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Studierenden geht es deutlich schlechter als vor der Pandemie

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Wie der TK-Gesundheitsreport 2023 zeigt, ist mehr als jede und jeder dritte Studierende Burnout-gefährdet. „Studierende haben bisher immer zu der Bevölkerungsgruppe gehört, der es gesundheitlich überdurchschnittlich gut geht. Das hat sich geändert. Die Studie zeigt, dass die Gesundheit der Studierenden sich deutlich verschlechtert hat und jetzt auf dem Niveau aller Erwachsenen liegt“, erklärt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). „Da müssen wir genauer hinschauen. Denn die Fach- und Führungskräfte von morgen sollen gesund ins Berufsleben starten – eine wichtige Grundlage, um im Job langfristig zufrieden und leistungsfähig zu bleiben.“

Stress und emotionale Erschöpfung

Für den Report hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der TK im Januar 2023 1.000 Studierende zu ihrer Gesundheit befragt. 68 Prozent der Befragten geben an, aktuell oder in den letzten 12 Monaten durch Stress erschöpft zu sein (2015: 44 Prozent), 59 Prozent klagen über Kopfschmerzen (2015: 47 Prozent), 55 Prozent sind von Rückenschmerzen betroffen (2015: 40 Prozent), 53 Prozent leiden unter Konzentrationsstörungen (2015: 21 Prozent) und 43 Prozent haben Schlafprobleme (2015: 27 Prozent). „Permanenter Stress und häufige Belastungen können auf Dauer zu Burnout führen“, erklärt Professor Bertolt Meyer von der TU Chemnitz, der die Befragung für die TK ausgewertet hat. In der Gesamtschau zeigt sich, laut Meyer, dass sich 37 Prozent der Studierenden stark emotional erschöpft fühlen, besonders Frauen sind mit 44 Prozent stark betroffen. Bei einer vergleichbaren Studie von 2017 lag der Wert für die Studierenden insgesamt noch bei 25 Prozent. Emotionale Erschöpfung gehört zu den Leitsymptomen für drohenden Burnout.

Studierende der Sprachwissenschaften und von Jura besonders betroffen

Besonders betroffen von hoher emotionaler Erschöpfung sind die Studierenden der Sprach- und Kulturwissenschaften (56 Prozent), gefolgt von den angehenden Juristinnen und Juristen (44 Prozent) und der Gruppe der Fachbereiche Medizin, Gesundheitswissenschaften und Psychologie sowie der Gruppe der Geistes- und Sozialwissenschaften und Pädagogik (jeweils 40 Prozent). Am wenigsten belastet fühlen sich Studierende von Kunst und Kunstwissenschaften (26 Prozent).

Deutlich mehr Studierende erhalten Antidepressiva

Die psychische Belastung spiegelt sich auch in den Auswertungen der Arzneimittelverordnungen der bei der TK versicherten Studierenden im Alter zwischen 20 und 34 mit eigener Mitgliedschaft bei der TK wider. So ist der Anteil der Studierenden, die Antidepressiva verordnet bekommen haben, von 2019 auf 2022 um 30 Prozent gestiegen. „Damit erhalten Studierende deutlich häufiger Antidepressiva als gleichaltrige Erwerbspersonen“, erklärt Dr. Thomas Grobe, aQua-Institut für angewandte Wissenschaften: „Bei männlichen Studierenden nahm die Verordnungsrate um 18 Prozent zu, bei weiblichen sogar um 38 Prozent.“ Dazu TK-Chef Baas: „Der Anstieg ist alarmierend. Medikamente sind in vielen Fällen ein Segen. Wir müssen jedoch im Blick behalten, dass nicht auf jede Art von Stress oder Belastung Tabletten die richtige Antwort sind.“

Prüfungsdruck, Angst vor schlechten Noten, finanzielle Sorgen

Zu den Hauptbelastungsfaktoren der Studentinnen und Studenten gehören Prüfungen (51 Prozent), Mehrfachbelastung durch Studium und nebenbei arbeiten (33 Prozent), Angst vor schlechten Noten (28 Prozent), schwieriger oder umfangreicher Lernstoff (28 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (23 Prozent). Auch die coronabedingten Einschränkungen im Studium und im Alltag wirken nach. 35 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich durch die Folgen der Pandemie belastet fühlen. Allerdings sagen nur zehn Prozent, dass das digitale Studium eine Belastung für sie sei. „Während der Pandemie mussten die Hochschulen innerhalb kurzer Zeit auf die digitale Lehre umstellen“, so Meyer. „Obwohl die Studierenden die digitale Lehre grundsätzlich positiv beurteilen, zeigt die Befragung, dass die Studentinnen und Studenten doch sehr unter den Begleiterscheinungen leiden, dazu zählen etwa fehlende Sozialkontakte, weniger Bewegung, lange Bildschirmzeiten und Einsamkeit.“ 

