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Treibt die Technik die Arbeit vor sich her?

Vernetztheit wird zum neuen Kollektiv

Treibt die Technik die Arbeit vor sich her?

Das Internet der Dinge und das Schlagwort Industrie 4.0 stehen dafür, dass überall neue Vernetzungen entstehen. Daraus entwickelt der Physiker und Technikphilosoph Prof. Dr. Klaus Kornwachs die These, dass eine dritte Natur des Menschen entsteht, die er nicht mehr abstreifen kann: Vernetztheit wird zum neuen Kollektiv, das dann über die Gesellschaft, vielleicht sogar über die Weltgesellschaft herrscht.

Chance oder Risiko für die Arbeitsgesellschaft? Es wird infolge Industrie 4.0 keinen Untergang der Arbeitswelt geben, aber drastische Änderungen, auf die wir uns werden einstellen müssen. Diese Änderungen müssen sozialverträglich und den Fähigkeiten des Menschen entsprechend angepasst werden. Wir werden zu neuen Verteilungsstrukturen von Macht und Wohlfahrt kommen, und es wird Gewinner und Verlierer geben. Und wie immer bei solchen Entwicklungen muss sich ein Produktions- und Wirtschaftssystem fragen, wie es mit den Verlierern bei der Umgestaltung umgeht. Stabile Gesellschaften und Wirtschaftssysteme wird es nur geben, wenn man die Spannung zwischen wirtschaftlicher Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit immer wieder neu diskutiert, gerade im Hinblick auf die Qualifizierbarkeit der Teilnehmer an einem globalisierten Arbeitsmarkt. Wenn wir es richtig machen, dann ist diese „Revolution“ – die so gewaltig gar nicht ist, weil sie ihre Vorläufer hat, nämlich CIM – eine riesige Chance zu einer weiteren Humanisierung der Arbeitswelt.

Big Data auch hier
Datenanfall und Datenschutz ist ein enorm wichtiges Thema bei der Vernetzung, da sie potentiell Daten zusammenbringen kann, die in ihrer Kombination ganz andere Auswertungen erlauben, als sie bei deren Erfassung einzeln intendiert waren. Bei Industrie 4.0 werden nun in zunehmenden Maße Daten aus dem Produktionsprozess als Daten des Arbeitsprozesses interpretier- und auswertbar. Das war im Prinzip schon in herkömmlichen Produktionssystemen der Fall (z. B. bei CIM), aber hier schlägt in der Tat Quantität in Qualität um. Insbesondere ist aufgrund von Cloud- und Speichertechnologien eine rückwirkende Analyse dieser Datenkombinationen jederzeit möglich. Das gilt auch für die Kommunikationserfassung von Freelancern oder Werkvertragsverhältnissen.

Arbeit im, am und mit dem Netz
Vernetzung in der Arbeitswelt bedeutet auch eine Erhöhung der Geschwindigkeit der Wechselwirkungen gekoppelter Prozesse. So wie beim Hochfrequenzhandel in der Finanzwirtschaft der eine Algorithmus auf die Entscheidung des Algorithmus des andere Partners oder Gegners reagiert, so sind bei Industrie schnelle Kopplung z. B. zwischen Arbeitsstrukturierung/-vorbereitung und Lieferverzögerung möglich, d.h. man kann automatisch schnell reagieren , aber die Zeit zum Überlegen für Eingriffe in einen falsch laufenden Prozess wird dadurch ebenfalls erheblich verkürzt.

Industrie 4.0 bedeutet nicht nur für mobile Werktätige oder Werkvertragsnehmer die Arbeit im, mit und am Netz, sondern jetzt auch für die vor Ort in der Produktion Tätigen. D.h. alle Probleme, die wir bisher bei der Netzarbeit diskutiert haben, tauchen nun auch bei der Arbeit vor Ort, d.h. am direkten Produktionsprozess auf: Entlohnung, Identität, Teilhabe.

Eine Teilautonomie, wie man sie schon zu CIM Zeiten aus den Fertigungsinseln kannte – dispositive Anteile werden auf die Arbeitsebene geschoben – wird in gewisser Weise konterkariert durch die Abhängigkeit von der vernetzten Ebene darüber. Es kommt also entscheidend darauf an, wie man es organisiert.

