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DGUV Vorschrift 2

Zusammenfassung Am 1. Januar 2011 tritt die reformierte Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ – DGUV Vorschrift 2 – in Kraft. Mit dieser Unfallverhütungsvorschrift gibt es erstmals für Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand eine gleich lautende Vorgabe zur Konkretisierung des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG). Das ASiG wird somit in allen Betrieben und Bildungseinrichtungen in Deutschland einheitlich konkretisiert. Für die Regelbetreuung aller Betriebsgrößen gilt das neue Konzept ab Januar 2011. Die bei den Berufsgenossenschaften bereits eingeführte alternative Kleinbetriebsbetreuung gilt ab dem 1. Januar 2013 auch bei den Unfallkassen. Schlüsselwörter

· Arbeitssicherheitsgesetz

· DGUV Vorschrift 2

· Betriebsarzt

· Fachkraft für Arbeitssicherheit

· DGUV Regulation 2

· occupational physicians

· occupational safety specialists

Bisherige Regelungen zum Arbeitssicherheitsgesetz
Neben Fragen der Praktikabilität bei der Umsetzung der Unfallverhütungsvorschrift weisen die existierenden Regelungen eine Reihe von Schwachstellen auf. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Akzeptanz eines ausschließlich über „verordnete“ Einsatzzeiten vermittelten Beratungsangebotes bei den betroffenen Unternehmen, aber auch bei den Dienstleistern mehr und mehr kritisch gesehen wird. Um zeitgemäßen Arbeitsschutz in den Betrieben nachhaltig zu verankern, bedarf es der Überzeugung und Motivation der Betroffenen in passgenaue Beratungs- und Betreuungsangebote zu investieren. Genau an diesem Punkt weisen die bisherigen Regelungen große Defizite auf: Unter den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung mehr oder weniger unabgestimmt kam es zur Festlegung von Einsatzzeiten pro Jahr und Arbeitnehmer. In teilweise komplexen Berechnungsverfahren wurde versucht, gerechte Betreuungsverfahren zu erreichen. Die inhaltliche Diskussion blieb dabei – mit Ausnahme der im Gesetz bereits beschriebenen Inhalte – weitestgehend auf der Strecke. Den individuellen Unterschieden und Bedürfnissen einzelner Unternehmen tragen die bisherigen Regelungen nicht Rechnung.

Rückmeldungen von Unternehmensseite – und zwar sowohl von den Unternehmern, Führungskräften oder Personalverantwortlichen als auch seitens der Versicherten zeigen, dass erhebliche Unsicherheiten bei der inhaltlichen Ausgestaltung der verordneten Einsatzzeiten bestehen. Es bleibt mehr oder weniger den Dienstleistern überlassen, wie sie die Einsatzzeiten inhaltlich nutzten. Die Qualität der erbrachten Dienstleistungen ist auch dadurch ungünstig beeinflusst worden, dass sich teilweise ein Trend hin zu „Dumping-Stundensätzen“ entwickelt hat. Auch weisen die bisherigen Regelungen ein Gerechtigkeitsproblem auf: Auf Grund der differenzierten Vorgehensweise zur Ermittlung von Einsatzzeiten bei Berufsgenossenschaften und Unfallkassen werden gleiche Unternehmen hinsichtlich der Einsatzzeiten nicht gleich behandelt. Wirft man einen Blick zu unseren europäischen Nachbarn, so wird darüber hinaus deutlich, dass die Regelungen zur Umsetzung des ASiG zu Festlegungen geführt haben, die kritische Geister als Überregulierung bezeichnen.

Grundsätze der Reform
Die Reform zur DGUV Vorschrift 2 war auch aus politischen Gründen unumgänglich. Bereits im Februar 2002 hatte das Bundesarbeitsministerium den damaligen HVBG aufgefordert, gemeinsam mit den Berufsgenossenschaften eine Reform der Kleinbetriebsbetreuung auf den Weg zu bringen. Vor diesem Hintergrund entstand die BGV A2/ GUV-V A2. Die Genehmigung dieser nunmehr teilweise reformierten Unfallverhütungsvorschrift verknüpfte das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) mit der Auflage, nunmehr ebenso die Regelbetreuung der Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten zu reformieren und insbesondere zu vereinheitlichen. Entsprechende Reformforderungen enthielt auch ein Bundesratsbeschluss (661/06) der Länder.

