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Empfehlung zur Einführung von CIRS im Krankenhaus

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Im April 2005 wurde das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. gegründet, um einen Handlungsrahmen für die Sicherheit der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu konstituieren. Die nachstehenden Handlungsempfehlungen sind das Ergebnis der Arbeitsgruppe „Critical Incident Reporting Systeme im Krankenhaus“. Die interdisziplinäre Expertengruppe spricht sich für den präventiven Nutzen solcher Berichtssysteme aus und gibt eine praktische Handlungsanleitung zu ihrer Einführung und Umsetzung.

Patientensicherheit ist ein Qualitätsziel. Wer Patientensicherheit stärkt, erhöht die Qualität von Behandlungen im Krankenhaus. Deshalb haben sich auch die WHO und der Europarat des Themas Patientensicherheit und Berichtssysteme1 angenommen und entsprechende Empfehlungen verabschiedet. Risiko und Fehlervorsorge sind wichtige Mittel, die Patientensicherheit zu verbessern. Berichtssysteme helfen, Risiken zu vermindern. Ein Risiko ist jedes aus der Sicht eines Berichtenden zukünftig zu vermeidendes Ereignis. Solche Ereignisse sind häufig die Vorstufe zu Fehlern. Vorsorge ist effektiv, wenn Fehler vermieden werden. Fehlervermeidung setzt die Erkennung von Risiken voraus, die zu Fehlern führen können.

Ein Critical Incident Reporting System (CIRS) ist ein wichtiges Instrument zur Erkennung solcher Risikokonstellationen. Kennt man die Risiken, die Fehler auslösen, lassen sich Fehler vermeiden oder jedenfalls verringern. Man muss einen Fehler nicht begehen, um ihn zu vermeiden. CIRS ist international anerkannt, wird in vielen Ländern praktiziert und ist wegen seiner fehlervermindernden Wirkungen bewährt.2

CIRS ist ein freiwilliges Berichtssystem über Risiken, das allen Mitarbeitern im Krankenhaus zugänglich ist. Berichtenswert sind sowohl positive, risikovermeidende Ereignisse wie auch alle, die der Berichtende zukünftig vermieden sehen möchte. CIRS schafft Wissen über Risiken, das andere Informationssysteme (Schadensmelde-, Patientenbeschwerdesysteme, Behandlungsfehlerregister) nicht zur Verfügung stellen können. Das Wissen aus CIRS wird ausgewertet und führt im Rahmen des Risikomanagements zu Maßnahmen der Verbesserung der Patientensicherheit im Krankenhaus. Patienten und ihre Angehörigen sollten primär entsprechende Patientenberichtssysteme (Patientenbeschwerdesysteme etc.) nutzen.

Risikoerkenntnis und Fehlervermeidung setzen die Bereitschaft und Fähigkeit über Risiken und Fehler zu reden voraus. Wer über sie redet, kann aus ihnen lernen. Wer aus ihnen lernt, lernt, sie und daraus entstehende Fehler und Schäden zu vermindern oder zu vermeiden. Lernen aus Risiken ist wichtiger als Fehler zu bestrafen.

Über Risiken zu reden, die Fehler auslösen können, ist leichter, als über Fehler zu reden. Wer über Risiken redet und sie berichtet, darf keinen dienstlichen Sanktionen ausgesetzt werden. Wer straft, verhindert die Risikoerkenntnis und damit die mögliche Fehlervermeidung. Wer lernt, über Risiken zu reden, wird auch über Fehler reden.

Wenn Risikoerkenntnis ein wichtiges Instrument der Fehlervermeidung ist, dann ist jedes Erkenntnissystem, das Risiken erkennbar macht, eine Steigerung der Qualität der Gesundheitsversorgung, wenn auf dieser Erkenntnis ein effektives Risikomanagement aufbaut. CIRS ist eine sehr wichtige Voraussetzung für ein effektives Risikomanagement als Teil des Qualitätsmanagements im Krankenhaus. Ein CIRS ohne Risikomanagement ist nutzlos. CIRS ist ein wichtiger Schritt zu einem funktionsfähigen und nachhaltigen Risikomanagement.

