Sonstiges

„Prevention first“ – Implementierung und Umsetzung eines innovativen Projektes der betrieblichen Gesundheitsförderung
„Prevention first“ – a preventive health promotion program

Zusammenfassung
“€žPrevention First”€œ ist ein Trainingsprogramm mit verhaltenspräventivem Ansatz im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. In Kooperation mit zwei weiteren in Stuttgart ansässigen Unternehmen, der Behr GmbH und Co. KG sowie der Dürr AG, initiierte die Porsche AG dieses Pilotprojekt mit dem Settingansatz “€žBetrieb”€œ. Leistungsanbieter sind das rehamed Stuttgart sowie das Klinikum Ludwigsburg. Die Krankenkassen AOK Stuttgart und TK Stuttgart sind weitere Kooperationspartner. Das Pilotprojekt wurde 2003 durchgeführt und durch das Institut für Sportwissenschaften der Universität Stuttgart als erfolgreich evaluiert. Konzeptionell, organisatorisch und inhaltlich entspricht das Projekt den Qualitätskriterien des Leitfadens “€žGemeinsame und inhaltliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 SGB V”€œ 1. Durch das “€žBest-Practice-Sharing”€œ ist “€žPrevention First”€œ in dieser Form in Deutschland einmalig. Für August 2005 ist die deutschlandweite Ausweitung des “€žPrevention First”€œ-Programmes avisiert. Andere Leistungsanbieter können dann den qualitätssichernden Markenschutz beantragen.

Schlüsselwörter: Betriebliche Gesundheitsförderung “€“ Herz-Kreislauf- und Muskel-Skeletterkrankungen “€“ “€žPrevention First”€œ “€“ Verbundprojekt “€“ Verhaltensprävention

Summary
“€œPrevention First”€œ is a preventive health promotion program. It is based on the preventive idea in the context of workplace health promotion. In cooperation with two other Stuttgart-based companies, Behr GmbH Co. & KG and Dürr AG, the Porsche AG at first initiated this near-service project as a pilot. The pilot project was successfully realized in 2003 with two health insurances, AOK Stuttgart and TK Stuttgart, and the two achievment offerer, rehamed Stuttgart and the clinical centre Ludwigsburg. Conceptionally, organizationally and contend-wise, the project complies with the quality criteria as described in the code of practice “€žGemeinsame und inhaltliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 SGB V”€œ1. Because of the “€œBest-Practice-Sharing”€œ, “€œPrevention First”€œ is one-of-a-kind in this form in Germany. The nationwide expansion of “€œPrevention First”€ is announced for August 2005. Other health insurances and sport centres can apply for the high-quality guaranteed protection of trademarks.
Key words: behavioural prevention treatment “€“ cardiovascular disease “€“ cooperative project “€“ musculoskeletal

Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF)
Deutschland ist wirtschaftlich eine Hochleistungsgesellschaft. Die von den MitarbeiterInnen erbrachten Leistungen können nur dann auf höchstem Niveau und dabei gleichzeitig ohne negative Konsequenzen für die Gesundheit der Beschäftigten gehalten werden, wenn die Unternehmen auch in ihr Humankapital investieren. Diese Investitionen werden teilweise in Form von in den Arbeitsalltag integrierten Programmen durch die betriebliche Gesundheitsförderung erfolgreich umgesetzt. So werden z.B. in vielen Unternehmen regelmäߟig Gesundheitstage durchgeführt. Da MitarbeiterInnen ein Drittel ihrer Tageszeit am Arbeitsplatz verbringen, sollte der gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsplatzumgebung eine hohe Priorität eingeräumt werden. Gesunde MitarbeiterInnen in “€žgesunden Unternehmen”€œ tragen zu Kosteneinsparungen bei. Krankheitsbedingte Fehlzeiten sind teuer. Laut Gesundheitsbericht der IKK2 aus dem Jahr 2002 kosten Fehlzeiten pro MitarbeiterIn je nach Unternehmen und Position der MitarbeiterInnen zwischen 150 und 500 Euro täglich. Diese Summe setzt sich unter anderem zusammen aus Kosten für Produktionsausfall und Lohnfortzahlungskosten. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten sind heute bereits enorm. Im Jahr 2002 ergab sich eine Summe von insgesamt 63 Milliarden Euro. Umgerechnet ist das ein Verlust von 5,1 Millionen Erwerbstätigenjahren. Eine Reduktion von Fehlzeiten von 12 Prozent bis 36 Prozent und eine Verringerung der mit Fehlzeiten verbundenen Kosten um 34 Prozent ergaben sich bei TeilnehmerInnen an Gesundheitsförderungsprogrammen im Rahmen von quasiexperimentellen Studien3 (vgl. Bödecker, W.).
Der Nordische Rat schätzt den Anteil arbeitsbedingter Erkrankungen zwischen 30 bis 40 Prozent. Beschwerden des Muskel-Skelettsystems führen die Liste der arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme an (Abb. 1)6. Schätzungen zufolge sind 30 Prozent der Rückenerkrankungen ergonomiebedingt.
Durch betriebliches Gesundheitsmanagement werden Leistungsfähigkeit und Motivation des Einzelnen positiv beeinflusst, indem Wohlbefinden und Gesundheit der Beschäftigten gesteigert werden, was wiederum zu einer Erhöhung der Produktivität sowie der Qualität der Arbeit führt. Fehlzeiten werden gesenkt und kurative Behandlungskosten reduziert. In Bezug auf Einsparungen bei den Krankheitskosten in den Unternehmen liegt der “€žreturn on investment”€œ (ROI) zwischen 1:2,3 und 1:5,93 (vgl. Bödecker, W.). Es ist bekannt, dass sich die Loyalität der MitarbeiterInnen gegenüber dem Unternehmen durch betriebliche Gesundheitsförderung erhöht4 (vgl. Meier, P.).
Ein Beispiel eines Projektes der betrieblichen Gesundheitsförderung ist das durch die AOK Hessen und die Fraport AG initiierte Projekt für MitarbeiterInnen mit Ladetätigkeiten am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Inhalt des über einen Zeitraum von 19 Monaten durchgeführten Modellprojektes war ein spezielles Gerätetraining zur Kräftigung der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur. Ergebnis des Trainings war die signifikante Reduktion der Arbeitsunfähigkeit um 7,3 Tage pro MitarbeiterIn5 (vgl. Sappich P., Gaber W., Caspar S., Baum K.).

