Rubriken

Konzeptentwicklung einer arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz

Zusammenfassung Ziel des hier vorgestellten Projektes war die Entwicklung eines Konzeptes zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz. Zur Identifikation des arbeitsmedizinischen Handlungsbedarfs wurden a) soziodemographische Daten der Lehrkräfte analysiert, b) Projektschulen arbeitsmedizinisch und sicherheitstechnisch begleitet sowie c) eine Lehrersprechstunde eingerichtet. Es zeigte sich, dass allgemeiner wie auch individualmedizinischer Beratungs- und Betreuungsbedarf besteht. Zur Erfüllung der arbeitsmedizinischen Betreuung wurde empfohlen ein Institut für Lehrergesundheit zu gründen und an das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz anzugliedern. Schlüsselbegriffe

· Arbeitsmedizinische Betreuung von Lehrkräften

· Belastungen von Lehrkräften

· arbeitsplatzbezogene Gefährdungsbeurteilung

· personenbezogene Gefährdungsbeurteilung

· Occupational health care system for teachers

· teachers’ stressors

· work-related risk assessment

· person-related risk assessment

Einleitung
In der öffentlichen Meinung wird der Lehrerberuf gerne als gemütlicher Halbtagsjob mit jeder Menge Ferien und gesichertem Beamtenstatus gesehen („Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“). In der Realität erweist sich der Lehrerberuf jedoch als sehr belastend und stressreich. So zeigte beispielsweise die Potsdamer Lehrerstudie (Schaarschmidt, 20051), dass der Lehrerberuf, insbesondere hinsichtlich der psychischen Belastungen, zu einem der anstrengendsten Berufe zählt. Um die Belastungen und Beanspruchungen des Lehrerberufes näher beschreiben zu können, greifen wir auf das Belastungs-Beanspruchungskonzept zurück, welches in der Arbeitsmedizin zur Beurteilung von Gefährdungssituationen häufig genutzt wird (z.B., Roßbach et al., 20072; van Dick & Stegmann, 20073).

Unter Belastungen werden alle von außen auf den Menschen einwirkenden Einflussfaktoren, die in der Lage sind eine Reaktion des Organismus auszulösen, verstanden. Unter Beanspruchung ist jede durch einen äußeren Einflussfaktor hervorgerufene Reaktion zu verstehen. Diese kann den gesamten Körper, ein Organsystem, ein einzelnes Körperorgan oder eine isolierte Funktion eines Organs betreffen. Dabei ist zu beachten, dass Belastungen nicht zwangsläufig zu negativen Beanspruchungsreaktionen und Krankheit führen müssen (Schaarschmidt, 20051; Scheuch et al., 19954). Entscheidend ist vielmehr das Verhältnis von Belastungen auf der einen und individuellen Leistungsvoraussetzungen auf der anderen Seite. Zudem können externale Ressourcen wie beispielsweise soziale Unterstützung durch die Schulleitung den Belastungsfaktoren entgegenstehen und die negativen Auswirkungen „abpuffern“ (Schaarschmidt, 20051). Untersuchungsergebnisse von Scheuch et al. (20105) zeigen, dass Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen erhöhte Erkrankungszahlen für psychische und neurotische Erkrankungen sowie für das Burnout-Syndrom aufweisen.

Die hohen Belastungen und Beanspruchungen von Lehrkräften verdeutlichen die Notwendigkeit einer arbeitsmedizinischen Betreuung der Lehrkräfte. In den einzelnen Bundesländern wird jedoch die arbeitsmedizinische Betreuung der Lehrkräfte sehr unterschiedlich wahrgenommen. Forderungen nach flächendeckender Umsetzung eines adäquaten Arbeits- und Gesundheitsschutzes scheitern zumeist an fehlenden Konzepten und/oder ungenügenden Ressourcen. Es gibt zwar verschiedene Ansätze zur Förderung der Lehrergesundheit, doch häufig sind die Maßnahmen nur unzureichend koordiniert und werden in der Praxis nicht hinreichend umgesetzt. Ziel unseres Forschungsprojektes war es, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz ein von allen Beteiligten getragenes, an die besonderen Gegebenheiten der verschiedenen Schularten angepasstes Konzept zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz zu entwickeln. Ein besonderes Augenmerk galt hierbei der praktischen Umsetzbarkeit. Im Folgenden beschreiben wir das methodische Vorgehen des Projektes. Anschließend stellen wir die Ergebnisse vor, die schließlich die Grundlage für das von uns entwickelte Konzept zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz bildeten.

