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Der Einfluss von psychosozialen Arbeitsbelastungen auf die Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften

Zusammenfassung Die vorliegende Studie untersucht psychosoziale Arbeitsbelastungen und Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften. Dabei wurden 154 Führungskräfte in einer Querschnittsstudie mithilfe des Fragebogens zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen, den Skalen zu Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) sowie dem Arbeitsfähigkeitsindex (Work Ability Index) befragt. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass 87,0% der befragten Führungskräfte über einen guten bis sehr guten Work Ability Index verfügen, andererseits haben 11,0% der Führungskräfte einen mittelmäßigen sowie 1,9% einen schlechten Work Ability Index. Der Work Ability Index korreliert negativ mit dem Quotienten von Verausgabung und Belohnung und positiv mit der Bedeutung der Arbeit. Das bedeutet, je höher der Quotient von Verausgabung und Belohnung desto niedriger ist der Work Ability Index und je höher die Bedeutung der Arbeit desto höher ist der Work Ability Index. Zwischen dem Work Ability Index und Alter sowie Wochenarbeitszeit konnten in diesem Kollektiv keine signifikanten Korrelationen festgestellt werden. 35,0% der Führungskräfte geben Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems an, danach folgen Hauterkrankungen (18,8%), neurologische und sensorische Erkrankungen (18,1%) sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit 13,0%. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verdeutlichen die Notwendigkeit von Präventionsstrategien, die sowohl verhältnis- als auch verhaltensbezogen erfolgen sollten. Schlüsselwörter

· psychosoziale Arbeitsbelastungen

· berufliche Gratifikationskrisen

· Arbeitsfähigkeit

· Führungskräfte

· Prävention

· psychosocial work stress

· effort-reward imbalance

· working ability

· manager

· prevention

Einleitung
Der Arbeitsalltag von Führungskräften des unteren und mittleren Managements umfasst zum einen fachliche Aufgaben und zum anderen Führungsaufgaben, die größtenteils zusätzlich übernommen werden müssen. Führungskräfte befinden sich dabei in einer speziellen Beziehungskonstellation, die als Sandwichposition bezeichnet werden kann, da ihre Position zwischen dem Topmanagement und der Basis eines Unternehmens ist. Entsprechend sind auf dieser Hierarchiestufe häufig Rollenkonflikte oder Führungsdilemmata vorzufinden1, 2. Zusätzlich zu diesen spezifischen Arbeitsbelastungen kommen tiefgreifende Veränderungen durch neue Formen von Arbeitsverträgen, Arbeitsplatzunsicherheit, eine Intensivierung der Arbeit, hohe emotionale Anforderungen sowie eine unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Arbeitswelt vollzogen haben und entscheidende Faktoren für psychosoziale Risiken sein können3. Im Kontext dieser Spannungsfelder und den Veränderungen in Organisationen stellt sich die Frage nach dem Einfluss von psychosozialen Arbeitsbelastungen auf die Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften.

Konzept der Arbeitsfähigkeit
In Europa gewinnt das Konzept der Arbeitsfähigkeit seit etwa 20 Jahren vermehrt an Bedeutung4. Ein modernes Verständnis von Arbeitsfähigkeit umfasst das Zusammenwirken von individuellen Ressourcen und den Anforderungen des Arbeitslebens. Die individuellen Ressourcen umfassen Gesundheit, Ausbildung und Kompetenz sowie Motivation, Einstellung und Werte. Die Anforderungen des Arbeitslebens wiederum werden durch psychische und physische Ansprüche, das soziale Arbeitsumfeld, die Arbeitsumgebung und die Führungsorganisation bestimmt5. Arbeitsfähigkeit wird definiert als „die Summe von Faktoren, die eine Frau oder einen Mann in einer bestimmten Situation in die Lage versetzten, eine gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen“5 (S. 166). Das Konzept der Arbeitsfähigkeit und der Arbeitsbewältigungsindex, auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Work Ability Index bezeichnet, bilden eine Grundlage zur Erhaltung und Förderung der Arbeitsfähigkeit, der Minderung von arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken sowie der Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsschutzes6. Mit dem Work Ability Index können die derzeitige und die zukünftige Arbeitsfähigkeit ermittelt werden7. Die Entwicklung des Work Ability Index hatte 1981 mit einem interdisziplinär zusammengesetzten Team von finnischen Arbeitswissenschaftlern mit Querschnittsstudien bei Gemeindeangestellten begonnen. Der Work Ability Index wird gegenwärtig in zahlreichen Ländern verwendet und ist inzwischen in 24 Sprachen übersetzt worden8. Die Einsatzgebiete des Work Ability Index liegen auf den Gebieten der Betriebsepidemiologie, der Begleitung von Interventionsmaßnahmen, der beruflichen Wiedereingliederung und der Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen7.