Beweggründe für die Initiierung von “€žPrevention First”€œ
Auf dem Gebiet der Verhältnisprävention führte die Firma Porsche bereits erfolgreich Projekte durch. Unter anderem ist hier das Projekt FELM (fähigkeitsgerechter Einsatz für leistungsgeminderte MitarbeiterInnen) zu nennen. Leistungsgewandelte MitarbeiterInnen werden durch dieses Projekt in den Arbeitsalltag integriert. Personalabteilung, Betriebsrat, Schwerbehindertenvertrauensmann, MitarbeiterInnen der Produktionsstätten und die Betriebsmedizin der Porsche AG erarbeiten im FELM-Projekt gemeinsam Lösungswege zur fähigkeitsgerechten Arbeitsplatzintegration leistungsgewandelter MitarbeiterInnen.
Das Projekt “€žPrevention First”€œ ist dem gegenüber verhaltensorientiert. Ein herausragendes Problem der Erwerbsbevölkerung, so auch bei der Porsche AG, sind Muskel-Skeletterkrankungen. Ausgehend vom ersten Porsche-Gesundheitsbericht 20027 und der Krankheitsartenstatistik des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKKen) aus den Jahren 1999/2000 ergaben sich Handlungsschwerpunkte für betriebsärztliche Interventionen. Danach waren bei den gewerblichen MitarbeiterInnen der Porsche AG 30,2 Prozent und bei den Angestellten ca. 8 Prozent von Muskel-Skeletterkrankungen und Erkrankungen des Bindegewebes betroffen. Die Inzidenz dieser Erkrankungsart stieg zunehmend auch bei jüngeren MitarbeiterInnen an. Weiterhin waren Fehlbelastungen der Wirbelsäule und der Gelenke nachweisbar. Die durchschnittliche AU-Falldauer pro MitarbeiterIn der Porsche AG lag im Jahr 1995 bei 17,2 Tagen. Allgemein ist auf Erkrankungen des Muskel-Skelettsystems sowie des Herz-Kreislaufsystems ein erheblicher Anteil an Frühberentungen zurückzuführen. Notwendige Rehabilitationsmaߟnahmen sind ein beträchtlicher Kostenfaktor. Da Muskel-Skeletterkrankungen an der Spitze der Arbeitsunfähigkeitstage stehen, entstehen für Betriebe hohe Arbeitsausfallzeiten (Abb. 2)8.
Bei leistungsgewandelten MitarbeiterInnen der Porsche AG stehen Erkrankungen im Bereich des Muskel-Skelettsystems sowie des Herz-Kreislaufsystems deutlich im Vordergrund. Psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen sind in den letzten Jahren ansteigend (Abb. 3)9. Zunehmend sind auch jüngere MitarbeiterInnen betroffen. Die Betriebsmedizin der Porsche AG initiierte auf Grund dieser Entwicklungen das verhaltensorientierte Pilotprojekt “€žPrevention First”€œ.
In den westlichen Industrienationen haben ca. 25 Prozent der Frauen und 40 Prozent aller Männer in der Altersgruppe zwischen 25 und 65 Jahren erhöhte Blutdruckwerte. Der international empfohlene Gesamtcholesteringrenzwert von 200 mg/dl wird in Deutschland von 58 Prozent der Frauen und 70 Prozent der Männer überschritten10 (vgl. Bayreuther Beiträge zur Sportwissenschaft).
Das Vorhaben, verhaltenspräventive Maߟnahmen im Unternehmen umzusetzen, wurde durch die in Deutschland vorhandene Datenlage mit einer zu verzeichnenden Erhöhung der Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, ߜbergewicht, schwache Muskulatur und Genussmittelmissbrauch bestätigt. Studien der Krankenkassen und wissenschaftlicher Institute weisen diese Entwicklung nach (vgl. Abb. 4)11. Auch ist in den westlichen Industrienationen in den letzten Jahren ein Anstieg verhaltensbedingter Risikofaktoren fest zu stellen. Insbesondere ߜbergewicht und Adipositas und damit einher gehende krankhafte Veränderungen im Stoffwechselgeschehen (Diabetes mellitus) und im Herz-Kreislauf-System verursachen weltweit erhebliche Kosten12 (vgl. World Health Organization). Körperliche Inaktivität trägt maߟgeblich zu dieser Bilanz bei.
Auf Seiten des Vorstandes des Personal- und Sozialwesens sowie bei der ArbeitnehmerInnenvertretung stieߟ die Absicht, ein Präventionsprogramm bei Porsche zu integrieren, auf Zustimmung. Auch die MitarbeiterInnen der Porsche AG zeigten sich von der Idee, gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber gesundheitsförderlich tätig werden zu können, begeistert.