Methode
Das methodische Vorgehen unseres Projektes gliederte sich in drei Teile:

a) Analyse der soziodemographischen Daten der Lehrkräfte;

b) arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Beratung und Begleitung von Projektschulen;

c) Einrichtung einer Lehrersprechstunde am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz.

Analyse der soziodemographischen Daten der Lehrkräfte
Soziodemographische Analysen, insbesondere des Alters, sind von großer Bedeutung für die Beurteilung des arbeitsmedizinischen Handlungsbedarfs. Die dem Bericht zugrunde liegenden soziodemographischen Analysen wurden auf Grundlagen von Daten des Statistischen Landesamtes Rheinland-Pfalz, des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und der EDISON Schuldatenbank in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Es wurden folgende Variablen erfasst: Alter, Geschlecht, Schulart, Betreuungsrelation zwischen Lehrkräften und Schülern und Gründe für Ruhestandsversetzungen.

Arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Beratung und Begleitung von Projektschulen
Die Beratung und Betreuung von Projektschulen stellte den Schwerpunkt unseres Projektes dar. Ziel war es den zu erwartenden Betreuungsaufwand und die Betreuungsschwerpunkte einzuschätzen.

Stichprobe
Es wurden neun Projektschulen in Einvernehmen mit den Personalvertretungen und dem Arbeitsschutzausschuss (ASA) ausgewählt. Ziel war es möglichst alle Schularten in die Studie einzubeziehen. Die Stichprobe setzte sich folgendermaßen zusammen: Zwei Förderschulen, eine Grundschule, eine Grund- und Hauptschule, eine Realschule, eine Gesamtschule, zwei Berufsbildende Schulen und ein Gymnasium.

Vorgehen und Ablauf der Studie
Das Vorgehen umfasste mehrere Schritte (Abbildung 1). Zunächst wurden die Schulleitungen und örtlichen Personalräte der Projektschulen zur Arbeitssituation der Lehrkräfte und zu Problemfeldern an ihrer Schule befragt.

Der zweite und zentrale Schritt bestand in der Gefährdungsbeurteilung der Schule. Diese umfasste eine arbeitsplatzbezogene Gefährdungsbeurteilung mittels Schulbegehung sowie eine personenbezogene Gefährdungsbeurteilung mittels Gruppeninterviews.

Als Grundlage für die Schulbegehung diente ein den schulspezifischen Schwerpunkten entsprechendes, selbst entwickeltes Begleitungs- und Dokumentationsschema. Erfasst wurden beispielsweise Zustand, Ausstattung und Mängel des Schulgebäudes, Größe, Belüftung, Lichtverhältnisse und Ausstattung des Lehrerzimmers, der Unterrichts- und Fachräume oder bestehende Maßnahmen zur Lärmreduktion. Im Anschluss an die Begehung wurden die Ergebnisse der Schulleitung zurückgemeldet und Lösungsvorschläge erarbeitet.

Zur Erfassung der psychosozialen Belastungen aufgrund von Arbeitsorganisation, Arbeitsinhalten, Zusammenarbeit im Kollegium, Zusammenarbeit mit der Schulleitung und der daraus entstehenden Beanspruchung wurden Gruppeninterviews mit Lehrkräften der Projektschulen durchgeführt. Jedes Interview hatte eine Dauer von etwa zwei Stunden und es nahmen fünf bis sechs Lehrkräfte teil, die einen Querschnitt des Kollegiums abbilden sollten. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und qualitativ mit dem Computerprogramm MAXQDA 2007TM ausgewertet. Die Auswertung wurde den Teilnehmern zurückgemeldet, die Schulleitungen erhielten Zusammenfassungen.