In einer Reihe von Studien konnte belegt werden, dass ein aus dem Fragebogen ermittelter WAI-Wert geeignet ist, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben9, 10, 11, 12 sowie Mortalität11 vorherzusagen. Insbesondere bei Beschäftigten, die physischen Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind, zeigte sich, dass der WAI-Wert negativ durch zunehmendes Alter, hohe physische Arbeitsbelastungen, hohe psychosoziale Arbeitsbelastungen13, einen ungesunden Lebensstil und eine schlechte körperliche Verfassung14 beeinflusst wird. In seiner Studie bei Angestellten zeigte van den Berg15 signifikante Zusammenhänge zwischen dem WAI-Wert und psychosozialen Arbeitsbelastungen wie Teamwork, Umgang mit Stress und Entwicklungsmöglichkeiten. Obwohl die Arbeitsfähigkeit in der Regel mit steigendem Alter sinkt, ist sie insbesondere bei älteren Beschäftigten auf Grund sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz veränderbar11.

Psychosoziale Arbeitsbelastungen
In den letzten Jahren wurden das Anforderungs-Kontroll-Modell16,17 und das Modell beruflicher Gratifikationskrisen18, 19, 20 wiederholt zur Erklärung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren herangezogen21. Die Kombination von psychischen Belastungen „psychological demands“ und Entscheidungsspielraum „decision latitude (control)“ stehen im Mittelpunkt des Anforderungs-Kontroll-Modells17. Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen bezieht sich auf das unausgewogene Verhältnis zwischen erbrachter Arbeitsleistung einerseits und gewährter Belohnungen andererseits21. Einen Überblick zu Studien zum Anforderungs-Kontroll-Modell geben de Lange et al.22 und van der Doef und Maes23 sowie zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen Tsutsumi und Kawakami24 und van Vegchel et al.25. Zusammenfassend konnte festgestellt werden, dass psychosoziale Arbeitsbelastungen erhöhte relative Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen26, depressive Symptome27, 28, Alkoholabhängigkeit29, metabolisches Syndrom30 sowie krankheitsbedingte Frühberentung31, 32 bedingen.

Die vorliegende Studie untersucht psychosoziale Arbeitsbelastungen und Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften im Rahmen einer Querschnittsstudie. Die Studie ergänzt Untersuchungen zu psychosozialen Arbeitsbelastungen und Arbeitsfähigkeit um die Berufsgruppe der Führungskräfte. Die Untersuchung stützt sich bei der Erhebung der psychosozialen Arbeitsbelastungen vorrangig auf das Modell beruflicher Gratifikationskrisen, da das Modell Komponenten der beruflichen Situation und personenbezogene Komponenten des Belastungsgeschehens sowie Aspekte des Arbeitsmarktes berücksichtigt. Ergänzend zum Fragebogen zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen werden die Skalen zu Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Version des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) eingesetzt. Der COPSOQ ist ein Messinstrument zur Erfassung psychischer Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit. Die deutsche Version wurde im Rahmen einer umfangreichen Stichprobe von Nübling et al.33 validiert.

Nach dem Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist18, 19, 20 werden im Rahmen von Austauschbeziehungen, die nach dem Grundsatz sozialer Reziprozität geregelt werden, für vertraglich geforderte berufliche Leistungen, die eine Verausgabung zur Folge haben, Belohnungen (Gratifikationen) in Form von Bezahlung, Wertschätzung, beruflichem Aufstieg und/oder Arbeitsplatzsicherheit gewährt. Im Erwerbsleben können sich Konstellationen ergeben, die das Prinzip der sozialen Reziprozität verletzen. Einer hohen Verausgabung steht in diesem Fall eine vergleichsweise niedrige Belohnung gegenüber. In dieser Konstellation sind Arbeitsbedingungen psychosozial belastend34, 35.

Die Ergebnisse der Untersuchung können Hinweise geben, inwieweit Interventionen zur Wiederherstellung, Verbesserung, Unterstützung bzw. zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften sinnvoll sein können. Um weitere Hinweise für präventive Maßnahmen zu erhalten, wird die Frage nach den persönlichen Vorstellungen der Führungskräfte von einer idealen Situation am Arbeitsplatz in die Untersuchung einbezogen.