Die Zusammenführung der Unfallversicherungsträger unter dem gemeinsamen Dachverband DGUV verstärkte das Bestreben nach einheitlichen Regelungen im autonomen Satzungsrecht. Dadurch war nun auch die erforderliche organisatorische Struktur entstanden, um eine Vorschrift wie die nun vorliegende zu entwickeln. Die Regelungen der DGUV Vorschrift 2 vereinheitlichen zukünftig die Betreuungsanforderungen innerhalb des gewerblichen Sektors sowie zwischen gewerblichem und öffentlichem Bereich und stellen sicher, dass gleichartige Betriebe auch gleich behandelt werden und die Vorgaben zum Betreuungsumfang nicht mehr differieren. So unterliegen beispielsweise Krankenhäuser, Kindertagesstätten oder Flughäfen, gleichgültig ob in privater oder öffentlicher Trägerschaft, grundsätzlich denselben Betreuungsanforderungen.

Im Mittelpunkt der Reform steht das neue Konzept der Regelbetreuung der Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten. Die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung besteht hier zukünftig aus zwei Komponenten: Der Grundbetreuung, für die in der Unfallverhütungsvorschrift Einsatzzeiten vorgegeben werden und dem betriebsspezifischen Betreuungsanteil, der von jedem Betrieb selbst zu ermitteln ist. Beide Teile sind verpflichtend. Durch die Grundbetreuung wird sichergestellt, dass für vergleichbare Betriebe identische Grundanforderungen bestehen. Der betriebsspezifische Teil stellt sicher, dass der Betreuungsumfang passgenau den betrieblichen Erfordernissen angepasst werden kann (vgl. Abbildung 1).

Grundbetreuung
Die Grundbetreuung ist darauf ausgerichtet, den Arbeitgeber darin zu unterstützen, seine im Arbeitsschutzgesetz festgelegten Pflichten zu erfüllen, die unabhängig von der Art und Größe des Betriebs kontinuierlich anfallen. Die Leistungen von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten im Rahmen der Grundbetreuung konzentrieren sich auf diese Basisaufgaben des betrieblichen Arbeitsschutzes. Sie umfassen Betreuungsleistungen, die unabhängig von betriebsspezifischen Erfordernissen immer zu erbringen sind. Der Umfang der Grundbetreuung wird über die Zuweisung des Betriebs zu einer von drei Betreuungsgruppen bestimmt. Durch die Multiplikation der Zahl der Beschäftigten mit einem gruppenspezifischen Stundenfaktor wird die Einsatzzeit berechnet.

Die Einstufung der Betriebsarten in eine der drei Betreuungsgruppen der Grundbetreuung wird nach dem in Deutschland geltenden WZ-Kode (Klassifizierung der Wirtschaftszweige) vorgenommen. Damit ist gewährleistet, dass für gleichartige Betriebe wie beispielsweise Kliniken, Altenpflegeheime oder Veranstaltungsstätten dieselben Betreuungszeiten und Ansprüche an die Grundbetreuung gelten (vgl. Abbildung 2).

Die genannten Einsatzzeiten stellen Summenwerte für Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit dar. Die konkrete Aufteilung zwischen beiden ist Sache des Unternehmers (hierbei wirkt die betriebliche Interessenvertretung mit, Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit beraten). Der Mindestanteil für eine der beiden Disziplinen beträgt jeweils 20 Prozent, mindestens aber 0,2 Stunden pro Jahr und Beschäftigtem. Dieser Anteil darf nicht unterschritten werden.

Betriebsspezifische Betreuung
Die betriebsspezifische Betreuung trägt den speziellen Erfordernissen des jeweiligen Betriebs Rechnung, wie sie zum Beispiel aus seiner Art und Größe hervorgehen. Sie geht immer von den spezifischen betrieblichen Gefährdungen, Situationen und Anlässen eines Betriebes aus. Die zu erbringenden Unterstützungsleistungen setzen auf den Basisleistungen der Grundbetreuung auf und ergänzen sie um die betriebsspezifisch entweder dauerhaft oder temporär erforderlichen Betreuungsleistungen. Dementsprechend sind auch für die betriebsspezifische Betreuung keine festen Einsatzzeiten vorgeschrieben. Der Unternehmer muss unter Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertretung ermitteln und prüfen, welche Aufgaben im Betrieb erforderlich sind und welcher Personalaufwand zur Erfüllung dieser Betreuungsleistungen erforderlich ist. Dabei hat er sich vom Betriebsarzt und der Fachkraft beraten zu lassen, die ihm dazu Vorschläge unterbreiten sollen. In der Vorschrift 2 ist das hierzu anzuwendende Ermittlungsverfahren beschrieben.