Wer Mitarbeiter motiviert, an der Risikoerkenntnis durch CIRS mitzuwirken und sie am Risikomanagement beteiligt, schafft eine Voraussetzung für eine produktive interne Unternehmenskultur, die als externe Botschaft über die Qualität der Kommunikation im Krankenhaus vermittelt werden kann: Vertrauenswürdigkeit nach innen und außen; Vertraulichkeit nach innen; Transparenz nach außen.

CIRS und Risikomanagement müssen gelebt werden und bedürfen von Zeit zu Zeit der Anregung und Anreize, um sie am Leben zu erhalten. CIRS ist keine Bürokratie, sondern Beteiligung. Diese Zielsetzung wird erreicht durch persönliche Verantwortung („Berichten“) und gute Organisation („Organisationslernen“).

Wer Risiken erkennt und im Krankenhaus ein Risikomanagement einrichtet, das Fehler verringert, steigert die Qualität und ist dadurch konkurrenzfähig und für Patienten attraktiv. Wer Fehler vermeidet, vermeidet Folgekosten. CIRS als Element des Risikomanagements steigert die Patientensicherheit, die Qualität der Gesundheitsversorgung, die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit und senkt die Kosten für das Krankenhaus, weil es Fehler vermeidet.

Die folgenden Handlungsempfehlungen in sieben Schritten sollen die Planung und Umsetzung des vorstehenden Programms im Krankenhaus erläutern und ermöglichen. Sie sind als eine Art Checkliste gedacht und führen das Wünschenswerte vor Augen. Sie lassen aber auch die Möglichkeit, „klein anzufangen“ und etwa in einer Abteilung zu beginnen und dann Schritt für Schritt den Rahmen zu erweitern und mit der Zeit ein System aufzubauen. Die Empfehlungen belassen der individuellen Initiative „von unten“ wie der institutionellen Organisation „von oben“ allen Spielraum. Unverzichtbar erscheint uns aber dreierlei:

· CIRS ohne ein (auch nur) abteilungsbezogenes Risikomanagement ist nutzlos – die Erkenntnis von Risikokonstellationen ist der Beginn des Prozesses der Fehlerverminderung,

· CIRS ist ein Beteiligungsprogramm – ohne das aktive Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Freistellung von Sanktionen wird das CIRS im Risikomanagement nicht dauerhaft funktionieren können. Die Möglichkeit zur Anonymität für den Berichtenden ist eine notwendige Voraussetzung für ein funktionierendes CIRS. Während die Entwicklung einer Atmosphäre des Vertrauens angestrebt werden soll, muss für die berichtende Person oder Abteilung oder das berichtende Krankenhaus jederzeit die Möglichkeit bestehen, garantiert anonym zu bleiben. Die Einführung eines Systems muss immer mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ins Werk gesetzt werden und

· CIRS bedarf der kontinuierlichen aktiven Unterstützung durch die Krankenhausleitung.

Wir wünschen Ihnen allen Erfolg bei der Einführung und der Umsetzung dieses Programms zur Steigerung der Patientensicherheit.

1. Entscheidungsphase
· Interne und externe Anforderungen analysieren

· Stärken und Schwächen von CIRS prüfen

· Integration von CIRS in die vorhandenen Strukturen des Krankenhauses überprüfen

· Projekt beschließen und ggf. Pilotkliniken und -abteilungen auswählen

Beispiele: Informationen über gesetzliche Rahmenbedingungen einholen. Projektbrief erstellen. Rechtsabteilung berücksichtigen. Schriftliche Vereinbarung darüber treffen, dass und wie CIRS eingeführt werden soll.