Ziele des Projektes “€žPrevention First”€œ
Um der beschriebenen Inzidenz von Muskel-Skeletterkrankungen entgegenzuwirken und um die körperliche Leistungsfähigkeit sowie das Immunsystem als präventive Ressource zu stabilisieren, haben die Firmen Behr GmbH und Co. KG, Dürr AG unter Projektleitung der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG das präventive Verbundprojekt “€žPrevention First”€œ initiiert. “€žPrevention First”€œ ist eine verhaltenspräventiv ausgerichtete Maߟnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung und basiert auf einem Rücken- und Gelenktraining zur Förderung des Muskel-Skelettsystems sowie einem Herz-Kreislauftraining zur Förderung des Herz-Kreislaufsystems. Settingansatz ist der Betrieb zur guten Erreichbarkeit der Leistungsanbieter. Alle Partner schlossen eine umfassende Kooperationsvereinbarung unter Mitarbeit des Sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Stuttgart. In dieser Kooperationsvereinbarung wurden unter anderem Ziele des Projektes formuliert. Zunächst wurde dieses betriebsnahe Projekt als Pilot erprobt.
Zu der Zielsetzung des Projektes zählt dann primär die Identifikation und Reduktion von körperlichen Belastungsschwerpunkten für die MitarbeiterInnen neben einer Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Steigerung des persönlichen Wohlbefindens und der Lebensqualität. Weiterhin soll durch dieses Projekt angestrebt werden, Erkrankungen zu verhindern oder auch einer Manifestierung bereits bestehender Gesundheitsprobleme vorzubeugen, die gesundheitsfördernde Eigenkompetenz (Verhaltensänderung) zu erweitern, die Lebensfreude zu steigern sowie gegebenenfalls die Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen zu vergröߟern.
Bei Maߟnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung ist die Prüfung des möglichen so genannten geldwerten Vorteils zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 30.05.2001, VI R 177/99) gehören zum Arbeitslohn alle Vorteile, die Entlohnungscharakter haben. Solche Vorteile sind demgegenüber kein Arbeitslohn, die sich nach Prüfung des Einzelfalls nicht als Entlohnung sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze hat der Bundesfinanzhof in seinem o.g. Urteil ausgeführt, dass für den Fall, dass eine Maߟnahme eines Arbeitgebers einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen vorbeugt oder ihr entgegenwirkt, der den ArbeitnehmerInnen aus der Maߟnahme erwachsende Vorteil im Einzelfall nicht als Arbeitslohn zu interpretieren sein kann. Das heiߟt, bei einer spezifisch tätigkeitsbedingten Belastung bzw. Beanspruchungsreaktion ist unter entsprechender arbeitsmedizinischer Begründung kein geldwerter Vorteil anzunehmen. Zu den körperlich tätigkeitsbedingten Belastungsmerkmalen gehören u.a. ungünstige und einseitige Körperhaltung, ߜberkopfarbeit sowie Belastungen des Bewegungsapparates durch per Hand zu bewegende Lastgewichte.

Projektpartner des Projektes “€žPrevention First”€œ
Zu den Projektpartnern zählen neben den Unternehmen Behr GmbH & Co. KG Stuttgart und Dürr AG Stuttgart zwei Krankenkassen, die AOK Stuttgart und die TK Stuttgart sowie zwei Leistungsanbieter “€“ das Klinikum Ludwigsburg und rehamed Stuttgart. Die Projektkoordination sowie -leitung erfolgt durch das Gesundheitsmanagement der Porsche AG. Das Institut für Sportwissenschaft der Universität Stuttgart (Inspo) begleitet das Projekt.
Behr GmbH & Co. KG ist ein weltweit agierendes Unternehmen mit Stammsitz und Zentrale in Stuttgart. Zu den Produktionsbereichen der Behr-Gruppe gehören schwerpunktmäߟig Fahrzeugklimatisierung sowie Motorkühlung. Die in Stuttgart ansässige Dürr AG ist ein Anbieter von Produktionssystemen für die Automobilfertigung.
Das Unternehmen Porsche ist eine jung gebliebene Automobilmarke, verfügt aber gleichzeitig über eine der längsten Traditionen in dieser Branche. Global sind Porsche Tochtergesellschaften und Importeure angesiedelt.
Da die Porsche AG über keine Betriebskrankenkasse verfügt, sind die AOK Stuttgart und die TK Stuttgart Kooperationspartner. Die meisten MitarbeiterInnen sind in diesen beiden Krankenkassen versichert.
Rehamed als Sport- und Rehabilitationszentrum bietet unter anderem Physiotherapie sowie ambulante orthopädische Rehabilitation an. Die Abteilung der physikalischen Therapie des Klinikums Ludwigsburg ist der zweite projektbezogene Leistungsanbieter. Ambulante und auch stationäre Maߟnahmen der Physiotherapie und Krankengymnastik werden in dieser Abteilung durchgeführt.