Das Verfahren zur Festlegung der betriebsspezifischen Betreuung erfordert eine systematische Prüfung der erforderlichen Aufgaben anhand eines vorgegebenen Katalogs von 16 Aufgabenfeldern sowie von Auslöse- und Aufwandskriterien. Anhand der Auslösekriterien ist zu entscheiden, ob ein Betreuungsbedarf in dem jeweiligen Aufgabenfeld vorhanden ist. Mit Hilfe von Aufwandskriterien werden die zu erbringenden Betreuungsleistungen näher festgestellt. Der dazu erforderliche Zeitaufwand muss zwischen Unternehmer einerseits und Betriebsarzt und Fachkraft andererseits bei Beachtung der Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung festgelegt und vereinbart werden. Die erforderlichen Personalressourcen werden somit leistungsbezogen bestimmt und nicht umgekehrt erst Ressourcen festgelegt und dann die Leistungen konkretisiert. Dies eröffnet allen Beteiligten hohe Transparenz der von Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit zu erbringenden Betreuungsleistungen.

Wichtig für Betriebsärzte: Die arbeitsmedizinische Vorsorge wird als Aufgabenfeld 1.4 des betriebsspezifischen Teils der Betreuung aufgeführt. Die DGUV Vorschrift 2 regelt somit, dass die individuelle arbeitsmedizinische Vorsorge nach ArbMedVV dem betriebsspezifischen Teil der Betreuung zugeordnet wird und somit nicht Bestandteil der Einsatzzeiten der Grundbettreuung ist. Zur Grundbetreuung gehört jedoch die kollektive arbeitsmedizinische Beratung der Beschäftigten, zum Beispiel im Rahmen von Unterweisungen. Alle individuellen Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge, wie insbesondere die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen, sind jedoch Gegenstand der betriebsspezifischen Betreuung (vgl. Abbildung 3).

Reform in der Zusammenfassung
Die Aufgaben für die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung werden zukünftig auf der Grundlage detaillierter Leistungskataloge ermittelt. Daraus lassen sich der notwendige Zeitaufwand und die personellen Ressourcen vom Betrieb ableiten. Ausgangspunkt sind stets die im jeweiligen Betrieb vorhandenen Arbeitsbedingungen und Gefährdungen. Statt der Vorgabe pauschaler Einsatzzeiten für den Betreuungsumfang – die bisher zudem zwischen den Unfallversicherungsträgern stark variierten – richtet sich der Betreuungsbedarf zukünftig nach den tatsächlich vorliegenden betrieblichen Gefährdungen und Bedürfnissen. Mit der Vorschrift 2 geht damit ein völlig neues Konzept zur betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung an den Start: Im Mittelpunkt stehen jetzt ein moderner, bedarfsorientierter Arbeitsschutz und die damit verknüpften Aufgaben und Leistungen der betrieblichen Akteure. Diese veränderte Philosophie fördert die aktive Auseinandersetzung mit dem Arbeitsschutz, stößt Debatten über seine effektive Ausrichtung an. Sie erfordert einen kontinuierlichen Dialog zwischen Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Unternehmer unter Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung. Längerfristig erhöht sich dadurch die Qualität der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes.

Herausforderungen für die Umsetzung des neuen Konzeptes
Es ist klar, dass der neue Weg der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung nicht risikofrei ist. Die Neuregelung enthält sicherlich Elemente, die der Eine oder Andere kritisch sieht, für deren Umsetzung noch praxiserprobte Maßnahmen entwickelt werden müssen und die sich in der Praxis auch noch bewähren müssen. Auch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollten hier ihren Beitrag liefern, indem sie konstruktive Vorschläge für die Ausgestaltung des neuen Rahmens einbringen und hierbei zusammenarbeiten. Abzuwarten ist auch, wie sich die Handlungshilfen zur Ermittlung des zusätzlichen betriebsspezifischen Aufwandes bewähren. Nach Jahren der intensiven Diskussion und des Austausches von schier unverrückbaren Standpunkten sollte der neuen Regelung jetzt eine Chance in der Praxis gegeben werden. Hierbei ist es ratsam, die Einführung der Neuregelung durch umfangreiche Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen zu begleiten.

Die DGUV Vorschrift 2 sieht mit Ausnahme der Einführung der alternativen Betreuung bei den Unfallkassen (1.1.2013) keine Übergangsfristen vor. Klar ist jedoch, dass Betrieben und Verwaltungen ein Spielraum zur Einstellung auf die Inhalte der neuen Regelungen eingeräumt werden muss, um die Betreuungsmaßnahmen an Vorgaben und Möglichkeiten der Vorschrift 2 anpassen zu können. Die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger und der Länder werden deshalb im Jahr 2011 die praxisgerechte Umsetzung der DGUV Vorschrift 2 in den Betrieben, Verwaltungen und Bildungseinrichtungen nachhaltig unterstützen. Hierzu werden sie im Jahr 2011 einen Schwerpunkt auf die Beratung und Unterstützung beim Übergang zu den Neuregelungen legen. Dieses Vorgehen hat die Nationale Arbeitsschutzkonferenz (NAK) in ihrer Sitzung im November 2010 einstimmig beschlossen.

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