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Psyche und Arbeit – Zwei Welten begegnen sich?*

„Psychische Belastungen“ in der Arbeitswelt: ein Thema, das zunehmend und nicht zuletzt angesichts der steigenden Zahl von Menschen mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung an Bedeutung gewinnt. Und ein Thema, das eine Vielzahl an (Re-)Aktionen ausgelöst hat und auslöst. Viele Berufs- und Interessenverbände, beide Arbeitsschutzaufsicht-Institutionen, die Parteien im politisch Globalen ebenso wie die Sozialpartner im betrieblich Konkreten u.v.m. haben Maßnahmen zur Sensibilisierung für das Thema, zur Erfassung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, zur Prävention und zum Umgang mit Erkrankten entwickelt und umgesetzt. Ein betrieblich unterstützendes Beispiel findet sich in diesem Heft.

Was aber sind „psychische Beanspruchungen“? Ein auf die breite Öffentlichkeit zielender Ansatz, hierüber zu informieren, ist die Wanderausstellung „Dämonen und Neuronen: Psychiatrie gestern – heute – morgen“ (nähere Informationen siehe Kasten). Schon ihr Titel gibt einen Hinweis darauf, wie alt das Wissen um psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen ist. Als Dämon wird in der Antike zunächst ein „Geist“ als „warnende oder mahnende Stimme“ verstanden. Erst unter christlichem Einfluss wandelte sich die Bedeutung dann bis hin zu „Teufel“, „Satan“, „Luzifer“. Heute wird mit „Dämon” – entgegen dem neutralen bis eher positiven Sinn des Ursprungswortes – ausschließlich ein solches „Wesen” bezeichnet, das nach allgemeiner Vorstellung Menschen erschreckt, bedroht oder ihnen Schaden zufügt, also in jeder Hinsicht als böser Geist erscheint.

In der Antike führte der tief verwurzelte Glaube an Geister und Dämonen dazu, dem augenscheinlich besessenen Menschen mit Heilritualen und Dämonenaustreibungen Herr zu werden. Im Mittelalter interpretierten die tief religiös verankerten Menschen psychische Auffälligkeit als Fluch oder Strafe Gottes. Teufelsaustreibungen waren die Folge. Aber auch die Neuzeit schrieb weitere traurige Kapitel. Psychisch auffällige Menschen wurden in Sanatorien und „Blödenanstalten“ mit äußerst zweifelhaften Behandlungsmethoden oder im „Landasyl“ untergebracht. Der Narrenturm in Wien ist heute noch Denkmal für diese Zeit. Auf das Schrecklichste in ihrer Menschenwürde missachtet wurden die psychisch Kranken in der Zeit des Nationalsozialismus: Ihnen wurde das Recht auf Leben abgesprochen.

Einen Wendepunkt stellen die 1970er Jahre dar: 1970 beschäftigte sich der Deutsche Ärztetag erstmals mit dem Thema der psychiatrischen Versorgung. In den folgenden zwei Jahren gründeten sich Vereinigungen wie die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) und die Aktion psychisch Kranke e. V.. Der Bundestag berief eine Psychiatrie-Enquetekommission, die bis 1975 einen „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ erstellte. Ihre Empfehlungen waren der Ausgangspunkt für grundlegende Veränderungen in der Versorgung psychisch Kranker und Menschen mit einer geistigen Behinderung.

Folgt man der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung von 1986, so ist Gesundheit ein „Zustand von umfassendem körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefinden“. Bei der WHO geht es um gerechte Chancen, um individuelle und gesellschaftliche Ressourcen, um Fähigkeiten und Kompetenzen, die eigene und die allgemeine Gesundheit zu fördern. Es geht nicht um vollständige Gesundheit im Sinne von Abwesenheit von Krankheit. Jeder Brillenträger wäre dann krank. Ganz zu schweigen von körperlich, geistig oder seelisch Kranken oder Menschen in einer schwierigen sozialen Situation. Alle Menschen haben ein Recht auf individuelle Gesundheit. Sie müssen gefördert und gefordert werden, nach ihren Kräften ihr eigenes Wohlbefinden zu verbessern.

Diesen Zustand zu erhalten oder zu erreichen ist nicht immer einfach und hat auch etwas mit den Rahmenbedingungen unseres heutigen Lebens zu tun. Die moderne Gesellschaft ist auf Wachstum und Innovation ausgelegt. Aber wir alle leben in einer vorgegebenen Zeitstruktur. Der Tag hat 24 Stunden. Mehr tun und erleben, mehr wissen in weniger Zeit, ständig auf dem Laufenden sein zu wollen, technische Beschleunigung in Transport, Kommunikation und Produktion führen zu einer gefühlten und tatsächlichen Zeitverdichtung. Immer mehr Dinge können in der gleichen Zeit bewältigt werden und das in fast allen Lebensbereichen: In der Freizeit, dem sozialen Zusammenleben ebenso wie in der Arbeitswelt. Dieses Phänomen erleben wir als Beschleunigung.