Projektentwicklung des Pilotprojektes “€žPrevention First”€œ
Die Meilensteine der Projektentwicklung von den ersten Kooperationsgesprächen bis hin zum Pilotprojekt sind nachfolgend dargestellt (vgl. Abb. 5)13. Ausgehend von den negativen Entwicklungen im Bereich der Muskel-Skeletterkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen, die in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen wurden, sowie den damit verbundenen krankheitsbedingten Fehlzeiten kam es auf Initiative des Gesundheitsmanagements der Porsche AG zu Kooperationsgesprächen zwischen den Firmen Behr GmbH & Co. KG, Dürr AG und der Porsche AG. Diese im November 2001 geführten Gespräche waren der Beginn einer gemeinsamen Projektplanung. Partner des Pilotprojektes waren die Firmen Behr GmbH & Co. KG, Dürr AG sowie die Porsche AG und auch die AOK Stuttgart und die TK Stuttgart. Am 10. Dezember 2001 unterschrieben die beteiligten Partner eine schriftliche Kooperationsvereinbarung. Am 31. Januar 2002 wurde mit dem “€žLetter of Intend “€“ Basiskonzept der Betriebsärzte “€žPrevention First”€œ14 durch die Unterzeichnung der Betriebsärzte die Zusammenarbeit im Rahmen eines Pilotprojektes der betrieblichen Gesundheitsförderung vereinbart. Die beteiligten Unternehmen und Krankenkassen hielten im “€žLetter of Intend”€œ fest, dass sich übereinstimmende Themenschwerpunkte bei der Umsetzung des Präventionsauftrages im Sinne des § 20 Sozialgesetzbuch V ergeben. So sind die im Pilotprojekt aufgegriffenen Bereiche Muskel-Skelett und Herz-Kreislauffunktion bereits in den Handlungsfeldern für den Individualansatz in den Beschlüssen der Spitzenverbände der Krankenkassen (SPIK-Beschlüsse) aufgeführt. Der Qualitätssicherung wurde im “€žLetter of Intend”€œ ein besonderer Stellenwert eingeräumt, um eine möglichst hochwertige Betreuungs- und Dienstleistungsqualität zu sichern. Viel Wert wird demnach auf die Qualität der Dienstleistung, der Fachkräfte, der Ausstattung, der Dokumentation und des Qualitätscontrollings gelegt. Weiterhin wurde im Basiskonzept der Betriebsärzte festgehalten, zu einem späteren Zeitpunkt Möglichkeiten zur Umsetzung des Setting-Ansatzes Sportverein zu überprüfen.
Der Deutsche Sportbund vergibt gemeinsam mit der Bundesärztekammer seit dem Jahr 2000 das Qualitätssiegel “€žSport Pro Gesundheit”€œ für besonders qualifizierten Gesundheitssport. Durch die Kooperation soll vor allem eine deutschlandweite Verbreitung sowie die bundeseinheitliche Qualität der Angebote gewährleistet sein. Das Siegel unterliegt zahlreichen Kriterien. Der Sportverein als wohnortnahes Setting für Gesundheitsförderung steht hierbei im Mittelpunkt15 (vgl. Dr. E. Opper).
Die Vertreter der Krankenkassen signalisierten beim Projekttreffen im Februar 2002 die Bereitschaft, sich an den Kosten gemäߟ der SPIK-Beschlüsse zu beteiligen. Die Verabschiedung des Gesamtkonzeptes “€žPrevention First”€œ fand am 14. März 2002 statt. Der Pilotstart wurde auf den 01. April 2003 terminiert. Die Auswahl der Leistungsanbieter erfolgte auf Grundlage der Empfehlung der Spitzenverbände der deutschen Krankenkassen zur Anbieterqualifikation.

Evaluation
Die Projektpartner haben die Universität Stuttgart, Institut für Sportwissenschaft (inspo) mit der Evaluation der BGF-Maߟnahme betraut. Das inspo führte eine experimentelle Interventionsstudie im varianzanalytischen Design, mit Messwiederholung und stratifizierter, randomisierter Gruppenzuweisung durch. Als Gruppenfaktor (unabhängige Variable) diente die Variable “€žUntersuchungsbedingung”€œ mit den Merkmalsausprägungen “€žTrainingsgruppe”€œ versus “€žWartekontrollgruppe”€œ. Während die Probanden der Trainingsgruppe unmittelbar mit dem Training beginnen konnten, wurden die Probanden der Wartekontrollgruppe auf einen späteren Termin des Trainingsbeginns vertröstet. Als Messwiederholungsfaktoren fungierten drei Gruppen von abhängigen Variablen : “€žleistungsmedizinische Kennwerte”€œ, “€žpsychologische Kennwerte”€œ und sonstige Kennwerte. Gemessen wurden
die Werte der Trainingsgruppe unmittelbar vor Beginn der Intervention (Messzeitpunkt t1), einmal zur Hälfte des Trainingszeitraumes (t2) und ein weiteres Mal unmittelbar nach Abschluss der Intervention (t3). Zusätzlich wurde drei Monate nach Abschluss der Intervention in einem Follow-up erneut gemessen (t4) Die Werte der Wartekontrollgruppe wurden vor Beginn und nach Ende des Trainingszeitraumes der Trainingsgruppe gemessen. Der Erfolg der Maߟnahme wurde über leistungsmedizinische und psychologische Variablen definiert (vgl. Abb. 6)16.
Die randomisierte Gruppenzuweisung führte 63 Personen der Trainingsgruppe und 70 Personen der Wartekontrollgruppe zu, insgesamt 133 Teilnehmer. 24,1 Prozent der teilnehmenden Personen waren Frauen, die Männer stellten mit 69,2 Prozent den Hauptanteil der Teilnehmer. Die Mehrzahl der TeilnehmerInnen zählten zu der Altersgruppe der 36- bis 45- Jährigen (Abb. 7)16.

