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Latent repressive Bewegung

Es geht ein Ruck durch Deutschland; der Weg zu neuen Ufern ist zur allgemeinen Orientierung mit einem fakultativen Begriffswirrwarr ohnegleichen gepflastert.

Man bewegt auf vielen Gebieten durch Formenänderungen und verkauft diese unter ökonomischen Gesichtspunkten als Strukturänderungen; in der Regel verbleibt das im Gestrüpp polarisierter Kontroversen als Etikettenschwindel verborgen. Kostenneutrales Umschreiben von Literatur und Zusammenlegung von Büroeinheiten sind funktional-operative Änderungen, keine Strukturänderungen. Einstweilen gestaltet die Politik den Markt mit den Geldern der Ärmsten. Wenn Entwurf und Ziel nicht zu erkennen sind, erscheint das dem „verständigen Durchschnittsmenschen“ als richtungslos nach dem Motto: das Mühlrad dreht sich, und der Esel läuft weiter.

Bleiben auch Qualität und Qualifizierung im arbeitsmedizinischen nichtärztlichen Assistenzbereich bewegungslos, unbeweglich, starr? bewegungslos, kann man hier streichen; unbeweglich, darf hinterfragt werden in Richtung Ergebnis: was? wohin?

Das Ziel, die Förderung der Qualität und Transparenz deutscher Studiengänge in den Gesundheits- und Sozialberufen, leiert sich ab in der ständigen Wiederholung, das Gesundheits- und Sozialversicherungswesen befinde sich in einem Übergangsprozess, Arbeitsbedingungen in der Gesundheitsversorgung und Aufgabenstrukturen der Gesundheitsberufe stehen vor einer Neuorientierung, u.s.w. Auch unser Personal – und damit der betriebsärztliche Dienst als Einheit – wäre heute weiter (Integration in internationale Studien- und Beschäftigungssysteme), wenn nicht jahrzehntelang dümmlich blockiert worden wäre.

Was dabei herauskommt, sieht man exemplarisch am Pflegebereich, der unsere juristischen Standards und althergebrachten Vorstellungen überholt hat, obwohl weder die Berufsbilder klar begrenzt und abgesichert sind, noch Aus- und Weiterbildung und Bildungs- und Arbeitsmarkt aufeinander abgestimmt sind. Der Prozess des noch fehlenden Konsenses hinsichtlich Strukturierung und Neuordnung der gesamten Berufsfelder im medizinischen Bereich seitens des zuständigen Ministeriums scheint erstarrt. Es sei hingewiesen auf die traurigen Rollen Deutschlands, Österreichs und Luxemburgs beim „Bologna Prozess“ und in dessen Folge „Kopenhagen/Brügge und Lissabon“ der EU hinsichtlich des gemeinsamen europäischen Qualifikationsrahmens (EQF) mit gegenseitigem Anrechnungssystem von Abschlüssen und Qualifikationen sowohl in der beruflichen Bildung als auch in der Hochschulbildung. Bei der europäisch verlangten stärkeren Differenzierung innerhalb der Pflegeberufe mit Verbesserung der Berufsqualifikationen, oder gar eine stärkere Einbeziehung nichtärztlicher Heilberufe in die Versorgung (Nurse Practitioner) wird seit Jahren geblockt mit Aufrechterhaltung unseres einzigartigen Bildungssystems und mit ärztlichen Vorbehalten. Der europäische Anpassungsprozess muss aber nicht auf alle warten, die noch kommen.

Laut WHO könnte ein höherer Anteil an qualifiziertem Pflegepersonal ohne Defizite in ihrer entsprechenden Ausbildung zu einer entscheidenden Verbesserung der elementaren Gesundheitsversorgung vieler Länder führen. Bei uns fährt man Quantität und Qualität herunter und ersetzt diese durch preiswerteren Zuzug aus Ländern, deren eigener Mangel dadurch grösser wird und bei denen selbst der krankheitsbedingte Bedarf am höchsten ist.

Menschen – insbesondere zu Betreuende – haben einen Anspruch auf gut ausgebildete Gegenüber und auf kompetente und verlässliche Gesprächspartner. Die sich entwickelnden sozialen Werte und allein die Sprache in der Altenpflege zeichnen sich in einem gewaltigen Schritt nach hinten durch Rohheit und Inkompetenz aus, die die allgewaltigen ärztlichen Vorbehalte durchaus tangieren. Der Fortschritt lebt vom Austausch des Wissens (A. Einstein).