Wie wir Menschen hierauf reagieren ist individuell verschieden. Manche fühlen sich gefordert. Sie surfen gleichsam auf einer Welle positiven Stresses. Andere versuchen, die sich stetig verändernden Anforderungen mit Sinnfindung zu bewältigen und wieder andere verstummen und ziehen sich zunehmend von Freunden, Familie und Arbeit zurück.

Mit der oft gar nicht geforderten, aber so empfundenen höheren Erreichbarkeit, dem Erleben von Druck und dem vermeintlichen Sinken eigener Handlungsspielräume steigt die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken. Schlafstörungen können erste Anzeichen sein. Immer mehr Menschen beschreiben ihren Zustand als „ausgebrannt“ sein, nicht selten in Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Dauern Erschöpfungszustände länger an, erhöht sich das Risiko an einer Depression, einer Angst- oder Suchtstörung, an Tinnitus oder Bluthochdruck zu erkranken. Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen nehmen zu.

Bei aller Kritik, die man im Umgang mit dem Thema „Burnout“ äußern mag, hat die Berichterstattung doch dazu beigetragen, das Stigma, das auf psychisch kranken Menschen lastet, zu reduzieren. Inzwischen sprechen Prominente öffentlich über psychische Krisen und ihre Möglichkeiten, mit diesen umzugehen. Aber natürlich befasst sich auch die Fachwelt mit dieser Thematik: 2012 hat die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ein Positionspapier zum Thema Burnout erstellt. Neben biologischen, psychologischen und arbeitsplatzbezogenen Bedingungsfaktoren werden dort auch unterschiedliche Maßnahmen zur Prävention, Therapie und Rehabilitation benannt. Und ganz in diesem präventiven Sinne greifen immer mehr Firmen das Thema Stress am Arbeitsplatz auf und bieten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Stresstests und Kurse zur Stressbewältigung an und widmen sich den Arbeitsbedingungen. Was aber mehr noch helfen würde, wäre eine bessere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Experten auf den Gebieten Gesundheit und Arbeit: Wenn der Hausarzt bei seiner Diagnostik auch nach der Arbeit und psychischen Belastungen fragt, wenn der Betriebsarzt über Kenntnisse im Erkennen von psychischen Beanspruchungen verfügt, wenn das Netzwerk von Betrieblichem Gesundheitsmanagement, von Gesundheitsförderung und Eingliederungsmanagement enger geknüpft wird, wenn sich immer mehr Arbeitgeber der Zertifizierung als familienfreundlicher Betrieb stellen: denn nicht wenige Belastungen haben ihre Ursache in mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Trotz der Entwicklungen im Bereich der psychiatrischen Versorgung und der heute guten Behandlungsmöglichkeiten stoßen psychisch kranke Menschen und ihre Familien weiterhin auf große Vorbehalte in der Bevölkerung. Es ist deshalb wichtig, Aufklärung zu betreiben, mit Vorurteilen aufzuräumen und auf mehr Verständnis für psychische Erkrankungen hinzuwirken. Diese Ausstellung leistet hierzu einen wesentlichen Beitrag.

In Form von Video- und Audio-Interviews werden ausgewählte Symptome, Diagnosen und Therapien aus der Sicht von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten sowie anhand prominenter Fallbeispiele verständlich dargestellt. Computersimulationen machen es z. B. möglich, die Wirkung von Psychopharmaka nachzuvollziehen oder durch Epidauros, das berühmteste Heilzentrum der Antike, zu spazieren: eine gute Idee, die sicher auch das Interesse der jüngeren Bevölkerung wecken wird. Und so ist diese Ausstellung fast ein „Muss“ für Schulen. Denn viele psychische Störungsbilder entwickeln sich in der Kindheit oder der Jugend. Es ist daher besonders wichtig, möglichst früh mit der Aufklärungsarbeit zu beginnen, nicht zuletzt, damit Betroffene frühzeitig Hilfe in Anspruch nehmen: Das ist Gesundheitsförderung wie sie sein sollte!

Andreas Meyer-Falcke

* in Anlehnung an die thematische Einführung anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Dämonen und Neuronen“ am 21. März 2014 in Düsseldorf

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