2. Planungsphase
· Projektplan erstellen

· Grundsätze zum Schutz von Mitarbeitern und zur Vertraulichkeit beschließen

· Grundsätze zur Anonymisierung von Patientendaten beschließen

· Berichtsverfahren (Meldeform, Meldekreis, Inhalte der Meldebogen) definieren

· Workflow definieren: Verantwortlichkeiten und Integration in die vorhandene Organisation/Informationsfluss und -wege zwischen allen Beteiligten festlegen

· Schulungen inhaltlich planen und ihre Umsetzung organisieren

Beispiele: Entscheidung für eine Aufbaustruktur treffen. Berichtszyklus festlegen. Einen für CIRS verantwortlichen Mitarbeiter auswählen und ihn ggf. freistellen. Mitarbeiter und Führungskräfte über die Einführung von CIRS informieren. Festlegen, welche Ereignisse im CIRS berichtet werden sollen. Beteiligung der Rechtsabteilung und des Personalrats oder der Mitarbeitervertretung sicherstellen.

3. CIRS-Einführung
· Information, Schulung, Coaching, Überwachung durchführen

· CIRS starten

Beispiele: Informationsveranstaltung für Mitarbeiter und Führungskräfte über Inhalte, Ziele und technische Handhabung des CIRS sowie praxisbezogene Beispiele durchführen, Jour fixe für die Beteiligten installieren.

1. Umsetzung von Evaluationund Auswertung

Risikoanalyse und -bewertung durchführen

Ggf. Expertenwissen von außen heranholen

Beispiele: Analysemethode und Werkzeuge festlegen und verwenden. Parameter einer Risikobewertung definieren und anwenden.

1. Organisation von Verbesserungsmaßnahmen im Risikomanagement

Korrektur- und Verbesserungsvorschläge festlegen und umsetzen

Prozesse anpassen und optimieren

Beispiele: Konkrete Handlungsfelder für Verbesserungsmaßnahmen identifizieren und einen Maßnahmenplan auf der Grundlage der Risikoanalyse und -bewertung entwickeln. Enge Zusammenarbeit mit den beteiligten Organisationseinheiten sicherstellen. Ggf. Dienstanweisungen geben.

6. Umgang mit Rückmeldungen
· Auswertungsberichte erstellen

· Mitarbeiter über CIRS-Berichte und deren Bewertung informieren

Beispiele: Zeitnahe Rückmeldungen gewährleisten, z. B. über die Anzahl der eingegangenen Meldungen, die eingeleiteten und/oder umgesetzten Maßnahmen. Bei Auswertungsberichten auf Übersichtlichkeit achten.

1. Evaluierung der ersten Erfahrungen mit CIRS

Ergebnisse berichten

Stolpersteine und Herausragendes schreiben

CIRS-Verfahren anpassen

CIRS auf der Grundlage definierter Auswahlkriterien ausweiten

Beispiele: Krankenhausleitung über die bisherigen Erfahrungen informieren. Ggf. weitere Abteilungen und Kliniken nach deren Bedarf und Wunsch, CIRS einzuführen, auswählen. Die Ausweitung soll sich auch an den vorhandenen Ressourcenkapazitäten ausrichten.

Constanze Lessing,

Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.

Literatur

1. WHO, World Alliance for Patient Safety – WHO Draft Guidelines for Adverse Event Reporting and Learning Systems, From Information to Action, 2005; Council of Europe – Committee of Ministers, Recommendation Rec (2006)7 of the Committee of Ministers to member states on management of patient safety and prevention of adverse events in health care, adopted by the committee of Ministers on 24 May 2006 at the 965th meeting of the Ministers’Deputies, http://wcd.coe.int/ViewDoc .jsp?id=1005439

2. R Bathia, G Blackshaw, A Rogers et al, Developing a departmental culture for reporting adverse incidents, Int J Health Care Qual Ass 16/3, 2003, S. 154–156; MM Cohen, NL Kimmel, MK Benage et al, Medication safety program reduces adverse drug events in a community hospital, Qual Saf Health Care 14, 2005, S. 169–174; B Frey, V Buettiker, MI Hug et al, Does critical incident reporting contribute to medication error prevention? Eur J Pediatr 161, 2002, S. 594–596.

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