Weniger Alkohol, mehr Yoga

Zu den Hauptentspannungsstrategien der Studierenden gehören Treffen mit Freunden oder der Familie (90 Prozent), Spazierengehen (82 Prozent) und Sport treiben (73 Prozent). 28 Prozent nutzen Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Yoga, um runterzukommen. 2015 waren es noch 16 Prozent. Alkohol und Nikotin zum Stressabbau scheinen hingegen rückläufig. Auch wenn immer noch ein Viertel (25 Prozent) der Befragten angibt, Alkohol zu trinken, um Stress abzubauen, sind das deutlich weniger als 2015 (39 Prozent). 12 Prozent der Befragten rauchen, um sich zu beruhigen, 2015 waren es noch 17 Prozent. Mit sieben Prozent ist der Wert der Befragten, die Cannabis zur Entspannung konsumieren, im Vergleich zu 2015 in etwa gleichgeblieben (6 Prozent). 

„Ein Stressreduktionskurs reicht nicht“

Um die Leistungsfähigkeit der kommenden Generationen auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, seien die Hochschulen dringend aufgefordert, in die Gesundheit ihrer Studentinnen und Studenten zu investieren, so TK-Chef Baas. „Wichtig ist, sich die Probleme genauer anzuschauen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln – beispielsweise mit einem gezielten studentischen Gesundheitsmanagement. Lösungen könnten etwa ein bewegungsfreundlicher Campus sein oder die bessere Organisation von Prüfungsphasen. Ein Stressreduktionskurs reicht da nicht.“ 

Methodik

Für den Gesundheitsreport 2023 wertete die TK die Krankschreibungen der 5,6 Millionen bei der TK versicherten Erwerbspersonen aus. Dazu zählen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Empfänger von Arbeitslosengeld I. Für das Schwerpunktthema „Gesundheit Studierender“ wurden zudem die Arzneimittelverordnungen sowie ambulante Diagnosedaten von Studierenden im Alter zwischen 20 und 34 Jahren mit eigener TK-Versicherung in den Jahren 2006 bis 2022 ausgewertet. Zusätzlich hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa für die repräsentative Umfrage im Auftrag der TK vom 5. bis 20. Januar 2023 telefonisch bundesweit insgesamt 1.000 Studierende ab 18 Jahren zu ihrer Gesundheit befragt. Die Vergleichszahlen stammen aus dem TK-Campus-Kompass aus dem Jahr 2015.


Kernaussagen

Befragungsergebnisse zur Gesundheit Studierender 2023 auf einen Blick

Für ihren aktuellen Gesundheitsreport „Wie geht’s Deutschlands Studierenden?“ hat die Techniker Krankenkasse (TK) im Januar 2023 repräsentativ bundesweit insgesamt 1.000 Studierende ab 18 Jahre vom Meinungsforschungsinstitut Forsa zu ihrer Gesundheit befragen lassen. Die Vergleichszahlen aus dem Jahr 2015 stammen aus der Vorgängerbefragung
„TK-Campus-Kompass“.

Allgemeiner Gesundheitszustand hat sich gegenüber 2015 deutlich verschlechtert

Schätzten 2015 noch 84 Prozent der Studierenden ihren Gesundheitszustand insgesamt als sehr gut/gut ein, sagen dies 2023 nur noch 61 Prozent der Befragten. Zugleich nahm der Anteil der Studierenden deutlich zu, die ihre Gesundheit als weniger gut/schlecht beschrieben (2023: 10 Prozent, 2015: 3 Prozent).

Top 3 der Beschwerden: Erschöpfung durch Stress, Kopf- und Rückenschmerzen

68 Prozent der Studierenden geben an, aktuell oder in den letzten 12 Monaten durch Stress erschöpft zu sein, 59 Prozent klagen über Kopfschmerzen, 55 Prozent sind von Rückenschmerzen betroffen. 53 Prozent leiden unter Konzentrationsstörungen. 43 Prozent haben Schlafprobleme. Zu den Beschwerden gehören auch Magenbeschwerden oder Übelkeit
(34 Prozent), depressive Verstimmung (34 Prozent) und häufige Erkältungskrankheiten (30 Prozent). Einsamkeit macht
29 Prozent der Studierenden zu schaffen.

Folgen der Coronapandemie zehren an einem Drittel der Studierenden

Mehr als ein Drittel der Studierenden (35 Prozent) in Deutschland fühlt sich im Studium durch die Folgen der Coronapandemie sehr stark oder stark belastet. Bei denjenigen, die vor der Pandemie ihr Studium aufgenommen haben, sind es
44 Prozent. Wer die digitale Lehre als mittelmäßig oder sogar schlecht bzw. sehr schlecht einschätzt, ist besonders belastet. Von ihnen geben 51 Prozent an, sehr stark/stark belastet zu sein.