“€¢ Ergebnisse für die MitarbeiterInnen
Das Institut für Sportwissenschaft der Universität Stuttgart evaluierte das Projekt “€žPrevention First”€œ. Vor Aufnahme des Trainings fand eine betriebsärztliche Eingangsbefragung zur gesundheitlichen Risikoabklärung der Mitarbeiter statt. Die Teilnehmer der Interventionsgruppe konnten ihren Body Mass Index (BMI) im Mittel um 0,5, ihre Rückenmuskelkraft “€“ gemessen an den Wirbelsäulen-Extensoren mit dem Dr. Wolf Back-Checkgerät “€“ von 55,7 auf 65,4 kg verbessern. Die Ausdauerleistungsfähigkeit (PWC 150) stieg von 2,0 auf 2,3 Watt/kgKG signifikant, der Körperfettanteil sank von 23,6% auf 22,2% im Mittel. Neben den positiven körperlichen Effekten der Trainingseinheiten, die bei untrainierten Personen nicht unerwartet sind, sind insbesondere die psychologischen Auswirkungen hervor zu heben. Die subjektiv empfundene Lebensqualität der TeilnehmerInnen stieg statistisch bedeutsam an. Gemessen wurden drei verschiedene Parameter in Form von Punktwerten auf einer Normalskala (WHO-Fragebogen “€žQuality of Life”€œ) Es wurde nach der globalen Einschätzung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gefragt, die von 59,5 auf 73,5 Punktwerte stieg. Die körperbezogene Lebensqualität stieg von 73,6 auf 80,4 und die psychische von 69,2 auf 75,1 Punktwerte. Der skalierte Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ) zeigte einen Anstieg von 36,3 auf 37,8 Punktwerte. Die entsprechenden Werte der Wartekontrollgruppe veränderten sich im selben Zeitraum unwesentlich: so sank der BMI um 0,1, die Rückenmuskelkraft der Wirbelsäulenextensoren stieg von 21,6 auf 22,2. Nach Abschluss des Pilotprojektes trainiert ein beträchtlicher Anteil der zuvor körperlich inaktiven MitarbeiterInnen selbstständig weiter. Entsprechend positiv fiel die Resonanz der teilnehmenden MitarbeiterInnen aus. Das Projekt “€žPrevention First”€œ wurde durch sie mit “€žgut”€œ bis “€žsehr gut”€œ beurteilt. Eine Nachbefragung der Mitarbeiter am Ende der heutigen Folge-Trainingseinheiten ist in Zukunft vorgesehen.