Als nächster Schritt wurden an den Projektschulen Workshops durchgeführt. Ziel der Workshops war es Handlungsmöglichkeiten, mit denen gezielt innerschulische Aufgaben und Probleme bewältigt werden konnten, zu identifizieren und zu entwickeln. Zudem sollten Strategien erarbeitet werden, um Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden der Lehrkräfte zu erhalten und zu verbessern. Ergebnisse der Schulbegehung und der Gruppeninterviews dienten als Grundlage für die Workshops. Die theoretische Grundlage bildete der salutogenetische Ansatz von Antonovsky (19796). Der zeitliche Rahmen betrug etwa einen halben Tag. Auch in den Workshops sollte ein möglichst breiter Querschnitt des Kollegiums vertreten sein. Abschließend wurden die Maßnahmen evaluiert.

Einrichtung einer Lehrersprechstunde
Der dritte Teil unseres Projektes bestand aus der Einrichtung einer arbeitsmedizinischen Sprechstunde für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz. Alle staatlichen Schulleitungen in Rheinland-Pfalz wurden vom Bildungsministerium über die Einrichtung der Lehrersprechstunde informiert. Informationen zur Sprechstunde wurden auf Weiterbildungsveranstaltungen, über Personalräte und über die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion an die Lehrkräfte weitergeleitet. Die Beratung und Untersuchung in der Lehrersprechstunde erfolgte weitestgehend standardisiert. Erfasst wurden die medizinische Krankenvorgeschichte und Diagnosen, soziodemographische und arbeitsplatzbezogene Faktoren. Die Auswertung erfolgte mittels deskriptiver Analysen. Bei Bedarf wurden allgemeine und spezielle Untersuchungen (z.B. EKG, Lungenfunktion, Seh- und Hörtest) durchgeführt. Auffällige Untersuchungsbefunde wurden mit den Lehrkräften besprochen und Empfehlungen zu weiterführenden Maßnahmen gegeben. Ziel der Sprechstunde war die arbeitsmedizinische Beratung sowie die Identifizierung von Belastungsschwerpunkten der die Sprechstunde aufsuchenden Lehrkräfte.

Soziodemographische Daten der Lehrkräfte
Im Schuljahr 2008/2009 waren 40 114 Lehrkräfte und 2 380 pädagogische Fachkräfte an 1 790 Schulen beschäftigt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, 20097). In Bezug auf die Geschlechterverteilung zeigten sich Unterschiede je nach Schulart. Der Anteil weiblicher Lehrkräfte lag bei 87,4% an Grundschulen, 70,3% an Förderschulen, 66,3% an Realschulen, 60,3% an Hauptschulen, 59,8% an integrierten Gesamtschulen und 52,2% an Gymnasien. Die Altersstruktur über alle Lehrkräfte zeigt Abbildung 2. Auch bezogen auf die Altersstruktur ergaben sich Unterschiede zwischen den Schularten. Auf eine nähere Betrachtung wird hier verzichtet1).

Die Zahl der Ruhestandversetzungen wegen Dienstunfähigkeit lag 2009 bei 123 Fällen, in vorgezogenen Ruhestand gingen 200 und in Altersruhestand 720 Lehrkräfte. Die Anzahl der Schüler pro Lehrkraft lag zwischen 6,3 Schülern pro Lehrkraft in Förderschulen und 25,5 Schülern in berufsbildenden Schulen.

Arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Beratung und Begleitung der Projektschulen
Die Schulbegehung zeigte an den untersuchten Schulen unterschiedlichen Sanierungs- und Renovierungsbedarf. Die Spannbreite der empfohlenen Renovierungsarbeiten reichte vom Streichen abgenutzter Türen über das Verputzen von Setzungsrissen in den Wänden, Abdichten von Decken bis hin zur Renovierung von Personaltoiletten. Des Weiteren zeigten sich Feuchtschäden wie Schimmelbefall. In Bezug auf die Lehrerzimmer bestand häufig ein Defizit hinsichtlich der vorgeschriebenen Raumgröße (bezogen auf die Anzahl der unterrichtenden Lehrkräfte) sowie der Anzahl der tatsächlich vorhandenen Arbeitsplätze. Mängel bestanden zudem in der Größe der Tisch- und Ablageflächen, im Blendungs- und Sonnenschutz, in der Menge des Stauraums sowie in der Akustik. Schlechte Akustik und Lärmbelastung waren auch im weiteren Schulgebäude ein Problem. Davon betroffen waren insbesondere Turnhallen, Musik- und Werkräume. Neben ungünstigen baulichen Bedingungen wurden hohe Schülerzahlen bezogen auf die Größe der Räume als Ursache für die Lärmbelastung genannt. Eine Vielzahl von Mängeln zeigte sich auch in den Turnhallen. Neben den schon erwähnten Lärmbelastungen wurden unzureichende Lüftungsmöglichkeiten, mangelnde Reinigung der Hallen sowie erhöhte Unfallgefahr durch defekte Sportgeräte und Unebenheiten in den Böden als Problemfelder identifiziert. Zudem fehlten wiederholt geeignete Umkleidemöglichkeiten für die Lehrkräfte. In ungenügendem Zustand – auch unter hygienischen Gesichtspunkten – befanden sich häufig die sanitären Einrichtungen. Problematisch in Bezug auf das Raumklima waren mangelnde Lüftungsmöglichkeiten sowie die Innenraumtemperatur. Die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze von Lehrkräften und Schülern war häufig ungünstig. Das bezog sich nicht nur auf die Größe von Tischen und Stühlen, sondern schloss die Gestaltung der Bildschirmarbeitsplätze mit ein. Besonderer Beachtung bedürfen Mängel und Unsicherheiten im Umgang mit Chemikalien und deren Lagerung. Die Lehrkräfte selbst beklagten immer wieder ungenügende Parkmöglichkeiten.

In den Gruppeninterviews zur Erfassung der personenbezogenen Gefährdungsbeurteilung zeigte sich, dass eine gestörte Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schulleitung sowie eine aus Sicht der Lehrkräfte mangelnde oder unzureichende Anerkennung durch die Schulleitung zentrale Themen an mehreren Schulen waren. Uneinigkeit bestand hinsichtlich der Unterstützung der Schulleitung, die sowohl als negativer als auch als positiver Aspekt eingeschätzt wurde. Über Kommunikationsprobleme und fehlende Zusammenarbeit innerhalb des Kollegiums wurde ebenso berichtet wie über gelungene, positiv erlebte Zusammenarbeit und Kommunikation. Als durchweg belastend wurde die Kommunikation zu Eltern wahrgenommen. So wurden häufige Beschwerden, hoher Erwartungsdruck oder fehlende Anerkennung von Seiten der Eltern beklagt. Auch hinsichtlich der Schüler wurden insbesondere negative Aspekte wie zum Beispiel die ungünstige Betreuungsrelation, das schlechte Sozialverhalten oder mangelnde kognitive Fähigkeiten genannt. Besonders häufig negativ fielen auch die Äußerungen bezüglich des Schulgebäudes aus. Kritikpunkte waren der schlechte Zustand der Schule, Raumknappheit, fehlende Rückzugsmöglichkeiten oder Lärmbelastung. Als sehr belastender Faktor der Arbeitssituation der Lehrkräfte wurden die unklare Trennung von Arbeit und Privatleben, fehlende Pausen, Zeitmangel und zeitintensive administrative Aufgaben berichtet. Zeitmanagement stellte dann kein Problem dar, wenn selbst erlernte Bewältigungsstrategien zum Einsatz kommen konnten.