Rund zwei Drittel durch die Folgen der Pandemie wenig oder gar nicht belastet

Rund zwei Drittel der Studierenden (65 Prozent) geben an, dass sie sich ein wenig oder überhaupt nicht belastet fühlen. Gute digitale Lehre federt die Pandemiefolgen offenbar ab. Bei denjenigen, die der digitalen Lehre ein gutes oder sehr gutes Zeugnis ausstellen, sind es 73 Prozent. Auch eine gute Gesundheit schützt. 72 Prozent der Studierenden, die ihren Gesundheitszustand als gut/sehr gut bezeichnen, fühlen sich in ihrem Studium durch die Folgen der Coronapandemie überhaupt nicht oder höchstens ein wenig belastet.

62 Prozent stellen digitaler Lehre gutes Zeugnis aus

62 Prozent der Studierenden sagen, dass sie aktuell die digitale Lehre in ihrem Studienalltag insgesamt als sehr gut/gut bewerten. Sieben Prozent sind unzufrieden und bewerten die Digitalformate ziemlich schlecht bzw. sehr schlecht.

Digitalisierung im Studienalltag macht einsam

Trotzdem werden auch Minuspunkte genannt. So sagen mehr als zwei Drittel der Studierenden (71 Prozent), dass sie durch die Digitalisierung im Studienalltag weniger Sozialkontakte an der Hochschule haben. 44 Prozent beklagen eine zunehmende Einsamkeit.

Die zwei Seiten der digitalen Lehre: Sie kann auch die Gesundheit belasten

65 Prozent der Studentinnen geben zudem an, dass sie sich aufgrund der zunehmenden Digitalisierung im Alltag weniger bewegen. Bei den männlichen Studenten sind es 56 Prozent. Langes Arbeiten am Bildschirm empfinden 67 Prozent der Frauen als gesundheitlich belastend, bei den Männern ist es knapp die Hälfte (46 Prozent). Insgesamt strengen 45 Prozent der Studierenden digitale Lehrveranstaltungen mehr an als Präsenz-Veranstaltungen. Auch die Eigenmotivation leidet:
So sagen 40 Prozent der angehenden Akademikerinnen und Akademiker, dass die zunehmende Digitalisierung es ihnen schwerer macht, sich zum eigenständigen Arbeiten zu motivieren. Wer die digitale Lehre als schlecht einstuft, ist in der Regel stärker gesundheitlich belastet als diejenigen, die mit ihrem digitalen Lehrangebot zufrieden sind.

Studierende unter Strom: 87 Prozent der Studierenden häufig/manchmal gestresst

90 Prozent der weiblichen Studierenden geben an, dass sie sich durch Studium oder Privatleben häufig oder manchmal gestresst fühlen. Bei den Studenten sind es 83 Prozent. Im Durchschnitt aller Studierenden sagen dies 87 Prozent.
Nur 13 Prozent geben an, selten oder sogar nie gestresst zu sein.

Prüfungen setzen jeden Zweiten unter Druck

Stressfaktor Nummer Eins sind Prüfungen: Sie setzen 51 Prozent der Studierenden unter Druck. Frauen (58 Prozent) sind stärker betroffen als Männer (43 Prozent). Weitere Belastungsfaktoren sind die Mehrfachbelastung durch Studium und nebenbei arbeiten (33 Prozent), Angst vor schlechten Noten (28 Prozent), zu schwieriger oder umfangreicher Lernstoff
(28 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (23 Prozent). Fehlende Rückzugsmöglichkeiten an der Hochschule und die digitale Lehre stressen jeweils zehn Prozent. —–

Top 3 der Entspannungsstrategien: Freunde treffen, spazieren gehen, Sport treiben

Um Stress abzubauen, treffen sich Studierende mit Freunden oder Familie (90 Prozent), gehen spazieren oder gehen raus (82 Prozent) und treiben Sport (73 Prozent). Beliebt sind auch selbst kochen oder essen gehen (72 Prozent), im Internet surfen oder Videospiele spielen (71 Prozent). Die Hälfte der Studierenden entspannt sich beim Fernsehen (53 Prozent). Rund ein Viertel setzt auf Entspannungstechniken wie Yoga oder Autogenes Training (28 Prozent).

Männer greifen eher zu Alkohol und Zigaretten

31 Prozent der männlichen Studenten greifen zu Wein oder Bier, um Stress abzubauen. Bei den Studentinnen trinken
19 Prozent Alkohol, um zu entspannen. 15 Prozent der männlichen Studenten rauchen (Frauen: 9 Prozent). Zehn Prozent der männlichen Hochschüler konsumieren zur Entspannung Cannabis (Frauen: drei Prozent). Vier Prozent der Studierenden nehmen Beruhigungsmittel.

Gesundheitsförderliche Hochschule: Studierende sehen Verbesserungsbedarf

82 Prozent der Studentinnen und Studenten sehen Verbesserungsbedarf bei der Ausstattung ihrer Hochschule mit ergonomischen Stühlen und Tischen, 70 Prozent bei der gesundheitsförderlichen Ausgestaltung von Vorlesungen und Seminaren beispielsweise durch kurze Bewegungspausen und 48 Prozent bei Kursen für die mentale Gesundheit wie beispielsweise Stressbewältigung.

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