“€¢ Ergebnisse für das Unternehmen
Die Reduzierung von krankheitsbedingten Mitarbeiterfehlzeiten ist ein Vorteil für die Wertschöpfung. Dank der Durchführung der Maߟnahmen im Verbundprojekt kommt es zu Kostenreduzierungen pro Firma durch das Cost-sharing. Mit der Verbesserung des persönlichen und körperlichen Wohlbefindens der MitarbeiterInnen erhöht sich gleichzeitig die Belastbarkeit sowie die Arbeitszufriedenheit. Dieser Zusammenhang konnte durch die Evaluation anhand von Fragebögen nachgewiesen werden. In Folge des gestiegenen Wohlbefindens kann es zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität kommen, was positive Effekte für das Unternehmen nach sich zieht17
(vgl. Cotton und Hart: happy worker hypothesis). Die am Projekt teilnehmenden Unternehmen übernehmen eine Leitbildfunktion für die betriebliche Gesundheitsförderung. Hervor zu heben ist in besonderer Weise weiterhin, dass mit Durchführung des “€žPrevention First”€œ Programms aktiv die gesetzlichen Forderungen aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG § 2, 3 und 4)18 sowie dem Sozialgesetzbuch Band V (§ 20) umgesetzt wurden. Somit wurde die Gesundheitsförderung als Unternehmensverantwortung bewusst übernommen. Der interne und externe Imagegewinn ist ein weiterer Vorteil für die am “€žPrevention First”€œ Programm beteiligten Unternehmen. Die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen wird zukünftig unternehmensseitig und betriebsärztlich weiter intensiviert. Hintergrund ist die neu vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit für Krankenkassen, Unternehmen einen Bonus für betriebliche Gesundheitsförderung zu gewähren: “€žDie Krankenkasse kann in ihrer Satzung auch vorsehen, dass bei Maߟnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durch Arbeitgeber sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.”€œ (SGB V § 65 a, Abs. 3)19.
Ab 01.08.2005 können andere Leistungsanbieter deutschlandweit den qualitätssichernden “€“ beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragenen Markenschutz “€žPrevention First”€œ als Bildmarke beantragen. Ein entsprechender Link wird auf der Seite des Zentralverbandes für ambulante Therapie (ZAT) geschaltet werden
(www.zat-deutschland.de).

Realisationsphase des Projektes “€žPrevention First”€œ
Nachdem das Pilotprojekt als erfolgreich evaluiert durchgeführt wurde, startete “€žPrevention First”€œ im September 2004 mit einem weiteren Trainingszyklus. ߜber die Dauer von drei Monaten findet das Training mit 26 Einheiten, die sich jeweils über einen Zeitraum von 60 bis 90 Minuten Dauer erstrecken, statt. Es erfolgt bei Beginn des Trainings ein Eingangscheck. Zum Abschluss des Programms wird ein Ausgangscheck durchgeführt. Somit können Trainingserfolge nachgewiesen werden. Das Training “€žPrevention First”€œ gliedert sich in einen Praxis- und einen Theorieteil. Es werden Kenntnisse über den Aufbau und die Funktion der Wirbelsäule und der Gelenke vermittelt. Auch werden die KursteilnehmerInnen über Funktion des Herz-Kreislauf-Systems und der Steuerung von Belastungsintensität und Dauer informiert. Das Training besteht aus einem medizinischen Rücken- und Gelenktraining mit Inhalten der klassischen Rückenschule sowie einem Herz-Kreislauftraining an Geräten. Die KursteilnehmerInnen werden an den beiden Trainingsorten, d.h. beim Leistungsanbieter rehamed und beim Klinikum Ludwigsburg, durch PhysiotherapeutInnen und SportlehrerInnen betreut. Die TeilnehmerInnen verteilen sich je nach Vorliebe oder bedingt durch die Lage ihres Wohnortes auf beide Zentren. Die Trainingsstätten befinden sich in örtlicher Nähe zum Setting Betrieb. Die Fahrzeit von der Arbeitsstätte zum Trainingsort beträgt jeweils zwischen 10 und 15 Minuten. Um auch den im Schichtbetrieb tätigen MitarbeiterInnen eine Teilnahme am Programm zu ermöglichen, ist das Training bei den Leistungsanbietern den gesamten Tag über möglich. Die Kurse finden auߟerhalb der Arbeitszeit statt.

Ausblick
Der sehr gute Erfolg des Pilotprogramms “€žPrevention First”€œ sowie die steigende Nachfrage durch MitarbeiterInnen führten dazu, dass das Projekt weitergeführt wird. Die im Jahr 2005 beginnenden Trainingseinheiten sind gemessen an der Gesamtkapazität fast ausgebucht.