In den Workshops wurden für die im Gruppeninterview identifizierten Problemfelder gemeinsame Lösungsmöglichkeiten mit den Lehrkräften erarbeitet. Als Maßnahmen wurden beispielsweise die regelmäßige Durchführung von Supervision und Studientagen beschlossen. Für die Umsetzung der Lösungsvorschläge wurden externe wie auch interne Verantwortliche benannt, es wurde ein Zeitplan erstellt und weitere Ziele definiert. Als vordringlichstes Ziel wurde die Reduktion der Lärmbelastung gesehen.

Einrichtung einer Lehrersprechstunde
Von September 2008 bis März 2010 stellten sich 65 Lehrkräfte in der Sprechstunde vor. Zudem wurden von den Ärztinnen/Ärzten der Lehrersprechstunde eine Vielzahl von Telefonberatungen durchgeführt. Von den Lehrkräften in der Sprechstunde arbeiteten 41% an den betreuten Projektschulen. Den größten Anteil nahmen Lehrkräfte aus Förderschulen (22%), Grundschulen und Gymnasien (jeweils 18%) ein. Der Anteil der weiblichen Lehrkräfte lag bei 70%. Das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren (Spanne: 28 bis 66 Jahre), wobei 64% der Lehrkräfte, die die Sprechstunde aufsuchten, 50 Jahre oder älter waren. Die Beratungen waren meist sehr zeitaufwendig, häufig waren mehrere Kontakte erforderlich. Selbstverständlich unterlagen sämtliche individuellen Konsultationen der ärztlichen Schweigepflicht.

Die angesprochenen Problembereiche der Lehrkräfte waren vielfältig. Hierzu zählten allgemeine und spezielle Beschwerden, manifeste akute und chronische Erkrankungen, Lärmbelastung, Stimmbelastung, Hilfsmittel (Stimmverstärker, Gehörschutz), Schutzimpfungen, interkollegiale Konflikte, Kommunikationsprobleme mit der Schulleitung, unzureichende Anzahl und Ausstattung von Arbeitsplätzen (z.B. Schimmelpilzbefall in Unterrichtsräumen), Fragen der berufliche Wiedereingliederung oder Verhalten bei Dienstunfällen.

Die Sprechstunde wurde von Schulleitungen und Lehrkräften gleichermaßen genutzt, sie diente ebenfalls dem Ministerium als Ansprechpartner in Fragen der Lehrer- und Schülergesundheit. Anlass waren die Beurteilung gesundheitlicher Gefährdungen bei bauseitigen Mängeln, Beratung im Umgang mit erkrankten Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften sowie allgemeine und spezielle Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention.

Diskussion
Ziel unseres Forschungsprojektes war die Entwicklung eines Konzepts zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz. Um Betreuungsaufwand und Betreuungsschwerpunkte abzuleiten, wurden soziodemographische Daten der Lehrkräfte analysiert, Projektschulen arbeitsmedizinisch und sicherheitstechnisch beraten und begleitet sowie eine Lehrersprechstunde am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz eingerichtet.

Aus der Analyse der soziodemographischen Daten der Lehrkräfte wurde ersichtlich, dass in Abhängigkeit der Schulart ein Großteil der Lehrkräfte weiblich ist. Das trifft insbesondere auf die Grundschulen und Förderschulen zu. Geschlechtsspezifische Einflussfaktoren sollten demnach bei der arbeitsmedizinischen Betreuung berücksichtigt werden, zumal Studien zeigen, dass Lehrerinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ihren Beruf als emotional und psychisch belastender erleben (Kramis-Aebischer, 19959; Seelig & Wendt, 199310). Der hohe Anteil von Frauen im gebärfähigen Alter erfordert ein verstärktes Engagement in Fragen des Mutterschutzes.

Die Altersstruktur der Lehrkräfte in Rheinland-Pfalz weist für die nächsten Jahre auf steigende Zahlen altersbedingter Pensionierungen hin. Da mit zunehmendem Alter die individuelle Belastbarkeit abnimmt, wodurch häufiger chronische Erkrankungen auftreten können, ist bei älteren Beschäftigten mit mehr krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten als bei jüngeren Beschäftigten zu rechnen.