Stichprobe
Die schriftlich anonyme Datenerhebung erfolgte im Rahmen einer Studie von November 2008 bis März 2009 mittels standardisiertem Fragebogen. Dabei wurden 250 Führungskräfte aus dem verarbeitenden Gewerbe, der Informationstechnologie, dem Gesundheits- und Sozialwesen, den Dienstleistungen und der öffentlichen Verwaltung angeschrieben. Die Rücklaufquote betrug 61,6% (n = 154). Von den 154 Teilnehmern waren 39% weiblich und 61% männlich. Bei den weiblichen Teilnehmern betrug das Durchschnittsalter 42,8 Jahre (SD 7,6) und bei den männlichen Teilnehmern 44,0 Jahre (SD 7,1). 68,8% der Teilnehmer hatten einen Hochschulabschluss und 31,2% der Teilnehmer einen Abschluss an einer Fach-, Meister-, Technikerschule, Berufs- oder Fachakademie bzw. eine Ausbildung. Die Teilnehmer übten ihre derzeitige berufliche Tätigkeit zum Zeitpunkt der Erhebung durchschnittlich 9,4 Jahre (SD 7,7) aus. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit betrug 45,1 Stunden (SD 10,8), wobei 42,2% der Teilnehmer 50 und mehr Stunden in der Woche arbeiten.

Arbeitsfähigkeit
Für die vorliegende Studie wurde die Kurzversion des Work Ability Index (WAI) eingesetzt. Der WAI besteht aus sieben so genannten WAI-Dimensionen mit insgesamt 10 Fragen und einer Diagnoseliste7. Tabelle 1 zeigt die Dimensionen des WAI. Der Fragebogen beinhaltet Fragen zu physischen und psychischen Arbeitsanforderungen, den Gesundheitszustand und die Leistungsreserven der Beschäftigten.

Der WAI-Wert kann zwischen 7 und 49 Punkten liegen, wobei mit 49 Punkten die maximale Arbeitsfähigkeit erreicht wird und der geringste Wert bei 7 Punkten liegt. Die Klassifizierung der Arbeitsfähigkeit wird in vier Kategorien vorgenommen, die sich wie folgt zusammen setzen: schlecht (7–27 Punkte), mittelmäßig (28–36 Punkte), gut (37–43 Punkte) und sehr gut (44–49 Punkte)7.

Psychosoziale Arbeitsbelastungen
Die psychosozialen Arbeitsbelastungen wurden durch den Fragebogen zum Modell der beruflichen Gratifikationskrisen und den Skalen zu Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten der deutschen Version des Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ) erhoben. Die angegebenen Cronbachs Alpha-Werte betreffen jeweils die vorliegende Studie.

Der standardisierte Fragebogen zum Modell der beruflichen Gratifikationskrisen misst mithilfe von 23 Items, auf einer vierstufigen Likertskala, die drei Dimensionen des Modells:

1. geforderte Verausgabung (5 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .59);

2. erfahrene oder erwartete Belohnung (11 Items der Skala Belohnung, die auf einem gemeinsamen Faktor laden; Cronbachs a für die Gesamtskala = .82. Die 11 Items können den folgenden 3Subskalen zugeordnet werden:

Wertschätzung und Anerkennung (5 Items, Cronbachs a = .74),

Bezahlung und beruflicher Aufstieg (4 Items, Cronbachs a = .83)

Arbeitsplatzsicherheit (2 Items, Cronbachs a = .57));

übersteigerte berufliche Verausgabungsneigung (overcommitment) (6 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .73).

Gemäß der theoretischen Annahme werden die ersten beiden Dimensionen in Form eines Quotienten zueinander in Beziehung gesetzt, um das Ausmaß des Ungleichgewichts zwischen Verausgabung und Belohnung zu ermitteln. Dieser Quotient errechnet sich aus dem Summenscore der Skala „Verausgabung“ (Dividend) und dem Summenscore „Belohnung“ (Divisor), der mit einem Korrekturfaktor für die unterschiedliche Itemzahl multipliziert wird (5/11). Weiterhin werden Quotienten aus den Subskalen der Skala „Belohnung“ gebildet, wobei der Divisor jeweils durch eine der drei Subskalen gebildet wird. Die dritte Dimension „übersteigerte berufliche Verausgabungsneigung“ wird ebenfalls als Summenscore berechnet, Werte im oberen Tertil werden als kritisch betrachtet19, 20.