Schutz am Arbeitsplatz? Es besteht kaum Bedarf unter dem Motto: wir machen das schon selbst, und: Konkurrenz belebt das Geschäft – etc. Man sollte nicht so schnöde und verantwortungslos reden. Nur Menschen, die nie am Menschen gearbeitet haben, verfallen auf diesen Blödsinn. Der böse Rückzug aus der sinnvollen arbeitsmedizinischen Betreuung verlangt andere Antworten als die seit Jahren geübten Rückziehungs- und Scheinbegründungen angepasster runder Schultern und arbeitssuchender grosser und kleiner Betreuer. Und die Sensibilisierung der Beteiligten an der Gestaltung des deutschen Arbeitsschutzes in Richtung Arbeitsmediziner als Hausarzt der abhängig Beschäftigten und deren Familien nach Art der ehemaligen Polikliniken (das muss ja nicht schlecht sein), ist z.Zt. bei uns noch anders normiert. Wir wollen nicht nur meckern, wir wollenPositionen aufzeigen und diese auch begründen.

Unsere Fachvorgesetzten in ihrer Gesamtheit (Lobby) wollten keinen Fachberuf für ihr Personal, trotz der sich widersprechenden Aussage: „wir müssen etwas für unser Personal tun, schliesslich arbeiten wir ja zusammen.“ Wen wundert’s, wenn nun am freien Markt „Ortsfremde“ auf der Bühne erscheinen und diesem Personal in einem 60-stündigen Lehrgang einen neuen Titel verpassen: „Betriebsmedizinische/r Assistent/in“. Wie schön für die Betroffenen; unsinniger (weil wenig Hintergrundwissen) geht es kaum, wenn man sich die Inhalte dieses Schnellkurses ansieht; unsere Bundeswehr ist da schon weiter. Es ist löblich, sich des Personals anzunehmen, aber bitte nicht in dieser Form. Vielleicht genügen

ja solche Mitarbeiter/innen bei der künftigen Gestaltung von Genomanalysen im arbeitsmedizinischen Bereich im Namen des Volkes?

Man sollte mal die entsprechende EU-Richtlinie (Lärm) beachten, insbesondere deren Präambel, da geht’s nicht bergab, da geht’s bergauf. Nur dressierte Intelligenz und gebratene Tauben, die uns in den Mund fliegen, erbringen keinen Blick für das Ganze und bewirken wenig künftiges neues geistiges Potential. Die Vertiefungsstufen: Kennen, verstehen, anwenden und beurteilen sind hier Mangelware. Schmückende Fachtitel ohne Inhalt sind nicht unser Bestreben. Hintergrundwissen bei der Anwendung am Menschen und die Forderung aus dem ASiG, dass für die Fortbildung des Assistenzpersonals ähnliche Grundsätze gelten sollen wie für den Arzt, erfordern mehr als nur funktionales Anwendungswissen.

Jeder Anfang ist ein Ergebnis von Voraussetzungen. Mit jeder Weiterentwicklung gehen gravierende Eingriffe einher und man kann und sollte nicht jeden Fortschritt bekämpfen.

Übergänge müssen sein, das ist klar, aber eine neue Richtung muss sich abzeichnen. Einen erklärten Abbau – auch in der Arbeitsmedizin – mit dem Kürzel „Abbau bürokratischer Hemmnisse“ zu verkleiden, gleicht dem Schwimmen auf der Sprachschöpfungsoberfläche bei gleichzeitiger Unkenntnis (oder gar Kenntnis?) der Wasserunterfläche. Überhaupt ist eine allgemein verfälschende „Sprachbegabung“ hervorgebracht worden, deren Sinn man sich nur noch im Kontext erarbeiten kann. Und soziolinguistisch gesehen hat der deutschsprachige Raum schon an sich so seine Schwierigkeiten mit der Bedeutung des Wortes Arbeitsmedizin. Wenn das Europäische Recht hier vereinfacht und dereguliert werden soll, muss man nur warten, bis einige bekannte (z.B. Türkei)- und noch allgemein unbekannte Länder dabeisein werden; bis dahin ist dann die Vor-Ort-Betreuung bei uns ganz ausgeschieden, die man allerdings mit Pseudoaktivitäten auch nicht aufrecht erhalten kann. Arbeitsmedizin besteht nicht nur aus Arbeitsmedizinischer Vorsorge, Arbeitsmedizin besteht erweiternd aus Prävention und Gesundheitsförderung. Die Aufgabe ist: Wirkliche Gefährdungen verhindern und die Arbeitsfähigkeit erhalten. Wenn zur Zeit auch die Arbeitsmediziner zunehmend die Arbeit ihres Personals übernehmen, dann erfordert weniger Personal dessen bessere Qualifikation. Weniger und schlechter ist keine progressive Bewegung.

Arbeit gibt es genug: in Deutschland geschehen jährlich über 11000 Selbstmorde. Das sind mehr als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Gewalttaten und Aids zusammen; alle 3 Minuten geschieht ein Selbstmordversuch und alle 47 Minuten mit tödlichem Ausgang; da sind bestimmt auch Arbeitnehmer/innen dabei.