Die Anzahl der Ruhestandsversetzungen wegen Dienstunfähigkeit (N = 123; 2009) war verglichen mit dem Niveau des Jahres 2000 (N = 756) niedriger. Dies geht allerdings eher auf dienstrechtliche Veränderungen als auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Lehrkräfte zurück. Auch hieraus ergibt sich ein arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf. Bezüglich der vorgezogenen Ruhestandsversetzungen zeigten sich ab 2000 nur leichte Schwankungen. Der Anteil der Lehrkräfte, die in Altersruhestand gingen, ist dagegen kontinuierlich vom Jahr 2001 (N = 166) bis 2009 (N = 720) gestiegen. Dies zeigt einen hohen Bedarf an neuen Lehrkräften auf.

Da die Klassenstärke von Lehrkräften als Belastungsfaktor angeben wird (z.B. Bauer 200411; Schaarschmidt, 20051) ist auch die Lehrer-Schüler-Betreuungsrelation von arbeitsmedizinischer Bedeutung.

Die arbeitsmedizinische Beratung der Projektschulen zeigte, dass in den Schulen vielseitige Mängel bestehen, die Handlungsbedarf erfordern. Die Schulbegehung erwies sich als adäquates Verfahren, um arbeitsplatzbezogene Problemfelder insbesondere bezüglich der Schulgebäude und deren Ausstattung zu identifizieren. Schulbegehungen sollten deshalb anlassbezogen und in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. Da sich Schulleitungen und Lehrkräfte kontinuierlich im Schulgebäude aufhalten, könnten sie als erste mögliche Veränderungen der Gefährdungssituation in der Schule erkennen. Es wäre sinnvoll Schulleitungen und gegebenenfalls einzelne Lehrkräfte im Erkennen von Gefährdungssituationen und sicherheitstechnischen Mängeln zu schulen. Möglicherweise sollte den Schulleitungen sogar die Verantwortung für die Gefährdungsbeurteilung und die Veranlassung von Schulbegehungen übertragen werden; selbstverständlich mit Unterstützung und Beratung durch Fachleute aus dem Bereich der Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik. Der Fokus der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Beratung sollte jedoch nicht nur auf der korrektiven Arbeitsplatzgestaltung liegen, sondern präventive Gesichtspunkte mit einbeziehen. Bereits bei der Planung und Bauausführung von Schulneubauten, bei Umbauten und Modernisierungsmaßnahmen sollte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Beratung eingeholt werden. Für die erfolgreiche Planung und Implementierung präventiver und korrektiver Maßnahmen ist die Beteiligung aller Verantwortlichen, auch der Kommunen, die als Schulträger für die Schulgebäude die Verantwortung tragen, wichtig. Essentiell ist zudem eine aussagekräftige Dokumentation der Schulbegehung, die Verantwortlichkeiten festlegt und klare Handlungsschritte definiert.

Die Durchführung von Gruppeninterviews erwies sich als aufwendige, jedoch zugleich nützliche Methode zur Gewinnung von Informationen bezüglich der psychosozialen Belastungen und Beanspruchung der Lehrkräfte. Zentrales Thema war die teilweise fehlende oder gestörte Kommunikation zwischen Schulleitung und Kollegium sowie innerhalb des Kollegiums. Starke Belastungen gehen auch von Schülern und deren Eltern aus. Neben den sozialen Belastungen wurden bauliche Mängel der Schulgebäude beklagt sowie Aspekte der Arbeitsorganisation und -situation angesprochen. Die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten für innerschulische Problemfelder in fachlich begleiteten Workshops erwies sich als sehr sinnvoll. Eine flächendeckende Durchführung von Gruppeninterviews und Workshops zur personenbezogenen Gefährdungsbeurteilung wird nicht durchführbar sein, sie ermöglicht aber im Einzelfall zielgerichtet innerschulische Probleme (z.B. gestörte innerschulische Kommunikation) zu erkennen und gemeinsam mit den Betroffenen eigenverantwortliche Lösungsschritte zu entwickeln.