Die Skalen zu Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten der vorliegenden Untersuchung umfassen:

1. Einfluss bei der Arbeit (4 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .80);

2. Entscheidungsspielraum (4 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .79);

3. Entwicklungsmöglichkeiten (4 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .84);

4. Bedeutung der Arbeit (3 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .90);

5. Verbundenheit mit Arbeitsplatz (commitment) (4 Items; 1 Skala; Cronbachs a = .81).

Die Kennwerte der eingesetzten Untersuchungsinstrumente sind in Tabelle 2 dargestellt.

Die Datenanalysen werden mit SPSS® Statistics 17.0 durchgeführt, dabei werden die Korrelationen mittels Spearmans Rho berechnet.

Ergebnisse
Die Ergebnisse in Tabelle 3 zeigen, dass 39,6% der Führungskräfte über einen sehr guten, 47,4% über einen guten, 11,0% über einen mittelmäßigen sowie 1,9% über einen schlechten Work Ability Index verfügen. Der WAI-Mittelwert des befragten Kollektivs liegt bei 41,84 (SD 4,88). Dieser Wert liegt im oberen Bereich der Einteilung, die von Tuomi et al.36 als gute Arbeitsfähigkeit klassifiziert worden ist.

Das Ausmaß beruflicher Gratifikationskrisen wurde mit dem Quotienten der Skalen „Verausgabung“ und „Belohnung“ ermittelt. 11 Teilnehmer (7,1%) wiesen dabei einen Quotienten > 1 auf. Ein Quotient > 1 bedeutet, dass die erfahrenen oder erwarteten beruflichen Belohnungen nicht dem Ausmaß geleisteter Verausgabung entsprechen. Bei einer Betrachtung der einzelnen Subskalen wies ein höherer Anteil der Teilnehmer einen Quotienten > 1 auf. Bei der Subskala Wertschätzung und Anerkennung sind dieses 13,0%, bei der Subskala Bezahlung und beruflicher Aufstieg 9,1% und bei der Subskala Arbeitsplatzsicherheit 14,3% der Teilnehmer. Eine übersteigerte berufliche Verausgabungsneigung wiesen 48 Teilnehmer (31,2%) auf. Die Cronbachs Alpha-Werte betragen für die Skala geforderte Verausgabung .59 und die Subskala Arbeitsplatzsicherheit .57 und können aufgrund der geringen Anzahl der Items als zufriedenstellend angesehen werden.

Mittels Korrelation wurde der Zusammenhang zwischen Alter, Wochenarbeitszeit, Quotient Verausgabung/Belohnung, der Skala übersteigerte Verausgabungsneigung, den Skalen zu Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten sowie dem Work Ability Index berechnet. Aus Tabelle 4 ist zu entnehmen, dass zwischen dem WAI und Alter sowie zwischen dem WAI und Wochenarbeitszeit keine signifikante Korrelation besteht. Der WAI korreliert negativ mit dem Quotienten von Verausgabung und Belohnung (r = –0,424**) und positiv mit Bedeutung der Arbeit (r = 0,434**). Das bedeutet, je höher der Quotient Verausgabung/Belohnung desto niedriger ist der Work Ability Index und je höher die Bedeutung der Arbeit desto höher ist der Work Ability Index. Bei Betrachtung der einzelnen Subskalen der Skala Verausgabung und Belohnung weist die Subskala Wertschätzung und Anerkennung (r = –0,407**) den höchsten Korrelationskoeffizienten auf.

Aus Tabelle 5 ist die Anzahl der aktuellen Krankheiten ersichtlich. Mit der Kurzversion des Work Ability Index wird eine Liste von 13 Krankheitsgruppen mit drei Antwortmöglichkeiten abgefragt (eigene Diagnose, Diagnose vom Arzt, liegt nicht vor). 35,0% der befragten Führungskräfte geben Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, 18,8% Hauterkrankungen, 18,1% neurologische und sensorische Erkrankungen sowie 13,0% Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. 11,7% der Teilnehmer des untersuchten Kollektivs leiden unter psychischen Beeinträchtigungen (z.B. Depressionen, Angstzustände, chronische Schlaflosigkeit, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom). Auffallend dabei ist, dass davon mehr als die Hälfte der Teilnehmer psychische Beeinträchtigungen verspürt, ohne dass dafür eine ärztliche Diagnose vorliegt. Bei allen anderen Krankheitsgruppen liegt der Anteil der Teilnehmer mit einer ärztlich bestätigten Diagnose jeweils über der eigenen Einschätzung. Im selben Kollektiv wurden ebenso signifikant erhöhte Risiken (OR 4,4) für depressive Symptome bei Führungskräften festgestellt, die durch ein Ungleichgewicht von Verausgabung und Belohnung belastet sind37.

Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass insgesamt 87,0% der befragten Führungskräfte einen guten bis sehr guten Work Ability Index haben. Demgegenüber wurde in einer Studie von Freude38 bei allen befragten Führungskräften ein guter bis sehr guter Work Ability Index ermittelt. Eine Studie von van den Berg et al.15 bei Angestellten in der Dienstleistungsindustrie zeigt ähnliche Werte wie die vorliegende Studie. Hier verfügen 88,2% der Angestellten über einen guten bis sehr guten Work Ability Index.

Bei einer näheren Betrachtung der Krankheitsgruppen mithilfe des Work Ability Index ist feststellbar, das bei den befragten Führungskräften vor allem Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, Hauterkrankungen, neurologische und sensorische Erkrankungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Vordergrund stehen. Weiter konnte festgestellt werden, dass bei 7,1% der Führungskräfte die erfahrenen oder erwarteten beruflichen Belohnungen nicht dem Ausmaß geleisteter Verausgabung entsprechen. Bei Betrachtung der einzelnen Subskalen der Skala Belohnung ergeben sich höhere Werte. Es zeigte sich, dass der Work Ability Index negativ mit dem Quotienten von Verausgabung und Belohnung und positiv mit der Bedeutung der Arbeit korreliert. Das bedeutet, je höher der Quotient von Verausgabung und Belohnung desto niedriger ist der Work Ability Index und je höher die Bedeutung der Arbeit desto höher ist der Work Ability Index.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verdeutlichen die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen, die sowohl verhältnis- als auch verhaltensbezogen erfolgen sollten. Dabei stehen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften mit einer schlechten Arbeitsfähigkeit bis hin zu Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit bei Führungskräften mit einer sehr guten Arbeitsfähigkeit im Vordergrund.

Das WAI-Konzept beschreibt vier Handlungsfelder für konkrete Interventionen:

· Handlungsfeld 1 umfasst die funktionelle Kapazität des Individuums mit seiner physischen, psychischen und sozialen Leistungsfähigkeit

· Handlungsfeld 2 bezieht sich auf den Arbeitsinhalt und die Arbeitsumgebung (Ergonomie, Hygiene, Sicherheit)

· Handlungsfeld 3 umfasst die professionelle Kompetenz (Ausbildung, Qualifikation, Weiterbildung)

· Handlungsfeld 4 stellt die Arbeitsorganisation und Führung in den Vordergrund7, 5

Für eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsfähigkeit sind Präventionsansätze erforderlich, die möglichst viele Handlungsfelder umfassen. Einzelne Maßnahmen sind zur nennenswerten und nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsfähigkeit weniger geeignet7. Weiterhin könnten auch durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes individuelle Bewältigungskompetenzen vermittelt bzw. gestärkt werden, um so einen Beitrag zur Prävention zu leisten39.

Obwohl die Studie über eine gute Rücklaufquote verfügt und die Stichprobengröße adäquat ist, müssen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden, da die Analysen auf einer Querschnittsstudie basieren, mit der sich keine ursächlichen Einflüsse von psychosozialen Arbeitsbelastungen auf den Work Ability Index, im Gegensatz zu Längsschnittstudien, nachweisen lassen. Trotz der dargestellten methodischen Begrenzungen können die Ergebnisse dieser und vergleichbarer Studien Ansatzpunkte für Interventionen in Organisationen aufzeigen.

Fazit
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verdeutlichen die Notwendigkeit von präventiven Strategien in Unternehmen, die sowohl verhältnis- als auch verhaltensbezogen unter Einbeziehung der Führungskräfte erfolgen sollten. Insgesamt scheint der gewählte Ansatz der Kombination des Konzeptes der Arbeitsfähigkeit, des Modells beruflicher Gratifikationskrisen sowie der Skalen zu Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten des COPSOQ geeignet, um auf Problemzusammenhänge hinzuweisen und daraus Präventionsstrategien zu erarbeiten. Daneben stellt sich die Frage nach den persönlichen Vorstellungen der Führungskräfte von einer idealen Situation am Arbeitsplatz. So ist 91,7% der Führungskräfte ihr Einfluss bei der Arbeit sowie für 98,5% die Bedeutung ihrer Arbeit wichtig.

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