Oder: wo bleiben Untersuchungen und Äusserungen der Arbeits- und Umweltmediziner hinsichtlich der negativen Einwirkungen auf den Menschen bei der jährlichen Umstellung der Sommer- und Winterzeit? soviel ich weiss, hat man das beim Nutzvieh schon getan.Wenn inzwischen nachgewiesenermassen die Zeitumstellung keine Energieeinsparung bringt, ist allein schon der Umstellungsaufwand zu teuer. Und bevor man bei der Sommerzeit den Beginn des Schulunterrichtes um 1 Stunde nach hinten diskutiert und eine Menge berufstätiger Eltern damit erneut ein Betreuungsproblem bekommt (weil ihr Job schon vor 9 Uhr beginnt), sollte man endlich diese unsäglich nutzlose „Sommerzeit“ abschaffen, die Erwachsene und Schulkinder zwingt, sich über ein halbes Jahr früher (es sind 1 ½ Stunden-Zeitverschiebung) aus dem Bett zu quälen. Das scheint mir hier dem Verhalten von Politikern zu ähneln nach dem Motto: wenn die Strassen verstopft sind, bauen wir halt 45-Tonner.

Oder Hartz IV/offiziell: Seit 2004 hat sich in Deutschland die Zahl der Kinder in Armut verdoppelt; mehr als 2,5 Mill. von 15 Mill. Kinder liegen auf Sozialhilfe-Niveau (Hartz IV-privat: von 2001 bis 2005 wurden bei VW an die Kollegen für Vergnügungen 938.000,–€ ausgegeben).

Abhilfe kommt hier offenbar in Form eines Modellprojektes „Familiengesundheitspflege“:

Wieder ein neuer Heilhilfsberuf, das Curriculum ist in Arbeit, die Träger werden sich freuen. Wir hoffen nur, dass die Qualität dieses Personals sich auf EU-Niveau bewegen wird.

Die Zielgruppe dieser Betreuung sind „benachteiligte Gesellschaftsgruppen“, die durch präventive Massnahmen und aufsuchende Betreuung und Beratung besser gesundheitlich versorgt werden sollen. Den Älteren unter uns kommt das bekannt vor, wenn auch jeweils seinerzeit unter anderen Namen.

Von der „grossen Politik“ ist wenig zu erhoffen; sie hat schon immer ihre Kraft ins Ausland verlegt, wenn sie im Innland mit ihren subsidiären Strukturen nicht zurecht kam. Und mit 16 Gesundheitsministerien (und 16 Justizministerien – Achtung, Deutschurlauber, der Sheriff sitzt jetzt wieder in der Dorfkneipe) kann man keine schnellen Übereinkünfte im Sinne aller Bürger erzielen. Derweil sitzen die Strukturbesitzer zusammen und verklausulieren und verkomplizieren geheimnisvoll Selbstverständlichkeiten, die der Zuhörer hochachtungsvoll nur erahnen können soll.

Die Badewanne läuft aber nicht voll, wenn das Wasser abgedreht wird, und die besten Geister fühlen sich verletzt, wenn die Logik mit ihnen respektlos umspringt. Weltbürger sollen wir sein? das können z.Zt. nur die, die gleich ihren Anwalt mit ins Flugzeug nehmen.

Bei der letzten Wahlbeteiligung in einem deutschen Lande fiel mir folgendes Zitat ein, bei dem Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden sollte: „Ist es nicht so, dass sich die Demokratie selber auflöst durch gewisse Unersättlichkeiten in der Freiheit?“ (Plato vor mehr als 2000 Jahren).

VAF e.V.

H. Schwertner

Hinweis:

Die BGV A4 – Arbeitsmedizinische Vorsorge – wird entfallen und soll ab 2007 integriert werden in einen Nachtrag zur BGV/BGR A1.

Schwerpunktmässige Inhalte sollen u.a. sein:

· Tätigkeiten für Pflicht- und Angebotsuntersuchungen;

· Qualifizierung der Ärzte;

· Untersuchungen / Nachgehende Untersuchungen.

· Hinweis: Der Berufsverband der Arzt-, Zahnarzt- und Tierarzthelferinnen (BdA) hat sich in „Verband medizinischer Fachberufe (VMF) umbenannt. Der Verband will sich künftig stärker in die Gesundheitspolitik einmischen.

Ab 1. August 2006 ist für Arzthelferinnen eine neue Ausbildungsverordnung und Berufsbezeichnung in Kraft getreten.

Die Medizinische Fachangestellte sei bei Beibehaltung der bisherigen Schwerpunkte Medizin und Verwaltung künftig stärker auf die Aufgabenbereiche Kommunikation, Patientenberatung, -betreuung und

-koordinierung, Qualitätsmanagement und des Praxismanagement ausgerichtet.

Die Verordnung gilt bundesweit, wenn auch die berufsschulischen Inhalte aufgrund der möglicherweise abweichenden Regelungen auf Länderebene unterschiedlich sein können. VAF e.V.

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