Die Belastungen und Beanspruchungen von Lehrkräften weisen auf einen erheblichen Beratungsbedarf hinsichtlich individualmedizinischer und allgemeiner Fragen der Lehrergesundheit hin. Dennoch wurde die von uns eingerichtete Sprechstunde zunächst nur zurückhaltend angenommen. Aus den Gesprächen mit Lehrkräften erfuhren wir, dass die Zurückhaltung gegenüber der Sprechstunde auf Informationsdefiziten, Bedenken über die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht und Misstrauen gegenüber einer vom Dienstherren eingerichteten Beratungsstelle beruhte. Weitere Gründe waren die Unklarheit darüber, ob Arztbesuche während der Arbeitszeit/Unterrichtszeit möglich sind, ob Reisekosten erstattet werden und ob ein Versicherungsschutz bei Wegeunfällen besteht. Für den Versicherungsschutz von Wegeunfällen wäre die Genehmigung durch den Dienstherrn nötig gewesen, was aus Sicht der Lehrkräfte eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes darstellt. Schließlich war für viele Interessenten die geographische Entfernung das Hindernis. All diese „Hinderungsgründe“ müssen bei der Konzeptionierung einer individuellen arbeitsmedizinischen Betreuung berücksichtigt werden. Wichtige Voraussetzung ist zudem der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen Lehrkräften und Ärzten, die wiederum eine personelle Kontinuität in der Betreuung voraussetzt. Diese Betreuung sollte soweit wie möglich vor Ort stattfinden, am besten direkt in den Räumlichkeiten der Schule erfolgen. Für spezielle Fragestellungen und Untersuchungsanlässe sollte eine zentrale Betreuungseinrichtung außerhalb der Schulen eingerichtet werden. Neben persönlichen Konsultationen kann die Möglichkeit einer telefonischen Beratung angeboten werden. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte sollten umfassend über das Betreuungsangebot informiert werden. Das Betreuungsangebot sollte auf die Bedürfnisse der spezifischen Lehrergruppe abgestimmt sein. So benötigen beispielsweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Förderschulen eine auf die besonderen Arbeitsverhältnisse an Förderschulen angepasste arbeitsmedizinische Betreuung. Die Mitarbeiter einer zukünftigen arbeitsmedizinischen Beratungsstelle sollten sich aktiv in Schulen und regionalen Schulveranstaltungen vorstellen.

Zusammenfassend zeigt unser Projekt, dass sowohl allgemeiner als auch individualmedizinischer Beratungs- und Betreuungsbedarf im Bereich der Lehrergesundheit besteht. Ein arbeitsmedizinisches Beratungs- und Betreuungsangebot sollte nicht nur Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften, sondern ebenfalls Schulleitungen, dem Bildungsministerium sowie der Schulaufsichtsbehörde zur Verfügung stehen.

Für die Umsetzung eines entsprechenden Konzeptes wurde auf Grundlage unserer Empfehlung (Letzel et al., 20108) im Januar 2011 ein eigenes Institut für Lehrergesundheit (IfL) gegründet (www.unimedizin-mainz.de/ifl). Um die bereits bestehende Expertise und Synergien zu nutzen, wurde das Institut für Lehrergesundheit an das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz angegliedert. Die Gründung eines eigenen Instituts mit fest etablierten Strukturen weist erhebliche Vorteile gegenüber der Nutzung der Expertise überbetrieblicher Anbieter auf. Unabhängig davon wurde mit der Einrichtung einer „eigenen“ Institution zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften auch die Forderungen der EU-Richtlinie 89/391/EWG erfüllt.

In Rheinland-Pfalz sind mehrere Institutionen sehr engagiert mit der Thematik Lehrergesundheit beschäftigt, deren Projekte jedoch noch unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Das Institut für Lehrergesundheit sollte als Koordinationsstelle und zentrale Anlaufstelle fungieren. Wichtige Aufgaben des Instituts für Lehrergesundheit sind u.a.:

· Durchführung regelmäßiger und anlassbezogener, schulartenbezogener allgemeiner und individueller Gefährdungsanalysen.