Der Arbeitsplatz ist auch in der Industrie 4.0-Struktur ein Arbeitsplatz im Netz. Funktion und Aufbau des Arbeitsprozesses werden über hoch selektive Informations- und Stoffflüsse realisiert. Dazu gibt es Firewall, Filterfunktionen und Entscheidungen darüber, welche Information am einzelnen Arbeitsplatz und Arbeitsschritt relevant ist oder nicht. Diese Filterfunktion muss gestaltet werden. Zuviel führt zur Überschwemmung, zu wenig führt zu isolierter Arbeitsteiligkeit; hier ist eine gewisse Re-Taylorisierung ist durchaus denkbar. Ohne selektive Rezeption, die funktional bestimmt sein muss, geht es nicht – wenn man alles mit allem vernetzt, wissen alle alles, aber keiner weiß Bescheid! Deshalb muss man auch nochmals theoretisch über die neuen Produktionsprozesse, die immer auch Kommunikationsprozesse sind (das hat Karl Marx aber auch schon gewusst), heftig nachdenken, d.h. wie weit selektive Rezeption von Aufträgen und Prozessen und Arbeitsteilung durch Ausdifferenzierung der Funktion von Arbeits-Zellen gehen soll.

Wohin unreflektierte Vernetzung führen kann
Der Zusammenbruch der Semipermeabilität ist eine biologische Metapher für die unreflektierte totale Vernetzung. Es geht um die Zerstörung der Arbeitsfähigkeit durch “falsche” Themen von außen und sich als falsch steuernd erweisende Information wie Aufträge, Motivationen, Irritationen durch Metakommunikation etc. All das ist notwendig zu einem gewissen Grade – ab einer bestimmten Intensität der nichtrelevanten Bezüge, die durch ungefilterte Vernetzung zustande kommen kann, bricht die vernünftige Arbeitsteilung zusammen. Richard Sennett beschreibt in seinem Buch: „Der flexible Mensch“ die Situation, in der alle Arbeitseinheiten im Prinzip alles machen. Er zeigt auch drastisch, wie dies, ebenso wie eine taylorisierte Arbeitsteiligkeit, zu Schwund von Motivation und Identität führt. Eine unkontrollierbare Ausdifferenzierung des Arbeitsprozesses führt ebenso zur Entfremdung wie die Enteignung des Wissens darüber, warum man was tut.

Eine deutliche Sprache benutzt auch Sandro Gaycken: „Vernetzung ist aus der Sicherheitsperspektive immer eine schlechte Idee.“ (S. Gaycken: Cyberwar. 2012, S. 234ff): Klaus Kornwachs: Industrie 4.0 – Treibt die Technik die Arbeit vor sich her? 3 „Im Rahmen der Aufstellung einer Cyberdefensive muss also auch ganz dringend über ‚Entnetzung‘ nachgedacht werden. Große Netzwerke, externe Netzwerke, Anschlüsse an das Internet und überhaupt große Zentralisierungen von Steuerungen und Informationen – die Cloud als weiterer Fall – müssen dringend wieder defragmentiert, dezentralisiert, technisch heterogenisiert und auseinandergetrieben werden, wenn kritische Strukturen daran hängen und wenn der Betrieb dieser Systeme nicht notwendig von einer Vernetzung abhängt.“ … „Kritische Strukturen haben am Internet nichts verloren.“ (S. 236) Es geht allerdings nicht nur um Sicherheitsperspektiven, obwohl diese für den Arbeitsprozesse und seine Stabilität gerade in der modernen Produktion unabdingbar sind. Es geht um kritische Strukturen, nicht nur bezüglich der Stabilität des Produktionsprozesses, sondern des Arbeitsprozesses, also der Prozesse mit Menschen im Netz.

Zum Thema „Irreversible Technologien“
Es steht zu befürchten, dass wir mit Industrie 4.0. und dem Wildwuchs der Vernetzung und der zugehörigen Algorithmen ein neues Beispiel von irreversiblen Technologien schaffen. Es gibt zwei Aspekte: Das sind zum einen Technologien, die man nicht mehr los wird, selbst wenn man sie nicht mehr braucht. Beispiele:

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