. 1 Nr. 5 Anhang ArbMedVV), da Taucherarbeiten in der Druckluftverordnung keine Anwendung finden (§ 1 Abs. 2 Druckluftverordnung).

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