· Umsetzung der arbeitsmedizinischen Prävention durch eine stationäre Ambulanz sowie mobile Betreuungseinheiten, die die Schulen des Landes anfahren und betreuen.

· Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen zur Lehrergesundheit einschließlich der Erstellung eines speziellen Gesundheitsberichtes zur Lehrergesundheit in Rheinland-Pfalz.

· Beratung aller Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz zur Lehrergesundheit.

· Organisation und Betreuung eines „runden Tisches“ zur Lehrergesundheit.

Ziel des Instituts ist es, durch das Einführen eines Qualitätsmanagements Arbeitsschritte und Vorgehensweisen transparent zu machen. Dies sollte auch die Evaluation der Arbeit des Instituts einschließen. Geplant ist zudem, dass das Institut für Lehrergesundheit schrittweise wächst und weitere mobile Betreuungseinheiten eingerichtet werden.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass nur gesunde Lehrkräfte ihren Beruf adäquat ausüben können. Unter Berücksichtigung der erheblichen Kosten, die erkrankte Lehrkräfte und ggf. Lehrkräfte verursachen, die vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden müssen, muss eine arbeitsmedizinische Betreuung nicht als Kostenfaktor, sondern als Grundlage für ein effektives und leistungsfähiges Schulsystem in Rheinland-Pfalz angesehen werden.

Literatur

1. Schaarschmidt U (Hrsg.). Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im Lehrerberuf – Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2005

2. Roßbach B, Löffler KI, Mayer-Popken O, Konietzko J, Dupuis H. Belastungs- und Beanspruchungskonzept. In: Letzel S, Nowak D (Hrsg.). Handbuch der Arbeitsmedizin. Ecomed Verlag, 1. Erg. Lfg. 3/07, A II-1, Landsberg, 2007

3. Van Dick R, Stegmann S. Belastung, Beanspruchung und Stress im Lehrerberuf – Theorien und Modelle. In: Rothland, M. (Hrsg.). Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf – Modelle, Befunde, Interventionen. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2007

4. Scheuch K, Vogel H, Haufe E. Entwicklung der Gesundheit von Lehrern und Erziehern in Ostdeutschland. Ausgewählte Ergebnisse der Dresdner Lehrerstudien 1985 – 1994. Selbstverlag TU Dresden, Dresden, 1995

5. Scheuch K, Seibt R, Rehm U, Riedel R, MelzerW. Lehrer. In: Letzel S, Nowak D (Hrsg.). Handbuch der Arbeitsmedizin. Ecomed Verlag, 16. Erg. Lfg. 3/2010, Landsberg, 2010

6. Antonovsky A. Health, stress, and coping (The Jossey-Bass Social and Behavioral Science Series). Jossey-Bass, London, 1979

7. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (Hrsg. 2009). Allgemeinbildende Schulen im Schuljahr 2008/2009 Teil IIInternet: www.statistik.rlp.de/verlag/berichte/B1023_200800_1j_K.pdf

8. Letzel S, Kimbel R, Burger U, Spahn D. Abschlussbericht über das Projekt „Konzeptentwicklung einer arbeitsmedizinischen Betreuung von Lehrkräften in Rheinland-Pfalz“, Mai 2010.Internet: http://www.unimedizin-mainz.de/ifl/kooperationspartner/downloads.html

9. Kramis-Aebischer K. Stress, Belastungen und Belastungsverarbeitung im Lehrberuf. Paul Haupt Verlag, Bern, 1995

10. Seelig GF, Wendt W. Lehrerbelastung. Eine Pilotstudie zu den erlebten Berufsbelastungen von Lehrerinnen und Lehrern. Pädagogik 1993; 45: 30–32

11. Bauer J (Hrsg. 2004). Die Freiburger Schulstudie. Internet: http://www.gesundeschule-fs.de/fileadmin/PDF-Dokumente/Schulstudie_Freiburg.pdf

1) Weitere Angaben zu den soziodemographischen Analysen siehe Letzel et al. (20108).

Aktuelle Ausgabe

Partnermagazine

Akademie

Partner