Kosten
Die Akteure des “€žPrevention First”€œ Programms splitten die entstehenden Kosten vereinbarungsgemäߟ auf. Krankenkassen und Unternehmen übernehmen jeweils 40 Prozent der Kosten, die MitarbeiterInnen beteiligen sich mit 20 Prozent Eigenanteil an den Gesamtkosten. In beiden Trainingsstätten werden Anwesenheitslisten geführt. Eine Teilnahme durch die MitarbeiterInnen an mindestens 80 Prozent der Termine ist Voraussetzung für die Kostenbeteiligung durch die Krankenkassen und die Unternehmen. Selbstverständlich können nicht nur die bei der AOK und der TK versicherten MitarbeiterInnen am “€žPrevention First”€œ Programm teilnehmen. Erfahrungsgemäߟ ergeben sich keine Probleme bei der Kostenübernahme bei den im Verband der Angestellten Krankenkassen VdAK organisierten Krankenkassen und den Betriebskrankenkassen (BKKen).

Literaturverzeichnis
1 Sozialgesetzbuch; Fünftes Buch (V); Gesetzliche Krankenversicherung; § 20 Abs. 1; Stand Juli 2004

2 IKK-Gesundheitsbericht, 2002

3 Bödeker W, Kreis J. Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention; Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz, Initiative Gesundheit und Arbeit, 2003

4 Meier P, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitnehmerschutz, Zürich “€žWo bleibt bei all der Arbeitssicherheit der Gesundheitsschutz?”€œ, 2004

5 Sappich P, Gaber W, Caspar S, Baum K, Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin 8/2001: Reduktion von diagnosespezifischer Arbeitsunfähigkeit bei Ladearbeitern durch eine gezielte medizinische Trainingstherapie für die Wirbelsäule, S. 371-377, 2001

6 Bundesrat, Drucksache 14/03 vom 08.01.03, Seite 17, Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2001, 2003

7 AOK-Gesundheitsbericht 1995, 1995

8 Krankheitsartenstatistik des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen 1999/ 2000

9 Laun G, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Daten des Gesundheitsmanagements, 1995

1011 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, 2000

12 World Health Organization, The World Health Report, Geneve: WHO, 2002

13 Chmura M, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Protokolldaten des Gesundheitsmanagements, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG , 2002

14 Groߟmann K, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Letter of Intend “€“ Basiskonzept der Betriebsärzte “€žPrevention First”€œ, 2002

15 Opper E, Institut für Sportwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt, Beitrag der Loseblattsammlung: Bundesvereinigung für Gesundheit (Hrsg.): Gesundheitsförderung: Strukturen und Handlungsfelder. Neuwied, Kriftel: Luchterhand “€“ Ergänzung, 2001

16 Schlicht W, Brand R, Institut für Sportwissenschaft der Universität Stuttgart, Abschlussbericht der Evaluatoren, Folie 2 und Folie 5, 2004

17 Cotton P, Hart PM, Occupational wellbeing and performance: A review of organisational health research, Aust Pschol, 38(2), S. 118-127, 2003

18 Arbeitsschutzgesetz; Gesetz über die Durchführung von Maߟnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit; § 2,3 und 4, Stand Juli 2004

19 Sozialgesetzbuch; Fünftes Buch (V); Gesetzliche Krankenversicherung; § 65 a Abs. 3; Stand August 2004

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Kay Groߟmann
Arzt für Arbeits- und Allgemeinmedizin,
Flug-, Sport- und Umweltmedizin
Leiter Gesundheitsmanagement
Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
70435 Stuttgart
Telefon: 0049 711 9112 7001
Fax: 0049 711 9112 6090
E-Mail: kay.grossmann@porsche.de

Prof. Dr. Wolfgang Schlicht
Universität Stuttgart
Institut für Sportwissenschaft
Allmandring 28, 70569 Stuttgart
Telefon: 0049 711 685 315 2
Fax: 0049 711 685 316 5
E-Mail: wolfgang.schlicht@sport.uni-stuttgart.de

1) Dr. med. Kay Groߟmann, Arzt für Arbeits- und Allgemeinmedizin, Flug-, Sport- und Umweltmedizin, Leiter Gesundheitsmanagement Dr. Ing. h. c. Porsche AG, Stuttgart

2) Prof. Dr. W. Schlicht, Universität Stuttgart, Institut für Sportwissenschaften, Stuttgart

K. Großmann1, W. Schlicht2

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